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TVR 2009 Nr. 21

Beschwerdelegitimation einer Arbeitsgemeinschaft, Transparenz und rechtliches Gehör im Submissionsverfahren, Kostentragung durch Gemeinde


Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 1 Abs. 3 lit. c IVöB, § 44 VRG, § 77 VRG, § 78 VRG


1. In Submissionsverfahren sind grundsätzlich nur alle Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft gemeinsam zur Beschwerdeerhebung gegen einen Zuschlagsentscheid berechtigt (E. 1.2).

2. Die undifferenzierte und nicht konkret begründete Erteilung der Maximalpunktzahl an die bestplatzierten Offerenten bei den «weichen» Zuschlagskriterien, wie etwa dem Kriterium der «Leistungsfähigkeit», ist angesichts des Grundsatzes der Transparenz im Vergabeverfahren unzulässig (E. 2.4).

3. In Submissionsverfahren stehen sich Gemeinde und Anbieter wie zwei Private gegenüber, weshalb die Gemeinde infolge ihres Unterliegens – entgegen dem Grundsatz von § 78 Abs. 3 VRG – kosten- und entschädigungspflichtig wird (E. 4).


Die politische und die Volksschulgemeinde N (nachfolgend Gemeinde) planen gemeinsam die Errichtung einer Mehrzweckhalle. Die mit der Ausschreibung betraute Architektur AG, Frauenfeld, liess die Arbeiten, insbesondere den hier interessierenden Montagebau in Holz, im Amtsblatt ausschreiben. Für die Vergabe wurde das offene Verfahren gewählt. Es gingen insgesamt sechs Angebote mit einer Preisspanne von Fr. 448‘000.10 bis Fr. 565‘952.– ein. In den Ausschreibungsunterlagen waren die Zuschlagskriterien ohne besondere Gewichtung wie folgt aufgelistet:
1. Termin- und Kosteneinhaltung
2. Angebotspreis
3. Ausführungsqualität bei Referenzobjekten
4. Kundendienst
5. Lehrlingsausbildung
Nach der Offertöffnung wurden die entsprechenden Punkte durch die Baukommission verteilt. Die WWW AG, Zürich, erhielt insgesamt 523.89 Punkte, die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) X / Y als Zweitplatzierte 514.57 Punkte. Mit (Absage-)Schreiben vom 26. Juni 2009 wurde der ARGE X / Y mitgeteilt, dass der Zuschlag für die BKP 214 Montagebau in Holz am 17. Juni 2009 der bestrangierten Unternehmung WWW AG zum Preis von Fr. 449‘879.40 erteilt worden sei.
Mit Eingabe vom 6./7. Juli 2009 erhob X – zumindest sinngemäss im Namen der ARGE X / Y – Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Dieses heisst gut, hebt den Zuschlag auf und weist die Sache zur ergänzenden Abklärung und zum Neuentscheid an die Gemeinde zurück.

Aus den Erwägungen:

1.2 Strittig und zu prüfen ist in formeller Hinsicht die Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführerinnen. (...)
Gemäss früherer Praxis der Eidgenössischen Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungswesen (EBRK) wurde die Beschwerdeerhebung durch einzelne Mitglieder einer ARGE als zulässig erachtet, wobei die Bereitschaft der übrigen Mitglieder, den Auftrag noch auszuführen, nachzuweisen sei (Wolf, Die Beschwerde gegen Vergabeentscheide – eine Übersicht über die Rechtsprechung zu den neuen Rechtsmitteln, in: ZBl 1/2003, S. 15 f.). Von dieser früheren Rechtsprechung kam das neu zuständige Bundesverwaltungsgericht im Entscheid BVGE 2008/7 wieder ab und übernahm die Praxis des Bundesgerichts. Dieses hatte in BGE 131 I 153 (= Pra 3/2006 Nr. 27) entschieden, dass – solange der Vertrag zwischen der Vergabebehörde und dem berücksichtigten Anbieter nicht abgeschlossen sei – die Mitglieder eines übergangenen Konsortiums nur gemeinschaftlich gegen den Vergabeentscheid Beschwerde führen könnten, zumal es um die Geltendmachung eines unteilbaren Rechts der Gesellschaft gehe, das heisst dasjenige, den Zuschlag für die Beschaffung zu erhalten (BGE 131 I 153 E. 5).
(…)

Aufgrund des Beschwerdeantrags, mit welchem ausdrücklich die Zuschlagserteilung an die ARGE verlangt wird, und angesichts des nachträglich eingereichten Bestätigungsschreibens der Firma Y vom 12. August 2009, welche als nachträgliche Vollmachterteilung zu verstehen ist, muss die Beschwerdeerhebung als im Namen der ARGE erfolgt betrachtet werden. Die federführende X war auch berechtigt, im Namen der ARGE die Beschwerde zu erheben. Damit ist mit anderen Worten von einer gemeinschaftlichen Beschwerdeerhebung im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 131 I 153 E. 5) auszugehen. (…)

