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TVR 2011 Nr. 12

Vorzeitige Beendigung der Amtszeit, wohlerworbenes Recht, Abgangsentschädigung


§ 32 KV, § 99 KV, § 27 RSV


1. Die Bestimmung von § 99 KV, wonach die Amtszeit verschiedener Amtsträger mit dem Inkrafttreten dieser Bestimmung endet, kollidiert weder mit § 32 KV (ordentliche Amtsdauer) noch mit § 4 KV (Rückwirkungsverbot; E. 2 ).

2. Ein Amt, das durch Volkswahl besetzt wird, begründet keine wohlerworbenen Rechte (E. 3).

3. Die Verkürzung der Amtsdauer durch § 99 KV hat zur Folge, dass sämtliche Anstellungen der Richter auf diesen Zeitpunkt ebenfalls endeten. Eine Lohnfortzahlungspflicht bis zum Ende der ordentlichen Amtsdauer besteht nicht (E. 4).

4. Die Auslegung von § 27 RSV ergibt, dass im Falle der Aufhebung eines Richteramtes zufolge Bezirksreorganisation ein Rechtsanspruch auf eine Abgangsentschädigung entsteht, obwohl die Bestimmung als „Kann“-Vorschrift formuliert ist (E. 5.3).

5. Die Höhe der Abgangsentschädigung bemisst sich unter anderem danach, ob der Anspruchsberechtigte die Schadenminderungspflicht eingehalten hat, ob der Kanton seinen Treuepflichten nachgekommen ist, und nach der bisherigen Amtsdauer (E. 5.4).


T wurde auf den 1. Juni 1980 zum ersten Mal als Präsident des Bezirksgerichts U gewählt. Da er seither alle vier Jahre wiedergewählt wurde, amtete er bis am 31. Dezember 2010 ohne Unterbruch als Vorsitzender dieses Gerichts, zuletzt mit einem Pensum von 40%.
Am 30. Oktober 2007 ordnete der Regierungsrat des Kantons Thurgau die ordentlichen Gesamterneuerungswahlen für Regierungsrat, Bezirks- und Kreisbehörden auf den 24. Februar 2008 an. Wahlvorschläge waren bis zum 31. Dezember 2007 bei der Staatskanzlei einzureichen, wobei es für bisherige Amtsinhaber genügte, wenn sie einen von ihnen alleine unterzeichneten Wahlvorschlag einreichten (§ 29 Abs. 3 StWG). Eine spätere Rücknahme der Unterschriften war nicht mehr möglich. T meldete am 26. November 2007 seine Kandidatur bei der Staatskanzlei an. Am 15. Januar 2008, also nach Ablauf der Meldefrist, wies der Regierungsrat die Kandidierenden per Rundschreiben und im Amtsblatt darauf hin, dass die beabsichtigte Justizreform eine vorzeitige Beendigung der Amtsdauer nach sich ziehen könnte. Am 24. Februar 2008 wurde T, im damaligen Zeitpunkt 61-jährig, als Bezirksgerichtspräsident wiedergewählt. Die Wahl wurde am 7. März 2008 vom Regierungsrat ohne Vorbehalt genehmigt. Am 29. November 2009 stimmte das Thurgauer Volk der Justizreform im Hinblick auf die Einführung der Eidgenössischen Straf- und der Eidgenössischen Zivilprozessordnung sowie einer damit verbundenen Neueinteilung der Bezirke zu. In dieser Justizreform enthalten war auch ein neuer § 99 KV, wonach die Amtsdauer verschiedener Amtsträger, unter anderem auch der Mitglieder der Bezirksgerichte, auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eidgenössischen Strafprozess- sowie der Eidgenössischen Zivilprozessordnung endete. In der Folge fanden zwischen T und dem Kanton Thurgau Verhandlungen und Gespräche, unter anderem über eine finanzielle Abgeltung, statt.
Eine Einigung kam jedoch nicht zustande. Am 31. Dezember 2010 reichte T Klage ein, mit der die Weiterzahlung des ordentlichen Gehalts inklusive sämtlicher Sozialleistungen bis zum Ende der ordentlichen Amtsdauer am 31. Mai 2012 verlangt wurde. Das Verwaltungsgericht heisst die Klage teilweise gut.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1 Mit der am 29. November 2009 angenommenen Verfassungsrevision wurde die Zahl der Bezirke im Kanton Thurgau von 8 auf 5 (auf einen durch den Regierungsrat noch zu bestimmenden Zeitpunkt hin) reduziert. Einer der dabei aufgehobenen Bezirke war der Bezirk U, dessen Bezirksgericht der Kläger seit 1. Juni 1980 ununterbrochen präsidiert hatte. Da die Aufhebung des Bezirks einhergehen sollte mit der Einführung der Eidgenössischen Straf- sowie der Eidgenössischen Zivilprozessordnung, wurde mit der Verfassungsrevision vom 29. November 2009 auch neu der § 99 KV angenommen, der wie folgt lautet: „Die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes laufenden Amtsdauern der Friedensrichter, der Betreibungsbeamten, der Bezirksstatthalter, der Vizestatthalter, der Untersuchungsrichter, des Jugendanwaltes, der Staatsanwälte sowie der Mitglieder und Ersatzmitglieder der Bezirksgerichte, der Anklagekammer und des Obergerichts enden mit dem Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung, der Schweizerischen Strafprozessordnung und der Schweizerischen Jugendprozessordnung.“Der Bundesrat bestimmte in der Folge das Inkrafttreten der neuen gesamtschweizerischen Prozessordnungen auf den 1. Januar 2011. Damit hätte die Amtsdauer des Klägers grundsätzlich am 31. Dezember 2010 geendet. Der Kläger macht jedoch geltend, die Bestimmung sei nicht anwendbar, da sie sowohl § 4 als auch § 32 KV widerspreche.

