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TVR 2018 Nr. 15

Unterschutzstellung; Abweichen von einem von der Verwaltung eingeholten Gutachten


§ 2 Abs. 1 und 2 TG NHG, § 10 TG NHG


Liegen triftige Gründe für das Abweichen von einem von der Verwaltung in Auftrag gegebenen Gutachten vor und ist ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Unterschutzstellung eines Objekts zu verneinen, so ist auf eine Unterschutzstellung zu verzichten. Von Relevanz kann dabei namentlich auch das öffentliche Interesse an der vom Raumplanungsrecht geforderten inneren Verdichtung und haushälterischen Bodennutzung sein.


Die A AG ist Eigentümerin der Liegenschaft Nr. XX in B. Die Liegenschaft befindet sich zur Hauptsache in der Wohnzone WG2 und bildet Bestandteil des Perimeters des Gestaltungsplans C. Auf der Liegenschaft befindet sich das Wohnhaus „Villa D“. Dieses Gebäude wurde 1961 erbaut und vom Architekten E im Auftrag des Unternehmers F geplant. Im kantonalen Hinweisinventar war es bis Mitte März 2017 mit der Einstufung „bemerkenswert nach 1959“ und ist seither als „wertvoll“ eingetragen. Im Schutzplan der erhaltenswerten Natur- und Kulturobjekte der Politischen Gemeinde B ist das Gebäude nicht enthalten. Am 16. März 2016 ersuchte die A AG um Nicht­unterschutzstellung der „Villa D“. Mit Entscheid vom 31. März 2016 hiess die Politische Gemeinde B das Gesuch gut und beschloss, dass das Gebäude nicht unter Denkmalschutz gestellt werde. Die Politische Gemeinde B erachtete ein zuvor erstelltes architekturgeschichtliches Gutachten von F vom April 2013 als nicht überzeugend, weshalb sie ein weiteres Gutachten durch die beiden Rechtsanwälte G und H ausarbeiten liess. Gemäss deren Beurteilung vom 22. Juni 2013 empfahlen diese, auf eine Schutzanordnung zu verzichten, da es sich bei der „Villa D“ nicht um ein unverzichtbares Dokument der Zeitgeschichte handle und die Unterschutzstellung nicht verhältnismässig wäre. Einen dagegen vom Verein K erhobenen Rekurs hiess das DBU gut, hob den Entscheid der Politischen Gemeinde B auf und stellte die „Villa D“ unter Denkmalschutz. Dagegen erhoben die Politische Gemeinde B und die A AG Beschwerde. Das Verwaltungsgericht heisst beide Beschwerden gut und hebt den Unterschutzstellungsentscheid des DBU auf.

Aus den Erwägungen:

2.2
2.2.1 Gemäss § 1 Abs. 1 TG NHG sind Natur und Landschaft sowie das kultur-geschichtliche Erbe, insbesondere erhaltenswerte Objekte, zu schützen und zu pflegen. Erhaltenswerte Objekte können unter anderem sein: Siedlungen, Siedlungsteile, Baugruppen, Bauten, Bauteile oder Anlagen samt Ausstattung und Umgebung von kulturgeschichtlicher Bedeutung, die sich zum Beispiel durch architektonisch-formale oder handwerkliche Qualitäten auszeichnen (§ 2 Abs. 1 Ziff. 4 TG NHG). Hinweise auf erhaltenswerte Objekte ergeben sich vor allem aus Inventaren, Sach- und Richtplänen des Bundes, des Kantons und der Gemeinden (§ 2 Abs. 2 TG NHG). Den Schutz und die Pflege erhaltenswerter Objekte sichern in erster Linie die Gemeinden durch Reglemente oder Nutzungspläne nach Baugesetz. Zum gleichen Zweck können die Gemeindebehörden durch Entscheide Anordnungen über erhaltenswerte Einzelobjekte treffen (§ 10 Abs. 1 TG NHG). Die Anordnungen der Gemeinden können in Eingliederungs- oder Gestaltungsvorschriften, Abbruchverboten, Nutzungsbeschränkungen, umfassenden Eingriffsverboten oder Bewirtschaftungsvorschriften bestehen. Sie haben den Grundsatz der Verhältnismässigkeit in sachlicher und örtlicher Hinsicht zu wahren (§ 10 Abs. 2 TG NHG; TVR 2016 Nr. 9, E. 3.1).

