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TVR 2009 Nr. 9

Besuchsrecht. Zulässigkeit der Anordnung einer Zwangsmediation


Art. 307 ZGB


Die zwangsweise Anordnung einer Mediation zwischen den Eltern, gegebenenfalls unter Einbezug der Kinder, ist als Kindesschutzmassnahme gestützt auf Art. 307 Abs. 3 ZGB grundsätzlich zulässig, wenn das Kindeswohl gefährdet ist und die Eltern nicht von sich aus für Abhilfe sorgen oder dazu nicht im Stande sind.


X (geb. 1957) und Y (geb. 1949) sind nicht verheiratet und haben vier gemeinsame Kinder: A (geb. 1993), B (geb. 1995), C (geb. 1997), und D (geb. 1998). Am 8. Februar 2001 genehmigte die Vormundschaftsbehörde Z eine zwischen X (Mutter) und Y (Vater) abgeschlossene Vereinbarung, mit welcher der persönliche Verkehr zwischen Y und den vier Kindern geregelt wurde. Nachdem Y am 17. Juli 2005 bei der Vormundschaftsbehörde Z ein Begehren um Errichtung einer Beistandschaft zur Überwachung des persönlichen Verkehrs gestellt und am 27. März 2007 wieder zurückgezogen hatte, reichte er am 22. November 2007 erneut ein solches Gesuch ein und beantragte zusätzlich die Durchführung einer Zwangsmediation. Die Vormundschaftsbehörde lehnte mit Beschluss vom 21. Januar 2008 den Antrag um Errichtung einer Besuchsrechtsbeistandschaft ab. Hingegen wies sie X an, die am 8. Februar 2001 genehmigte Vereinbarung betreffend den persönlichen Verkehr einzuhalten, die Daten für das Besuchs- und Ferienrecht 2008 mit Y festzulegen und sich zusammen mit ihm in eine Mediation zu regelmässigen Gesprächen zu begeben. Ausserdem wurde X ermahnt, ihre elterliche Verantwortung gegenüber ihren vier Kindern wahrzunehmen und auf die Ermöglichung des väterlichen Besuchs- und Ferienrechts aller vier Kinder hinzuwirken. Das DJS wies beide von X und Y dagegen erhobenen Beschwerden ab und ordnete unter anderem Folgendes an:
«(…)
4. Beschwerdeführerin und Beschwerdeführer werden angewiesen, sich bezüglich der bestehenden Konflikte in regelmässige Mediationsgespräche unter fachlicher Leitung zu begeben. Dabei ist auch zu prüfen, inwieweit die Kinder in solche Gespräche einzubeziehen sind. Die Beschwerdeführerin wird diesbezüglich angewiesen, die von Fachpersonen empfohlenen Beteiligungsformen gegenüber ihren Kindern durchzusetzen.
(…)
7. Bei Ungehorsam gegen Ziff. 4 oder 5 dieses Dispositivs wird der Beschwerdeführerin eine Bestrafung nach Art. 292 StGB angedroht. Diese Bestimmung lautet: Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
(...)»
Die gegen diesen Entscheid von X und Y erhobenen Beschwerden wies das Verwaltungsgericht ab. Das Bundesgericht bestätigt mit Urteil vom 9. Dezember 2009 den Entscheid des Verwaltungsgerichts.

Aus den Erwägungen des Bundesgerichts:

