TVR 2012 Nr. 20
Bewilligungsverfahren bei Vorhaben von untergeordneter Bedeutung
§ 7 Abs. 1 Ziff. 3 WNV , § 13 Abs. 4 WNG
Ein rechtskonformes bzw. gesetzmässiges Bewilligungsverfahren im Sinne von § 13 Abs. 4 WNG setzt nach dem klaren Willen des Gesetzgebers voraus, dass den Anstössern der Eingang eines entsprechenden Bewilligungsgesuches angezeigt und ihnen der Entscheid eröffnet wird.
Der südliche, etwa 1/3 der Parzellenfläche beschlagende Teil des Grundstücks von X liegt in der Freihaltezone und ist mit einem Strandhaus überbaut. Zum nördlichen Teil gehört der private, zum Oberflächenwassergebiet zählende Strandboden. Y. und Z. sind Eigentümer der östlich angrenzenden Strandhausparzelle. X ersuchte am 25. Oktober 2011 um Bewilligung für den Einbau einer neuen Heizung mit Abgaskamin an der Südwestfassade seines Strandhauses. Die Politische Gemeinde G bewilligte das unbestrittene Vorhaben am 15. Dezember 2011 nach durchgeführter Auflage. Ebenfalls am 25. Oktober 2011 reichte X ein Konzessions- und Baugesuch für die Erstellung einer 56,5 m langen und 1,52 m breiten Bootsbahn sowie eines 18,5 m langen und 0,5 m breiten, aus Einzeltrittplatten bestehenden Plattenweges auf dem Strandboden ein. Geplant wurde auch, die bestehende, etwa 1,0 m hohe Ufermauer teilweise abzubrechen, eine Treppe zu erstellen und einen 6,7 m x 3,0 m grossen Einschnitt in die landwärts ansteigende Böschung zu treiben, um dort einen Bootsliegeplatz zu erstellen. Das DBU erteilte X am 3. Januar 2012 die Konzession ebenso wie die Bewilligung für die Errichtung der Bootsbahn und des Plattenwegs. Ein Auflage- und Einspracheverfahren war nicht durchgeführt worden. Auch waren die Anstösser nicht über das Gesuch orientiert worden. Im Januar 2012 begann X mit den Bauarbeiten. Y und Z erhielten nach eigenem Bekunden am 25. Januar 2012 Kenntnis von den Bauarbeiten. Am 26. Januar 2012 gelangten sie an die Gemeinde G und verlangten, die Bauarbeiten seien einzustellen. Zudem sei ein korrektes Verfahren mit Planauflage und Orientierung der Anstösser einzuleiten und durchzuführen. Mit Schreiben vom 31. Januar 2012 antwortete die Gemeinde G, auf der Parzelle von X werde kein Bootshaus gebaut. Das am 4. November 2011 eingereichte Konzessions- und Baugesuch sei an das kantonale Amt für Raumplanung weitergeleitet worden. Bewilligungsbehörde für solche Bauten und Anlagen sei das DBU. Mit Eingabe vom 8. Februar 2012 ans Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau stellten X und Y den Antrag, die Bewilligung sei zurückzuziehen und eventuell ein neues, für sie rekursfähiges Verfahren einzuleiten. Die Bauarbeiten seien umgehend einzustellen und das Gelände sei bis zum Frühling 2012 wieder herzustellen. Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Angelegenheit zur Durchführung eines Bewilligungsverfahrens im Sinne der Erwägungen an das DBU zurück.
Aus den Erwägungen:
1.2 Die Beschwerdeführer gelangten mit Eingabe vom 8. Februar 2012 ans Verwaltungsgericht. Der angefochtene Entscheid vom 3. Januar 2012 war ihnen unbestrittenermassen nicht eröffnet worden. Die Beschwerdeführer reagierten mit ihrer Eingabe ohne Verzug auf das Antwortschreiben der Gemeinde G. vom 31. Januar 2012, sodass ihre Beschwerde ohne weiteres als rechtzeitig im Sinne von § 57 Abs. 1 VRG anzusehen ist.