2.2.2 Massnahmen zum Zweck des Baudenkmalschutzes sind immer mit Eigentumsbeschränkungen verbunden, weshalb die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) im Zentrum gerichtlicher Überprüfungen bei Unterschutzstellungen steht (Engeler, Das Baudenkmal im schweizerischen Recht, Zürich/St. Gallen 2008, S. 176). Die Einschränkung der Eigentumsgarantie ist zulässig, wenn dafür eine gesetzliche Grundlage sowie ein öffentliches Interesse bestehen und die Massnahme verhältnismässig ist (Art. 36 BV; TVR 2016 Nr. 9, E. 3.2).

2.2.3 Eigentumsbeschränkungen zum Schutz von Baudenkmälern liegen allgemein im öffentlichen Interesse. Wie weit dieses öffentliche Interesse reicht, insbesondere in welchem Ausmass ein Objekt denkmalpflegerischen Schutz verdient, ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Objekt Schutz verdient, hat eine sachliche, auf wissenschaftlichen Kriterien abgestützte Gesamtbeurteilung Platz zu greifen, welche den kulturellen, geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Zusammenhang eines Bauwerks mitberücksichtigt. Eine Baute soll als Zeuge und Ausdruck einer historischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Situation erhalten bleiben. Da Denkmalschutzmassnahmen oftmals mit schwerwiegenden Eigentumseingriffen verbunden sind, dürfen sie aber nicht lediglich im Interesse eines begrenzten Kreises von Fachleuten erlassen werden. Sie müssen breiter abgestützt sein und von einem grösseren Teil der Bevölkerung befürwortet werden, um Anspruch auf eine gewisse Allgemeingültigkeit erheben zu können (Urteil des Bundesgerichts 1C_553/2010 vom 23. Februar 2011 E. 2.1, BGE 120 Ia 270 E. 4a, TVR 2014 Nr. 13, E. 2.2.2). Das Bundesgericht nimmt die Güterabwägung, ob das öffentliche Interesse an einer denkmalpflegerischen Schutzmassnahme private oder andere öffentliche Interessen überwiegt, regelmässig unter dem Aspekt des öffentlichen Interesses und nicht innerhalb der Verhältnismässigkeitsprüfung vor. Damit hebt das Bundesgericht hervor, dass eine grundrechtseinschränkende Schutzmassnahme als grundlegende Voraussetzung das private und auch andere öffentliche Interessen überwiegen muss. Diese Vorgehensweise geht einerseits auf den gesetzlichen Denkmalpflegebegriff ein, der verlangt, dass nur herausragende Objekte Schutz verdienen. In diesem Prüfungsschritt untersucht das Bundesgericht detailliert, welche einzelnen Teile eines betroffenen Objekts schutzwürdig sind und welche nicht. Andererseits wird die Frage der Erhaltung eines Schutzobjekts den vielfältigen anderen, vorab rechtlichen Interessen gegenübergestellt. Erst das Resultat dieser Triage wird anschliessend in der Verhältnismässigkeitsprüfung insgesamt auf seine Zumutbarkeit geprüft (Engeler, a.a.O., S. 188; TVR 2016 Nr. 9, E. 3.3).

3.
3.1 (…)

3.2 Vorweg ist auf die Einstufung(en) des streitbetroffenen Objekts im Hinweisinventar einzugehen.

3.2.1 (…)

3.2.2 Wie sich den (vormaligen) Erläuterungen des Amtes für Denkmalpflege zu den Einstufungskategorien im Hinweisinventar entnehmen lässt, betrafen die als „bemerkenswert nach 1959“ eingestuften Objekte Gebäude von herausragender architektonischer Gestaltung, Konstruktion oder Funktion oder Vertreter eines besonderen Bautyps. Als „Empfehlung“ wurde angeführt, dass eine besondere Sorgfalt bei allen baulichen Massnahmen zu beachten sei. Der im Internet (…) abrufbaren neuen Version der Einstufungskategorien bzw. der entsprechenden Erläuterungen zum „Hinweisinventar Bauten“ ist zu entnehmen, dass die Kategorie „bemerkenswert nach 1959“ nicht mehr existiert. Die entsprechenden Objekte wurden mit der Mutation (welche für das streitbetroffene Gebäude auf der Liegenschaft Nr. XX offensichtlich Mitte März 2017 stattfand) neu den Einstufungskategorien „besonders wertvoll“, „wertvoll“ oder „aufgenommen“ zugeordnet. Das vorliegend streitbetroffene Objekt ist neu als „wertvoll“ eingetragen. (…)