2.2 Laut § 32 KV beträgt die Amtsdauer der Personen und Behördenmitglieder, die vom Volk oder grossen Rat gewählt werden oder für die das Gesetz die Wahl auf Amtsdauer vorsieht, vier Jahre. Diese Fassung von § 32 KV ist seit dem 1. Juni 2004 in Kraft.
Für die Normen des Verwaltungsrechts ebenso wie für das Verfassungsrecht gelten die üblichen Methoden der Gesetzesauslegung. Im Allgemeinen finden die beiden Kollisionsregeln Anwendung, wonach das spezielle Gesetz dem allgemeinen Gesetz und das spätere Gesetz dem früheren Gesetz vorgeht. Beim Vorrang der lex specialis ist aber zu beachten, dass die Feststellung, in welchem inhaltlichen Verhältnis zwei Rechtsnormen zueinander stehen, oft nicht nur eine rein logisch feststellbare Beziehung betrifft, sondern bereits Ausdruck einer Wertung ist. Es handelt sich dabei nicht um ein schematisch anwendbares Prinzip; massgeblich ist es nur, wenn aus dem Sinneszusammenhang heraus eine Rechtsnorm im Verhältnis zu einer anderen Rechtsnorm als Sonderregelung zu verstehen und zu behandeln ist (Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2006, N. 220).
§ 99 KV wurde im Hinblick auf die Einführung der neuen Prozessordnungen sowie der Bezirksreorganisation bewusst eingeführt. Die Bestimmung von § 99 KV als neuere Bestimmung und als Spezialbestimmung für die Durchführung auch der Bezirksreorganisation geht daher der älteren Bestimmung von § 32 KV vor. Bezeichnenderweise sind die per 1. Januar 2011 gewählten neuen Behörden nur bis Ende Mai 2012 gewählt. Auf diesen Zeitpunkt hin werden alle von der Einführung der neuen Prozessordnung bzw. der Bezirksreform betroffenen Ämter einer Gesamterneuerungswahl unterstellt, damit danach wieder zum ordentlichen Vierjahreszyklus zurückgekehrt werden kann. Inwiefern eine solche Regelung unzulässig sein soll, ist nicht ersichtlich. Der Kläger wurde als Präsident des Bezirksgerichts U gewählt. Dieses Bezirksgericht wurde jedoch per 31. Dezember 2010 aufgehoben. Ob eine Notwendigkeit zur Verkoppelung zwischen der Einführung der neuen Prozessgesetze und der Reorganisation der Bezirke bestand, kann durchaus hinterfragt werden, spielt jedoch im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle. Mit dem Inkrafttreten von § 99 KV endete die Amtszeit des Klägers als Präsident des Bezirksgerichts U.

