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TVR 2014 Nr. 33

Anspruchsberechnung bei einer Halbwaise


Art. 9 Abs. 2 ELG, Art. 4 Abs. 1 lit. a ELV


Für die gemeinsame Anspruchsberechnung bei rentenberechtigten Hinterlassenen wird kein Verwandtschafts- bzw. Kindesverhältnis vorausgesetzt.


C, geboren 2000, bezieht infolge des Tods ihrer Mutter, die alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge gewesen ist, seit März 2013 eine Waisenrente. Mit Entscheid vom 22. März 2013 wurde S von der Regionalen Berufsbeistandschaft zu ihrem Vormund ernannt. Im Mai 2013 wurde mit F (dem hinterlassenen Ehemann der Mutter von C, mit dem Letztere zuvor gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Halbbruder zusammengelebt hatte) ein Pflegevertrag abgeschlossen, wobei ein Dauerpflegeverhältnis zu einem monatlichen Pflegegeld von Fr. 2‘000.-- vereinbart wurde. Am 28. Mai 2013 meldete S C zum Bezug von Ergänzungsleistungen an. Dieses Gesuch lehnte die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 13. September 2013 ab, wobei sie in die entsprechende Berechnung neben C auch deren Stief- bzw. Pflegevater F und den Halbbruder einbezogen hatte. Die hiergegen erhobene Einsprache, in der im Wesentlichen geltend gemacht worden war, für C sei eine gesonderte Berechnung des Anspruchs vorzunehmen, wies die Ausgleichskasse mit Entscheid vom 12. November 2013 ab. Das Versicherungsgericht weist die hiergegen erhobene Beschwerde ab.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1 Umstritten und zu prüfen ist, ob der Stief- bzw. Pflegevater und der Halbbruder der Beschwerdeführerin, mit denen sie im gemeinsamen Haushalt wohnt, in die Berechnung ihres (der Beschwerdeführerin) Anspruchs einzubeziehen sind oder ob für die Beschwerdeführerin eine gesonderte Berechnung zu erfolgen hat.

2.2 Gemäss Art. 9 Abs. 2 ELG werden die anerkannten Ausgaben sowie die anrechenbaren Einnahmen von Ehegatten und von Personen mit rentenberechtigten Waisen oder mit Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV oder IV begründen, zusammengerechnet. Dies gilt auch für rentenberechtigte Waisen, die im gleichen Haushalt leben. Die jährliche Ergänzungsleistung für rentenberechtigte Hinterlassene wird laut Art. 4 Abs. 1 ELV wie folgt berechnet: Für die zusammenlebenden rentenberechtigten Hinterlassenen erfolgt eine gemeinsame Berechnung (lit. a); leben die rentenberechtigten Hinterlassenen getrennt, so ist die Ergänzungsleistung gesondert zu berechnen (lit. b). Bei einer eigenen Berechnung für Waisen ist das Einkommen von Vater oder Mutter nebst allfälligen Unterstützungsleistungen des Stiefvaters oder der Stiefmutter zu berücksichtigen, soweit es deren eigenen Unterhalt und den der übrigen unterhaltsberechtigten Familienangehörigen übersteigt (Art. 4 Abs. 2 ELV).

2.3 In der Verfügung vom 13. September 2013 hat die Beschwerdegegnerin den Einbezug von Stief- bzw. Pflegevater und Halbbruder in die Berechnung des Anspruchs der Beschwerdeführerin mit Hinweis auf die Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL), Rz. 3133.04 begründet:
„Leben die rentenberechtigten Hinterlassenen (Witwe, Witwer, Waisen) zusammen, erfolgt eine gemeinsame Berechnung der jährlichen EL. Die massgebenden anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen werden zusammengezählt. Diese Regel findet auch Anwendung auf Witwen und Witwer mit Pflegekindern, die beim Tode des Pflegeelternteils Anspruch auf eine Waisenrente haben.“
Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, eine gemeinsame Berechnung könnte nur dann stattfinden, wenn sie beim Tod ihres Stief- bzw. Pflegevaters Anspruch auf eine Waisenrente hätte, was aber nicht der Fall sei. Er habe ihr gegenüber denn auch keine zivilrechtliche Unterhaltspflicht. Sie sei eine Halbwaise, die nicht bei einem rentenberechtigten Elternteil lebe, womit für sie gemäss WEL Rz. 3145.01 („Für Vollwaisen und für Halbwaisen, die nicht bei einem rentenberechtigten Elternteil leben, ist die EL gesondert zu berechnen.“) eine gesonderte Anspruchsberechtigung zu erfolgen habe. Nach Art. 11 Abs. 1 lit. h ELG seien nur familienrechtliche Unterhaltsbeiträge anrechenbar, für die eine zivilrechtliche Rechtspflicht bestehe und die auch tatsächlich einbringbar seien. Nicht als Einnahmen angerechnet würden Unterstützungsbeiträge unter Verwandten sowie private Leistungen mit ausgesprochenem Fürsorgecharakter. Wenn nun das Einkommen und Vermögen des Stief- bzw. Pflegevaters angerechnet werde, obwohl für ihn keine familienrechtliche Unterhaltspflicht bestehe, sei dies rechtswidrig. Im angefochtenen Einspracheentscheid führte die Beschwerdegegnerin diesbezüglich aus, dass die Beschwerdeführerin bei Versterben ihres Stief- bzw. Pflegevaters keinen Anspruch auf eine Waisenrente habe, sei irrelevant, da sie aufgrund des Tods ihrer Mutter eine Waisenrente beziehe. Satz 3 von WEL Rz. 3133.04 sei somit nicht anwendbar. WEL Rz. 3145.01 lasse offen, ob unter dem rentenberechtigten Elternteil auch Stief- und Pflegeeltern zu verstehen seien. Der Verordnungsgeber schliesse dies zumindest nicht aus, verwende Art. 4 ELV doch den Begriff der rentenberechtigten Hinterlassenen und nicht denjenigen von rentenberechtigten Elternteilen.