3.2.3 Gemäss verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung ist das kantonale Hinweisinventar nicht behördenverbindlich. Bei der Prüfung des Erlasses einer allfälligen Schutzanordnung ist die Einstufung im Inventar nur einer von vielen Aspekten, welche in einer umfassenden Interessenabwägung zu berücksichtigen sind (TVR 2014 Nr. 13, E. 2.3). Die Unterschutzstellung von Objekten, die im Hinweisinventar als „besonders wertvoll“ oder „wertvoll“ eingestuft sind, ist folglich nicht zwingend. Dessen ungeachtet hat die Einstufung eines Gebäudes als „wertvoll“ nach wie vor für deren Schutzwürdigkeit eine erhebliche Bedeutung. Das Hinweisinventar bildet die „Grundlage und Leitlinie bei der Auswahl erhaltenswerter Objekte“ (TVR 2016 Nr. 9, E. 3.4.2).

3.2.4 Ungeachtet dessen, dass die Änderung der Einstufung des strittigen Objekts von „bemerkenswert nach 1959“ zu „wertvoll“ Mitte März 2017 und damit unmittelbar nach Erlass des vorliegend angefochtenen Rekursentscheids vom 9. März 2017 erfolgte, kann allein aus diesem Umstand nicht abgeleitet werden, dass dem Objekt kein Schutzwert zukommt. (…) Gemäss der zitierten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist mithin auch aufgrund der Einstufung in die Kategorie „wertvoll“ nicht zwingend davon auszugehen, dass eine Unterschutzstellung des Objekts erfolgen muss. Vielmehr ist diese Einstufung lediglich ein Aspekt im Rahmen einer gesamthaften Interessenabwägung, wie die Beschwerdeführerinnen zu Recht geltend machen. Gleichsam ist festzuhalten, dass die Einstufung in die Kategorie „wertvoll“ durchaus ein Indiz für einen gewissen denkmalpflegerischen Schutzwert des Gebäudes darstellt.

3.3 Die Beurteilung der Schutzwürdigkeit bzw. des Schutzwertes des strittigen Gebäudes durch die Beschwerdeführerin 1 (Politische Gemeinde B) und die Vorinstanz bzw. das Amt für Denkmalpflege erfolgte, wie erwähnt, im Wesentlichen gestützt auf die drei folgenden Dokumente: das architekturgeschichtliche Gutachten von F vom April 2013, die Beurteilung der Schutzwürdigkeit der „Villa D“ durch die Rechtsanwälte G und H vom 22. Juni 2013 und das Gutachten zur Schutzwürdigkeit der Firma N vom 7. Juli 2017. Diese Gutachten/Beurteilungen wurden allesamt durch die Beschwerdeführerin 1 in Auftrag gegeben.

3.3.1 - 3.3.3 (Wiedergabe der Beurteilungen/Schlussfolgerungen in den drei Gutachten/Beurteilungen F, G/H und N)

3.4 Sowohl das Verwaltungsverfahren wie auch das Verwaltungsstreitverfahren (und damit das Rekurs- bzw. Beschwerdeverfahren) sind bestimmt vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Fedi/Meyer/Müller, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, Basel 2014, § 16 N. 1). Dieser Grundsatz besagt, dass die Behörde nicht an bestimmte starre Beweisregeln gebunden ist. Die Gewichtung der einzelnen Beweismittel soll sich aus ihrer inneren Qualität, das heisst aus der anzunehmenden Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, ergeben und nicht durch deren äussere Eigenart (Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 16 N. 2). Zu prüfen ist vorliegend der Beweiswert der einzelnen Gutachten/Beurteilungen.

3.4.1 Das Gutachten F vom April 2013 wurde im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vor Erlass des Entscheids vom 31. März 2016 erstellt. Da die Beurteilung der Schutzwürdigkeit eines Objekts/Gebäudes besondere Fach- und Sachkenntnisse voraussetzt, war das Einholen eines entsprechenden Fachgutachtens gestützt auf § 12 Abs. 1 VRG ohne weiteres zulässig (vgl. Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 12 N. 17). Die Beschwerdeführerin 1 als zuständige erstinstanzliche Verwaltungsbehörde erachtete das Gutachten F gemäss den Erwägungen im Entscheid vom 31. März 2016 jedoch in mehrfacher Hinsicht als nicht überzeugend, weshalb sie bei den Rechtsanwälten G und H eine Prüfung der Schutzwürdigkeit der „Villa D“ veranlasste.