2.3 Soweit der Kläger geltend macht, § 99 KV kollidiere auch mit dem Rückwirkungsverbot von § 4 KV, ist diese Auffassung ebenfalls unzutreffend. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung, von der bei der Erschaffung des § 4 KV ausgegangen wurde, versteht unter „Rückwirkung“, dass eine Rechtsnorm auf Sachverhalte angewandt wird, die bereits vor dem Inkrafttreten entstanden sind. Bei der echten Rückwirkung erfasst das neue Recht Sachverhalte, die sich abschliessend vor dem Inkrafttreten dieses Rechts verwirklicht haben; bei der unechten treten dagegen Rechtswirkungen für früher entstandene Sachverhalte und Rechtsverhältnisse erst in der Zeit nach Inkrafttreten des neuen Rechts ein und dauern noch an. Die Verfassung verbietet nur die echte Rückwirkung (Stähelin, Wegweiser durch die Thurgauer Verfassung, 2. Aufl., Frauenfeld 2008, § 4 N. 1). Vorliegend wurde das Arbeitsverhältnis mit der Wiederwahl im Jahr 2008 am 1. Juni 2008 erneuert und dauerte bis zum 31. Dezember 2010 an. Mit Inkrafttreten der Bestimmung von § 99 KV wurde die Amtszeit beendet. Es kann daher nicht gesagt werden, dass vorliegend von einer echten Rückwirkung zu sprechen sei. Vielmehr handelt es sich um eine unechte Rückwirkung, denn § 99 KV hob das Dienstverhältnis des Klägers nicht rückwirkend auf.

2.4 (…)

3.
3.1 Der Kläger macht weiter geltend, durch die Wahl zum Bezirksgerichtspräsidenten für eine feste Amtsdauer von vier Jahren habe er ein wohlerworbenes Recht erhalten. Wohlerworbene Rechte sind vermögenswerte Ansprüche der Privaten gegenüber dem Staat, die sich durch ihre besondere Rechtsbeständigkeit auszeichnen. Dazu gehören einerseits die aus historischen Rechtstiteln abgeleiteten und seit urvordenklicher Zeit bestehenden Rechte, zum Beispiel ehehafte Tavernenrechte oder Rechte zum unentgeltlichen Bezug von Wasser aus einer Quellfassung (vgl. BGE 131 I 321 E. 5.3; Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O., S. 209), und andererseits die auf gegenseitiger Willensübereinstimmung zwischen Staat und Privaten beruhenden Rechte, die Korrelat einer freiwillig begründeten Leistungspflicht der Privaten sind (Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O.). Den wohlerworbenen Rechten kommt in der schweizerischen Rechtsordnung eine eigentliche Ausnahmestellung zu. Bei ihrer Anerkennung ist deshalb Zurückhaltung zu üben. In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung treten verschiedene Gruppen wohlerworbener Rechte hervor, die aufgrund verschiedener Entwicklungslinien als solche qualifiziert werden können. Eine davon sind die wohlerworbenen Rechte aus Verträgen oder vertragsähnlichen Verhältnissen des Verwaltungsrechts, insbesondere aus Konzessionen. Wohlerworbene Rechte können ferner auf historischen Wurzeln beruhen. Zur historischen Gruppe gehören zum Beispiel die Fischereirechte oder Fischenzen sowie die übrigen Rechte auf Nutzung (heute) öffentlicher Gewässer. Sie beruhen auf alten Titeln und sind sozusagen Zeugen einer unbewältigten juristischen Vergangenheit, indem bei der Schaffung neuen Rechts darauf verzichtet wurde, alte subjektive Rechtspositionen abzuschaffen (Rhinow/Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel und Frankfurt am Main 1990, Nr. 122 B II.). Früher wurden auch vermögenswerte Beamtenansprüche als wohlerworbene Rechte angesehen (vgl. hierzu Weber-Dürler, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, Basel und Frankfurt am Main 1983, S. 63 ff.).