2. (…)

2.4 Zu prüfen gilt es weiter die Bewertung der Zuschlagskriterien durch die Beschwerdegegnerinnen.

2.4.1 (…)

2.4.2 Im gesamten Vergabeverfahren ist die Transparenz als Zielvorgabe stets sicherzustellen (vgl. Art. 1 Abs. 3 lit. c IVöB). Dies gilt somit grundsätzlich auch für den Zuschlagsentscheid. Gemäss § 47 Abs. 2 VöB sind Verfügungen summarisch zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Auf Gesuch hin hat die Auftraggeberin den nicht berücksichtigten Anbietern insbesondere die wesentlichen Gründe für die Nichtberücksichtigung sowie die ausschlaggebenden Merkmale und Vorteile des berücksichtigten Angebots bekannt zu geben, soweit dadurch nicht Rechtsvorschriften, öffentliche Interessen, berechtigte wirtschaftliche Interessen der Anbietenden oder der lautere Wettbewerb zwischen ihnen verletzt werden (§ 47 Abs. 3 Ziff. 4 und 5 VöB). Gemäss Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts kann eine ungenügende Begründung des Zuschlagsentscheids im Rahmen des Beschwerdeverfahrens bzw. des entsprechenden Schriftenwechsels geheilt werden (vgl. TVR 2006 Nr. 26, E. 3 und 4).
Nebst dem Grundsatz der Transparenz gilt auch im Submissionsverfahren der verfassungsrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Die erwähnte Begründungspflicht für behördliche Entscheide ist ein wesentlicher Bestandteil des Gehörsanspruchs. Diese Begründungspflicht verlangt, dass wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf welche sich ihre Verfügung / ihr Entscheid stützt. Dies bedeutet zwar nicht, dass sie sich ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen muss. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken. Allerdings soll mit der Begründungspflicht aber verhindert werden, dass sich die Behörde von unsachlichen Motiven leiten lässt. Gleichzeitig soll damit dem Betroffenen ermöglicht werden, die Verfügung gegebenenfalls sachgerecht anzufechten. Dies ist nur möglich, wenn sowohl er wie auch die Rechtsmittelinstanz sich über die Tragweite des Entscheides ein Bild machen können (vgl. BGE 124 V 180 E. 1a, mit Verweis namentlich auf BGE 118 V 57 E. 5b, 117 Ib 492 E. 6b/bb, sowie 112 Ia 110 E. 2b, vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 4A_134/2009 vom 10. Juni 2009, E. 6.2).

2.4.3 Wie sich der Bewertungstabelle vom 17. Juni 2009 entnehmen lässt, erhielten die drei erstplatzierten und der fünftplatzierte Anbieter beim Zuschlagskriterium «Leistungsfähigkeit» je die Maximalpunktzahl von fünf Punkten. Aus welchen Gründen diese Maximalpunktzahl gleich vier Mal (bei insgesamt sechs bewerteten Anbietern) verteilt wurde, lässt sich den im Recht liegenden Akten in keiner Art und Weise entnehmen. In der Duplik vom 25. September 2009 lassen die Beschwerdegegnerinnen diesbezüglich lediglich vorbringen, dass das Kriterium der Leistungsfähigkeit in erster Linie «eine Frage der Termin- und Kosteneinhaltung» sei. Dieses Kriterium sei anhand der Angaben der Anbieter über die Anzahl der Beschäftigen und der Fachkräfte der Firma gesamthaft sowie die Anzahl der für das Projekt vorgesehenen Fachkräfte, aber auch anhand der Referenzen überprüft worden. Unter diesem Aspekt seien auch die Termineinhaltung durch die Anbieter und der zeitliche Rahmen «sehr wichtig» gewesen. Diese allgemeinen Ausführungen stellen jedoch in keiner Art und Weise eine eigentliche Bewertung des Kriteriums dar. Weder für die Beschwerdeführerinnen noch für das Verwaltungsgericht ist ersichtlich, wie dieses Kriterium der Leistungsfähigkeit bezüglich der einzelnen Offerenten, insbesondere der Beschwerdeführerinnen und der Verfahrensbeteiligten, konkret bewertet wurde. Dass den Beschwerdegegnerinnen als Auftraggeber bei der Bewertung ein Ermessensspielraum zusteht, ändert an der Pflicht zur Begründung des Zuschlages nichts. An die Begründungspflicht bezüglich des Kriteriums Leistungsfähigkeit sind insofern auch höhere Anforderungen zu stellen, als es am stärksten gewichtet wurde (Gewichtungsfaktor 40) und es sich dabei um ein «weiches» Kriterium handelt, welches eine effektive und nachvollziehbare «Bewertung» bedingt.
Dasselbe gilt auch für die Kriterien «Qualität» und «Kundendienst». Diese wurden zwar weniger stark gewichtet (Gewichtungsfaktor 20 bzw. 10), jedoch geht weder aus den Akten noch aus den Ausführungen der Beschwerdegegnerinnen hervor, weshalb alle schlussendlich gewichteten Offerenten in den Genuss der jeweiligen Maximalpunktzahl von fünf Punkten gelangten. Eine «Bewertung» lässt sich einzig für das «harte» Kriterium des Angebotspreises entnehmen, gemäss den Kommentaren der Firma V in der Aufstellung vom 11. Juni 2009.

