TVR 2010 Nr. 4
Einsprachelegitimation
§ 90 Abs. 1 aPBG, § 44 Ziff. 1 VRG, § 44 Ziff. 2 VRG
Die Legitimation von ca. 500 m entfernt wohnenden Nachbarn zur Einsprache gegen ein Projekt zur Erweiterung einer Betriebslagerhalle in der Landwirtschaftszone ist vorliegend zu verneinen. Zu prüfen sind dabei insbesondere die Rügen des übermässigen Betriebslärms, der ungenügenden Erschliessung des Betriebes und des zu erwartenden zusätzlichen Verkehrslärms.
Die Y AG beabsichtigt, eine auf dem Gebiet der Gemeinde F liegende Lagerhalle zu erweitern. Der bestehende Betrieb der Y AG und das Baugrundstück liegen in der Landwirtschaftszone. Auf ein entsprechendes Baugesuch der Y AG hin erhoben BX und AX Einsprache. Mit Entscheid vom 3. Oktober 2008 stellte das Amt für Raumplanung des Kantons Thurgau (ARP) fest, dass das Bauvorhaben in der Landwirtschaftszone nicht zonenkonform sei, jedoch unter Einhaltung von Auflagen eine Ausnahmebewilligung erteilt werden könne.
Mit Entscheid vom 2. April 2009 erklärte das DBU eine von der Gemeinde F für die Erweiterung der Lagerhalle erteilte Baubewilligung für nichtig, weil die Gemeinde als Eigentümerin eines Teils des Baugrundstücks zum Entscheid nicht zuständig gewesen sei. Gleichzeitig erteilte das DBU selbst die Baubewilligung für das Bauprojekt (mit Auflagen) und trat auf die Einsprache von BX und AX nicht ein, weil diese nicht legitimiert seien. Dagegen erhoben BX und AX beim Verwaltungsgericht Beschwerde, das abweist.
Aus den Erwägungen:
4.
4.1 Gemäss § 90 Abs. 1 PBG kann, wer ein schutzwürdiges Interesse hat, während der Auflagefrist bei der Gemeindebehörde Einsprache erheben. Die Prüfung der Legitimation im Einspracheverfahren richtet sich praxisgemäss nach den Bestimmungen über das Rekursverfahren. Laut § 44 Ziff. 1 VRG ist zum Rekurs berechtigt, wer durch einen Entscheid berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Aufgrund des konkreten Sachverhaltes müssen das besondere Berührtsein und das schutzwürdige Interesse glaubhaft erscheinen, ansonsten jedermann, der eine unzutreffende Behauptung aufstellt, die Beschwerdeberechtigung zustünde. Dies liefe im Ergebnis auf eine unzulässige Popularbeschwerde hinaus. Will ein Nachbar eine Baubewilligung anfechten, muss er glaubhaft darlegen, dass er namentlich in räumlicher Hinsicht eine besondere Beziehungsnähe zum Streitgegenstand aufweist und dass eine tatsächliche oder rechtliche Situation durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann. Bei der Beurteilung der Legitimation ist eine Würdigung aller rechtlich erheblichen Sachverhaltselemente vorzunehmen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_133/2008 vom 6. Juni 2008, E. 2.3, mit Verweis auf BGE 133 II 249 E. 1.3.1).
4.2 Eine besondere Betroffenheit wird auch in Fällen bejaht, in welchen von einer Anlage mit Sicherheit oder grosser Wahrscheinlichkeit Immissionen auf das Nachbargrundstück ausgehen oder die Anlage einen besonderen Gefahrenherd darstellt und die Anwohner einem besonderen Risiko ausgesetzt werden. In diesem Zusammenhang wird verlangt, dass die Immissionen auf dem Grundstück des Betroffenen aufgrund ihrer Art und Intensität deutlich wahrnehmbar sind. Dabei ist die räumliche Distanz zwischen dem Bauvorhaben und der Liegenschaft des betroffenen Grundeigentümers ein wichtiges, aber nicht das einzige Kriterium. Das Bundesgericht hat es als vertretbar erachtet, die Grenze zur Bejahung der Legitimation bei einer Verkehrszunahme von 10% zu setzen (vgl. Urteile des Bundesgerichts 1A.148/2005 vom 20. Dezember 2005, E. 3.5, 1A.131/2005 vom 9. November 2005, E. 3.6; vgl. auch TVR 2005 Nr. 7, TVR 2006 Nr. 25, TVR 2004 Nr. 33 sowie Urteil des Bundesgerichts 1C_26/2009 vom 27. Februar 2009, in: Pra 9/2009 Nr. 99, E. 2.2).