3.2 Aus seiner Wahl zum Präsidenten des Bezirksgerichts U kann der Kläger keine wohlerworbenen Rechte geltend machen. Sein Dienstverhältnis untersteht der RSV (wie in E. 4.1 noch zu zeigen sein wird) und ist nicht aus einem verwaltungsrechtlichen Vertrag oder sonstigen vertragsähnlichen Verhältnissen des Verwaltungsrechts entstanden. Auch geht es nicht um den Schutz eines seit langem erworbenen Rechts. Einen Beamtenstatus hat der Kläger ohnehin nicht, denn dieser wurde im Jahr 2004 im Kanton Thurgau abgeschafft. Zudem musste er immer damit rechnen, allenfalls nicht wiedergewählt zu werden. Ohnehin ist die Annahme eines wohlerworbenen Rechts nur mit Zurückhaltung anzunehmen. Die vom Kläger geltend gemachte Lohnfortzahlung kann sich daher nicht auf ein von ihm behauptetes wohlerworbenes Recht stützen.

4.
4.1 Laut § 1 Abs. 1 RSV regelt diese Verordnung das Verhältnis der beim Kanton tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie findet unter anderem keine Anwendung auf Magistratspersonen, auf das Personal der Thurgauer Kantonalbank, der Elektrizitätswerk des Kantons Thurgau AG, der Gebäudeversicherung des Kantons Thurgau und der Spital Thurgau AG (§ 1 Abs. 3 RSV). Zu einer dieser Ausnahmen gehört der Kläger nicht, weshalb die RSV grundsätzlich auf ihn anwendbar ist. Dies wird auch durch § 3 Ziff. 2 RSV bekräftigt, wonach zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nach RSV auch die auf Amtsdauer gewählten Personen gehören, also auch der Kläger. Laut § 33 Abs. 1 RSV endet das Dienstverhältnis der auf Amtsdauer gewählten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Tag des Ablaufs der Amtsperiode, wenn keine Wiederwahl erfolgt. Die Dienstverhältnisse der vom Volk gewählten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können, sofern nichts abweichend geregelt ist, seitens des Kantons einzig in Anwendung von § 30 Abs. 1 RSV vor Ablauf der Amtsdauer aufgelöst werden. Auf das Verantwortlichkeitsgesetz abgestützte Massnahmen bleiben vorbehalten.

4.2 § 30 Abs. 1 RSV beschreibt den Fall, dass ein Mitarbeiter wegen Krankheit oder Unfall arbeitsunfähig ist, was vorliegend nicht zur Diskussion steht. Allerdings hat § 34 Abs. 3 RSV den Fall vorbehalten, dass eine andere Regelung in Kraft tritt („sofern nichts abweichend geregelt ist“). Vorliegend wird diese abweichende Regelung in § 99 KV getroffen, der die Aufhebung aller Dienstverhältnisse im Sinne dieser Bestimmung zur Folge hatte. Somit ist das Dienstverhältnis zwar ausserordentlich, aber rechtmässig auf den 1. Januar 2011 aufgehoben worden. Es besteht grundsätzlich weder für die Ausrichtung weiterer Lohnzahlung noch der damit zusammenhängenden Sozialversicherungsbeiträge Raum. Auch eine Schadenersatzpflicht nach § 5 Abs. 1 VerantwG, wie sie der Kläger in der Replik propagiert, fällt demnach mangels Widerrechtlichkeit dahin. Die Forderung des Klägers nach Lohnfortzahlung über den 31. Dezember 2010 hinaus inklusive der dazugehörenden Sozialversicherungsbeiträge (auch der 2. Säule) ist daher abzuweisen. Zu prüfen bleibt jedoch, ob der Kläger gegebenenfalls aus anderem Grund Forderungen gegenüber dem Beklagten geltend machen kann.

5.
5.1 Die RSV, die das Dienstverhältnis und auch deren Beendigung regelt, enthält auch Bestimmungen über finanzielle Entschädigungen. So sieht § 27 RSV die Möglichkeit einer Abgangsentschädigung vor. Der Beklagte macht allerdings geltend, der Kläger habe keinen dahingehenden Eventualantrag gestellt, weshalb auf die Forderung nach einer Abgangsentschädigung nicht eingetreten werden könne. Der Kläger hat mit seinem Klagebegehren nach Lohnfortzahlung und Ausrichtung des Schadenersatzes für entgangene Pensionskassenbeiträge eine Leistungsklage und somit ein Leistungsbegehren eingereicht. Dieses zielt auf die Fortzahlung seiner Lohnansprüche bis Ende Mai 2012 ab. Diese entsprechen der Ausrichtung von 17 Brutto-Monatsgehältern zuzüglich des 13. Monatslohns für das Jahr 2011 sowie pro rata temporis für das Jahr 2012.
Mit der Abgangsentschädigung kann maximal eine Leistung von 12 Monatsgehältern zugesprochen werden (§ 27 Abs. 2 RSV). Mit dem Eventualbegehren nach einer Abgangsentschädigung wird damit eine deutlich geringere Forderung gestellt als im eigentlichen Klagebegehren. Ein Klageantrag kann aber stets auf ein Minus des Ursprünglichen reduziert werden (Kölz/Bosshart/Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl., Zürich 1999, § 83 N. 8). Auf den Eventualantrag des Klägers auf Ausrichtung einer Abgangsentschädigung ist daher ohne weiteres einzutreten.