3.4.2 In dieser Beurteilung G/H nahmen die beiden Rechtsanwälte/Juristen einerseits zur fachlichen Einschätzung von F bzw. zur kulturgeschichtlichen Bedeutung des strittigen Objekts Stellung. Zusätzlich nahmen sie eine Gegenüberstellung der beteiligten privaten und öffentlichen Interessen sowie eine Interessenabwägung vor. Insgesamt gelangten sie zum Schluss, dass „bei dieser Rechts- und Sachlage“ auf eine Unterschutzstellung der „Villa D“ zu verzichten und der Abbruch zu bewilligen sei. Hinsichtlich dieser Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den beiden Rechtsanwälten G und H nicht um Kulturhistoriker (bzw. Fachleute aus dem Bereich der Denkmalpflege an sich), sondern um Juristen handelt. Zudem nahmen sie nicht nur eine denkmalpflegerisch-fachliche Einschätzung, sondern auch eine rechtliche Beurteilung vor, was grundsätzlich nicht Gegenstand eines Sachverständigen-Gutachtens sein kann. Einem Sachverständigen sind nämlich lediglich Sach- und keine Rechtsfragen zu unterbreiten; die Beantwortung Letzterer obliegt zwingend der Behörde (Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 12 N. 17; vgl. auch Plüss, in: Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG], 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, § 7 N. 68). Der Beurteilung G/H vom 22. Juni 2013 kommt vor diesem Hintergrund mit Blick auf die Frage der Schutzwürdigkeit der „Villa D“ nicht die Qualität eines eigentlichen Fachgutachtens im Sinne von § 12 Abs. 1 VRG zu. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die in dieser Beurteilung untersuchten Aspekte durch die Beschwerdeführerin 1 bei ihrem Entscheid - zumindest hilfsweise - mitberücksichtigt werden durften, wobei die rechtliche Beurteilung letztlich der Behörde oblag.

3.4.3 Das Gutachten N vom 7. Juli 2017 wurde sodann ebenfalls durch die Beschwerdeführerin 1 veranlasst, dies allerdings während des Rechtsmittelverfahrens bzw. nur kurze Zeit nachdem der vorliegend angefochtene Rekursentscheid vom 9. März 2017 ergangen war. In jenem Zeitpunkt lag die Entscheidkompetenz über die Streitsache nicht mehr bei der Beschwerdeführerin 1, sondern bei der zuständigen Rechtsmittelbehörde. Das Gutachten N vom 7. Juli 2017 ist folglich als Parteigutachten zu qualifizieren.

3.5 Ein Parteigutachten besitzt in beweisrechtlicher Hinsicht nicht den gleichen Rang wie ein von der (im massgeblichen Zeitpunkt zuständigen) Behörde nach dem vorgegebenen Verfahrensrecht eingeholtes Gutachten. Indessen ist die zuständige Behörde gleichwohl verpflichtet, den von der Rechtsprechung aufgestellten Richtlinien für die Beweiswürdigung folgend, zu prüfen, ob das Parteigutachten in rechtserheblichen Fragen die Auffassungen und Schlussfolgerungen des von der Behörde förmlich bestellten Gutachters derart zu erschüttern vermag, dass davon abzuweichen ist (vgl. Fedi/Meyer/ Müller, a.a.O., § 16 N. 4, sowie Plüss, a.a.O., § 7 N. 148, je mit weiteren Hinweisen). Zu beachten ist weiter, dass eine Behörde auch an die Schlussfolgerungen eines (förmlich eingeholten) Sachverständigen-Gutachtens nicht zwingend gebunden ist. Weicht sie in Fachfragen vom Gutachten ab, so darf sie dies allerdings nicht ohne triftige Gründe tun und muss die Abweichungen begründen. Das Abstellen auf nicht schlüssige Gutachten kann gegen Art. 9 BV (Willkürverbot) verstossen, so wenn gewichtige, zuverlässig begründete Tatsachen oder Indizien die Überzeugungskraft des Gutachtens ernstlich erschüttern (Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 16 N. 4, mit Verweis auf BGE 128 I 81 E. 2). Triftige Gründe in diesen Sinne liegen etwa vor, wenn das Gutachten Irrtümer, Lücken oder Widersprüche enthält, wenn die Glaubwürdigkeit des Gutachtens durch die Umstände ernsthaft erschüttert ist, die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft erscheint, wenn der Gutachter seine Erkenntnisse nicht begründet oder die ihm gestellten Fragen nicht beantwortet hat (vgl. Plüss, a.a.O., § 7 N. 147 mit weiteren Hinweisen).

