TVR 2009 Nr. 28
Rückforderung von Fürsorgeleistungen gegenüber Erben
(Gesetzliche) Erben von Unterstützungsbedürftigen können zu deren Lebzeiten nicht zur Rückzahlung von Fürsorgeleistungen verpflichtet werden.
Die 1915 geborene K ist Mutter der Söhne X und Y und seit 2000 verwitwet. Noch zu Lebzeiten ihres Ehemannes schlossen die Eheleute mit ihren Söhnen einen Erb- und Erbverzichtsvertrag und einen Nachtragsvertrag ab. Y erhielt gestützt auf den Erb- und Erbverzichtsvertrag die Liegenschaft A zu Alleineigentum als Erbvorbezug und sein Bruder X die Liegenschaft B. Letzterem wurde mit Nachtragsvereinbarung zudem die Liegenschaft C in Form eines Erbvorbezuges abgetreten. Als Ausgleich verfügten die Eheleute, dass der Sohn Y aus dem Nachlass des zweitversterbenden Ehegatten die Liegenschaften D und E für sich beanspruchen könne. X verpflichtete sich, K im Maximum Fr. 250'000.– auszubezahlen, falls er eine der Eigentumswohnungen der Liegenschaft C verkaufe oder wenn sie ihren Unterhalt nicht mehr abschliessend aus ihrem Einkommen bestreiten könne. Mit einem weiteren Vertrag vom 4. August 2003 übertrug K ihrem Sohn Y die Liegenschaften D und E unter Übernahme der Grundpfandschulden von Fr. 741'000.–, wobei festgehalten wurde, dass der rechtsgültige Steuerwert total Fr. 1'054'000.– betrage. K lebt seit 15. Februar 2004 im Altersheim. Im August 2004 meldete sie sich zum Bezug von Ergänzungsleistungen an. Das Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau verneinte indessen den Anspruch auf Ergänzungsleistungen, nachdem unter Anrechnung eines Verzichtsvermögens von Fr. 471'500.– (Stand 2003) ein Einnahmenüberschuss resultierte. Seit Januar 2006 wird K vom Sozialdienst finanziell unterstützt, der Minussaldo per 31. Dezember 2008 betrug Fr. 31'165.95. Nachdem sich die Sozialhilfebehörde mit Y offenbar nicht über eine Finanzierungsbeteiligung desselben einigen konnte, beschloss sie unter Berufung auf § 19 Abs. 2 SHG am 22. Januar 2009, Y sei zur Rückerstattung von Fr. 31'165.95 zu verpflichten.
Den dagegen geführten Rekurs hiess das DFS gut und hob den Entscheid der Sozialhilfebehörde auf. Die Gemeinde erhob dagegen Beschwerde, welche das Verwaltungsgericht abweist.
Aus den Erwägungen:
2. Strittig ist, ob die Gemeinde von Y bereits ausgerichtete Unterstützungsleistungen zugunsten seiner Mutter zurückfordern kann und ob die Geltendmachung der Rückerstattung für inskünftig an diese zu erbringende Sozialhilfeleistungen vorbehalten bleiben kann.
3.
3.1 Wer nach dem vollendeten 18. Altersjahr Unterstützungsbeiträge bezogen hat, ist zur Rückerstattung verpflichtet, soweit dies zumutbar ist. Erben haften bis zur Höhe ihrer Erbschaft (§ 19 Abs. 2 SHG). Zurückzuerstatten hat auch, wer zu Unrecht Sozialhilfeleistungen bezog (§ 19 Abs. 1 SHG). Die Rückerstattungspflicht richtet sich sowohl beim rechtmässigen (§ 19 Abs. 2 SHG) wie beim unrechtmässigen (§ 19 Abs. 1 SHG) Leistungsbezug in erster Linie gegen den Leistungsempfänger. Nach dem Tod des Leistungsbezügers richtet sich der Rückerstattungsanspruch gegen den Nachlass bzw. gegen die Erben. Der Begriff «Erben» ist eindeutig; Erbe wird man erst nach dem Tod des Erblassers. Denn Erben sind diejenigen Personen, welche beim Tod einer Person all deren vererbbare Vermögenswerte und Schulden eo ipso durch Universalsukzession erwerben. Gesetzliche Erben sind diejenigen Personen, welche Erben werden, wenn der Erblasser sie nicht durch eine Verfügung von Todes wegen von der Erbenstellung ausschloss. Zudem kann der Erblasser mit Verfügung von Todes wegen weitere Personen als Erben einsetzen (vgl. Staehelin, in: Basler Kommentar, ZGB II, 3. Aufl., Basel 2007, vor Art. 457-466 N. 1). Wer im Zeitpunkt des Todes des Erblassers Erbe sein wird, lässt sich daher nicht zum Vornherein bestimmen. Dies gilt auch für die potentiellen gesetzlichen Erben, denn sie können vorversterben oder enterbt werden. Dass es sich hierbei um zivilrechtliche Begriffe handelt, heisst nicht, dass sie im öffentlichen Recht nicht die gleiche Bedeutung haben können. So stellt die grammatikalische Auslegung auch für öffentlich-rechtliche Normen auf Wortlaut, Wortsinn und Sprachgebrauch ab, wobei unter Sprachgebrauch in der Regel der allgemeine Sprachgebrauch zu verstehen ist. Definiert das öffentliche Recht einen Begriff nicht näher, so ist für die grammatikalische Auslegung die zivilrechtliche Definition ebenfalls zu beachten. Ist diese – wie hier – klar und deutlich, so gibt es keinen Grund, davon im öffentlichen Recht abzuweichen. Dies ergibt sich auch aus dem Grundsatz, dass zur Lückenfüllung im öffentlichen Recht das Privatrecht analog angewendet wird (vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Zürich 2006, S. 62).
