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TVR 2018 Nr. 30

Festlegung statischer Waldgrenzen ausserhalb der Bauzone; Waldfeststellungsplan; Wald im Rechtssinne


§ 2 TG WaG, Art. 2 WaG, Art. 10 WaG, Art. 1 WaV, Art. 12 a WaV


1. Definition des dynamischen Waldbegriffs und Abgrenzung zwischen den Instrumenten des Waldfeststellungsplans und der Festlegung statischer Waldgrenzen (E. 2 und E. 3).

2. Darlegung und Prüfung der Voraussetzungen von Wald im Rechtssinne (E. 5).


A und B sind Eigentümer der Liegenschaft Nr. XXX, Grundbuch Z. Die südwestliche Ecke dieser Liegenschaft ist der Wohnzone zweigeschossig in Hanglage und die daran angrenzende nördliche Teilfläche der Landschaftsschutzzone zugewiesen. Der östliche Teil der Liegenschaft Nr. XXX ist im Zonenplan als Wald deklariert. Vom 1. September 2014 bis 30. September 2014 legte das DBU den Waldfeststellungsplan „Politische Gemeinde Z“ öffentlich auf, mit welchem für das ganze Gemeindegebiet die statischen Waldgrenzen ausserhalb der Bauzonen nach Art. 12a WaV festgelegt wurden. Dies betraf unter anderem auch die Liegenschaft Nr. XXX und die westlich angrenzende Liegenschaft Nr. YYY. Gegen den Waldfeststellungsplan erhoben A und B sowie der Eigentümer der Liegenschaft Nr. YYY Einsprache beim DBU. Dies führte zu einer Neuauflage eines Teils des Waldfeststellungsplans, wogegen A und B sowie der Eigentümer der Liegenschaft Nr. YYY Einsprache erhoben. Das DBU wies die Einsprachen ab, soweit es sie nicht zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abschrieb. Die dagegen erhobene Beschwerde von A und B weist das Verwaltungsgericht ab.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1 In der Schweiz gilt grundsätzlich der dynamische Waldbegriff. Erfüllt eine Fläche die Anforderungen von Art. 2 WaG, gilt sie als Wald. Wer ein schutzwürdiges Interesse nachweist, kann vom Kanton feststellen lassen, ob eine Fläche Wald ist (Art. 10 Abs. 1 WaG). Laut Art. 12 WaV, der sich ausdrücklich auf Art. 10 Abs. 1 WaG bezieht, hält die Waldfeststellungsverfügung fest, ob eine bestockte oder unbestockte Fläche Wald ist oder nicht und gibt deren Koordinaten an. Sie bezeichnet in einem Plan Lage und Ausmasse des Waldes sowie die Lage der berührten Grundstücke. Gemäss Art 10 Abs. 2 WaG ist beim Erlass und bei der Revision von Nutzungsplänen nach dem Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung eine Waldfeststellung anzuordnen in Gebieten, in denen Bauzonen an den Wald grenzen oder in Zukunft grenzen sollen (lit. a) sowie ausserhalb der Bauzonen, in denen der Kanton eine Zunahme des Waldes verhindern will (lit. b). Gebiete, in denen der Kanton eine Zunahme des Waldes verhindern will, sind im kantonalen Richtplan zu bezeichnen (Art. 12a WaV).

2.2
2.2.1 Bis zum Inkrafttreten der Änderungen des WaG vom 16. März 2012 am 1. Juli 2013 (…) war es lediglich möglich, Bauzonen und Wald voneinander zu trennen und da­zwischen eine statische Waldgrenze festzulegen (Art. 10 Abs. 2 sowie Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 WaG, in der bis am 30. Juni 2013 geltenden Fassung). Mit dem neu eingeführten Art. 10 Abs. 2 lit. b WaG wurde die Möglichkeit geschaffen, den dynamischen Waldbegriff auch in Gebieten ausserhalb der Bauzonen, in denen die Kantone eine Zunahme der Waldfläche verhindern wollen, aufzuheben und durch eine statische Waldgrenze zu ersetzen (vgl. hierzu den Bericht der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats vom 3. Februar 2011 über die Parlamentarische Initiative „Flexibilisierung der Waldflächenpolitik“; 09.474, BBl 2011 4418 f.). Mit der teilweisen Aufhebung des dynamischen Waldbegriffs soll den Kantonen die Möglichkeit gegeben werden, in Gebieten, wo sie eine Zunahme der Waldfläche verhindern wollen, eine statische Waldgrenze festzulegen. In Ergänzung zur Flexibilisierung des Rodungsersatzes soll diese Öffnung des dynamischen Waldbegriffs ebenfalls dazu beitragen, die unerwünschte Waldflächenzunahme zu bremsen und eine optimale Landschaftsentwicklung zu ermöglichen (Bericht der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats vom 3. Februar 2011 über die Parlamentarische Initiative „Flexibilisierung der Waldflächenpolitik“; 09.474, BBl 2011 4399).