5.2 § 27 RSV, der die Abgangsentschädigung regelt, lautet - soweit hier von Interesse - wie folgt:
1 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Dienstverhältnis durch den Kanton gekündigt oder auf Veranlassung des Kantons im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst wird, ohne dass sie dazu durch ihre Leistungen oder ihr Verhalten begründeten Anlass gegeben haben, kann unter folgenden Voraussetzungen eine Abgangsentschädigung ausgerichtet werden:
1. Das Dienstverhältnis hat bis zur Auflösung ununterbrochen während mindestens 5 Jahren bestanden und
2. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter hat im Zeitpunkt der Auflösung des Dienstverhältnisses das 50. Lebensjahr vollendet und
3. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter hat im Zeitpunkt der Auflösung des Dienstverhältnisses das 63. Altersjahr noch nicht vollendet.
2 Die Abgangsentschädigung beträgt im Regelfall höchstens 6, in Ausnahmefällen bis höchstens 12 Monatslöhne. Sie wird von der Wahl- oder Anstellungsinstanz nach den Umständen des Einzelfalls spätestens bei Beendigung des Dienstverhältnisses mit Zustimmung des Personalamtes festgelegt. Dabei sind insbesondere das wirtschaftliche Fortkommen, die Dienstjahre und die persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Die Ausrichtung einer Abgangsentschädigung von mehr als 6 Monatslöhnen bedarf der Zustimmung des Regierungsrats.
3 Die Monatsgrundbesoldung dient als Bemessungsgrundlage. Bei Personen mit wechselndem Pensum werden zur Feststellung des massgeblichen Beschäftigungsgrades die vorausgegangen fünf Kalenderjahre berücksichtigt.
4 Sofern die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter im gegenseitigen Einvernehmen in den Ruhestand tritt, kann unter der Voraussetzung, dass bei Beendigung des Dienstverhältnisses das 60. Altersjahr vollendet wurde, anstelle einer Abgangsentschädigung zum Zuschuss zum Pensionskassen-Sparguthaben und/oder eine Vorzusatzrente gewährt werden. Ausnahmsweise ist eine solche Regelung schon ab vollendetem 58. Altersjahr möglich. Der Regierungsrat regelt die Einzelheiten.“