4.3 Aus dem Legitimationskriterium des schutzwürdigen Interesses ist weiter abzuleiten, dass ein Einsprecher grundsätzlich nur die Überprüfung des Bauvorhabens im Lichte jener Rechtssätze verlangen kann, die sich rechtlich oder tatsächlich auf seine Stellung auswirken. Beschwerdegründe Privater, mit denen ein bloss allgemeines öffentliches Interesse an der richtigen Anwendung des Rechts verfolgt wird, ohne dass dem Einsprecher im Falle des Obsiegens ein praktischer Nutzen entsteht, sind für die Beurteilung der Rechtsmittellegitimation grundsätzlich unzulässig (vgl. zur entsprechenden Problematik bei der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten: BGE 133 II 249 E. 1.3.2).
5.
5.1 Die Einsprachelegitimation der Beschwerdeführer ist unter verschiedenen Gesichtspunkten zu prüfen.
5.2 Aus rein optischer Sicht kann nicht von einer besonderen Betroffenheit der Beschwerdeführer ausgegangen werden. Deren Liegenschaft liegt in einer Entfernung von etwa 500 m vom Baugrundstück entfernt, weshalb von einer optischen Beeinträchtigung der Beschwerdeführer auf ihrer Wohnliegenschaft durch den geplanten Erweiterungsbau nicht die Rede sein kann.
5.3 Die Beschwerdeführer machen geltend, dass sie durch den Betriebslärm aus den bestehenden Anlagen auf dem Grundstück der Verfahrensbeteiligten in Form von Lärmimmissionen erheblich gestört werden, dies insbesondere dann, wenn der Betrieb auch während der ganzen Nacht in Produktion gewesen sei. Selbst bei geschlossenen Fenstern hätten sie Lüftungsgeräusche gehört.
Vorweg ist klarzustellen, dass es nicht um die Frage geht, ob der Immissionsgrenzwert oder gar der Alarmwert überschritten ist. Dies wird mithin auch von den Beschwerdeführern nicht geltend gemacht. Deren Grundstück liegt im Ortsteil E, die Bauparzellen der Verfahrensbeteiligten demgegenüber im Weiler S in einer Distanz von etwa 500 Metern. Anlässlich des Augenscheines (…) vermochte die Delegation des Verwaltungsgerichts praktisch keine oder zumindest keine störenden Lärmgeräusche wahrzunehmen, dies trotz Vollbetriebs auf dem Areal der Verfahrensbeteiligten. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass auf dem Baugrundstück lediglich eine Erweiterung der Lagerhalle, mithin keine zusätzlichen Produktionsanlagen, geplant sind. Vom zusätzlichen Lagerraum alleine sind daher keine zusätzlichen Lärmimmissionen zu erwarten. (…) Unter den gegebenen Umständen ist seitens der Beschwerdeführer eine besondere Betroffenheit bezüglich der Betriebsimmissionen nicht ersichtlich.
