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TVR 2014 Nr. 16

Festlegung der Steuerfaktoren nach der Einspracheverhandlung; privilegierte Besteuerung des Liquidationsgewinns; nachträgliche Beurteilungen von Rückstellungen


§ 38 b StG, § 166 Abs. 1 StG


1. Die Steuerbehörde ist an mündliche Vereinbarungen in der Einspracheverhandlung nicht gebunden (E. 2) .

2. Die Steuerbehörde kann im Rahmen der privilegierten Besteuerung des Liquidationsgewinns nach Art. 38b StG eine Beurteilung vornehmen, ob früher getätigte Rückstellungen in einer früheren Steuerveranlagung zu Recht akzeptiert wurden (E. 3).

3. Geschäftsmässig nicht begründeter Aufwand kann nicht unter den Transitorischen Passiven verbucht werden (E. 3).


Die Eheleute T führten einen landwirtschaftlichen Betrieb. Per 30. Juni 2008 gaben sie die selbständige Tätigkeit betreffend den Obstbaubetrieb auf, veräusserten das Anlageinventar und lösten sämtliche stillen Reserven auf. Zusammen mit der Steuererklärung 2008 stellten die Eheleute T sodann den Antrag auf privilegierte Besteuerung für die aufgelösten stillen Reserven gemäss § 38b StG. Nach dem Einspracheverfahren blieb im Wesentlichen strittig, ob die von den Beschwerdeführern im Jahre 2006 auf dem Konto „4400 Fremdarbeiten allgemein“ als „TP Drittarbeiten“ in der Höhe von Fr. 65‘000.-- gebildeten Rückstellungen/Reserven, die im Jahr 2007 beibehalten und im Jahr 2008 im Rahmen der Liquidation aufgelöst wurden, in Anwendung von § 38b StG privilegiert zu besteuern seien. Einen von den Eheleuten T erhobenen Rekurs wies die Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau ab. Dagegen erhoben die Eheleute T beim Verwaltungsgericht Beschwerde, das jedoch ebenfalls abweist.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1 Die Beschwerdeführer wenden als erstes ein, der Steuerkommissär habe im Rahmen der Einspracheverhandlung die beantragte Höhe des Liquidationsgewinns zugesichert. Darauf seien er bzw. die Steuerverwaltung aufgrund des Vertrauensschutzes zu behaften.

2.2 Laut § 166 Abs. 1 StG kann die Behörde im Einspracheverfahren alle Steuerfaktoren neu festsetzen. Nach Anhören des Steuerpflichtigen kann sie die Veranlagung auch zu seinem Nachteil abändern.
Für den Entscheid des Steueramtes im Einspracheverfahren gilt die Offizialmaxime. Das Steueramt stellt die Steuerfaktoren und den Steuertarif der steuerpflichtigen Person nach den Ergebnissen seiner eigenen (allenfalls gegenüber dem Einschätzungsverfahren ergänzenden) Erhebungen fest. Die Anträge der Parteien sind nicht bindend, und zwar nicht nur zugunsten der steuerpflichtigen Person, sondern auch im Interesse des Gemeinwesens als Steuergläubiger. Die steuerpflichtige Person muss also damit rechnen, dass die Einschätzungsbehörde die Einschätzung zu ihren Ungunsten abändert. So schliesst denn auch eine Einigung im Einschätzungsverfahren über einzelne Steuerfaktoren nicht aus, dass die Behörde im Einspracheverfahren davon abweicht (Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, 3. Aufl., Zürich 2013, § 142 N. 6).
Bereits aufgrund des Wortlauts von § 166 Abs. 1 StG ergibt sich, dass die Einspracheverhandlung letztlich kein endgültiges Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten zu begründen vermag. Die Behörde hat nach Anhörung des Steuerpflichtigen neu zu entscheiden. Bis zur formgültigen Festsetzung der einzelnen Steuerfaktoren hat die Steuerbehörde grundsätzlich sämtliche Faktoren objektiv festzusetzen. Selbst nach einer Einspracheverhandlung ist es daher möglich, dass die Steuerbehörde zu einer neuen, anderen als in der Einspracheverhandlung geäusserten Rechtsauffassung gelangt, weshalb sich der Steuerpflichtige nicht auf eine in der Einspracheverhandlung mündlich geschlossene Vereinbarung über einzelne Steuerfaktoren berufen kann. Wenn die Steuerbehörde im Einspracheentscheid von dem abweicht, was im Rahmen der Einspracheverhandlung vereinbart wurde, so mag dies nicht den üblichen Gepflogenheiten entsprechen, ist jedoch durchaus zulässig. Ein rechtsverbindlicher Vertrauensschutz wird aber durch Einigung in der Einspracheverhandlung nicht begründet. Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, die Steuerfaktoren seien aufgrund des Vertrauensschutzes gemäss dem festzulegen, was in der Einspracheverhandlung vereinbart worden sei, ist dieses Begehren abzuweisen.

