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TVR 2012 Nr. 3

Ausstandsbegehren gegen den Verwaltungsgerichtspräsidenten


Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, § 7 VRG


Die Frage, ob ein Richter, der bereits früher mit einer Angelegenheit befasst war, dadurch befangen ist, wurde durch das Bundesgericht eindeutig entschieden. In einem Fall sogenannter Vorbefassung stellt sich die Frage, ob sich ein Richter durch seine Mitwirkung an früheren Entscheidungen in einzelnen Punkten bereits in einem Mass festgelegt hat, die ihn nicht mehr als unvoreingenommen und dementsprechend das Verfahren als nicht mehr offen erscheinen lassen. Es kann jedoch nicht sein, dass bei allen Verfahren eine wechselnde Besetzung vorgenommen werden muss, damit niemand die Vorgeschichte der beschwerdeführenden Personen kennt.


Das DFS hat mit Entscheid vom 31. August 2011 einen Rekurs von U gegen einen Entscheid der Gemeinde W abgewiesen, bei welchem es um die Ausrichtung von Sozialhilfeleistungen, insbesondere die Bezahlung der Wohnungsmiete, ging. Das DFS stellte fest, dass die Festlegung der anrechenbaren Wohnungsmiete verhältnismässig sei. Es seien U - wie das Verwaltungsgericht mit einem Zwischenentscheid festgestellt habe - an die Wohnungsmiete monatlich Fr. 650.-- zu bezahlen. Gegen diesen Entscheid richtet sich die Beschwerde der U vom 20. September 2011 mit dem Antrag, dass die Gemeinde W zu verpflichten sei, die zurückliegenden Mietzinsen als auch die künftigen von Fr. 1'300.-- zu bezahlen, mindestens bis 21. Juni 2011. Die Verfügung vom 15. Juni 2011 sei in Wiedererwägung zu ziehen und es seien ihr Fr. 1'300.-- als Wohnungsmiete für sich und ihren Sohn zuzugestehen.
Nach Zustellung der Akten durch die Gemeinde W und der Vernehmlassung der Vorinstanz vom 11. Oktober 2011 stellte RA P für U mit Eingabe vom 15. Dezember 2011 den Verfahrensantrag, dass „Herr Verwaltungsgerichtspräsident Dr. J. Spring infolge Befangenheit von einer möglichen Beurteilung auszuschliessen“ sei. Über diesen Befangenheitsantrag sei vor Weiterführung des Verfahrens zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht weist den Verfahrensantrag mit einem Zwischenentscheid ab.

Aus den Erwägungen:

1. Ein Verfahrensantrag, insbesondere ein Ausstandsbegehren, kann grundsätzlich jederzeit gestellt werden und muss entschieden werden. Dementsprechend ist auf den Verfahrensantrag bezüglich des Ausstands des Verwaltungsgerichtspräsidenten vom 15. Dezember 2011 einzutreten.

2. Zur Begründung des Ausstandsbegehrens wird ausgeführt, dass der Verwaltungsgerichtspräsident in den Verfahren XXX, YYY und ZZZ mitgewirkt habe. Im Entscheid vom 15. Juni 2011 (vorsorglicher Massnahmeentscheid) habe der Gerichtspräsident ausgeführt, dass im Kanton Thurgau bei weitem keine Stadtzürcher Verhältnisse gelten würden, wobei auf den Sitz der Kanzlei des Rechtsvertreters angespielt worden sei. Zudem habe man dem Rechtsvertreter im Urteil vom 28. September 2011 vorgeworfen, dass das Verfahren an der Grenze zur Mutwilligkeit geführt worden sei. Das Verwaltungsgericht habe sich auch in Bezug auf die Abtretungserklärung widersprochen. Gerichtspersonen hätten in den Ausstand zu treten, wenn unter anderem der Anschein der Befangenheit der betreffenden Person in der Sache bestehe. Dieser Grundsatz fliesse einerseits aus der Bundesverfassung wie auch aus der EMRK. Der Verwaltungsgerichtspräsident habe am Vorverfahren mitgewirkt. Er sei Teil des Spruchkörpers gewesen. Dem Anwalt sei in rechtswidriger Weise eine ungerechtfertigte Bereicherungsabsicht unterstellt worden. Man habe auch einen unangebrachten süffisanten Unterton bei der gönnerhaften Einräumung einer Notfrist ersehen können. Unter diesen Voraussetzungen bestehe eine subjektive Vorbefassung. Es liege daher die Besorgnis der Befangenheit vor.

3. Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 30 Abs. 1 BV garantieren einen unabhängigen Richter. Nach § 7 VRG haben Behördenmitglieder und Personen von Amtes wegen in den Ausstand zu treten:
„1. in eigenen Angelegenheiten, in denjenigen ihrer Ehegatten, Partner in eingetragener Partnerschaft, Verlobten, Verwandten und Verschwägerten bis und mit dem vierten Grad, ihrer Adoptiv-, Pflege- oder Stiefeltern sowie ihrer Adoptiv-, Pflege- oder Stiefkinder; der Ausstandsgrund der Verschwägerung besteht nach Auflösung der Ehe oder der eingetragenen Partnerschaft fort;
2. als gesetzlicher Vertreter, Beistand, Beirat, Beauftragter, Angestellter oder als Organ eines am Verfahren Beteiligten;
3. sofern sie in gleicher Sache in anderer amtlicher Stellung oder als Zeuge, Sachverständiger oder bestellter Vertreter gehandelt oder Auftrag gegeben haben;
4. in Verfahren, in denen sie ein persönliches Interesse haben oder aus anderen Gründen befangen sind.
Ist der Ausstand eines Mitgliedes einer Kollegialbehörde streitig, entscheidet die Gesamtbehörde in Abwesenheit des Betroffenen. In den übrigen Fällen entscheidet die vorgesetzte Behörde. Entscheide über den Ausstand sind zu protokollieren.“

4.
4.1 Es ist also im Nachfolgenden zu klären, ob der Verwaltungsgerichtspräsident einer dieser Ausstandsgründe erfüllt, wobei die Ausstandsgründe gemäss § 7 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 VRG klar wegfallen.