5.4 Die Beschwerdeführer rügen weiter eine ungenügende Erschliessungssituation des Betriebs der Verfahrensbeteiligten.
5.4.1 Zu unterscheiden gilt es dabei zwischen Fein- und Groberschliessung (vgl. hierzu etwa das Urteil des Bundesgerichts 2C_434/2008 vom 3. März 2009, E. 3.5). Sofern und soweit die Beschwerdeführer eine ungenügende Feinerschliessung der Betriebsliegenschaft der Verfahrensbeteiligten geltend machen, sind sie von vornherein nicht direkt betroffen, zumal die Feinerschliessung lediglich den direkten Zugang zur Liegenschaft, das heisst die Verbindung zum Gemeindestrassennetz betrifft. Diesbezüglich vermögen sie kein schutzwürdiges Interesse darzutun (vgl. E. 4.3 vorstehend). Die unmittelbar südlich am beschwerdeführerischen Grundstück vorbeiführende Strasse bildet Teil eben dieses Gemeindestrassennetzes und gehört damit zum Bereich der Groberschliessung. Zuständig für Planung und Bau der Gemeindestrassen sind grundsätzlich die Gemeinden bzw., sofern delegiert, die betreffenden Gemeindebehörden (vgl. §§ 6, 11 und 16 StrWG). Die Beschwerdeführer machen geltend, dass die Breite der vor ihrem Grundstück durchführenden Strasse zu gering sei, damit Lastwagen und Sattelschlepper gefahrlos darauf kreuzen könnten. Wie vom Vertreter der Gemeinde anlässlich des Augenscheines vom 17. Juni 2009 ausgeführt, sind sämtliche Gemeindestrassen auf dem Gebiet der verfahrensbeteiligten Gemeinde entsprechend dimensioniert, das heisst ca. vier bis sechs Meter breit. Sofern und soweit die Breite der (Gemeinde-)Strassen ein Problem für das Kreuzen von Lastwagen und anderen Fahrzeugen, worunter insbesondere auch Traktoren, Milchtransporter etc. gehören (die nichts mit dem Betrieb der Verfahrensbeteiligten zu tun haben), darstellen, betrifft dies das Gemeindestrassennetz im Generellen. Diesbezüglich sind die Beschwerdeführer nicht mehr als die übrigen Anwohner, deren Liegenschaften an die Gemeindestrassen der verfahrensbeteiligten Gemeinde angrenzen, betroffen. In dieser Hinsicht ist ihnen mit anderen Worten die besondere Beziehungsnähe zum Bauvorhaben ebenfalls abzusprechen. Andernfalls wäre jeder Grundeigentümer, dessen Liegenschaft an eine öffentliche Strasse grenzt, bezüglich irgendeines Bauvorhabens eines Betriebes, dessen Fahrzeuge vor der betreffenden Liegenschaft nur mit Mühe kreuzen können, einspracheberechtigt. Dies wiederum würde gleichsam auf eine unzulässige Popularbeschwerde hinauslaufen.
(…)
5.5 Die Beschwerdeführer machen weiter geltend, dass sie mit einem erheblichen Mehrverkehr und daher mit zusätzlichen/übermässigen Verkehrsimmissionen zu rechnen hätten.
5.5.1 Die Vorinstanz stützte sich in ihrem Entscheid auf eine Verkehrszählung des Ingenieurbüros Q, wonach auf der Strasse entlang der südlichen Grenze des Grundstücks der Beschwerdeführer mit einem durchschnittlichen täglichen Verkehr (DTV) von 250 Fahrzeugen zu rechnen sei. Erfahrungsgemäss liege der Schwerverkehrsanteil bei rund 3%, was einem durchschnittlichen täglichen Verkehr von 7,5 Lastwagen entspricht. Mit der Erweiterung der Lagerhalle werde auch die Kapazität der Anlage um maximal 25% erhöht. (…) Bei 312 Arbeitstagen pro Jahr (am Sonntag werde die Anlage nicht betrieben) würden daher durchschnittlich 0,57 Lastwagenfuhren mehr pro Tag anfallen, wobei nicht alle Transporte über die Strasse südlich des Grundstücks der Beschwerdeführer geführt würden.
