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TVR 2012 Nr. 34

Ausnahmsweise Kostenübernahme für Ergotherapie nach dreijähriger Behandlungsdauer des Geburtsgebrechens Ziff. 404 GgV Anhang


Art. 999 Anhang Ziff 404 GgV , Art. 13 Abs. 2 IVG, Art. 2 Abs. 3 GgV


Eine Ergotherapie beim Geburtsgebrechen Ziff. 404 GgV Anhang wird auf maximal drei Jahre begrenzt. Jedoch ist eine Verlängerung dann möglich, wenn die versicherte Person auch unter einer länger dauernden Ergotherapie immer noch eine objektiv (d.h. mittels neuropsychologischer Testung) erfassbare Verbesserung ihrer Teil­leistungsstörungen zeigt, was ein schlüssiges Kriterium darstellt und eine im Einzelfall gerechte Lösung zulässt.


M, geboren am 17. September 1998, leidet unter dem Geburtsgebrechen Ziff. 404 GgV Anhang. Mit Mitteilungen vom 23. August 2006 leistete die IV-Stelle des Kantons Thurgau Kostengutsprache für medizinische Massnahmen und übernahm die Kosten für die ambulante Ergotherapie für vorerst zwei Jahre. Am 18. September 2008 wurde die Kostengutsprache für die Ergotherapie um ein Jahr bis am 25. April 2009 verlängert.
Am 5. Dezember 2011 beantragte die P erneut die Kostenübernahme für die Ergotherapie. Nach Erlass des Vorbescheids verneinte dies die IV-Stelle mit Verfügung vom 20. März 2012 und der Begründung, dass die Kosten für eine Ergotherapie längstens für drei Jahre übernommen werden könnten.
Dagegen erhob die P am 3. Mai 2012 Beschwerde. Am 16. Juli 2012 ersuchte der verfahrensleitende Vizepräsident des Versicherungsgerichts das BSV um Beantwortung der Frage, ob Ziff. 1015.2.1 des Kreisschreibens über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung (KSME) gesetzes- respektive verordnungskonform sei und ob bei Vorliegen eines Geburtsgebrechens Ziff. 404 GgV Anhang eine Ergotherapie von lediglich drei Jahren möglich sei oder ob von dieser Bestimmung abgewichen werden könne. Dazu nahm das BSV am 16. August 2012 Stellung. Das Versicherungsgericht heisst die Beschwerde in dem Sinne gut, als dass es die Sache zu weiteren medizinischen Abklärungen an die IV-Stelle zurückweist.

Aus den Erwägungen:

2. Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf die zur Behandlung von Geburtsgebrechen (Art. 3 Abs. 2 ATSG) notwendigen medizinischen Massnahmen (Art. 13 Abs. 1 IVG). Der Bundesrat bezeichnet die Gebrechen, für welche diese Massnahmen gewährt werden. Als Geburtsgebrechen gelten diejenigen Krankheiten, die bei vollendeter Geburt bestehen (Art. 3 Abs. 2 ATSG i.V. mit Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GgV). Die Geburtsgebrechen sind in der Liste im Anhang aufgeführt. Das Eidgenössische Departement des Innern kann die Liste jährlich anpassen, sofern die Mehrausgaben einer solchen Anpassung für die Versicherung insgesamt drei Millionen Franken pro Jahr nicht übersteigen (Art. 1 Abs. 2 GgV). Als medizinische Massnahmen, die für die Behandlung eines Geburtsgebrechens notwendig sind, gelten sämtliche Vorkehren, die nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sind und den therapeutischen Erfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anstreben (Art. 2 Abs. 3 GgV). Gemäss Ziff. 1015.1 KSME ist die Ergotherapie im Rahmen von medizinischen Massnahmen gemäss Art. 13 IVG jeweils für zwei Jahre zu verfügen. Für das Geburtsgebrechen Ziff. 404 GgV Anhang ist eine Verlängerung für ein Jahr jedoch nur einmal und nur auf fachärztlich begründetes Gesuch hin möglich (Ziff. 015.2.1 KSME).

3.
3.1 Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Beschwerdegegnerin bereits die Kosten für die Ergotherapie von drei Jahren übernommen hat (26. April 2006 bis 25. April 2009). Die KSME schreibt eine maximale Dauer von insgesamt drei Jahren vor.

3.2 Verwaltungsweisungen sind für das Sozialversicherungsgericht nicht verbindlich, sondern nur soweit zu berücksichtigen, als sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen (vgl. Urteil des Bundesgerichts I 98/2003 vom 5. Dezember 2003, E. 1.1). Gemäss KSME Ziff. 1015.2.1 wird die Ergotherapie beim Geburtsgebrechen Ziff. 404 Anhang im Ergebnis auf maximal drei Jahre begrenzt. In der Vernehmlassung vom 16. August 2012 begründet das BSV diese Bestimmung damit, dass nach drei Jahren Ergotherapie in der Regel keine Verbesserung des Krankheitsbildes mehr zu erwarten sei, wobei diesbezüglich auf den Forschungsstand verwiesen wird. Dies erscheint nachvollziehbar. Insofern ist Ziff. 1015.201 KSME auch nicht zu beanstanden, wenn damit grundsätzlich eine rechtsgleiche Behandlung der Versicherten erreicht wird und wenn Ausnahmen zulässig sind, wie dies auch vom BSV ausgeführt wird. So ist eine Verlängerung (gemäss BSV) dann möglich, wenn die versicherte Person auch unter einer längerdauernden Ergotherapie immer noch eine objektiv (das heisst mittels neuropsychologischer Testung) erfassbare Verbesserung ihrer Teilleistungsstörungen zeigt, was ein schlüssiges Kriterium darstellt und eine im Einzelfall gerechte Lösung zulässt. Grundsätzlich gilt nämlich auch hier, dass jede medizinische Massnahme wissenschaftlich anerkannt, notwendig, einfach und zweckmässig sein muss (Meyer, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2010, S. 160).

3.3 Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch an aktuellen medizinischen Unterlagen. Der letzte medizinische Bericht von Dr. med. T datiert vom 11. Februar 2010. Es lässt sich daher weder beantworten, ob überhaupt noch eine Indikation für die Weiterführung der Ergotherapie vorliegt (was von der Beschwerdeführerin lediglich behauptet wird), noch ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind, dass die entsprechenden Kosten auch nach drei Jahren Behandlungsdauer ausnahmsweise noch von der Beschwerdegegnerin zu tragen wären. Diesbezüglich hätte die Beschwerdegegnerin im Rahmen ihrer Untersuchungspflicht (Art. 43 Abs. 1 ATSG) weitere Abklärungen vornehmen oder zumindest die Beschwerdeführerin auffordern müssen, aktuelle medizinische Berichte einzureichen, falls solche bereits vorhanden sein sollten.

Entscheid vom 12. September 2012

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