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RBOG 1995 Nr. 11

Die 30tägige Frist nach Art. 274f OR beginnt am Tag nach der Schlichtungsverhandlung


Art. 274 f OR


1. Fällte die Schlichtungsbehörde einen Entscheid, wird dieser rechtskräftig, wenn die Partei, die unterlegen ist, nicht innert 30 Tagen den Richter anruft. Stellte sie das Nichtzustandekommen der Einigung fest, muss die Partei, die auf ihrem Begehren beharrt, innert 30 Tagen den Richter anrufen (Art. 274f Abs. 1 OR).

2. Strittig ist, ob der Rekurrent mit seiner Eingabe vom 12. Juni 1995 an die Vorinstanz die 30tägige Frist von Art. 274f OR einhielt, nachdem er den Beschluss der Schlichtungsbehörde vom 2. Mai 1995 unbestritten am 11. Mai 1995 zugestellt erhielt. Dies ist nur dann zu bejahen, wenn die 30tägige Frist erst mit der Zustellung des Entscheids der Schlichtungsbehörde zu laufen beginnt.

a) Noch unter der Herrschaft des alten Mietrechts entschied die Rekurskommission des Obergerichts, für den Beginn der Frist nach Art. 28 Abs. 2 BMM sei derjenige Tag massgebend, welcher der Einigungssitzung folge; dies gelte selbst dann, wenn den Parteien nach kantonalem Recht in jedem Fall das Ergebnis der Einigungsverhandlung noch schriftlich eröffnet werde. Rechtserzeugende Wirkung komme dem Protokoll bzw. Formular, mit welchem das Scheitern oder der Erfolg des Einigungsversuchs festgehalten werde, auch dann nicht zu, wenn es den Parteien nicht sofort nach Abschluss der Schlichtungsverhandlung ausgehändigt, sondern im nachhinein postalisch zugestellt werde (RBOG 1990 Nr. 13; ZWR 1984 S. 143 ff.).

Mit dem Inkrafttreten des revidierten Mietrechts änderte sich die Rechtslage insofern, als die Schlichtungsbehörden neu nicht nur das Nichtzustandekommen der Einigung feststellen, sondern in gewissen Fällen auch einen Entscheid fällen können. Der Wortlaut von Art. 28 Abs. 2 BMM wurde von Art. 274f Abs. 1 OR denn auch praktisch wörtlich übernommen, allerdings mit der Erweiterung bezüglich der von der Schlichtungsbehörde zu fällenden Entscheide.

b) Das Bundesrecht legt nicht fest, wann die Frist von 30 Tagen, innert welcher der Richter anzurufen ist, zu laufen beginnt. Die Regelung dieser Frage bleibt somit den kantonalen Verfahrensgesetzen überlassen (SVIT- Kommentar Mietrecht, Art. 274f OR N 8; SOG 1993 S. 28 f.). Stellt die Schlichtungsbehörde das Nichtzustandekommen einer Einigung fest, besteht kein Anlass, von der bisherigen Praxis abzuweichen. Demnach beginnt der 30tägige Fristenlauf nach Art. 274f OR am Tag nach der Verhandlung (SVIT-Kommentar Mietrecht, Art. 274f OR N 10), allerdings mit der Präzisierung, dass beim Abschluss eines Vergleichs vor der Schlichtungsbehörde unter Widerrufs- oder Ratifikationsvorbehalt die 30tägige Frist erst am Tag nach der Feststellung der Schlichtungsbehörde zu laufen beginnt, der Vergleich sei von einer Partei widerrufen oder nicht ratifiziert worden, es sei mithin keine Einigung zustandegekommen (vgl. SVIT-Kommentar Mietrecht, Art. 274f OR N 11). Daran ändert nichts, dass auch das Schlichtungsverfahren förmlich eingeleitet und ebenso förmlich abgeschlossen werden muss, und dass dieser Abschluss nicht im Scheitern der Einigungsbemühungen, sondern in einer förmlichen Feststellung der Behörde, es sei keine Einigung zustandegekommen, besteht (vgl. SOG 1993 S. 29 f. mit Kritik an RBOG 1990 Nr. 13). Der förmliche Abschluss des Schlichtungsverfahrens liegt gerade darin, dass die Schlichtungsbehörde das Nichtzustandekommen der Einigung feststellt. Es verhält sich im vorliegenden Fall gleich, wie wenn der Friedensrichter nach erfolglosem Sühneversuch die Weisung ausstellt (§ 122 Abs. 1 ZPO): Alsdann beginnt die Frist zur Einreichung der Weisung nach § 125 ZPO am Tag nach dem abschliessenden Vermittlungsvorstand und nicht nach der Ausfertigung oder Zustellung der Weisung (RBOG 1981 Nr. 14, 1989 Nr. 29 S. 137).