1.3 (…)
2. Vorliegend ist in erster Linie strittig, ob der angefochtene Entscheid unter Einhaltung des massgeblichen Verfahrensrechts ergangen ist.
3. Den Gemeingebrauch übersteigende Nutzungen öffentlichen Wassers, die Erstellung der dazu erforderlichen Bauten und Anlagen sowie deren Änderungen bedürfen einer Konzession oder einer Bewilligung des Kantons (§ 4 Abs. 1 WNG). Oberflächengewässer wie Seen, Teiche, Flüsse, Bäche oder Kanäle umfassen das Bett mit Uferböschung, Vorland und Damm einschliesslich des darin stehenden oder fliessenden Wassers, das darunterliegende Erdreich und die Luftsäule darüber (§ 2 Abs. 1 WNG). Die Errichtung, Änderung oder Erweiterung von Bauten oder Anlagen, die für die Ausübung einer konzessions- oder bewilligungspflichtigen Nutzung erforderlich sind, bedarf einer Bewilligung des Kantons (§ 15 Abs. 1 WNG). Sie wird ausschliesslich im Verfahren nach den §§ 13 und 14 WNG beurteilt, wenn (erstens) die Bauten oder Anlagen ganz oder teilweise innerhalb eines Oberflächengewässers gemäss § 2 WNG liegen oder erstellt werden sollen oder (zweitens) die für die Erteilung der Baubewilligung gemäss Planungs- und Baugesetz zuständige Gemeindebehörde zustimmt (§ 15 Abs. 1 WNG). § 13 WNG bestimmt, dass unter Vorbehalt der Absätze 2 und 4 dieser Bestimmung die Gemeindebehörde am Ort der gelegenen Sache auf Anordnung der zuständigen Behörde Konzessions- oder Bewilligungsgesuche während mindestens 20 Tagen öffentlich auflegt und die Planauflage bekannt macht. Von der öffentlichen Auflage kann abgesehen werden, wenn ein Vorhaben von untergeordneter Bedeutung ist und Interessen Dritter offensichtlich nicht berührt (§ 13 Abs. 4 WNG). Als Vorhaben von untergeordneter Bedeutung im Sinne von § 13 Abs. 4 WNG, bei denen auf eine öffentliche Auflage verzichtet werden kann, gilt insbesondere die räumliche Nutzung von Oberflächengewässern durch Bauten und Anlagen gemäss § 25 Ziff. 1 WNG, wenn die der allgemeinen Nutzung entzogene Fläche weniger als 100 m2 beträgt (§ 7 Abs. 1 Ziff. 3 WNV).
4. Vorliegend beansprucht das dem Gesuch um Erteilung einer Bewilligung zu Grunde liegende Vorhaben des Verfahrensbeteiligten 2 eine Gesamtfläche von rund 97,05 m2. Das DBU ging von einer untergeordneten Bedeutung aus und verzichtete auf eine Auflage.