3.
3.1 Hauptstreitpunkt ist vorliegend die Frage, ob die von den Beschwerdeführern im Jahre 2006 auf dem Konto „4400 Fremdarbeiten allgemein“ als „TP Drittarbeiten“ in der Höhe von Fr. 65‘000.-- gebildeten Rückstellungen/Reserven, die im Jahr 2007 beibehalten und im Jahr 2008 im Rahmen der Liquidation aufgelöst wurden, in Anwendung von § 38b StG privilegiert zu besteuern sind. Dabei stellen sich die Beschwerdeführer auf den Standpunkt, es handle sich dabei um rechtskräftig veranlagte, von den Steuerbehörden akzeptierte Rückstellungen/Reserven, auf die nicht mehr zurückgekommen werden könne. Demgegenüber sind die Vorinstanzen der Auffassung, bei der Bildung von stillen Reserven bzw. Rückstellungen im Jahr 2006 in der Höhe von Fr. 65‘000.-- und deren Auflösung im Jahr 2008 handle es sich um eine unzulässige Steuerumgehung, weshalb § 38b Abs. 1 StG vorliegend keine Anwendung finde.

3.2 § 38b Abs. 1 StG lautet wie folgt:„Wird die selbständige Erwerbstätigkeit nach dem vollendeten 55. Altersjahr oder wegen Unfähigkeit zur Weiterführung in Folge Invalidität definitiv aufgegeben, ist die Summe der in den letzten zwei Geschäftsjahren realisierten stillen Reserven getrennt vom übrigen Einkommen zu besteuern. Einkaufsbeträge gemäss § 34 Abs. 1 Ziff. 6 sind abziehbar. Werden keine solchen Einkäufe vorgenommen, wird die Steuer auf den Betrag der realisierten stillen Reserven, für den der Steuerpflichtige die Zulässigkeit eines Einkaufs gemäss § 34 Abs. 1 Ziff. 6 nachweist, in gleicher Weise wie Kapitalleistungen aus Vorsorge gemäss § 39 erhoben. Der Restbetrag der realisierten stillen Reserven wird zum Satz der einfachen Steuer von 5% besteuert.“

3.3 Die gesonderte Besteuerung der Liquidationsgewinne, die im Rahmen der sogenannten Unternehmenssteuerreform II eingeführt wurde, stellt einen Sondersteuertatbestand dar. Nicht nur das Verwaltungsgericht, sondern auch die Vorinstanzen sind grundsätzlich frei bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen zur Anwendung des Sonderbesteuerungstatbestandes gegeben sind. Zutreffend ist zwar, dass die Beschwerdeführer für die Steuerjahre 2006 und 2007 rechtskräftig veranlagt und besteuert wurden. Auf die dort festgelegten Steuerfaktoren kann ohne Revisionsgrund auch nicht mehr zurückgekommen werden. Weder das Verwaltungsgericht noch die Vorinstanzen sind aber an eine frühere rechtliche Einschätzung der Steuerbehörde gebunden. Das gilt gerade auch dann, wenn es - wie hier - um die Bildung von Rückstellungen/Reserven geht, deren Bildung sich im Nachhinein als ungerechtfertigt erweisen könnte (vgl. hierzu Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, a.a.O., § 64 N. 132 f.). Daher ist es ohne weiteres zulässig, aus heutiger Sicht zu prüfen, ob in einer früheren Einschätzung die Bildung von Rückstellungen/Reserven zu Recht zugelassen wurden.