5.3
5.3.1 Der Beklagte macht geltend, bei § 27 Abs. 1 RSV handle es sich um eine Kann-Vorschrift, weshalb die Abgangsentschädigung gerichtlich nicht erzwungen werden könne. Dieser Interpretation kann so jedoch nicht gefolgt werden. § 27 Abs. 1 RSV beschreibt Fälle, in denen ein Dienstverhältnis aufgelöst wird, ohne dass das Verhalten oder die Leistung des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin dazu eine Veranlassung gegeben hat. Zweifelsfrei wird es Fälle geben, in denen die Ausrichtung einer Abgangsentschädigung nicht gerechtfertigt ist, weil zum Beispiel der scheidende Mitarbeiter rechtzeitig eine neue Anstellung gefunden hat oder sich das Zusprechen einer Abgangsentschädigung aus anderen Gründen nicht rechtfertigt. § 27 RSV steht allerdings nicht alleine im Raum. Vielmehr ist die Regelung auch mit den übrigen Bestimmungen über den Kündigungsschutz und die Folgen der Beendigung von Dienstverhältnissen zu sehen. Für missbräuchliche Kündigung oder Kündigung ohne hinreichenden Grund gelten für die Folgen und die Verwirkung der Ansprüche die Bestimmungen des OR sinngemäss. Die Folgen einer diskriminierenden Kündigung aufgrund des Geschlechts richten sich nach den Bestimmungen des Gleichstellungsgesetzes, wobei auch eine Entschädigung geltend gemacht werden kann (§ 26 RSV). Kommt es in Folge der Aufhebung von Stellen zu Kündigungen oder Entlassungen, kann ein Sozialplan erarbeitet werden, was bei Kündigungen oder Entlassungen von zehn und mehr Mitarbeitern sogar zwingend vorgesehen wird (§ 28 Abs. 1 und 2 VRG). In einem solchen Sozialplan können von der RSV abweichende Leistungen vorgesehen werden (§ 28 Abs. 3 RSV).Der Sinn der zitierten Bestimmung zielt eindeutig dahin, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ohne eigenes Verschulden die Arbeitsstelle beim Kanton verlieren, finanziellen Schutz zukommen zu lassen. Selbst für den Fall der Beendigung des Dienstverhältnisses in gegenseitigem Einvernehmen kann eine Abgangsentschädigung zugesprochen werden. Dem Kläger in der vorliegenden Situation das Recht auf eine Abgangsentschädigung nur deswegen zu verweigern, weil § 27 Abs. 1 RSV als Kann-Vorschrift formuliert ist, würde daher der Rechtsgleichheit widersprechen und müsste als willkürlich bezeichnet werden. Ausdrücklich hatte der Regierungsrat in seiner Botschaft zur Justizreform vom 24. Juni 2008 erklärt, einzelne Härtefälle müssten im konkreten Fall beurteilt und geregelt werden. Wie nachfolgend dargestellt (E. 5.4.6) ist vorliegend durchaus von einem Härtefall auszugehen. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts lässt sich daher in casu trotz der Ausformulierung als Kann-Vorschrift aus § 27 RSV im vorliegenden Fall ein Rechtsanspruch ableiten, sofern die übrigen Voraussetzungen gegeben sind.

5.3.2 Der Beklagte macht weiter geltend, die Voraussetzungen für eine Abgangsentschädigung seien deshalb nicht gegeben, weil gar kein Fall von § 27 Abs. 1 RSV vorläge. Weder sei dem Kläger gekündigt, noch sei sein Dienstverhältnis auf Veranlassung des Kantons im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst worden. Diese Aussage ist zwar richtig, doch bringt die Formulierung „deren Dienstverhältnis durch den Kanton gekündigt oder auf Veranlassung des Kantons im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst wird, ohne dass sie dazu durch ihre Leistungen oder ihr Verhalten begründeten Anlass gegeben haben“ nur zum Ausdruck, dass eine Abgangsentschädigung nur dann möglich ist, wenn die Auflösung des Dienstverhältnisses nicht in einem Fehlverhalten des Mitarbeiters bzw. der Mitarbeiterin zu suchen ist. Es ist offensichtlich, dass der Verordnungsgeber den Fall, dass ein Amt während laufender Amtszeit aufgehoben wird, offensichtlich nicht bedacht hat. In diesem Sinne ist hier eine Lücke vorhanden, die per Analogie und im Sinne von § 27 Abs. 1 RSV dahingehend zu füllen ist, dass auch die Aufhebung eines Behördenamtes und der damit verbundenen Aufhebung des Dienstverhältnisses während laufender Amtszeit ein Anwendungsfall für eine Abgangsentschädigung darstellen kann (vgl. auch § 28 Abs. 1 RSV, wo bei der Aufhebung von Stellen ein Sozialplan vorgesehen wird).

5.3.3 Die übrigen Voraussetzungen von § 27 Abs. 1 Ziff. 1 bis 3 RSV (ununterbrochenes Dienstverhältnis über fünf Jahre, Mitarbeiter hat das 50. Altersjahr vollendet, nicht aber das 63. Altersjahr) sind offensichtlich erfüllt, auch wenn der Beklagte in kaum nachvollziehbarer Weise geltend macht, das Dienstverhältnis des Klägers habe jeweils nur vier Jahre gedauert, danach hätte der Kläger jeweils zunächst wiedergewählt werden müssen. Dass diese Auslegung offensichtlich unzutreffend ist, belegt schon die Tatsache, dass in der Mitarbeiterzeitung „Leuetatze“ regelmässig auch Mitglieder von Gerichtsbehörden für ihre langjährige Treue erwähnt werden und Anspruch auf entsprechende Dienstaltersgeschenke haben.

