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TVR 2012 Nr. 27

Drittauszahlung von IV-Kinderrenten


Art. 20 Abs. 1 ATSG


Überweist ein Unterhaltsschuldner an das Sozialamt, welches für die Alimentenbevorschussung bzw. das Inkasso der Unterhaltsbeiträge zuständig ist, monatlich einen höheren Betrag als die ihm zustehenden IV-Kinderrenten, ist nicht von einer zweckwidrigen Verwendung derselben auszugehen. Die Voraussetzungen für eine Drittauszahlung an die unterstützende Gemeindebehörde sind damit nicht erfüllt.


Im Jahre 2003 wurde A aufgrund eines Invaliditätsgrades von 50% mit Wirkung ab 1. Januar 2001 eine halbe Invalidenrente sowie - nebst einer Zusatzrente für seine Ehefrau - für die gemeinsamen Kinder E, F und G je eine Kinderrente von Fr. 427.-- bzw. zusammen Fr. 1'281.-- pro Monat zugesprochen. Im Rahmen eines Eheschutzverfahrens wurde A zur Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen an die drei Kinder sowie an seine Ehefrau in Höhe von total rund Fr. 2'600.-- verpflichtet. Am 16. August 2011 beantragte A beim zuständigen Bezirksgerichtspräsidium eine Abänderung des Eheschutzentscheids und ersuchte um Herabsetzung der Kinderunterhaltsbeiträge sowie um Aufhebung des Unterhaltsbeitrags an seine Ehefrau.
Mit Entscheid vom 11. November 2011 wurde die Eheschutzverfügung vom 23. Dezember 2009 dahingehend abgeändert, als A an die drei Kinder je einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 700.--, zuzüglich allfälliger Kinder- und Ausbildungszulagen, sowie an seine Ehefrau einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 120.-- pro Monat zu bezahlen habe. Im Rahmen eines Berufungsverfahrens setzte das Obergericht mit Urteil vom 18. Juli 2012 / 31. August 2012 die Kinderunterhaltsbeiträge neu auf Fr. 820.--, zuzüglich allfälliger Kinder- und Ausbildungszulagen, und den Unterhaltsbeitrag für die Ehefrau auf Fr. 120.-- fest.
Seit August 2011 hatte das Sozialamt der Politischen Gemeinde K die den drei Kindern zustehenden Unterhaltsbeiträge bevorschusst. Gleichzeitig war das Sozialamt mit dem Inkasso der Unterhaltsbeiträge gegenüber A beauftragt worden. Offenbar aufgrund eines Telefongesprächs mit A betreffend die Höhe der Unterhaltsbeiträge sah sich das Sozialamt veranlasst, am 20. März 2012 bei der IV-Stelle ein Gesuch um Auszahlung der Kinderrenten an die Politischen Gemeinde K zu stellen. Mit Verfügung vom 26. April 2012 ordnete die IV-Stelle an, dass die drei Kinderrenten von monatlich je Fr. 427.--, total Fr. 1'281.--, ab Mai 2012 direkt der Politischen Gemeinde K zu überweisen seien. Dagegen liess A beim Versicherungsgericht Beschwerde erheben, welche gutgeheissen wird.

Aus den Erwägungen:

3. Nach Art. 35 Abs. 4 IVG wird die Kinderrente wie die Rente ausbezahlt, zu der sie gehört. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über die zweckmässige Verwendung (Art. 20 ATSG) und abweichende zivilrechtliche Anordnungen. Gemäss Art. 20 Abs. 1 ATSG können Geldleistungen ganz oder teilweise einem geeigneten Dritten oder einer Behörde ausbezahlt werden, der oder die der berechtigten Person gegenüber gesetzlich oder sittlich unterstützungspflichtig ist oder diese dauernd fürsorgerisch betreut, sofern: (lit. a) die berechtigte Person die Geldleistungen nicht für den eigenen Unterhalt oder für den Unterhalt von Personen, für die sie zu sorgen hat, verwendet oder dazu nachweisbar nicht im Stande ist; und (lit. b) die berechtigte Person oder Personen, für die sie zu sorgen hat, aus einem Grund nach lit. a auf die Hilfe der öffentlichen oder privaten Fürsorge angewiesen sind.
Die Fürsorgeabhängigkeit allein reicht somit für eine Drittauszahlung nach Art. 20 ATSG noch nicht aus. Vielmehr muss erstellt sein, dass die berechtigte Person die Geldleistung dem Unterhaltszweck entfremdet. Kumulativ verlangt das Gesetz jedoch eine hinzutretende Abhängigkeit von der Sozialhilfe (Art. 20 Abs. 1 lit. b ATSG). Dies kann bei einer bloss drohenden Notwendigkeit der fürsorgerischen Unterstützung noch nicht angenommen werden. Vielmehr muss es sich um eine regelmässige Unterstützung handeln, was durch den Begriff des Angewiesen-Seins unterstrichen wird (vgl. Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2009, Art. 20 N. 11 ff., mit Hinweisen).