2.2.2 Der Waldfeststellungsplan und die Festlegung einer statischen Waldgrenze, um die es vorliegend geht, sind zwei unterschiedliche Instrumente. Der Waldfeststellungsplan hält fest, in welchen Gebieten der Waldbegriff nach den Kriterien des dynamischen Waldbegriffs erfüllt ist. Wird eine statische Waldgrenze gegenüber einem Nichtbaugebiet definiert, so ändert diese Grenze grundsätzlich nichts an den bereits bestehenden Waldfeststellungsplänen nach Art. 12 Abs. 2 WaV. Es wird lediglich für gewisse Gebiete festgelegt, dass dort der dynamische Waldbegriff nicht mehr gelten soll. Neue Bestockungen ausserhalb dieser Waldgrenzen gelten dann nicht mehr als Wald (Art. 13 Abs. 2 WaG). Das Festlegen statischer Waldgrenzen (ausserhalb der Bauzone) ist erst seit 1. Juli 2013 überhaupt möglich und kann unabhängig von der Feststellung der Waldflächen geschehen. Mit dem Instrument von Art. 10 Abs. 2 lit. b WaG soll die Zunahme der Waldfläche verhindert werden, indem eine Grenze definiert wird, bis wohin sich der Wald maximal ausdehnen darf. Es versteht sich von selbst, dass eine solche Grenze entweder mit dem geltenden Waldfeststellungsplan übereinstimmen muss oder dann allenfalls darüber hinaus ausgedehnt werden kann. Demgegenüber ist die Festlegung der statischen Waldgrenze innerhalb eines rechtskräftig festgestellten Waldgebietes gar nicht möglich, denn der Wald hat sich bereits über diese Grenze hinaus ausgedehnt und gilt auch dort im Rechtssinne als Wald. Eine Reduktion der rechtskräftig festgelegten Waldfläche im Verfahren der nachträglichen Festlegung einer statischen Waldgrenze innerhalb dieser Fläche ist nicht möglich. Solches kann nur im Verfahren der Waldfeststellung nach Art. 10 Abs. 1 WaG i. V. mit Art. 12 WaV erreicht werden, wenn diese mit dem Ergebnis endet, dass eine Liegenschaftsfläche nicht Wald im Rechtssinne ist.

3. Im vorliegenden Fall besteht ein Waldfeststellungsplan vom 16. August 2002, welcher der Abgrenzung von Wald und Bauzone gemäss Art. 10 und Art. 13 WaG (in der bis am 30. Juni 2013 geltenden Fassung) diente. Er zog demzufolge nur dort eine rot markierte, mit Koordinaten versehene Linie, wo Wald im Rechtssinne an eine Zone des Baugebietes anstiess. Im Detailplan (…) beschränkte sich diese rote Linie auf die westlich von der Liegenschaft Nr. XXX befindlichen Liegenschaften (…). Auf den östlich anschliessenden Liegenschaften Nrn. WWW, YYY und XXX (westlicher Spickel) wurde unmittelbar angrenzend an die Bauzone demgegenüber kein Wald im Rechtssinne festgestellt. Dies hatte die Rechtswirkung, dass im Bereich dieser drei letztgenannten Liegenschaften nach wie vor der dynamische Waldbegriff Geltung hatte. Mit anderen Worten bedeutet die Feststellung, dass auf den Liegenschaften Nrn. WWW, YYY und XXX (westlicher Spickel) am 16. August 2002 kein Wald im Rechtssinne festgestellt wurde, nicht, dass diese Flächen Jahre später die Voraussetzungen zur Festlegung als Wald nicht erfüllen können.