5.3.4 Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass der Kläger in casu einen Rechtsanspruch auf eine Abgangsentschädigung im Sinne von § 27 Abs. 1 RSV geltend machen kann, da hierfür sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind.

5.4
5.4.1 Damit stellt sich die Frage nach der Höhe der Abgangsentschädigung. Der gesetzliche Rahmen lässt eine Abgangsentschädigung von maximal 12 Monaten zu (§ 27 Abs. 2 RSV). Dabei ist als Richtlinie auf der einen Seite die nach langjähriger Dienstzeit erhöhte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zu berücksichtigen (vgl. hierzu BGE 132 III 115 E. 5.3). Auf der anderen Seite trifft den Kläger selbstverständlich eine Schadenminderungspflicht (TVR 2005 Nr. 12, E. 4c in fine).

5.4.2 Der Kläger konnte im Zeitpunkt der Anmeldung seiner erneuten Kandidatur als Präsident des Bezirksgerichts U seine Unterschrift nicht mehr zurückziehen. Daran ändert auch nichts, dass er am 15. Januar 2008 auf eine mögliche verkürzte Dauer der Amtszeit hingewiesen wurde. Aus Sicht des Gerichtes war dieser Brief noch nicht geeignet, dem Kläger die Gewissheit zu verleihen, dass er nicht mit einer normalen Amtszeit rechnen könne. Zwar war für ihn aufgrund des Bundesgerichtsentscheids betreffend Proporzwahl in der Stadt Zürich (BGE 129 I 185) klar, dass es den Bezirk U in naher Zukunft so nicht mehr geben würde. Die Aufhebung des Bezirks U musste jedoch keinesfalls gleichzeitig mit der Einführung der neuen bundesrechtlichen Prozessordnungen einhergehen. Wie die Diskussion um die Einteilung der neuen Bezirke gezeigt hat, war zudem lange Zeit nicht klar, wie eine allfällige neue Bezirkseinteilung aussehen könnte. In Anbetracht seines Alters (der Kläger ist Jahrgang 1948) wäre die Beendigung der Amtszeit per Ende Mai 2012 im Hinblick auf eine Pensionierung praktisch ideal gewesen. Zu berücksichtigen ist auch, dass selbst für den Fall, dass der Kläger bis zu einem gewissen Grad die verkürzte Abwahl erwarten musste, dies nichts daran ändert, dass er faktisch gezwungen war, dennoch erneut zu kandidieren. In jenem Zeitpunkt stand immer noch zur Diskussion, die neuen Prozessordnungen bereits per 1. Januar 2010 in Kraft treten zu lassen. Selbst wenn sich für eineinhalb Jahre ein neuer Bezirksgerichtspräsident hätte finden lassen, war er objektiv betrachtet der Einzige, der (bis zur möglichen) Aufhebung des Bezirks für Kontinuität und einen reibungslosen Übergang sorgen konnte.

5.4.3 Was der Beklagte zum Thema Schadenminderungspflicht vorbringt, vermag nur ansatzweise zu überzeugen. Zwar muss sich der Kläger in der Tat die Frage stellen lassen, weshalb er nicht - in Anbetracht der auch für ihn bis zu einem gewissen Grad ersichtlichen unsicheren Lage - sein Anwaltsbüro weitergeführt hat. Grundsätzlich war er aber hierzu nicht verpflichtet, denn es stand ihm frei, nur noch zu 40% zu arbeiten. Die Argumentation des Beklagten hätte ja zur Folge gehabt, dass der Kläger durch seinen Entscheid gezwungen gewesen wäre, das Arbeitspensum für seine Anwaltskanzlei wieder zu erhöhen und diese am Laufen zu halten, obwohl er sie schon früher liquidieren wollte.

5.4.4 Der Beklagte kann auch nicht geltend machen, dass es dem Kläger frei gestanden hätte, für ein Amt am Bezirksgericht Frauenfeld zu kandidieren. Ein solches Unterfangen wäre zweifelsfrei aussichtslos gewesen. Abgesehen davon hatte der Kläger tatsächlich mit diesem Gedanken gespielt. Nicht nur das, er hatte sich sogar parteiintern um einen entsprechenden Sitz beworben. Wie das E-Mail eines Parteikollegen an den Kläger vom 13. Februar 2010 beweist, stiess diese Idee auf wenig Gegenliebe. Dem Kläger wurde von seiner Partei klar gemacht, dass eine Kandidatur seinerseits aussichtslos wäre. Das Verwaltungsgericht teilt diese Lageeinschätzung.

