TVR 2014 Nr. 22
Vereinbarung zur Herabsetzung des Gebäudeabstandes und Brandschutz
§ 9 Abs. 1 FSG, § 77 PBG, § 82 PBG, §§ 65 aPBG , §§ 75 aPBG
Die feuerpolizeilichen Vorgaben, die sich insbesondere aus der Brandschutznorm und den Brandschutzrichtlinien ergeben, sind auch beim Vorliegen einer privatrechtlichen Vereinbarung über die Herabsetzung des Grenzabstandes bzw. des Gebäudeabstandes zu beachten.
E ersuchte die Politische Gemeinde P um Erteilung einer Baubewilligung für ein Mehrfamilienhaus auf ihrem Grundstück XX. Bis auf gewisse, mit Nebenbestimmungen geregelte Punkte wurde die Bewilligung erteilt und eine vom benachbarten Grundeigentümer G erhobene Einsprache abgewiesen. Einen dagegen von G erhobenen Rekurs hiess das DBU unter Aufhebung der Baubewilligung und des Einspracheentscheids gut. Dagegen wiederum gelangte E ans Verwaltungsgericht, welches die Beschwerde abweist.
Aus den Erwägungen:
6.
6.1 Strittig und zu prüfen ist weiter die Abstandsproblematik.
6.2 Das geplante Gebäude weist einen Grenzabstand von 4.02 m zur Parzelle des Verfahrensbeteiligten G auf. Da die Scheune auf der Nachbarparzelle Nr. YY mit der Ostfassade auf die gemeinsame Grenze gebaut ist, beträgt auch der Gebäudeabstand 4.02 m. Nach Auffassung der Vorinstanz muss jedoch ein feuerpolizeilicher Abstand von 7.50 m zwischen den beiden Gebäuden eingehalten werden. Dieser gehe sowohl dem im Baureglement definierten minimalen Gebäudeabstand als auch einem zivilrechtlich eingeräumten Näherbaurecht vor. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf eine Einschätzung des Leiters des Feuerschutzamtes der verfahrensbeteiligten Gemeinde. Dieser habe, so die Beschwerdeführerin, entschieden, dass die Baute lediglich einen Abstand von 4 m einhalten müsse, wobei er bis heute keinen Zweifel daran lasse, dass er die Verantwortung für seinen Entscheid übernehme. Des Weiteren verweist die Beschwerdeführerin auf einen Grunddienstbarkeitsvertrag vom 28. Oktober 1997, mit welchem ein gegenseitiges Näher- und Grenzbaurecht für die beiden benachbarten Parzellen vereinbart worden sei. Darin werde ein gegenseitiges Recht eingeräumt, einen Neubau mit reduziertem Grenzabstand von 3 m und eine eingeschossige Baute von beliebiger Länge direkt auf der Grenze zu erstellen. Nachdem die alte Scheune auf Parzelle Nr. YY entlang der Grenze das Kriterium der „eingeschossigen Baute“ bei weitem übertreffe, ergebe sich daraus zwangsläufig, dass dem Verfahrensbeteiligten „der unausweichliche Abbruch von Schopf und Haus schon seit Langem klar gewesen sein“ müsse.