4.3 Die Vormundschaftsbehörde ist befugt, unter anderem auch eine Weisung zur Durchführung einer Therapie zu erlassen (Breitschmid, Basler Kommentar, ZGB I, 3. Aufl., Basel 2006, N. 22 zu Art. 307 ZGB, S. 1609; Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts, 5. Aufl., Bern 1999, N. 27.14 S. 206 f. mit Hinweis auf die Familienberatung, Schwenzer, Basler Kommentar, ZGB I, 3. Aufl., Basel 2006, N. 24 zu Art. 273 ZGB, S. 1466; sowie Meier/Stettler, Droit de la filiation, 4. Aufl., N. 1132 S. 654, welche zur Verbesserung der Kommunikation die Gesprächstherapie anführen; nach Liatowitsch ist eine Mediation unter Zwang nicht denkbar, in: FamKommentar Scheidung, Hrsg. Schwenzer, Bern 2005, Anh. M, N. 46 S.1252). Art. 307 Abs. 3 ZGB bildet somit eine rechtsgenügliche Grundlage für die von der Vorinstanz gebilligte Anordnung einer Mediation. Diese Kann-Vorschrift räumt dabei dem Richter und der Behörde einen grossen Ermessensspielraum ein (Honsell, Basler Kommentar, ZGB I, 3. Aufl., Basel 2006, N. 6 und 7 zu Art. 4 ZGB, S. 82). Das Bundesgericht überprüft die Ausübung richterlichen Ermessens durch die letzte kantonale Instanz mit Zurückhaltung; es schreitet nur dann ein, wenn grundlos von den in Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen abgegangen wird, wenn Tatsachen berücksichtigt werden, die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn umgekehrt Umstände ausser Betracht geblieben sind, die zwingend hätten beachtet werden müssen (BGE 132 III 49 E. 2.1 S. 50/51; 126 III 223 E. 4a S. 227/228).
Die angeordnete Mediation unterscheidet sich von der freiwilligen in der konsequenten Orientierung an den Interessen und Rechten der Kinder. Dabei werden hochstrittige Eltern, die sich erfahrungsgemäss zumeist von ihren Ängsten, Verletzungen und hauptsächlich von ihren Erwachseneninteressen leiten lassen, mit den Interessen und Bedürfnissen ihrer Kinder konfrontiert. Eltern erfahren, wie sich ihr Konflikt auf die Befindlichkeit ihrer Kinder auswirkt und was sie für ihre Kinder tun können (Peter, Hochstrittige Eltern im Besuchsrechtskonflikt, Zeitschrift für Vormundschaftswesen 60 [2005], S. 196). Im Zusammenhang mit dem Begriff «Pflicht»-Mediation bemerkt Liselotte Staub zu Recht, würden die Eltern zu einem Gutachter überwiesen, werde die Bereitschaft zur Mitwirkung der Eltern vorausgesetzt oder allenfalls gesetzlich durchgesetzt. Wenn der Gutachter im Sinne eines verlässlichen und durchsetzbaren Vorschlags mit den Eltern getrennt oder gemeinsam eine Lösung ausarbeite, sei dies nichts anderes als Pflichtmediation (Zeitschrift für Vormundschaftswesen 61 [2006], S. 125). Diese Überlegungen haben Eingang in die kantonale Rechtsprechung gefunden. So ist Ziel einer von der Abteilung Scheidungsberatung/Mediation des Bezirksjugendsekretariates Bülach angeordneten Mediation, nach vier bis fünf Mediationssitzungen eine einvernehmliche Elternvereinbarung zum Besuchsrecht zu erarbeiten; nach einem Vierteljahr soll in einer weiteren Sitzung die Entwicklung überprüft werden (Peter, Kindesinteressen in Zeiten familiärer Veränderungen, FamPra.ch 1/2005, S. 33/34).
Die Vormundschaftsbehörde hätte im vorliegenden Fall auch einen Gutachter mit der Aufgabe betreuen können, die Entfremdung der Kinder gegenüber ihrem Vater aufzulösen und den Kontakt wieder in normale Bahnen zu lenken. Dass seitens der Behörde und des Gerichts gehandelt wurde, ist nicht zu beanstanden, denn die Nichteinhaltung des Besuchsrechts ist der Anfang des Entfremdungsprozesses, und die sanktionslose Hinnahme dieses Verhaltens für den manipulierenden Elternteil Rechtfertigung für weitere Übertretungen mit der Folge weiteren Machtgewinns (Staub/ Felder, Probleme im Zusammenhang mit dem Besuchsrecht, in: Kind und Scheidung, Hrsg. RumoJungo/Pichonnaz, Zürich 2006, S. 141). Mit der angeordneten Mediation wird den Parteien die Möglichkeit eingeräumt, zu erkennen, dass der Mensch ein Beziehungswesen ist und die Wiederaufnahme des Dialogs hauptsächlich im Interesse der Kinder liegt. Eine Verletzung von Art. 307 Abs. 3 ZGB durch das Verwaltungsgericht ist nicht gegeben, denn die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, inwiefern eine Mediation unverhältnismässig oder anderweitig bundesrechtswidrig sein könnte.

Urteil 5A_457/2009 vom 9. Dezember 2009

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