3.6 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin 1 eingeholten Gutachten/Beurteilungen folgendes Bild:

3.6.1 Die Ergebnisse des Gutachtens F - und daraus folgernd auch die aktuelle Einstufung des streitbetroffenen Gebäudes im Hinweisinventar - werden nicht nur in der Beurteilung G/H vom 22. Juni 2013, sondern vor allem auch im Gutachten N vom 7. Juli 2017 (…) in Frage gestellt bzw. kritisiert. Auch wenn es sich beim Gutachten N um ein Parteigutachten der Beschwerdeführerin 1 handelt, ergeben sich daraus bezüglich der Frage der Schutzwürdigkeit bzw. des Schutzwertes der „Villa D“ doch erhebliche Anhaltspunkte, die gegen die vom Gutachter F attestierte Schutzwürdigkeit sprechen. So wird im Gutachten N überzeugend ausgeführt, dass der „Villa D“ zwar architektonische Zeugeneigenschaft zukomme und der Erhaltungszustand, was die äussere Erscheinung betreffe, sehr authentisch sei. Weiter führen die N-Gutachter aber aus, dass die Gestaltung der Details und der räumlichen Konzeption der „Villa D“ dabei aber nicht höchstes baukünstlerisches Niveau erreiche bzw. diese kein Gesamtkunstwerk darstelle. (…). Die „Villa D“ zeuge von der Breitenwirkung der modernistischen Architektursprache zu Beginn der 1960er Jahre und sei kein Avantgarde-Bau. In ortsbaulicher und siedlungsgeschichtlicher Hinsicht sei das Wohnhaus von untergeordneter Bedeutung. Städtebauliche Gestaltungsprinzipien seien nicht erkennbar.

3.6.2 (Wiedergabe einer Stellungnahme der Firma N vom 7. Juli 2017 zum Gutachten F, gemäss welcher etwa der Gutachter F Fassaden und Innenräume zwar recht ausführlich beschreibe, aber darauf verzichte, die späteren Veränderungen im Innern zeitlich einzuordnen; ebenso fehle eine qualitative Würdigung des ursprünglichen Ausstattungsbestands; der Gutachter F nenne mehrere Vergleichsbeispiele, verzichte aber auf eine wertende Beurteilung)

3.7
3.7.1 Das Gutachten N wie auch die Stellungnahme vom 7. Juli 2017 zeigen die erheblichen Lücken und Mängel des Gutachtens F auf. (…) Wenn die N-Gutachter die Schutzwürdigkeit namentlich damit verneinen, dass mit der „Villa D“ kein Gesamtkunstwerk und Avantgarde-Bau besteht und das Gebäude auch in ortsbaulicher und siedlungsgeschichtlicher Hinsicht nur von untergeordneter Bedeutung ist, so erweist sich dies als durchaus nachvollziehbar, zumal umgekehrt im Gutachten F auf diverse andere Bauten der Nachkriegsmoderne im Kanton Thurgau verwiesen wird, ohne dass der besondere Zeugniswert der „Villa D“ im Vergleich zu diesen anderen Objekten substantiiert dargelegt würde. (…) Insgesamt erweist sich das N-Gutachten, auch wenn es sich dabei um ein Parteigutachten handelt, als schlüssig und nachvollziehbar. Insbesondere ergeben sich daraus triftige Gründe, aufgrund welcher bezüglich der Frage der Schutzwürdigkeit bzw. des Schutzwertes der „Villa D“ vom Ergebnis des Gutachtens F abzuweichen ist. Anlässlich des Augenscheins des Verwaltungsgerichts vom 6. Dezember 2017 bestätigte sich auch der Eindruck, dass die Unterschutzstellung der „Villa D“ - wenn überhaupt - lediglich im Interesse eines begrenzten Kreises von Fachleuten liegen und kaum breiter abgestützt sein bzw. von einem grösseren Teil der Bevölkerung befürwortet werden dürfte (vgl. TVR 2016 Nr. 9, E. 3.3 mit weiteren Hinweisen auf die bundesgerichtliche und kantonale Rechtsprechung). (…)