4.(…)

5.
5.1 In materieller Hinsicht ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Auszahlung der drei IV-Kinderrenten an die verfahrensbeteiligte Gemeinde ab 1. Mai 2012 gemäss Art. 20 Abs. 1 ATSG erfüllt waren. 5.2 Die unzweckmässige Verwendung bzw. die nicht oder nicht ordnungsgemässe Überweisung der betreffenden Rentenleistungen (vorliegend der drei IV-Kinderrenten in Höhe von total Fr. 1'281.-- ab 1. Mai 2012) im Sinne von Art. 20 Abs. 1 lit. a ATSG muss - als Voraussetzung für die Drittauszahlung - kausal dafür sein, dass die berechtigte Person oder die Personen, für die sie zu sorgen hat (im vorliegenden Fall die drei Kinder E, F und G), auf die Hilfe der öffentlichen (oder privaten) Fürsorge im Sinne von Art. 20 Abs. 1 lit. b ATSG angewiesen ist/sind. Die verfahrensbeteiligte Ehefrau des Beschwerdeführers wurde vom Sozialamt der Politischen Gemeinde K bislang in Form von Alimentenbevorschussungen bzw. - ab Mai 2012 - mittels Inkassohilfe unterstützt. (…)
Der Beschwerdeführer hat zwar zumindest seit August 2011 nicht die seiner Ehefrau und den drei Kindern gemäss dem rechtskräftigen Eheschutzentscheid bzw. dem Urteil des Obergerichts vom 7. Juni 2010 zustehenden Unterhaltsbeiträge in Höhe von total Fr. 2'400.-- bezahlt. Er hat aber unbestrittenermassen seit August 2011, das heisst seit dem Zeitpunkt der Stellung seines Gesuchs um Abänderung des Eheschutzentscheids, der Politischen Gemeinde K monatlich einen Betrag von Fr. 2'000.-- an den Unterhalt seiner drei Kinder und der Ehefrau überwiesen. Dieser Betrag liegt höher als die drei IV-Kinderrenten von insgesamt Fr. 1'281.--.
Gemäss Verfügung der Beschwerdegegnerin werden die monatlichen Rentenleistungen jeweils in den ersten 20 Tagen des betreffenden Monats ausbezahlt. Wie sich aus den vom Beschwerdeführer ins Recht gelegten Zahlungsbestätigungen August 2011 bis und mit April 2012 ergibt, erfolgten seine monatlichen Überweisungen von Fr. 2'000.-- jeweils vor dem 20. des jeweiligen Monats. Zwar sind Kinderrenten gemäss Art. 285 Abs. 2 ZGB zusätzlich zu den Unterhaltsbeiträgen zu leisten, dies jedoch nur, wenn durch das Gericht nichts anderes festgelegt wurde. Im vorliegenden Fall wurden die Kinderrenten bei der Bemessung der Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers durch die Gerichte miteinbezogen. Die IV-Kinderrenten sind daher nicht zusätzlich zu den in den Gerichtsentscheiden festgelegten Alimenten auszurichten. Soweit die Ehefrau bzw. die Kinder des Beschwerdeführers auf die Unterstützung der öffentlichen Fürsorge (in Form von Alimentenbevorschussung und Inkassohilfe) angewiesen waren, so war hierfür nicht die zweckwidrige Verwendung der IV-Kinderrenten durch den Beschwerdeführer kausal, sondern - wenn überhaupt - die nicht vollumfängliche Bezahlung der im Rahmen der zivilrechtlichen Entscheide festgesetzten Alimente durch ihn.

5.3 Damit bleibt festzustellen, dass der Beschwerdeführer in den Monaten August 2011 bis April 2012 nachgewiesenermassen monatlich mehr als die drei IV-Kinderrenten an die Politische Gemeinde K für den Unterhalt der Kinder überwiesen hat. Unter diesen Umständen ist aber nicht erstellt, dass der Grund für die Alimentenbevorschussung und die Inkassohilfe in der falschen bzw. zweckwidrigen Verwendung der IV-Kinderrenten durch den Beschwerdeführer lag. Die von der Beschwerdegegnerin angeordnete Drittauszahlung der IV-Kinderrenten an die Politische Gemeinde K erfolgte somit zu Unrecht. (…)

Entscheid vom 19. Dezember 2012

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