3.4 § 38b Abs. 1 StG lautet praktisch identisch wie Art. 37b DBG, der ebenfalls im Rahmen der Unternehmenssteuerreform II eingeführt wurde. Das StG definiert in § 20 die steuerbaren Einkünfte eines Selbständigerwerbenden in einer Steuerperiode nur allgemein. § 30 Abs. 1 StG hält immerhin fest, dass bei selbständiger Erwerbstätigkeit lediglich der geschäftsmässig begründete Aufwand, inkl. der Abschreibungen und Rückstellungen (§ 30 Abs. 2 StG), zu berücksichtigen ist. Demgegenüber hält Art. 58 Abs. 1 DBG für die Berechnung des steuerbaren Reingewinns ausdrücklich fest, dass geschäftsmässig nicht begründete Abschreibungen und Rückstellungen grundsätzlich bei der ordentlichen Einkommenssteuer zu berücksichtigen sind und dort versteuert werden müssen. Vorliegend stellt sich daher zunächst die Frage, ob die 2006 von den Beschwerdeführern gebildeten Rückstellungen in der Höhe von Fr. 65‘000.-- überhaupt als geschäftsmässig begründeter Aufwand zum Abzug hätten zugelassen werden dürfen.

3.5 In der Steuererklärung für das Jahr 2006 findet sich im entsprechenden Kontoblatt „4400 Fremdarbeiten allgemein“ unter Beleg 294 ein Eintrag vom 31. Dezember 2006 „TP Drittarbeiten“ für Fr. 65‘000.--. Die Abkürzung „TP“ bedeutet Transitorische Passiven. Es müsste sich bei diesem Betrag demnach um Rückstellungen für einen Aufwand handeln, der im Jahr 2006 entstanden ist, allerdings erst im Jahr 2007 oder evtl. sogar noch später zur Zahlung fällig werden sollte.In der Steuererklärung 2007 wurden diese Transitorischen Passiven am 1. Januar 2007 zwar korrekt auf der Habenseite eingebucht, jedoch am 31. Dezember 2007 unverändert bei den Passiven im Konto „4400 Fremdarbeiten allgemein“ als „TP Drittarbeiten 2006“ wiederum ausgebucht. Schliesslich wurden die entsprechenden Transitorischen Passiven im Jahr 2008 wiederum eingebucht und dann am 30. Juni 2008 als stille Reserven aufgelöst.

3.6 Es finden sich weder in den Eingaben der Beschwerdeführer noch in den übrigen Akten Hinweise darauf, wofür in der Buchhaltung überhaupt im Jahre 2006 Reserven in der Höhe von Fr. 65‘000.-- gebildet und danach unverändert bis ins Jahr 2008 beibehalten wurden. Der Bildung dieser Transitorischen Passiven müsste jedoch - gemäss der Bezeichnung des Kontos - die zu erwartende Forderung eines Drittanbieters für im Jahr 2006 geleistete Arbeiten gegenüberstehen. Solches ist aber in keiner Weise nachgewiesen. Die Beschwerdeführer liefern für ihr Vorgehen keinerlei nachvollziehbare Erklärung. Es lassen sich den Akten auch keine konkreten Erfahrungswerte entnehmen, auf die die Beschwerdeführer aus früheren Jahren verweisen könnten, oder sonstige Unterlagen, die die Bildung von Rückstellungen in der Höhe von Fr. 65‘000.-- nachvollziehbar erklären würden. Die einfache Parteibehauptung, es handle sich um Erfahrungswerte, genügt jedenfalls nicht. Da es sich im Rahmen der Liquidationsgewinnbesteuerung um eine steuermindernde Tatsache handelt, wären aber die Beschwerdeführer beweispflichtig. Nur sie können die entsprechenden Unterlagen beibringen, was sie aber unterlassen haben. Daher ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer im Jahr 2006 geschäftsmässig nicht begründeten Aufwand als Transitorische Passiven verbuchten. Dieser hätte im Jahre 2006 nicht zugelassen werden dürfen und wäre dort als Einkommen zu besteuern gewesen. Daher können die von den Beschwerdeführern aufgelösten stillen Reserven in der Höhe von Fr. 65‘000.-- bei der Ermittlung des Liquidationsgewinns nicht berücksichtigt werden. Dementsprechend können die Fr. 65‘000.-- auch nicht unter die privilegierte Besteuerung von § 38b StG fallen. Vielmehr ist dieser Betrag bei einer steuersystematisch korrekten Auslegung von § 38b StG im Jahr 2008 ordentlich zu besteuern (Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, a.a.O., § 64 N. 133), ohne dass dafür überhaupt ein Steuerumgehungstatbestand angerufen werden müsste.

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2013.172/E vom 9. Juli 2014

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