6.3 Nach Art. 40 Ziff. 1 des kommunalen Baureglements (BR) ist der Gebäudeabstand die kürzeste Entfernung zwischen zwei Fassaden und im Regelfall die Summe der Mindestgrenzabstände. Letztere betragen in der Dorfzone 4 m. Bei privatrechtlich herabgesetzten Grenzabständen ist nach Art. 40 Ziff. 3 BR im Minimum ein Gebäudeabstand von allseitig 6 m einzuhalten, ausgenommen unbewohnte Kleinbauten. Ziff. 4 von Art. 40 BR legt sodann fest, dass, wenn bei vor dem 11. Oktober 1977 bestehenden Gebäuden und Grenzen ohne Vereinbarung eines Näherbaurechtes der vorgeschriebene Grenzabstand nicht eingehalten sei, für neue Gebäude auf dem angrenzenden Grundstück der Gebäudeabstand als gewahrt gelte, wenn der vorgeschriebene Grenzabstand eingehalten werde und keine überwiegenden öffentlichen und privaten Interessen entgegenstehen. Die Vorinstanz stellte fest, dass für die bestehende Scheune auf Parzelle Nr. YY kein Näherbaurecht existiere. Damit finde auch die vereinbarte Grunddienstbarkeit für diese Baute keine Anwendung, womit vorliegend Art. 40 Ziff. 4 BR zum Tragen komme. Ob dies zutrifft oder ob Art. 40 Ziff. 3 BR anwendbar ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Im einen wie im anderen Fall sind die Brandschutznorm der Vereinigung kantonaler Feuerversicherungen (VKF), Stand 20. Oktober 2008 (nachfolgend „Brandschutznorm“), und die Brandschutzrichtlinie für Schutzabstände/Brandabschnitte der VKF (Stand ebenfalls 20. Oktober 2008, nachfolgend „Brandschutzrichtlinie“) zu beachten. Dies ergibt sich bereits daraus, dass § 65 aPBG eine „Kann-Vorschrift“ darstellt, die der zuständigen Gemeinde einen gewissen Entscheidungsspielraum einräumt (vgl. TVR 2002 Nr. 29, E. 2a). Überwiegende öffentliche Interessen bleiben im Einzelfall vorbehalten (was ausdrücklich in Art. 40 Ziff. 4 BR erwähnt wird). Derartige überwiegende öffentliche Interessen ergeben sich unter anderem aus § 75 aPBG, wonach Bauten und Anlagen nach den anerkannten Regeln der Baukunde zu erstellen und zu unterhalten sind. Nach § 76 aPBG müssen Bauten und Anlagen den Anforderungen entsprechen, die zum Schutz der Gesundheit notwendig sind. Zwingende öffentlich-rechtliche Vorgaben gehen privatrechtlichen Vereinbarungen über die Herabsetzung von Grenzabständen (und damit auch von Gebäudeabständen) vor. Die Brandschutznorm und die Brandschutzrichtlinie der VKF wurden gestützt auf Art. 6 der Interkantonalen Vereinbarung zum Abbau technischer Handelshemmnisse (IVTH), die seit dem 8. April 2003 auch im Kanton Thurgau gilt, durch das „Interkantonale Organ technische Handelshemmnisse“ (IOTH) für verbindlich erklärt. Diese Vorschriften sind gemäss Art. 6 Abs. 3 IVTH für die Kantone verbindlich (vgl. hierzu Fritzsche/Bösch/Wipf, Zürcher Planungs- und Baurecht, Band II, Bau- und Umweltrecht, 5. Aufl., Zürich 2011, S. 1028, sowie Art. 75 Abs. 1 der Brandschutznorm und Ziff. 5 der Brandschutzrichtlinie). Sodann wird auch in § 9 Abs. 1 FSG festgelegt, dass Bauten feuerschutztechnisch nach den anerkannten Regeln der Baukunde zu erstellen und zu unterhalten sind. Brandschutznorm und Brandschutzrichtlinien der VKF sind mithin Ausdruck dieser Regeln der Baukunde. Die Vorgaben aus der Brandschutznorm und der betreffenden Brandschutzrichtlinie stellen damit grundsätzlich zwingendes Recht dar, von welchem auch mittels privatrechtlicher Vereinbarung nicht abgewichen werden kann. Derartige privatrechtliche Regelungen betreffend die Herabsetzung von Grenz- bzw. Gebäudeabständen stehen mit anderen Worten stets unter dem Vorbehalt, dass die Vorgaben von Brandschutznorm und Brandschutzrichtlinie eingehalten sind.
6.4 Nach Ziff. 2.3 Abs. 2 lit. b der Brandschutzrichtlinie ist für den Brandschutz zwischen zwei Bauten ein Schutzabstand von 7.50 m einzuhalten, wenn eine Aussenwand eine brennbare, die andere eine nicht brennbare äusserste Schicht aufweist und sofern baurechtliche Regelungen nicht einen grösseren Schutzabstand erfordern. Zumindest die alte Scheune auf der Nachbarparzelle Nr. YY ist mit einer brennbaren Aussenwand versehen (…). Zu Recht stellte die Vorinstanz damit fest, dass zwischen den Gebäuden grundsätzlich ein feuerpolizeilicher Schutzabstand von 7.50 m einzuhalten ist.