2.4 Die Auffassung der Beschwerdegegnerin vermag zu überzeugen. So bestimmt Art. 4 Abs. 1 lit. a ELV explizit, dass für zusammenlebende rentenberechtigte Hinterlassene eine gemeinsame Berechnung zu erfolgen hat. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, lebt die Beschwerdeführerin doch mit ihrem Stief- bzw. Pflegevater und ihrem Halbbruder im gemeinsamen Haushalt, wobei sie alle drei infolge des Tods der Mutter der Beschwerdeführerin eine Waisen- bzw. Witwerrente beziehen. Ein verwandtschaftliches Verhältnis zwischen den einzelnen Hinterlassenen (insbesondere ein Kindesverhältnis zwischen Witwer und Halbwaisen) wird vom Gesetz nicht vorausgesetzt. Die Zusammenrechnung gemäss Art. 4 Abs. 1 lit. a ELV ist die Methode, die Höhe der einzelnen EL-Ansprüche der zusammenlebenden Hinterlassenen zu ermitteln (Jöhl, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Band XIV, Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Basel 2007, J. Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, S. 1691 Rz. 80). Daran vermag auch der Hinweis der Beschwerdeführerin auf den dritten Satz von WEL Rz. 3133.04 („Diese Regel findet auch Anwendung auf Witwen und Witwer mit Pflegekindern, die beim Tode des Pflegeelternteils Anspruch auf eine Waisenrente haben.“) nichts zu ändern. Denn wie die Beschwerdegegnerin im angefochtenen Entscheid zu Recht ausgeführt hat, kommt Art. 4 Abs. 1 lit. a ELV (worauf sich WEL Rz. 3133.04 bezieht) vorliegend zur Anwendung, weil die Beschwerdeführerin infolge des Tods ihrer Mutter eine Waisenrente bezieht. Es ist daher irrelevant, dass die Beschwerdeführerin im Falle des Tods ihres Stief- bzw. Pflegevaters keinen Anspruch auf eine Waisenrente hat, wenn die Voraussetzungen von Art. 49 AHVV nicht erfüllt sind. Ebenso wenig vermag die Beschwerdeführerin aus WEL Rz. 3145.01, wonach für Waisen, die nicht bei einem rentenberechtigten Elternteil leben, eine gesonderte Berechnung stattzufinden hat, etwas zu ihren Gunsten abzuleiten. Da Art. 4 Abs. 1 lit. a ELV für die gemeinsame Anspruchsberechnung bei rentenberechtigten Hinterlassenen kein Verwandtschafts- bzw. Kindesverhältnis voraussetzt, erscheint die Auslegung der Beschwerdegegnerin, wonach auch (rentenberechtigte) Stief- bzw. Pflegeeltern unter den Begriff „Elternteil“ zu subsumieren sind, durchaus sachgerecht. Die Beschwerdeführerin hat schon vor dem Tod ihrer Mutter in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrem Stief- bzw. Pflegevater und ihrem Halbbruder gelebt. Dieses Familienleben wird weiterhin fortgesetzt. Es erscheint somit auch im Ergebnis angebracht, dass der Anspruch der Beschwerdeführerin gleich beurteilt wird, wie dies bei einer „normalen Familie“ der Fall wäre. Eine gesonderte Anspruchsberechnung für die Beschwerdeführerin einzig deshalb, weil zwischen dieser und ihrem Stief- bzw. Pflegevater kein Kindesverhältnis besteht, würde zu einem stossenden Ergebnis führen. Hierfür spricht auch der Umstand, dass sogar bei einer gesonderten Berechnung für eine Waise gemäss Art. 4 Abs. 2 ELV Einkommen des (Stief-)Elternteils zu berücksichtigen ist, soweit dieses den Unterhalt der übrigen unterhaltsberechtigten Familienmitglieder übersteigt. Bei einem gemeinsamen Haushalt von Stiefeltern und Stiefkindern erscheint eine gemeinsame Berechnung somit angezeigt.

Entscheid des Versicherungsgerichts VV.2013.379/E vom 22. Januar 2014

Das Bundesgericht hat eine dagegen erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil 9C_151/2014 vom 22. August 2014 abgewiesen.

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