3.7.2 In ortsbaulicher und siedlungsgeschichtlicher Hinsicht ist das Wohngebäude von untergeordneter Bedeutung. Ebenfalls von untergeordneter Bedeutung bzw. in Fachkreisen nahezu unbekannt ist der Architekt E (…)

3.7.3 und 3.7.4 (…)

3.8 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass erhebliche und triftige Gründe bestehen, um von den Ergebnissen des Gutachtens F bezüglich der Frage der Schutzwürdigkeit bzw. des Schutzwertes der „Villa D“ abzuweichen. Nachvollziehbar und schlüssig sind demgegenüber die Schlussfolgerungen gemäss dem (Partei)Gutachten N. Aus diesem ergibt sich, dass die streitbetroffene „Villa D“ keinen die Schutzwürdigkeit begründenden Schutzwert aufweist. Der entscheidrelevante Sachverhalt ist diesbezüglich mit den im Recht liegenden Gutachten/Beurteilungen ausreichend abgeklärt. Angesichts der nachvollziehbaren und schlüssigen Einschätzungen des N-Gutachtens erübrigt sich auch die Einholung eines Obergutachtens. Ein solches würde mithin nicht zu entscheidrelevanten Erkenntnissen führen, weshalb auf ein solches in antizipierter Beweiswürdigung verzichtet werden kann. Die Beschwerde erweist sich bereits aus diesem Grunde als begründet. Mangels Schutzwürdigkeit der „Villa D“ wurde diese durch die Vor­instanz zu Unrecht unter Denkmalschutz gestellt. Der angefochtene Rekursentscheid ist daher bereits aus diesem Grunde aufzuheben.

4.
4.1 Selbst wenn jedoch von einem erhöhten Schutzwert der „Villa D“ - entsprechend den Schlussfolgerungen im Gutachten F - ausgegangen würde, das heisst unter der Annahme, dass es sich beim streitbetroffenen Gebäude um einen architekturgeschichtlich bedeutenden Zeugen der Nachkriegsmoderne handeln würde, müsste aufgrund überwiegender öffentlicher und privater Interessen vorliegend von einer Unterschutzstellung abgesehen werden. (…)

4.2 Wie erwähnt, ist die „Villa D“ im Hinweisinventar aktuell in der Kategorie „wertvoll“ eingestuft (vormals „bemerkenswert nach 1959“). Als solche werden gemäss den Erläuterungen des Amtes für Denkmalpflege Gebäude und Anlagen, die im Ortsganzen als bedeutende Kulturzeugnisse hervortreten, qualifiziert. Sie zeichnen sich aus durch besondere architektonische Gestaltung, seltene Konstruktion, handwerkliche Meisterleistung, seltene Nutzart oder hohes Alter, als typischer Vertreter einer Epoche oder Region, durch kunstvolle Ausstattung oder hervorragende Situation in einer Siedlung, Baugruppe oder Landschaft. Als Erhaltungsziel wird die Erhaltung der wesentlichen Elemente mit geschichtlichem Zeugniswert definiert. Diese Besonderheit des strittigen Objekts wäre - auch wenn auf das Gutachten F abgestellt würde - vorliegend lediglich aufgrund der besonderen architektonischen Gestaltung und des Umstandes, dass das Gebäude ein typischer Vertreter der Nachkriegsmoderne darstellt, gegeben. Die „Villa D“ weist jedoch weder eine seltene Konstruktion, noch eine handwerkliche Meisterleistung, eine seltene Nutzart oder ein hohes Alter aus; ebenso wenig ist eine kunstvolle Ausstattung oder eine hervorragende Situation in einer Siedlung, Baugruppe oder Landschaft gegeben. Der Schutzwert des Objekts ist, selbst wenn auf das Gutachten F abgestellt würde, entsprechend zu relativieren. (…)

4.3 Diesem öffentlichen/denkmalpflegerischen Interesse sind die anderen öffentlichen und privaten Interessen gegenüberzustellen.

4.3.1 Im Vordergrund steht das öffentliche Interesse an der haushälterischen Nutzung des Bodens. So wird das raumplanerische Interesse an der Siedlungsentwicklung nach innen als von nationaler Bedeutung angesehen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_118/2016 vom 21. März 2017 E. 6). Gemäss Art. 1 Abs. 2 lit. abis RPG unterstützen Bund, Kantone und Gemeinden mit Massnahmen der Raumplanung insbesondere die Bestrebungen, die Siedlungsentwicklung nach innen zu lenken, unter Berücksichtigung einer angemessenen Wohnqualität. Nach lit. b dieser Bestimmung sind mit entsprechenden Massnahmen - als weiteres Ziel der Raumplanung - auch kompakte Siedlungen zu schaffen.