4.2 Der Verwaltungsgerichtspräsident hat dem Gericht gegenüber ausdrücklich erklärt, dass er sich nicht befangen fühle. Er hat denn auch in gleicher Sache weder in anderer amtlicher Stellung noch als Zeuge, Sachverständiger oder bestellter Vertreter gehandelt oder Auftrag gegeben. Die bisherige Vorbefassung mit der Angelegenheit der Gesuchstellerin stand immer im Zusammenhang mit der amtlichen Stellung als Verwaltungsgerichtspräsident. Die Frage, ob ein Richter, der bereits früher mit einer Angelegenheit befasst war, dadurch befangen ist, wurde durch das Bundesgericht eindeutig entschieden. Es kann diesbezüglich auf BGE 131 I 113 verwiesen werden. Das Bundesgericht führt beispielsweise aus, dass eine gewisse Besorgnis der Voreingenommenheit und damit Misstrauen in das Gericht bei den Parteien immer dann entstehen könne, wenn einzelne Gerichtspersonen in einem früheren Verfahren mit der konkreten Streitsache schon einmal befasst gewesen seien. In einem solchen Fall sogenannter Vorbefassung stelle sich die Frage, ob sich ein Richter durch seine Mitwirkung an früheren Entscheidungen in einzelnen Punkten bereits in einem Mass festgelegt hat, die ihn nicht mehr als unvoreingenommen und dementsprechend das Verfahren als nicht mehr offen erscheinen liessen. Eine solche Voreingenommenheit ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Verwaltungsgerichtspräsident hat die Verfahrensleitung in den bisherigen Verfahren inne gehabt und diese korrekt durchgeführt. Der ursprüngliche Entscheid ist vom Gesamtgericht erlassen worden, sodass auch die damals mitwirkenden Richter grundsätzlich befangen sein könnten. Der Vorwurf, dass der Rechtsvertreter das Verfahren an der Grenze zur Mutwilligkeit geführt habe, stammt aus dem Urteil vom 28. September 2011, mithin vom Gesamtgericht und kann somit nicht allein dem Verwaltungsgerichtspräsidenten „zur Last gelegt“ werden. Diesen Eindruck hatte das Gesamtgericht und dieser Eindruck wird durch das vorliegende Zwischenverfahren nur noch bestärkt. Die Gesuchstellerin kann keinen einzigen konkreten Grund vorbringen, weshalb der Verwaltungsgerichtspräsident tatsächlich befangen sein soll. Im Gegenteil: Immerhin räumte der Verwaltungsgerichtspräsident dem Rechtsvertreter nochmals eine Fristerstreckung ein, obwohl die ablaufende Frist als „letztmals erstreckt“ bezeichnet worden war. Der Entscheid vom 15. Juni 2011, welcher präsidialiter als vorsorglicher Massnahmeentscheid erlassen worden war, ist objektiv abgefasst und entspricht den tatsächlichen Verhältnissen. Im Gegenteil, der Gesuchstellerin wurden mit diesem Entscheid ja die Hälfte der Wohnkosten (sie wohnt zusammen mit ihrem mündigen Sohn in einer Wohnung) sowie die Bezahlung der Krankenkassenprämien zugesprochen. Dabei wurde sie verpflichtet, eine entsprechende Abtretungserklärung für allfällige Sozialversicherungsansprüche zu unterzeichnen. Diese Verknüpfung und Verpflichtung ist absolut sachgerecht und angemessen. In diesem Zwischenentscheid ist in keiner Weise auch nur im Ansatz eine negative Vorbefasstheit in Bezug auf die Gesuchstellerin erkennbar. Diese hat es vielmehr selbst zu verantworten, wenn sie sich immer wieder mit verschiedenen Rechtsmitteln und Verfahrensanträgen an das Verwaltungsgericht wendet. Es kann nicht sein, dass bei all diesen Verfahren eine wechselnde Besetzung vorgenommen wird, damit niemand die Vorgeschichte der Gesuchstellerin kennen soll. Das Gegenteil ist der Fall, ein Richter kann wohl (noch) objektiver urteilen, wenn ihm entsprechende frühere Verfahren und damit auch das Verhalten von Gesuchstellerin und Rechtsvertreter bekannt sind. Damit besteht in keiner Weise eine „Betriebsblindheit“, wie dies in BGE 131 I 113 E. 3.4 als Kriterium erwähnt wird. Es ist zudem auch nicht nachvollziehbar, weshalb erst im Dezember 2011 ein Ausstandsbegehren gestellt wurde, nachdem eine Befangenheit des Verwaltungsgerichtspräsidenten bereits zum Zeitpunkt des Zwischenentscheids vom 15. Juni 2011 und des Urteils vom 28. September 2011 behauptet wird. Zudem entspricht es einer Tatsache, dass die Wohnkosten in einer ländlichen Thurgauer Gemeinde bei weitem nicht mit denjenigen in der Stadt Zürich vergleichbar sind, wie dies im Präsidialentscheid vom 15. Juni 2011 ausgeführt wurde. Dementsprechend kann zusammenfassend festgestellt werden, dass der Verwaltungsgerichtspräsident weder objektiv noch subjektiv als befangen anzusehen ist und dementsprechend den Ausstand im vorliegenden Verfahren nicht wahren muss.

Zwischenentscheid vom 25. Januar 2012

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