4. (…)

5.
5.1 Die Beschwerdeführer wenden gegen den angefochtenen Entscheid ein, auch unter Berücksichtigung des dynamischen Waldbegriffes habe im westlichen Spickel der Liegenschaft Nr. XXX kein Wald entstehen können, da im strittigen Liegenschaftsbereich die Bepflanzung seit jeher regelmässig auf den Stock geschnitten worden sei.

5.2 Als Wald im Rechtssinne gilt jede Fläche, die mit Waldbäumen oder Waldsträuchern bestockt ist und Waldfunktionen erfüllen kann. Entstehung, Nutzungsart und Bezeichnung im Grundbuch sind nicht massgebend (Art. 2 Abs. 1 WaG). Gemäss § 2 Abs. 1 TG WaldG ist eine mit Waldbäumen oder -sträuchern bestockte Fläche Wald, sofern sie mit Einschluss eines zweckmässigen Waldsaumes mindestens ein Ausmass von 500 m², eine Breite von 12 m und für einwachsende Flächen ein Alter von 15 Jahren aufweist. Diese Kriterien gelten kumulativ. Wichtig sind jedoch nicht nur die rein quantitativen Aspekte, sondern vor allem auch die Frage, ob eine Bestockung aufgrund ihrer Zusammensetzung, Struktur und Bedeutung im betreffenden Landschafts- und Naturraum tatsächlich Waldfunktionen erfüllen kann oder nicht (Ziff. 2 der Richtlinien für die Waldfeststellung im Kanton Thurgau). Das Waldareal schliesst einen Waldsaum mit ein, der 0,5 m über die Stockgrenze von Sträuchern, mindestens jedoch 2 m über jene von Waldbäumen hinausreicht, sofern nicht besondere Verhältnisse vorliegen (§ 2 Abs. 3 TG WaldG). Erfüllt aber die Bestockung in besonderem Masse Wohlfahrts- oder Schutzfunktionen, so sind die kantonalen Kriterien nicht massgebend (Art. 2 Abs. 4 WaG). Dies bedeutet, dass die Bestockung unabhängig von ihrer Fläche, ihrer Breite oder ihrem Alter als Wald im Rechtssinne gilt (Art. 1 Abs. 2 WaV).

5.3 Da im Waldfeststellungsplan aus dem Jahre 2002 im westlichen Spickel der Liegenschaft Nr. XXX kein Wald festgestellt worden war, ist von einer einwachsenden Fläche auszugehen. Dass diese - unter Mitberücksichtigung der zur Diskussion stehenden Fläche auf der Liegenschaft Nr. YYY - für eine Qualifizierung als Wald eine genügende Breite und ein ausreichendes Flächenausmass hat, ist unbestritten. Somit bleibt darüber zu entscheiden, ob die Bestockung ein Alter von mehr als 15 Jahren aufweist. Zu beachten ist dabei, dass nachweislich bereits gefällte Bäume oder Sträucher, die dieses Mindestalter erreichen oder überschreiten, ebenfalls zur entscheidwesentlichen Bestockung gehören (…).

5.4 Anlässlich des vorinstanzlichen Augenscheins vom 30. April 2015 konnte auf der nördlich bestockten Fläche der Liegenschaft Nr. XXX folgende Bestockung festgestellt werden: „(…) mehrere Schwarzerlen (über 15 Jahre alt), mehrere Haselnusssträucher (über 15 Jahre), der Strunk eines vor rund 20 Jahren gefällten Waldbaumes (wahrscheinlich eine Esche, zum Zeitpunkt der Fällung über 15 Jahre alt), der Strunk eines Haselnussstrauchs (älter als 15 Jahre), der Strunk einer alten Esche mit Stockausschlägen (Alter schwer zu bestimmen), der Strunk eines Bergahorns (älter als 20 Jahre), der Strunk eines alten Holunderbaumes (über 15-jährig), mehrere Strünke von Haselnussbäumen (über 15-jährig), eine Bruchweide (könnte 15 Jahre alt sein), ein über 15-jähriger Haselnussstrauch, der Strunk eines Nussbaumes (älter als 15 Jahre) sowie der Strunk eines über 15-jährigen Bergahorns. Auch seien über 15-jährige Schwarzerlen sowie weitere Strünke von über 15-jährigen Eschen, Salweiden und Nussbäume [gegeben].“ Weiter führte der Vertreter des kantonalen Forstamtes aus, der Abstand zwischen den Bäumen bzw. Strünken betrage überall weniger als 12 m. Der räumlich-funktionelle Zusammenhang innerhalb der Bestockung sowie zwischen dieser Bestockung und dem östlich gelegenen Waldgebiet sei gegeben. Die strittige Bestockung erfülle sodann eine Vernetzungs- und Erosionsschutzfunktion. Ähnliche Feststellungen wurden auch bezüglich der westlichen Nachbarliegenschaft Nr. YYY, welche im vorinstanzlichen Verfahren ebenfalls strittig war, gemacht, wobei ein räumlich-funktioneller Zusammenhang mit dem westlichen Spickel der Liegenschaft Nr. XXX der Beschwerdeführer konstatiert wurde. Anlässlich des Gerichtsaugenscheins vom 23. August 2017 wies derselbe Vertreter des kantonalen Forstamtes zusätzlich auf eine im westlichen Grenzbereich erst kürzlich gefällte Saleiche und auf das Holzstück einer geschnittenen Haselstaude hin, welches mehr als 15 Jahresringe aufweise.

