TVR 2011 Nr. 33
Insolvenzentschädigung nach Betriebsübergang gemäss Art. 333 OR
Forderungen für Arbeitsleistungen, die nach Betriebsübergang bei der neuen Arbeitgeberin entstanden sind, können nicht mittels Insolvenzentschädigung geltend gemacht werden.
S arbeitete ab dem 1. September 2007 als Landschafts-/Kundengärtner bei der K. GmbH. Mittels Sachübernahmevertrag vom 30. September 2009 wurden die Vermögenswerte von der K GmbH auf die G GmbH übertragen. Bei beiden Gesellschaften war E alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer. Per 25. Januar 2010 wurde über die K GmbH der Konkurs eröffnet.
Am 24. Februar 2010 stellte S bei der Arbeitslosenkasse Antrag auf Insolvenzentschädigung für die Zeit vom September 2009 bis Februar 2010. Nach Einholung der notwendigen Unterlagen verneinte die Arbeitslosenkasse mit Verfügung vom 12. Juli 2010 den Anspruch auf Insolvenzentschädigung mit der Begründung, dass die Lohnforderungen gegenüber der K GmbH nicht in genügendem Mass als glaubhaft angesehen werden könnten. Die dagegen durch die D am 15. September 2010 erhobene Einsprache hiess die Arbeitslosenkasse mit Entscheid vom 11. Mai 2011 teilweise gut und bejahte den Anspruch auf Insolvenzentschädigung für den Monat September 2009, nachdem S Strafanzeige gegen E gestellt hatte. Dies wurde damit begründet, dass der Lohnausstand für den Monat September durch die Aussage von E glaubhaft gemacht worden sei. Ein Anspruch auf Insolvenzentschädigung für die nachfolgenden Monate falle hingegen ausser Betracht, weil allfällige Lohnforderungen nicht gegenüber der konkursiten Firma, sondern gegenüber deren Nachfolgefirma, der nach wie vor bestehenden G GmbH, bestünden. Dagegen liess S Beschwerde erheben und beantragen, der Einspracheentscheid sei aufzuheben und ihm für den Zeitraum 1. Oktober 2009 bis 28. Februar 2010 die Insolvenzentschädigung für die ausstehenden Löhne auszurichten. Das Versicherungsgericht weist ab.
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 (…)
2.2 Gemäss Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG haben beitragspflichtige Arbeitnehmer von Arbeitgebern, die in der Schweiz der Zwangsvollstreckung unterliegen oder in der Schweiz Arbeitnehmer beschäftigen, Anspruch auf Insolvenzentschädigung, wenn gegen ihren Arbeitgeber der Konkurs eröffnet wird und ihnen in diesem Zeitpunkt Lohnforderungen zustehen. Die Insolvenzentschädigung deckt nach Art. 52 Abs. 1 AVIG Lohnforderungen für die letzten vier Monate des Arbeitsverhältnisses vor der Konkurseröffnung sowie allfällige Lohnforderungen für Arbeitsleistungen nach der Konkurseröffnung, solange die versicherte Person in guten Treuen nicht wissen konnte, dass der Konkurs eröffnet worden war und diese Forderungen nicht Masseschulden darstellen (Art. 75a AVIV). Die Verlagerung des Leistungszeitraums auf die Zeit nach erfolgter Konkurseröffnung ändert jedoch nichts daran, dass lediglich für maximal vier Monate Anspruch auf Insolvenzentschädigung besteht (Nussbaumer, in: Meyer [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Band XIV, Soziale Sicherheit, Basel/Genf/München 2007, O. Arbeitslosenversicherung, Rz. 628; vgl. dazu auch die ab 1. April 2011 gültige Regelung von Art. 52 Abs. 1bis AVIG).
3. Der Beschwerdeführer beantragt Insolvenzentschädigung für die Zeit vom 1. September 2009 bis Ende Februar 2010 (wobei diese für den Monat September 2009 von der Beschwerdegegnerin bejaht wurde). Per 25. Januar 2010 wurde über die K GmbH der Konkurs eröffnet. Geht man davon aus, dass die geltend gemachten Lohnforderungen des Beschwerdeführers auch nach dem 1. Oktober 2009 durch die Insolvenzentschädigung gedeckt wären, so wäre eine Insolvenzentschädigung trotzdem nur für vier Monate auszurichten. Sofern er also Entschädigungen für die Dauer von fünf Monaten verlangt, geht dieses Begehren umfangmässig über die Regelung von Art. 52 Abs. 1 AVIG hinaus.
4. Art. 333 OR regelt den Übergang des Arbeitsverhältnisses bei Betriebsübernahmen. Gemäss Abs. 3 haften der bisherige Arbeitgeber und der Erwerber des Betriebes solidarisch für die Forderungen des Arbeitnehmers, die vor dem Übergang fällig geworden sind und die nachher bis zum Zeitpunkt fällig werden, auf den das Arbeitsverhältnis ordentlicherweise beendigt werden könnte oder bei Ablehnung des Übergangs durch den Arbeitnehmer beendigt wird. Der in Art. 333 Abs. 1 OR geregelte Übergang des Arbeitsverhältnisses und die Haftungsbestimmungen von Abs. 3 ändern unter insolvenzentschädigungsrechtlichen Gesichtspunkten jedoch nichts an der Arbeitgebereigenschaft des Veräusserers. Dies wird rechtsprechungsgemäss damit begründet, dass den Arbeitnehmern bei einem Betriebsübergang gar nicht zugemutet werden könnte, ausstehende Lohnforderungen aus dem früheren Arbeitsverhältnis vorweg gegenüber dem neuen Arbeitgeber zivilprozessrechtlich geltend zu machen und vollstreckungsrechtlich auch durchzusetzen (BGE 127 V 183 E. 6a, Entscheid des Bundesgerichts C 283/00 vom 20. April 2001, E. 4c; vgl. auch Burgherr, Die Insolvenzentschädigung, Zürich/Basel/Genf 2004, S. 86 ff.).