5.4.5 In Anbetracht des Alters des Klägers wäre das Bemühen um eine andere Arbeitsstelle kaum aussichtsreich gewesen. Der Neuaufbau einer Anwaltskanzlei für eine Zeit von 1½ bis 2 Jahren war ebenfalls illusorisch.

5.4.6 Im Raum steht noch die Frage einer Weiterbeschäftigung des Klägers beim Kanton Thurgau. Der Kläger macht in seiner Replik geltend, er habe dem Obergerichtspräsidenten, der auch die Entlassungsverfügung unterschrieben hatte und mit dem der Kläger zeitweise verhandelte, das Angebot einer Weiterbeschäftigung gemacht. Eine Antwort habe er jedoch nicht erhalten. Die Tatsache, dass der Obergerichtspräsident zumindest teilweise mit dem Kläger verhandelte und die Behauptung des Klägers, er habe zumindest gegenüber diesem ein Angebot gemacht, die von Seiten des Beklagten gar nicht bestritten wird, lassen darauf schliessen, dass der Kläger seiner Schadenminderungspflicht insofern nachgekommen ist. Die Frage kann aber offen bleiben, weil es nämlich nach 30-jähriger Amtstätigkeit die erhöhte Fürsorgepflicht des Beklagten zweifellos geboten hätte, dem Kläger von sich aus ein entsprechendes Jobangebot zu unterbreiten. Der Beklagte behauptet nicht, es seien von seiner Seite je Gespräche in dieser Richtung in Betracht gezogen, geschweige denn geführt worden. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts hat der Beklagte seine Fürsorgepflicht verletzt, indem dem Kläger keine Stelle für den Rest der Amtszeit angeboten wurde. Solche Stellen als Jurist innerhalb der kantonalen Verwaltung - wenn auch nur für ca. 17 Monate - hätten sich zweifelsfrei finden lassen. Auch anderweitig hat sich der Kanton nicht um Hilfe bemüht. Diese Haltung ist umso unverständlicher, als, und darauf verweist der Kläger zu Recht, der Regierungsrat in seiner Botschaft vom 24. Juni 2008 noch ausdrücklich darauf hinwies, einzelne Härtefälle müssten im konkreten Einzelfall beurteilt und geregelt werden. Ohne Zweifel lag bei objektiver Betrachtung beim Kläger ein Härtefall vor. Und dem Kläger ist darin Recht zu geben, dass von Seiten des Beklagten keinerlei Bemühungen ersichtlich geworden sind, dem Kläger irgendeine Hilfestellung zu leisten.

5.4.7 Zusammenfassend ergibt sich somit, dass der Kläger seine einmal angemeldete Kandidatur als Bezirksgerichtspräsident nicht mehr zurückziehen konnte, da er so oder so praktisch verpflichtet war, bis zur Aufhebung des Bezirksgerichts U (insofern ist der vorliegende Fall durchaus vergleichbar mit dem Entscheid des Bundesgerichts 8C_558/2009 vom 30. November 2009) auch in Anbetracht seiner dem Kanton gegenüber bestehenden Treuepflicht noch einmal für das Amt zu kandidieren. Eine Verletzung der Schadenminderungspflicht kann - wenn überhaupt - nur am Rande festgestellt werden. Demgegenüber hat der Beklagte nichts unternommen, um die für den Kläger schwierige Lage, auf die er schon frühzeitig hingewiesen hat, in irgendeiner Form abzumildern. Es rechtfertigt sich daher, dem Kläger nach 30-jähriger Amtszeit mit Bezug auf die Höhe der Abgangsentschädigung den maximal möglichen Ansatz zuzusprechen. Dies sind 12 Brutto-Monatslöhne (also inklusive sämtlicher Sozialversicherungsbeiträge von Seiten Arbeitnehmer und Arbeitgeber). Demnach wird die Klage in dem Sinne teilweise gutgeheissen, als der Beklagte verpflichtet wird, dem Kläger eine Abgangsentschädigung in der Höhe von 12 Brutto-Monatslöhnen auszurichten.

Entscheid vom 13. Juli 2011

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