5.5.2 (…) Die Ausführungen und die Beurteilung der Vorinstanz erweisen sich als nachvollziehbar. Ausgehend von einem DTV von 7,5 Lastwagen pro Tag stellen die zu erwartenden zusätzlichen 0,57 Lastwagenfuhren pro Tag lediglich 7,6% an zusätzlichem (Lastwagen-)Verkehrsaufkommen dar. Nichts anderes ergibt sich aus der im Juni 2009 durchgeführten Verkehrsmessung / Verkehrszählung, deren Ergebnisse von der verfahrensbeteiligten Gemeinde am 25. Juni 2009 nachgereicht wurden. Aus diesen Verkehrserhebungen ergeben sich tendenziell sogar noch höhere Frequenzzahlen, womit der Anteil an zusätzlichem Verkehr und damit an zusätzlichen Verkehrsimmissionen auf das Grundstück der Beschwerdeführer im Verhältnis noch geringer ausfallen dürfte. Nachdem dieser Anteil klar unter 10% liegt, mithin bei etwa 7,6%, vermögen die Beschwerdeführer auch aus diesem Umstand keine Einsprachelegitimation abzuleiten.
Entscheid vom 21. Oktober 2009
Das Bundesgericht hat eine dagegen gerichtete Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil 1C_528/2009 vom 13. September 2010 abgewiesen.
Aus den Erwägungen des Bundesgerichts:
8.
(…) Ohne sich mit den Ausführungen der Vorinstanz zum zu erwartenden Mehrverkehr näher auseinanderzusetzen, weisen die Beschwerdeführer auf den durch den Ausbau der Lagerhalle zu erwartenden Mehrverkehr auf der Strasse entlang ihres Grundstücks hin. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hält dazu in seiner Stellungnahme vom 8. März 2010 fest, die Zunahme um 0,57 Lastwagen pro Tag führe zu einer Zunahme der Immissionen von höchstens 0,1 Dezibel (dB[A]). Erfahrungsgemäss werde beim Strassenverkehrslärm grundsätzlich eine Erhöhung des Beurteilungspegels um 1 dB(A) gerade noch wahrgenommen. Besonders bei geringer Verkehrsdichte könne auch eine Veränderung des Lärms um weniger als 1 dB(A) wahrgenommen werden, wenn dadurch eine Änderung der Zeit- und Frequenzstruktur des Verkehrsaufkommens bewirkt werde. Vorliegend falle die Zunahme des Verkehrsaufkommens um 0,57 Lastwagen pro Tag sowie die Änderung der akustischen Qualität des Lärms jedoch äusserst gering aus, weshalb davon auszugehen sei, dass die Zunahme des Verkehrsaufkommens von den Beschwerdeführern nicht wahrgenommen werde.
Bei Lärmimmissionen des Verkehrs zu einem regionalen Einkaufszentrum bezeichnete das Bundesgericht die Bejahung der Legitimation bei einer Verkehrszunahme von 10% als recht- und zweckmässig. Dabei wurde davon ausgegangen, dass eine Steigerung des DTV um 25% zu einer Erhöhung des Verkehrslärmpegels um 1 dB(A) führte und eine solche gerade noch wahrgenommen werden könne (Urteil des Bundesgerichts 1A.148/2005 vom 20. Dezember 2005, E. 3.5 f., in: ZBl 107/2006 S. 609; URP 2006 S. 144; vgl. auch
BGE 136 II 281 E. 2.3.2). Die von der Vorinstanz prognostizierte Verkehrszunahme von 7,6% bezieht sich nicht auf den gesamten Verkehr (durchschnittlich 250 Fahrzeuge pro Tag), sondern nur auf den Lastwagenverkehr. Die zu erwartende prozentuale Zunahme des Verkehrs insgesamt fällt somit noch deutlich tiefer aus. Der Ausbau der Lagerhalle führt nach der grundsätzlich verbindlichen Sachverhaltsdarstellung der Vorinstanz lediglich zu einem zusätzlichen Verkehrsaufkommen von 0,57 Lastwagen pro Arbeitstag, was nach der überzeugenden Darstellung des BAFU eine Zunahme der Immissionen von höchstens 0,1 dB(A) zur Folge hat und für die Beschwerdeführer nicht wahrnehmbar ist. Unter diesen Umständen hat die Vorinstanz zu Recht verneint, dass die Beschwerdeführer wegen des zu erwartenden Mehrverkehrs besonders betroffen sind.