2.4.4 In materieller Hinsicht geht es auch nicht an, dass insbesondere an die drei bestplatzierten Offerenten für sämtliche «weichen» Kriterien undifferenziert und durchwegs die Maximalpunktzahl von 5 verteilt wurde, womit der Zuschlag alsdann effektiv nur noch über den Angebotspreis erfolgte. Bei den zu vergebenden Holzbauarbeiten handelt es sich klarerweise nicht um eine austauschbare Leistung, die sich allein über den Preis definieren lässt.

2.4.5 Insgesamt ist festzustellen, dass die Beschwerdegegnerinnen ihrer Begründungspflicht bezüglich des Zuschlagsentscheids nicht nachgekommen sind und damit einerseits den Grundsatz der Transparenz und andererseits den Anspruch auf rechtliches Gehör der Beschwerdeführerinnen verletzt haben. Nicht ersichtlich ist auch, inwiefern Rechtsvorschriften, öffentliche Interessen etc. im Sinne von § 47 Abs. 3 Ziff. 5 VöB einer derartigen Begründung entgegenstehen sollten. Zwar ist mit den Beschwerdegegnerinnen darin einig zu gehen, dass die Faktoren «regionale Wertschöpfung» und «regionale Arbeitsplätze» vorliegend nicht massgebend sein können, da sie den Zielen des öffentlichen Beschaffungswesens, so namentlich der Förderung des wirksamen Wettbewerbs, der Gleichbehandlung aller Anbieterinnen und Anbietern sowie einer unparteiischen Vergabe (vgl. Art. 1 Abs. 3 IVöB), widersprechen. Dessen ungeachtet lassen sich weder den Akten noch den nachträglichen Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen im Rahmen des Schriftenwechsels im Beschwerdeverfahren in irgend einer Art und Weise die massgeblichen Überlegungen / Gesichtspunkte entnehmen, welche zur Bewertung und Punktevergabe gemäss der Aufstellung vom 17. Juni 2009 – mit Ausnahme der «Bewertung» des Angebotspreises – führten. Beim schlussendlich einzig noch ausschlaggebenden Kriterium des Preises lagen die beiden erstplatzierten Anbieter lediglich noch rund Fr. 8‘000.– auseinander, dies bei einer Angebotssumme von etwa Fr. 450‘000.–, was einer Differenz von ca. 1,7% entspricht. Auch aus diesem Grunde müssen an den Grundsatz des rechtlichen Gehörs bzw. an die Begründungspflicht entsprechend höhere Anforderungen gestellt werden, zumal es sich bei den übrigen Kriterien, insbesondere bei der am stärksten gewichteten Leistungsfähigkeit, um «weiche» Kriterien handelt. (…)

3. (…)

4. Da sich im Submissionsverfahren Gemeinde und Anbieter wie zwei Private gegenüberstehen beziehungsweise die Gemeinden dabei eigene Vermögensinteressen wahrnehmen, rechtfertigt es sich, für die Auferlegung von Kosten von der in § 78 Abs. 3 VRG statuierten Regel abzuweichen. Aufgrund ihres Unterliegens werden die Beschwerdegegnerinnen vorliegend daher kosten- und entschädigungspflichtig (vgl. BGE 131 I 258 E. 6, sowie Urteil des Bundesgerichts 2P.342/1999 vom 31. Mai 2000, E. 6). In Anwendung von § 77 VRG sind die Verfahrenskosten vorliegend daher von den Beschwerdegegnerinnen zu bezahlen. Bei diesem Verfahrensausgang haben die Beschwerdeführerinnen zulasten der Beschwerdegegnerinnen einen Anspruch auf Ersatz ihrer ausseramtlichen Kosten (§ 80 Abs. 1 VRG). Mangels anwaltlicher Vertretung steht ihnen allerdings lediglich eine Parteientschädigung in Form eines Auslagenersatzes zu (BGE 110 V 132 E. 4d), welcher vorliegend auf Fr. 200.– festzusetzen ist.

Entscheid vom 11. November 2009

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