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RBOG 1995 Nr. 10

Der Antrag, im Fall der Erstreckung des Mietverhältnisses sei der Vertrag den veränderten Verhältnissen anzupassen, muss bereits der Schlichtungsbehörde unterbreitet werden


Art. 272 c OR, Art. 273 OR


1. Das Mietverhältnis wurde um zwei Monate erstreckt. Strittig ist, ob und allenfalls in welchem Umfang der Mietzins während der Dauer der Erstreckung angepasst werden kann.

2. a) Nach Art. 272c Abs. 1 OR kann jede Partei verlangen, dass der Vertrag im Erstreckungsentscheid veränderten Verhältnissen angepasst wird. Ist der Vertrag im Erstreckungsentscheid nicht geändert worden, gilt er während der Erstreckung unverändert weiter; vorbehalten bleiben die gesetzlichen Anpassungsmöglichkeiten (Art. 272c Abs. 2 OR).

b) Nach Bundesrecht muss zwingend eine paritätisch zusammengesetzte Schlichtungsbehörde (erstinstanzlich) über Erstreckungsbegehren entscheiden, wobei sich dieser Entscheid insofern als "prima-facie-Vorentscheid" (BGE 117 II 507) auswirkt, als er die Rollenverteilung im dem Schlichtungsverfahren folgenden Prozess festlegt. Daraus folgt, dass die Parteien an die im Schlichtungsverfahren gestellten Anträge insoweit gebunden sind, als im gerichtlichen Verfahren keine weitergehenden Ansprüche gestellt werden dürfen. Es kann nur an das Gericht weitergezogen werden, was von der Schlichtungsbehörde beurteilt wurde. Die Beschränkung des Rechts, einen einmal gestellten Antrag im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens zu erweitern, folgt damit der bundesrechtlich geregelten Entscheidungskompetenz der Schlichtungsbehörde (SVIT-Kommentar Mietrecht, Art. 273 OR N 27).

Auch wenn der Schlichtungsbehörde im Zusammenhang mit Mietzinserhöhungs- oder Herabsetzungsbegehren keine Entscheidkompetenz zukommt, sondern sie nur das Nichtzustandekommen einer Einigung feststellen kann (SVIT-Kommentar Mietrecht, Art. 270a OR N 24, Art. 270b OR N 12), gilt dies dann nicht, wenn im Zusammenhang mit der Erstreckung des Mietverhältnisses die Anpassung des Vertrags an veränderte Verhältnisse im Sinn von Art. 272c Abs. 1 OR, mithin beispielsweise eine Mietzinsanpassung im Rahmen der Missbrauchsgesetzgebung, verlangt wird. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Vertragsanpassung im "Erstreckungsentscheid" zu erfolgen hat. Erstreckt die Schlichtungsbehörde somit ein Mietverhältnis, muss sie im nämlichen Entscheid darüber befinden, ob der Vertrag veränderten Verhältnissen angepasst wird. Voraussetzung dafür ist indessen nach dem Wortlaut von Art. 272c Abs. 1 OR, dass eine Partei dies verlangt.

Zum selben Schluss führt auch eine systematische Auslegung dieser Bestimmung: Sie findet sich im dritten Abschnitt des Mietrechts unter dem Randtitel "B. Erstreckung des Mietverhältnisses"; über die Erstreckung - und eine allfällige Vertragsanpassung an veränderte Verhältnisse - hat indessen nicht nur der Richter, sondern vorgängig auch die Schlichtungsbehörde zu entscheiden (Art. 273 OR). Liegt kein entsprechendes Begehren vor, gelten die vertraglichen Pflichten der Parteien während der Erstreckungsdauer unverändert weiter; mit der Erstreckung wird in die bestehende Vertragsbeziehung nur insoweit eingegriffen, als die Wirkungen der Kündigung erst auf einen späteren Zeitpunkt eintreten (Entscheid des Bundesgerichts vom 2. Mai 1995, in: MRA 1995 S. 196 mit Hinweisen). In diesem Entscheid hielt das Bundesgericht auch ausdrücklich fest, der Grundsatz der unveränderten Weitergeltung der bisherigen Vertragsbestimmungen erfahre in Art. 272c Abs. 1 OR eine Einschränkung, indem die Vertragsbestimmungen "im Erstreckungsentscheid auf Begehren einer Partei" geändert werden könnten. Wird ein entsprechendes Begehren im Schlichtungsverfahren nicht gestellt, darf die Schlichtungsbehörde keine Anpassung des Vertrags an veränderte Verhältnisse vornehmen. Ruft in einem solchen Fall eine Partei den Richter an, sind sowohl die Parteien als auch der Richter an die im Schlichtungsverfahren gestellten Anträge gebunden. Dies bedeutet, dass eine Partei - in der Regel der Vermieter - nicht im gerichtlichen Verfahren die Anpassung des Vertrags verlangen kann, wenn sie im Schlichtungsverfahren betreffend Erstreckung des Mietverhältnisses lediglich auf der von ihr ausgesprochenen Kündigung beharrt oder nur zur Dauer der Erstreckung Anträge stellt.

c) Beantragt eine Partei somit im Verfahren betreffend Erstreckung des Mietverhältnisses nicht bereits vor der Schlichtungsbehörde, es sei der Vertrag - allenfalls für den Eventualfall, dass eine Erstreckung gewährt werde - veränderten Verhältnissen anzupassen, kann sie diesen Antrag im folgenden Prozess nicht mehr stellen. Diese Formstrenge bezüglich der Vertragsanpassung nach Art. 272c Abs. 1 OR ist notwendig, weil nicht zuletzt im Hinblick auf eine mögliche Einigung hinsichtlich der Erstreckung für die Parteien von Bedeutung sein dürfte, ob allenfalls während der Erstreckung ein höherer Mietzins verlangt werden darf. Die Formstrenge bedeutet aber für beide Parteien keinen ins Gewicht fallenden Nachteil, weil nach Art. 272c Abs. 2 OR ein im Erstreckungsentscheid nicht geänderter Vertrag entsprechend den gesetzlichen Möglichkeiten angepasst werden kann; der Mieter kann somit die Herabsetzung bzw. der Vermieter die Erhöhung des Mietzinses auf den nächstmöglichen gesetzlichen Kündigungstermin verlangen (SVIT-Kommentar Mietrecht, Art. 272c OR N 9; MRA 1995 S. 197).

3. Im vorliegenden Fall gelangten die Mieter an die Schlichtungsbehörde und beantragten eine Erstreckung des Mietverhältnisses bis Ende März 1996. Die Vermieter beharrten auf der Kündigung; dass sie bereits im Schlichtungsverfahren für den Fall, dass das Mietverhältnis erstreckt werden sollte, eine Mietzinserhöhung für die Erstreckungsdauer beantragt hätten, machen sie weder geltend noch lässt sich dies dem Protokoll der Sitzung der Schlichtungsbehörde entnehmen. Vielmehr entschied die Schlichtungsbehörde lediglich über die Dauer der Erstreckung. Die Vermieter sind daher im gerichtlichen Verfahren mit ihrem Antrag, die Mietzinse seien anzupassen, ausgeschlossen.

Rekurskommission, 13. November 1995, ZR 95 125


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