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TVR 2011 Nr. 17

Kynologisches Gutachten zur Abklärung der Gefährlichkeit von Hunden nach behaupteter Bissattacke auf einen anderen Hund; Kostenauflage zulasten der Gemeinde


§ 7 HundeG, § 78 Abs. 3 VRG


1. Wenn durch die Hundehaltung Mensch oder Tier verletzt, gefährdet oder ernsthaft belästigt werden, kann die Gemeinde entsprechend dem Ausmass der Mangelhaftigkeit der Hundehaltung Massnahmen über Erziehung, Beaufsichtigung, Pflege oder Unterbringung anordnen.

2. Die Gefährlichkeit der Hunde muss allenfalls mittels eines kynologischen Gutachtens abgeklärt werden, wenn der Sachverhalt nicht klar erstellt ist.

3. Die Kosten für das Gutachten sind (vorliegend zur Hälfte) durch die Gemeinde zu tragen, wenn diese es unterlassen hat, die Sache trotz offener Fragen näher abzuklären (E. 5).


Am 28. Januar 2009 kam es zwischen Weinfelden und Bürglen zu einer Begegnung zwischen den Schäferhunden S und A einerseits (Halterin M und/oder D) und dem Collie-Mischling R (Halter F). Zwischen den Parteien unbestritten ist, dass die beiden Schäferhunde im Zeitpunkt des Zusammentreffens angeleint waren, der Collie-Mischling hingegen freilaufend war. Am 4./5. Februar 2009 wurde R in der Kleintierpraxis von Dr. med. vet. O behandelt, das heisst, es wurde eine ca. 6 cm lange offene Wunde an der linken Flanke genäht. Die Tierärztin machte dem kantonalen Veterinäramt am 24. Februar 2009 Meldung über eine Hundebissverletzung. Das Ehepaar F machte geltend, dass S und A ihrem Collie-Mischling diese Verletzung bei einer Rauferei an besagtem 28. Januar 2009 zugefügt hätten, und hatten bereits am 2. März 2009 entsprechend Meldung erstattet.
F und M wurden durch das Amt für Sicherheit der Gemeinde Weinfelden am 17. und 24. März sowie am 7. April 2009 getrennt zum Vorfall vom 28. Januar 2009 befragt. M bestritt durchwegs, dass es zwischen den drei Hunden zu einer Rauferei gekommen sei; sie habe ihre beiden Schäferhunde damals jederzeit unter Kontrolle gehabt.
Mit Verfügung vom 30. Juni 2009 wies der Gemeinderat M in der Folge an, jeweils nur einen Hund an der Leine auszuführen, oder wenn sie zwei Hunde mitführe, diesen einen Maulkorb anzuziehen (Ziff. 1 des Dispositivs). Sie wurde zudem angewiesen, den Schadenfall vom 28. Januar 2009 unverzüglich ihrer Haftpflichtversicherung anzumelden (Ziff. 2 des Dispositivs). Ziff. 3 des Dispositivs verpflichtete F, ihren Hund an die Leine zu nehmen, wenn sich fremde Hunde ihrem Hund nähern würden.
Einen dagegen von M erhobenen Rekurs hiess das DIV mit Entscheid vom 19. April 2010 teilweise gut, indem es Ziff. 2 des Dispositivs aufhob. Ziff. 1 des vorinstanzlichen Verfügungsdispositivs wurde demgegenüber bestätigt. Mit Eingabe vom 10. Mai 2010 erhob M dagegen Beschwerde.
Mit Zwischenentscheid VG.2010.65/Z vom 29. September 2010 ordnete das Verwaltungsgericht die Einholung eines kynologischen Gutachtens bei H, dipl. Zoologin/Ethologin, über die Hunde S und A an.
Mit Sendung vom 4. Juli 2011 übermittelte die Expertin ihren gutachterlichen Bericht über die am 30. November 2010 erfolgte Testung der beiden Hunde. Zusammenfassend kam H zum Schluss, dass das Risiko eskalierender Hund-Hund-Konfrontationen mit resultierenden Verletzungen seitens eines dritten Hundes gering sei, und dass der Hundehalterin eine generell gute Kontrollfähigkeit über ihre beiden Hunde attestiert werden könne. Ein genereller Leinenzwang sowie eine bedingte Maulkorbtragpflicht seien im vorliegenden Fall nicht erforderlich und unverhältnismässig. Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1 Die verfahrensbeteiligte Gemeinde ging in ihrem Entscheid vom 30. Juni 2009 davon aus, dass die Beschwerdeführerin ihre beiden Hunde S und A am 28. Januar 2009 nicht habe zurückhalten können. Es werde aufgrund der Aussagen der Beschwerdeführerin und der Verfahrensbeteiligten als tatsächlich erachtet, dass sich die beiden Schäferhunde losgerissen hätten und eine „Balgerei“ zwischen den drei Hunden stattgefunden habe, in deren Verlauf sich R die Bisswunde zugezogen habe. Aus welchen Gründen der Gemeinderat der Aussage der Verfahrensbeteiligten mehr Glauben schenkte als jener der Beschwerdeführerin, ist allerdings nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Aufgrund der in den Akten liegenden Fotografie von R ist die klaffende Wunde trotz langhaarigem Fell ohne weiteres erkennbar. Warum R dennoch erst am 4. Februar 2009, also eine ganze Woche nach dem angeblichen Biss durch einen der beschwerdeführerischen Hunde, in tierärztliche Behandlung gebracht wurde, ist nicht plausibel erklärt. Die Verfahrensbeteiligte gab an, nicht in der Lage zu sein, R zu halten und nach Wunden zu suchen, weshalb erst ihr Mann Tage nach dem angeblichen Beissunfall die Wunde entdeckt haben soll. Eine Verbringung zur Tierärztin sei ebenfalls erst nach der Rückkehr ihres Mannes aus dem Spital möglich gewesen, da sie nicht Auto fahren könne. Auch diese Erklärung überzeugt nur bedingt, lässt aber Rückschlüsse auf die R zukommende Pflege zu. Diese Wunde hätte sofort tierärztlich begutachtet und versorgt werden müssen. Die Verfahrensbeteiligte hätte sich denn auch ohne weiteres mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder der Hilfe von Verwandten/Bekannten zur Tierärztin begeben können.