6.5 Zwar kann nach Ziff. 2.3 Abs. 4 und Ziff. 2.5 der Brandschutzrichtlinie von diesen Schutzabständen unter gewissen Voraussetzungen abgewichen werden, wenn Ersatzmassnahmen ergriffen werden, die einen Brandübergriff verhindern. Alsdann sind an die Ausführung der gegenüberliegenden Aussenwände hinsichtlich Brennbarkeit und Feuerwiderstand erhöhte Anforderungen zu stellen. Beispiele für entsprechende Ersatzmassnahmen sind im Anhang zur Brandschutzrichtlinie aufgeführt. Als solche gelten etwa bei Aussenwänden eine feuerwiderstandsfähige Ausführung, eine Hintermauerung oder ein Unterbruch brennbarer Flächen mit nicht brennbarem Material. Bei Öffnungen (Türen, Tore, Fenster) sind Brandschutzabschlüsse wie feuerwiderstandsfähige Türen, Tore, Abdeckungen bei Fenstern, festverschraubte feuerwiderstandsfähige Brandschutzverglasungen anzubringen oder es ist eine versetzte Anordnung der Öffnungen vorzunehmen. Bei Dachuntersichten werden feuerwiderstandsfähige Verkleidungen erwähnt (vgl. S. 21 der Brandschutzrichtlinie). Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie habe in ihrem Projekt bauliche Massnahmen getroffen, welche eine Reduktion des feuerpolizeilichen Abstandes auf 4 m zuliessen. So ist etwa die Ausrichtung der Küchen nach Norden nicht massgeblich. Dasselbe gilt für den Hinweis, dass im Westteil des Hauses „keine Räume mit erhöhtem Brandrisiko geplant“ seien; was damit gemeint ist, ist nicht ersichtlich. Auch der Umstand, dass auf der Westseite im Erdgeschoss und Obergeschoss nur „kleine Badezimmerfenster“ vorgesehen sind, genügt für eine Reduktion des feuerpolizeilichen Abstandes klarerweise nicht. Mit dem streitbetroffenen Bauprojekt bzw. den im Recht liegenden Baugesuchsunterlagen und den Ausführungen der Beschwerdeführerin wird mit anderen Worten in keiner Weise nachgewiesen, dass die für entsprechende Ersatzmassnahmen im Anhang zur Brandschutzrichtlinie geforderten erhöhten Anforderungen an die Fassadengestaltung etc., die eine Unterschreitung des Schutzabstandes von 7.5 m erlauben würden, erfüllt sind.
6.6 Unbeachtlich ist letztlich auch der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die Feuerschutzbewilligung vom 6. Februar 2012. Zum einen ist der kommunale Feuerschutzbeamte mit keinem Wort auf die Problematik des feuerpolizeilichen Schutzabstandes eingegangen. Zum anderen wurde diese Feuerschutzbewilligung, die integrierender Bestandteil der Baubewilligung bildet, mitangefochten und erwuchs somit nicht in Rechtskraft. Diese Feuerschutzbewilligung vom 6. Februar 2012 stellt somit auch keine Vertrauensgrundlage dar, auf welche sich die Beschwerdeführerin - unter Hinweis auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes - berufen könnte. Die Einwände der Beschwerdeführerin erweisen sich somit auch hinsichtlich des einzuhaltenden Gebäudeabstandes als unbegründet.
7. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanz dem streitbetroffenen Bauprojekt zu Recht die Bewilligungsfähigkeit abgesprochen hat. Die festgestellten Mängel lassen sich auch mit allfälligen Nebenbestimmungen zur Baubewilligung nicht heilen bzw. in ein nachgeschaltetes Baubewilligungsverfahren verschieben (vgl. TVR 2008 Nr. 25). Der entscheidrelevante Sachverhalt ist ausreichend abgeklärt bzw. ergibt sich aus den Akten. Die Aufhebung der Baubewilligung durch die Vorinstanz ist rechtmässig, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2013.123/E vom 12. Februar 2014