(Ausführungen zu den raumplanerischen Vorgaben und Zielsetzungen für die Nutzungsplanung auf dem Gemeindegebiet der Beschwerdeführerin 1, so die Förderung der inneren Verdichtung und die Schliessung von Baulücken)

Daraus ergibt sich, dass aus raumplanerischer Sicht ein erheblicher Druck auf die Beschwerdeführerin 1 zur Förderung der inneren Verdichtung besteht. Dies betrifft insbesondere auch die Liegenschaft Nr. XX. Diese ist für die Beschwerdeführerin 1 in raumplanerischer Hinsicht von grosser Bedeutung, um die gemäss kantonalem Richtplan vorgegebene Mindestdichte von 86 Raumnutzern pro Hektare zu erreichen, zumal die aktuelle Raumnutzerdichte in den WMZ-Zonen der Beschwerdeführerin 1 aktuell lediglich 66 Raumnutzer pro Hektare beträgt.

4.3.2 Im Hinblick auf die Erarbeitung eines neuen Gestaltungsplans für die Überbauung der rund 14‘000 m2 grossen Liegenschaft Nr. XX wurde die Beschwerdeführerin 2 von der Beschwerdeführerin 1 angehalten, einen Wettbewerb nach SIA-Norm 143 durchzuführen. Die im Rahmen dieses Wettbewerbsverfahrens eingereichten fünf Studien gelangten zum Ergebnis, dass eine geeignete Überbauung nur erfolgen kann, wenn die strittige „Villa D“ abgebrochen wird. Die Fachjury empfahl das Projekt „P“ zur Weiterbearbeitung und Realisierung. Bei den möglichen Überbauungen der Liegenschaft Nr. XX sind nicht zuletzt auch die einzuhaltenden Wald- bzw. Ufergehölzabstände und Gewässerabstände zu berücksichtigen, welche im Falle einer Unterschutzstellung der „Villa D“ zusätzlich zum erheblichen Umgebungsschutz-Abstand miteinbezogen werden müssten. Im Hinblick auf eine künftige Überbauung der Liegenschaft Nr. XX sind zudem die gute Erschliessungssituation, namentlich in Form einer mehr oder weniger direkten Fuss- bzw. Velowegverbindung zum Bahnhof von knapp 1,5 km (…) und einer nahen Bushaltestelle (…), die nahen Schulbauten (…) mit grosszügigen Sportanlagen, die öffentlichen Schwimm- bzw. Strandbäder (…) etc. zu berücksichtigen.

4.3.3 Nebst diesen öffentlichen raumplanerischen Interessen im Sinne der Förderung der inneren Verdichtung sind seitens der Beschwerdeführerin 2 auch erhebliche - und legitime - private Interessen zu berücksichtigen, welche der Unterschutzstellung entgegenstehen. (…) Eine zeitgemässe Nutzung würde den Rückbau auf die Tragstruktur bedingen, was zweifelsohne mit sehr hohen Kosten verbunden wäre. Auch diese finanziellen Aspekte stehen als private Interessen einer Unterschutzstellung entgegen. Sodann umriss die Beschwerdeführerin 1 in der Beschwerdeeingabe vom 30. März 2017 auch insofern ein realistisches Szenario, als ausreichend finanzstarke Interessenten kaum eine Liegenschaft an diesem Ort und in diesem Zustand erwerben dürften, nachdem mit derart hohen Investitionen zur Bewohnbarmachung gerechnet werden müsste, dies umso mehr, als im Falle einer Überbauung der Restliegenschaft der für die Wohnqualität wichtige Freiraum gegen Süden verbaut würde.

4.4 Als weiteres Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass überwiegende öffentliche Interessen, vor allem raumplanerischer Natur, sowie private/finanzielle Interessen den öffentlichen/denkmalpflegerischen Interessen an der Unterschutzstellung der „Villa D“ entgegenstehen. Selbst wenn dem streitbetroffenen Gebäude ein Schutzwert entsprechend dem Gutachten F beizumessen wäre, müsste eine Unterschutzstellung als unverhältnismässig qualifiziert werden.

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2017.48/VG.2017.49/E vom 21. März 2018

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