2.2 Differenzierter begründet die Vorinstanz, weshalb eher auf die Aussagen der Verfahrensbeteiligten abgestellt werden könne. Diese habe nämlich keinerlei Anlass gehabt, die Beschwerdeführerin zu Unrecht zu beschuldigen. Andererseits ist zwischen den Parteien unbestritten, dass es am 28. Januar 2009 zu einem Wortwechsel zwischen den beiden Frauen gekommen ist, in dessen Verlauf die Beschwerdeführerin die Verfahrensbeteiligte aufgefordert hatte, R an die Leine zu nehmen. Dass dies von Herrn und Frau F alles andere als goutiert wurde, lässt sich den Akten ziemlich deutlich entnehmen.

2.3 Tatbestandsmässig ist es daher zumindest fraglich, ob es tatsächlich zu einer Rauferei zwischen den drei Hunden gekommen ist. Verschuldensmässig stellt sich im Übrigen die Frage, wem im Falle einer Rauferei die Hauptschuld zuzuweisen ist, nachdem die Verfahrensbeteiligte offensichtlich ihren Hund trotz Bellen und Angriff auf zwei fremde Hunde nicht an die Leine nahm und auch augenscheinlich nicht in der Lage war, ihn zu kontrollieren. Schlussendlich kann aber die Frage nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt sowie einem allfälligen Verschulden aufgrund des Gutachtens H vorliegend offen bleiben.

3. Gemäss § 1 HundeG sind Hunde so zu halten, dass Mensch und Tier nicht gefährdet oder belästigt werden. Hundehalter haben für angemessene Überwachung, sachgerechte Pflege und ordentliche Unterbringung der Hunde zu sorgen (§ 2 Abs. 1 HundeG). Wenn durch die Hundehaltung Mensch oder Tier verletzt, gefährdet oder ernsthaft belästigt werden, kann die Gemeinde entsprechend dem Ausmass der Mangelhaftigkeit der Hundehaltung Massnahmen über Erziehung, Beaufsichtigung, Pflege oder Unterbringung anordnen (§ 7 Abs. 1 HundeG). Abs. 2 dieser Bestimmung enthält eine nicht abschliessende Aufzählung möglicher Massnahmen, so u.a. in Ziff. 5 die Verpflichtung, im öffentlich zugänglichen Raum dem Hund einen Maulkorb anzulegen oder ihn an der Leine zu führen.

4.
4.1 Es ist nachfolgend zu prüfen, ob die Anweisung an die Beschwerdeführerin, jeweils nur einen Hund an der Leine auszuführen oder - wenn sie zwei Hunde ausführt - diesen einen Maulkorb anzulegen, aufgrund der gesetzlichen Grundlagen zu Recht erfolgt ist.

4.2 Im vorliegenden Fall musste ein kynologisches Gutachten eingeholt werden, nachdem der Sachverhalt in keiner Weise als erstellt erscheint und weder die verfahrensbeteiligte Gemeinde noch die Vorinstanz irgendwelche weiteren Abklärungen in Auftrag gaben. H attestiert dabei der Beschwerdeführerin, sie sei eine umsichtige und verantwortungsbewusste Hundehalterin, welche die Tiere gut kenne und deren Reaktionsweisen vorhersehen könne. Es habe keine einzige Situation gegeben, wo ihr die Kontrolle über die Tiere entglitten wäre. Bei beiden Hunden wird die Gefährlichkeit für erwachsene Personen und Kinder als niedrig eingestuft. Die Gefährlichkeit von A gegenüber kleinen bis mittelgrossen Artgenossen wird als gering-mittelmässig, jene von S als gering eingestuft. Das Risiko einer eskalierenden Hund-Hund-Konfrontation mit resultierenden Verletzungen seitens eines dritten Hundes bezeichnet die Gutachterin als gering, dies nicht zuletzt darum, weil der Beschwerdeführerin generell eine gute Kontrollfähigkeit über ihre beiden Hunde zugesprochen wird. Eine generelle Leinenpflicht sowie das Maulkorbtragen beim Mitführen beider Hunde wird von H als nicht erforderlich und unverhältnismässig bezeichnet. Im Sinne einer blossen Empfehlung regt sie an, im Falle von A das Tragen eines Zahnüberzuges zu prüfen, um das Restrisiko zu minimieren.