5.5 Grundsätzlich blieb von den Beschwerdeführern unbestritten, dass es auf der vorliegend interessierenden Liegenschaft verschiedene Haselnussstrünke und Baumstrünke sowie Bäume (zwei bis drei Schwarzerlen) hat, die das Alter von 15 Jahren erreicht oder überschritten haben. Darüber hinaus gingen die Beschwerdeführer auf die im angefochtenen Entscheid aufgelisteten Feststellungen zur Bestockung anlässlich des vorinstanzlichen Augenscheins nicht substantiiert ein, weshalb von deren Anerkennung auszugehen ist. Die Beschwerdeführer bringen allerdings vor, die Bestockung regelmässig und rechtzeitig gefällt oder auf den Stock gesetzt zu haben. Diese Behauptung ist gestützt auf die Feststellungen beider Augenscheine jedoch aktenwidrig, nachdem mehrere Strünke gefunden wurden, welche mehr als 15 Jahresringe aufweisen. Soweit die Beschwerdeführer argumentieren, diese Feststellung sage nichts darüber aus, wann die Bäume und Sträucher gefällt und zurückgeschnitten worden seien, sind sie nicht zu hören. So kann ein Baumstrunk, der zum Totholz zählt, keine Jahresringe mehr bilden und damit nicht erst nach der Fällung ein Alter von 15 Jahren erreichen. Viel eher ist davon auszugehen, dass die Anzahl der Jahresringe am Strunk exakt das Alter des Baumes im Zeitpunkt der Fällung wiedergibt. Auch wenn ein Strunk wieder austreibt, bilden sich am verbliebenden Baumstumpf keine neuen Jahresringe mehr, was auch für Pflanzungen gilt, die auf den Stock gesetzt wurden.

5.6 Die Feststellungen aus zwei behördlichen Augenscheinen bestätigen somit, dass auf der Fläche des westlichen Spickels der Liegenschaft Nr. XXX alle Voraussetzungen für die Annahme von Wald im Sinne von § 2 Abs. 1 TG WaldG erfüllt sind. Hinzu kommt, dass die Bestockung in der relativ steilen Hanglage eine Erosionsschutzfunktion erfüllt, was von den Beschwerdeführern am Augenschein vom 23. August 2017 bestätigt wurde. So führten sie aus, gewisse Haselstauden hätten wachsen können, um dem Hang Schatten zu spenden und den Zusammenhalt zu gewährleisten, damit nicht wie bei der etwas weiter vorne liegenden Liegenschaft, bei der der Hang gerodet worden sei und nun eine Wiese bestehe, der Hang ins Rutschen gerate. (…) Auch diese Schutzfunktion spricht für das Vorliegen von Wald im Rechtssinne. Die Erosionsschutzfunktion ist mit einem (zudem nur teilweisen) Belassen der Baumstrünke nicht vollumfänglich erhalten. Des Weiteren ist die funktionelle und räumliche Bestockung auf dem unumstrittenen Bereich der Liegenschaft Nr. XXX sowie der Liegenschaft Nr. YYY zur Liegenschaftsgrenze Nr. XXX Wald, womit der betroffene Liegenschaftsspickel und der Landschaftsraum insgesamt auch tatsächlich Waldfunktionen erfüllen können. Würde demgegenüber den Begehren der Beschwerdeführer stattgegeben, so würde sich sinnwidrig eine Fläche zwischen diesen beiden Waldstücken ergeben.

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2017.81/E vom 24. Januar 2018

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