5. Der Beschwerdeführer war seit dem 1. September 2007 bei der K GmbH angestellt. Von September 2009 bis Februar 2010 hat er keinen Lohn erhalten, was von E anlässlich der polizeilichen Befragung vom 17. Januar 2011 denn auch klar bestätigt wurde. Per 30. September 2009 wurden jedoch per Sachübernahmevertrag sämtliche Maschinen und Fahrzeuge der K GmbH auf die G GmbH übertragen. Eine Entschädigung für eine allfällige Weiterbenutzung von Personal und Maschinen an die G GmbH wurde dabei - trotz anderweitiger Behauptung durch die A Treuhand AG - nicht geleistet, weshalb davon auszugehen ist, dass ab dem 1. Oktober 2009 die G GmbH die Arbeiten der K GmbH übernommen hatte und auch der Beschwerdeführer effektiv für die G GmbH gearbeitet hat (wobei er bis zum 2. November 2009 noch zu 100% krankgeschrieben war). Dies wurde denn auch von E so bestätigt und die G GmbH wurde per 1. Oktober 2009 bei der Suva angemeldet. Ob dem Beschwerdeführer diese Tatsache bewusst gewesen ist oder nicht, ist nicht weiter von Bedeutung und kann offen gelassen werden, zumal es ihm offensichtlich denn auch nicht wichtig war zu wissen, für welche Firma von E er jeweils gearbeitet hat („Ich weiss nicht für welche Firma ich jeweils tätig war, ich habe immer für Herrn E gearbeitet“). Aufgrund der Aktenlage kann aber davon ausgegangen werden, dass das Arbeitsverhältnis per 1. Oktober 2009 im Sinne von Art. 333 OR auf die G GmbH übergegangen ist. Der Beschwerdeführer legt auch selber dar, dass einem rechtsgültigen Betriebsübergang nach Art. 333 OR nicht entgegensteht, dass er vom Übergang seines Arbeitsverhältnisses an die G GmbH keine Kenntnis gehabt haben soll.
6. Es stellt sich im Weiteren daher die Frage, ob der Beschwerdeführer Insolvenzentschädigung für die Zeit ab dem 1. Oktober 2009 geltend machen kann. Über die K GmbH wurde per 25. Januar 2010 der Konkurs eröffnet, weshalb die Voraussetzungen von Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG diesbezüglich gegeben sind. Die G GmbH ist jedoch nicht konkursit. Nachdem das Arbeitsverhältnis per 1. Oktober 2009 auf die G GmbH übergegangen ist, wird der Lohn primär von dieser Gesellschaft geschuldet. Die K GmbH haftete lediglich solidarisch für die Forderungen des Arbeitnehmers, die nach dem Übergang bis zum Zeitpunkt fällig werden, auf den das Arbeitsverhältnis ordentlicherweise beendigt werden könnte oder bei Ablehnung des Übergangs durch den Arbeitnehmer beendigt wird (Art. 333 Abs. 3 OR). Bei den Löhnen ab dem 1. Oktober 2009 handelt es sich jedoch nicht um ausstehende Lohnforderungen aus dem früheren Arbeitsverhältnis, die nunmehr gegen die neue Arbeitgeberin geltend gemacht werden sollten. Vielmehr sind die Forderungen für Arbeitsleistungen bei der neuen Arbeitgeberin entstanden, was den vorliegenden Fall denn auch klar von den Sachverhalten in BGE 127 V 183 und im Entscheid C 283/00 vom 20. April 2001 unterscheidet. Bei dieser Konstellation ist der Arbeitnehmerschutz jedoch nicht mittels der Insolvenzentschädigung sicherzustellen. Es kann dem Arbeitnehmer denn auch ohne weiteres zugemutet werden, für Forderungen, die bei der neuen Arbeitgeberin entstanden sind, diese in die Pflicht zu nehmen und auch rechtlich gegen sie vorzugehen. Der Beschwerdeführer bringt denn auch keine konkreten Gründe vor, weshalb ihm dies nicht möglich sein sollte. Dass durch den Konkurs die solidarisch haftende frühere Arbeitgeberin zahlungsunfähig wird, vermag an diesem Umstand nichts zu ändern. Ebenfalls nicht von Bedeutung ist, dass E Gesellschafter und Geschäftsführer beider Gesellschaften ist, nachdem es sich bei einer GmbH um eine juristische Person handelt, die selber Träger von Rechten und Pflichten ist. Nachdem über die G GmbH der Konkurs nicht eröffnet wurde und auch sonst kein Tatbestand von Art. 51 Abs. 1 AVIG vorliegt, sind die gesetzesmässigen Voraussetzungen für die erfolgreiche Durchsetzung eines Anspruchs auf Insolvenzentschädigung für die Löhne ab Oktober 2009 somit nicht erfüllt, wie dies die Beschwerdegegnerin zu Recht ausgeführt hat. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
Entscheid vom 31. August 2011