5. Dem DBU ist darin zuzustimmen, dass aufgrund der räumlichen Ausdehnung des zur Diskussion stehenden Vorhabens von einem Vorhaben von untergeordneter Bedeutung im Sinne von § 13 Abs. 4 WNG auszugehen ist. Dies stimmt mit der oben erwähnten Regelung gemäss § 7 Abs. 1 Ziff. 3 WNV überein. Die Kompetenz des Regierungsrats als Exekutivorgan zum Erlass von Vollziehungsverordnungen ist in der allgemeinen, von der Verfassung eingeräumten Vollzugskompetenz enthalten (vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Zürich 2010, N. 139). Mit der fraglichen Verordnungsbestimmung konkretisierte der Regierungsrat lediglich den im Gesetz enthaltenen Begriff eines Projekts von „untergeordneter Bedeutung, das Drittinteressen offensichtlich nicht berührt“ (§ 13 Abs. 4 WNG). § 7 Abs. 1 Ziff. 3 WNV erliess der Regierungsrat also im Rahmen der ihm zukommenden Vollzugskompetenz. Die Regelung, wonach bei einer Flächenausdehnung unter 100 m2 in der Regel von einem untergeordneten Projekt auszugehen ist, erscheint als sachgerecht und ist entsprechend anzuwenden. Wie sich aus den Akten ohne weiteres ergibt, fällt die strittige Anlage in casu landseitig kaum auf. Durch die Bauweise der Gleisanlage und deren Dimensionierung ist die Länge eines Bootes auf rund 6 m begrenzt. Seeseitig tritt die Anlage ebenfalls kaum in Erscheinung. Hinzu kommt, dass das Ufer im fraglichen Abschnitt mit Wochenendhäusern überbaut ist und entsprechend als naturfern erscheint. Abgesehen von den Interessen von Anstössern (dazu E. 6 nachstehend) ist aufgrund der Dimensionierung des Vorhabens daher von einem Projekt von untergeordneter Bedeutung, welches offensichtlich keine Drittinteressen tangiert (§ 13 Abs. 4 WNG), auszugehen. Die Vorinstanz hat daher zu Recht von einer Auflage des Projektes abgesehen.
6. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, ob das Verfahren, in der Art, wie es von der Vorinstanz anhand genommen und durchgeführt worden ist, rechtmässig war. § 13 Abs. 4 WNG äussert sich nicht explizit dazu, wie dann, wenn angesichts der untergeordneten Bedeutung eines Vorhabens von einer öffentlichen Auflage abgesehen werden kann, den potentiellen Interessen von Anstössern Rechnung zu tragen ist. Entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Haltung entspricht es nicht der ratio legis von § 13 Abs. 4 WNG, den Gehörsanspruch der Anstösser auszuhebeln. Gegen eine solche Auslegung spricht bereits ein Vergleich mit der Bestimmung gemäss § 94 Abs. 2 PBG (in der bis 31. Dezember 2012 gültigen Fassung). Hier wird für das vereinfachte Baubewilligungsverfahren ausdrücklich festgehalten, die Baubewilligung sei auch den Anstössern zu eröffnen, sofern von ihnen noch keine schriftliche Zustimmung vorliege. Wie ein Blick auf die Materialien des WNG deutlich macht, entsprach eine analoge Regelung auch bei Erlass von § 13 Abs. 4 WNG dem Willen des Gesetzgebers. Dies zeigt ein Blick auf das Protokoll des Grossen Rates Nr. 58 vom 9. Juni 1999. Das Grossratsmitglied Schneider stellte gemäss diesem Protokoll anlässlich der ersten Lesung des Gesetzesentwurfs im Grossen Rat den Antrag, § 13 Abs. 4 WNG sei mit dem Satz zu ergänzen „Grundeigentümer sind in diesem Fall über das Vorhaben zu informieren“. Der damalige Regierungsrat und Chef des DBU Ruprecht hielt damals gemäss Protokoll zu diesem Antrag fest, die Erwähnung sei völlig unnötig. Der Grundeigentümer werde mit Sicherheit informiert. Ein rechtskonformes bzw. gesetzmässiges Bewilligungsverfahren im Sinne von § 13 Abs. 4 WNG setzt demzufolge nach dem klaren Willen des Gesetzgebers voraus, dass den Anstössern der Eingang eines entsprechenden Bewilligungsgesuchs angezeigt und ihnen der Entscheid eröffnet wird. Auch eine Einigungsverhandlung im Sinne von § 14 Abs. 2 WNG ist in Fällen wie dem vorliegenden durchzuführen.
7. Vorliegend ist dies nicht geschehen. Hieraus folgt, dass der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Streitsache zur Durchführung eines neuen, rechtskonformen Konzessions- und Bewilligungsverfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen ist. (…)
Entscheid vom 11. Juli 2012