TVR 2012 Nr. 4
Aufschiebende Wirkung, Auslegung des Verfügungsdispositivs
Fall eines Sicherungsentzugs nach Art. 16d SVG. Grundsätzlich ist der Entzug der aufschiebenden Wirkung eines allfälligen Rechtsmittels im Dispositiv eines Entscheids anzuordnen. Gegebenenfalls ist das Dispositiv auszulegen. Bei einem Widerspruch zwischen Dispositiv und den Entscheidgründen ist der wirkliche Rechtssinn der Entscheidung festzustellen.
Mit Verfügung vom 7. Oktober 2011 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons Thurgau B den Führerausweis aller Kategorien mit Wirkung ab Erhalt der Verfügung auf unbestimmte Zeit. Dagegen erhob B Rekurs bei der Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau. Diese wies ein gleichzeitig gestelltes Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung des Rekurses ab. Eine gegen den entsprechenden Zwischenentscheid gerichtete Beschwerde weist das Verwaltungsgericht ebenfalls ab.
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Strittig und zu prüfen ist, ob dem Rekurs der Beschwerdeführerin aufschiebende Wirkung zukommt.
2.2 § 48 Abs. 1 VRG bestimmt, dass einem Rekurs aufschiebende Wirkung zukommt, sofern nicht die Vorinstanz aus besonderen Gründen die Vollstreckbarkeit anordnet. Es stellt sich somit zuerst die Frage, ob die Vorinstanz, das heisst vorliegend das verfahrensbeteiligte Amt, bereits rechtsgültig die Vollstreckbarkeit angeordnet hat.
2.2.1 (…) Aus dem Zweck des Sicherungsentzugs ergibt sich, dass Rechtsmitteln gegen Sicherungsentzüge grundsätzlich die aufschiebende Wirkung zu verweigern ist, soweit keine besonderen Umstände vorliegen (Weissenberger, Kommentar zum Strassenverkehrsgesetz, Zürich/St. Gallen 2011, Art. 16d N. 3; Urteile des Bundesgerichts 1C_155/2007 vom 13. September 2007, E. 2, und 6A.23/2005 vom 21. Juni 2005, E. 2.2; Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band III, Bern 1995, N. 2758).
2.2.2 Aus formeller Sicht präsentiert sich die Frage der Vollstreckbarkeit folgendermassen:
Der Entzug der aufschiebenden Wirkung hat in der in § 18 VRG vorgeschriebenen Form zu ergehen, ist folglich in einer besonderen Ziffer des Erkenntnisses anzuordnen und zu begründen (Haubensak/Litschgi/Stähelin, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, Frauenfeld 1984, § 48 N. 4; Gygi, Aufschiebende Wirkung und vorsorgliche Massnahmen in der Verwaltungsrechtspflege, ZBl 1976 1, S. 3). Das Dispositiv ist klar zu fassen, da es den Ausgangspunkt für die spätere Ermittlung dessen bildet, was rechtskräftig und somit im Sinne von § 83 VRG vollstreckbar wird (Haubensak/Litschgi/Stähelin, a.a.O., § 18 N. 2; Gygi, Verwaltungsrecht, Eine Einführung, Bern 1986, N. 6.3.8 [nachfolgend „Gygi, Verwaltungsrecht“ zitiert]). Die Verfügungsformel bedarf der Auslegung, wenn nicht klar und eindeutig aus der Verfügungsformel hervorgeht, zu was der Adressat der Verfügung berechtigt oder verpflichtet ist (Gygi, Verwaltungsrecht, a.a.O., N. 6.3.8, mit Hinweisen). Der Entzug oder die Erteilung der aufschiebenden Wirkung hat grundsätzlich im Dispositiv ausdrücklich zu erfolgen; es genügt nicht, wenn das sinngemäss in den Erwägungen geschieht (Baumberger, Aufschiebende Wirkung bundesrechtlicher Rechtsmittel im öffentlichen Recht, Zürich/Basel/Genf 2006, N. 732; Kölz/ Bosshart/Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, Zürich 1999, 2. Aufl., § 25 N. 19). Hingegen ist bei einem Widerspruch zwischen dem Dispositiv und den Entscheidgründen der wirkliche Rechtssinn der Entscheidung festzustellen. Verwaltungsverfügungen sind somit nicht nach ihrem Wortlaut, sondern nach ihrem tatsächlichen Bedeutungsinhalt zu verstehen, dies vorbehältlich der Problematik des Vertrauensschutzes (Urteil des Bundesgerichts 1E.6/2005 vom 25. August 2005, E. 4.2; BGE 116 II 614 E. 1a).
2.2.3 Das verfahrensbeteiligte Amt führte in der Entzugs-Verfügung vom 7. Oktober 2011 aus, dass gemäss ärztlichem Bericht des Vertrauensarztes vom 4. Oktober 2011 die Fahreignung der Beschwerdeführerin aufgrund kognitiver Defizite nicht mehr gegeben sei, und sah sich veranlasst, einen Sicherungsentzug nach Art. 16d Abs. 1 lit. a SVG zu verfügen. Das in der Entzugs-Verfügung optisch hervorgehobene Dispositiv beinhaltet den Entzug des Führerausweises nach Art. 16d Abs. 1 lit. s [recte: lit. a] SVG „mit Wirkung ab Erhalt dieser Verfügung auf unbestimmte Zeit“. Fraglich ist, ob auch der nachstehende Satz, wonach die gesetzliche Sperrfrist nach Art. 16d Abs. 2 SVG einen Monat betrage, ab 3. August 2011 bis und mit 2. September 2011, noch zum Erkenntnis zu zählen ist. Dies kann jedoch vorliegend offen bleiben. Die Vorinstanz führte in der angefochtenen Verfügung zu Recht aus, der Entzug der aufschiebenden Wirkung ergebe sich aus der der Rechtsmittelbelehrung angefügten Anordnung in Verbindung mit der weiteren Anordnung, dass die Entzugswirkung „ab Erhalt dieser Verfügung“ eintrete. Zumindest sinngemäss wurde damit im Dispositiv des Entscheids einem allfälligen Rekurs die aufschiebende Wirkung entzogen. Anders konnte die Verfügung, insbesondere im Zusammenhang mit der entsprechenden Formulierung in der Rechtsmittelbelehrung, von der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin nicht verstanden werden. Zu Recht weist die Vorinstanz ergänzend darauf hin, der Beschwerdeführerin sei der Entzug der aufschiebenden Wirkung hinlänglich bekannt gewesen, nachdem deren Rechtsvertreter die aufschiebende Wirkung des Rekurses in seiner Rekurseingabe eingehend thematisiert habe. In der Entzugs-Verfügung vom 7. Oktober 2011 wurde die aufschiebende Wirkung eines allfälligen Rechtsmittels somit rechtsgültig entzogen.
Entscheid vom 30. Mai 2012
Das Bundesgericht hat eine gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil 1C_347/2012 vom 29. Oktober 2012 abgewiesen, ebenso ein gegen dieses Urteil gerichtetes Revisionsbegehren (Urteil 1F_34/2012 vom 18. Januar 2013).