4.3 Aus Sicht des Gerichts besteht keinerlei Veranlassung, nicht der Beurteilung der Gutachterin zu folgen. Was die Vorinstanz dagegen vorbringt, überzeugt nicht. Ob die Testung nahe des Wohnorts von Halterin und Hunden erfolgt ist oder weiter weg, ist insofern unerheblich, als sich auch die angebliche Rauferei auf einer für A und S gewohnten Spazierroute ereignete. In fachlicher Hinsicht scheint die Expertin denn auch ohne weiteres in der Lage, den Ort einer Testung selber zu bestimmen. Dass bei der Testung keine Situation auftrat, bei welcher die Beschwerdeführerin abgelenkt war, ist zwar richtig, jedoch für die Beurteilung insofern nicht relevant, als tatbestandsmässig nicht nachgewiesen ist, dass sich A und S am 28. Januar 2009 losgerissen haben. Falls tatsächlich eine Rauferei stattgefunden hat, ist es weit wahrscheinlicher, dass die Hunde der Beschwerdeführerin angeleint waren und sich der freilaufende Hund der Verfahrensbeteiligten so weit genähert hat, dass A oder S ihn beissen konnten. Mit letzter Sicherheit lässt sich dies aber nicht beantworten. Dass sich schliesslich die beiden Hunde nun - zwei Jahre später - allenfalls alters- oder gesundheitshalber anders (d.h. ungefährlicher) verhalten könnten, spricht wohl auch nicht wirklich für eine Weiterführung der strittigen Massnahme. Das Tragen eines Zahnüberzuges im Falle von A wird von der Expertin im Übrigen nur zur Prüfung empfohlen. Da die Beschwerdeführerin ihre Hunde jederzeit bestens unter Kontrolle hatte, besteht jedoch keine Veranlassung, dies verbindlich zu verlangen.

4.4 Zusammenfassend ergibt sich daher, dass sich eine Beibehaltung der vor­instanzlich bestätigten Massnahme nach HundeG nicht aufrecht erhalten lässt. Nur der Vollständigkeit halber ist dabei darauf hinzuweisen, dass die von der Verfahrensbeteiligten erwähnten früheren Beissunfälle aus dem Jahre 2006 bzw. 2007 nicht S oder A, sondern die Hündin Y betrafen. Sowohl die Aussagen der Beschwerdeführerin im vorliegenden Verfahren, wie auch jene in den früheren Verfahren sind Beleg dafür, dass Probleme mit Y durchaus eingestanden wurden. Den von der verfahrensbeteiligten Gemeinde eingereichten Vorakten lässt sich zudem entnehmen, dass die Beschwerdeführerin in jenen beiden Fällen ohne weiteres zugegeben hatte, dass Y die anderen Hunden gebissen hatte, was für ihre Glaubwürdigkeit spricht. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und der Entscheid der Vorinstanz vom 19. April 2010 ist ersatzlos aufzuheben. Damit entfällt auch eine Auferlegung der reduzierten Verfahrensgebühr von Fr. 500.-- an die Beschwerdeführerin in Ziff. 4 des Entscheids.

5.
5.1 In streitigen Verfahren trägt in der Regel der Unterliegende die Kosten (§ 77 VRG). Dabei werden im Normalfall von Kanton und Gemeinde keine Gebühren erhoben (§ 78 Abs. 3 VRG). Als unterliegende Partei gilt auch eine am Verfahren beteiligte Person. Vorliegend hat sich die Verfahrensbeteiligte denn auch geäussert und einen sinngemässen Antrag auf Abweisung der Beschwerde gestellt. Es rechtfertigt sich daher, ihr Gerichtskosten in Höhe von Fr. 900.-- aufzuerlegen.

5.2 Im Weiteren sind Kosten für das Gutachten in Höhe von Fr. 1'256.-- angefallen. Diese Kosten sind unter solidarischer Haftbarkeit je zur Hälfte der Verfahrensbeteiligten und zur Hälfte der verfahrensbeteiligten Gemeinde aufzuerlegen, nachdem es diese klar unterlassen hat, die Sache trotz offener Fragen näher abzuklären.

Entscheid vom 23. November 2011

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