Hinzu kommt, dass die Höhe der Erbschaft erst im Zeitpunkt des Todes festgestellt werden kann. Die Beschwerdeführerin übersieht, dass die Ausgleichung von Zuwendungen zu Lebzeiten grundsätzlich nach dem Wert der Zuwendung im Zeitpunkt des Erbgangs oder, wenn die Sache vorher veräussert worden ist, nach dem dafür erzielten Erlös erfolgt (Art. 630 Abs. 1 ZGB). Ferner zu berücksichtigen ist, dass bei unverteilten Erbschaften, wie der vorliegenden (denn K bildet mit ihren beiden Söhnen die Erbengemeinschaft des Nachlasses ihres verstorbenen Ehemannes), nicht unbedingt das ganze Vermögen dem überlebenden Elternteil gehört. Auch aus diesen Gründen kann die Auslegung der Beschwerdeführerin nicht richtig sein, selbst wenn im vorliegenden Fall der Wert der Ausgleichung bereits vertraglich festgelegt wurde (was im Hinblick auf die dispositive Natur von Art. 630 Abs. 1 ZGB möglich ist) und der Nachlass erst nach dem Zweitversterbenden geteilt wird (vgl. dazu Art. 473 ZGB).
Die Argumentation der Beschwerdeführerin, die Haftung der Erben nach dem Tod des Leistungsbezügers ergäbe sich bereits aus Art. 560 Abs. 2 ZGB, weshalb der letzte Satz von § 19 Abs. 2 SHG überflüssig wäre, wenn man diese Bestimmung nicht im Sinne der Beschwerdeführerin auslege, ist entgegenzuhalten, dass Art. 560 Abs. 2 ZGB nur zivilrechtliche Forderungen betrifft. Bezüglich anderer öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen des Erblassers ist jeweils zuerst zu prüfen, ob eine spezialgesetzliche Regelung im öffentlichen Recht besteht; fehlt eine solche, können die Erben regelmässig infolge fehlender gesetzlicher Grundlage nicht verpflichtet sein (vgl. Schwander, in: Basler Kommentar, a.a.O., Art. 560 N. 8). § 19 Abs. 2 SHG ist aus diesem Grund absolut notwendig, damit nach dem Tod eines Leistungsbezügers entsprechende Forderungen an den Nachlass bzw. die Erben gestellt werden können.
3.2 Ob die Übertragung der Liegenschaften D und E rechtsmissbräuchlich war, braucht hier nicht beurteilt zu werden. Die Folge von Rechtsmissbrauch ist nämlich höchstens eine Kürzung der materiellen Hilfe oder die Einstellung von Sozialhilfeleistungen (vgl. Häfeli [Hrsg.], Das Schweizerische Sozialhilferecht, Luzern 2008, S. 306 f.). Ein ursprünglich rechtmässiger Bezug kann bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten somit grundsätzlich nicht mehr zurückgefordert werden. Selbst wenn eine rückwirkende Verfügungsanpassung nach Entdecken eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens möglich sein sollte, sofern der Leistungsbezug damit unrechtmässig im Sinne von § 19 Abs. 1 SHG wird, kann sich – wie bereits dargelegt – eine Rückforderung nur gegen die Leistungsbezügerin richten, welcher im Übrigen auch das allfällige rechtsmissbräuchliche Verhalten vorzuwerfen wäre (vgl. dazu Häfeli, a.a.O., S. 192 f.).
3.3 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass eine Rückerstattung bereits ausgerichteter Fürsorgeleistungen gestützt sowohl auf § 19 Abs. 1 wie auch auf § 19 Abs. 2 SHG, solange K lebt, nicht von Y verlangt werden kann. Eine Rückforderung richtet sich erst dann gegen die Erben, wenn die Leistungsbezügerin gestorben ist.
4. Der einzige Weg, von Empfängern von Zuwendungen zu Lebzeiten (u.a. Erbvorbezügen) eine Mitfinanzierung von Unterstützungsleistungen Bedürftiger zu erreichen, ist die Verwandtenunterstützung im Sinne von § 18 SHG. So hat die Gemeinde zu prüfen, ob nach den Bestimmungen des ZGB Verwandte zur Unterstützung des Hilfsbedürftigen verpflichtet sind. Sie hat Unterstützungspflichtige zur Hilfe aufzufordern und zwischen ihnen und dem Hilfsbedürftigen zu vermitteln. Nötigenfalls ist die Verwandtenunterstützung bei den zuständigen Behörden geltend zu machen (§ 18 Abs. 1 SHG). Unterstützungspflichtig sind Verwandte in auf- und absteigender Linie, namentlich die Kinder, wenn ihre Eltern auf Unterstützungsleistungen angewiesen sind. Bei der Beurteilung der günstigen Verhältnisse der unterstützungspflichtigen Verwandten sind auch die Vermögen zu berücksichtigen. Entscheidend ist die Gesamtsituation im Einzelfall (vgl. Häfeli, a.a.O., S. 263).
Entscheid vom 12. Mai 2009