Die dargelegten Grundsätze haben aber auch zu gelten, wenn die Schlichtungsbehörde nicht das Nichtzustandekommen einer Einigung feststellte, sondern einen Entscheid fällte. Dies rechtfertigt sich schon deshalb, weil gerade in diesen Fällen nach § 2 Abs. 1 der Verordnung des Obergerichts über die gerichtliche Zuständigkeit und das Verfahren im Miet- und Pachtrecht der Bezirksgerichtspräsident im summarischen Verfahren für die gerichtliche Beurteilung zuständig ist, ein Vermittlungsverfahren nach §§ 113 ff. ZPO mithin entfällt und damit die Schlichtungsbehörde in Mietsachen allein die Funktion der Vermittlerin übernimmt. Eine analoge Anwendung der Praxis zu § 125 ZPO ist daher angezeigt. Ueberdies verweist § 16 Abs. 1 der Verordnung des Regierungsrats zum Miet- und Pachtrecht bezüglich der Anforderungen von Entscheiden der Schlichtungsbehörde auf § 108 Abs. 1 ZPO, nimmt somit gerade nicht Bezug auf die in § 108 Abs. 2 ZPO vorgesehene Möglichkeit der mündlichen Bekanntgabe nach § 107 Abs. 1 ZPO; im Schlichtungsverfahren in Mietsachen wird somit bewusst nicht zwischen mündlicher und schriftlicher Eröffnung eines Entscheids unterschieden. § 16 Abs. 2 der Verordnung zum Miet- und Pachtrecht, wonach Entscheide den Parteien schriftlich zu eröffnen sind, gilt folglich als Sonderbestimmung, welche dem Beginn der 30tägigen Frist gemäss Art. 274f Abs. 1 OR nach durchgeführter Schlichtungsverhandlung nicht entgegensteht. Schliesslich widerspricht es der Rechtssicherheit, wenn die Frist nach Art. 274f Abs. 1 OR bei Entscheiden der Schlichtungsbehörde nicht zum selben Zeitpunkt beginnt wie bei Feststellungen des Nichtzustandekommens einer Einigung.

c) Dass in sämtlichen Fällen von Art. 274f OR der Fristenlauf am Tag nach durchgeführter Schlichtungsverhandlung beginnt, hat einen weiteren praktischen Grund: Die Frist zur Anrufung des Richters beginnt für sämtliche in eine mietrechtliche Streitigkeit involvierten Parteien zum gleichen Zeitpunkt, und es kann ohne aufwendige Erhebungen festgestellt werden, dass und wann ein Entscheid der Schlichtungsbehörde in Rechtskraft erwuchs, weil beispielsweise Nachforschungen bei der Post bezüglich Abholfrist und Zustellung entfallen. Zudem unterstreicht diese Regelung das rasche und einfache Verfahren in mietrechtlichen Streitigkeiten: Die Schlichtungsbehörde soll im Anschluss an die Schlichtungsverhandlung das Nichtzustandekommen einer Einigung feststellen bzw. den Entscheid fällen, den Parteien mündlich eröffnen und ihnen - wenn immer möglich - das Formular mit einer in Entscheidsachen notwendigen summarischen Begründung aushändigen, womit § 16 Abs. 2 der Verordnung des Regierungsrats Genüge getan ist. Auch hier wird die Aehnlichkeit mit dem Vermittlungsvorstand deutlich.

Sollte eine Schlichtungsbehörde die Feststellung des Nichtzustandekommens einer Einigung oder einen Entscheid in Abwesenheit der Parteien treffen und ihnen diesen Beschluss ungebührlich lange nicht zustellen, besteht - wie im Vermittlungsverfahren - schliesslich im Rahmen der Aufsicht über die Schlichtungsbehörde die Möglichkeit, ihren Beschluss aufzuheben und sie zu neuer Beschlussfassung und unverzüglicher Zustellung desselben anzuhalten.

d) Folgerichtig weisen die von den Schlichtungsbehörden zu verwendenden Formulare die Parteien darauf hin, die Partei, welche auf ihrem Begehren beharre oder unterlegen sei, müsse innert 30 Tagen "seit der erfolglosen Schlichtungsverhandlung" den Richter anrufen. Diese Belehrung ist klar und lässt den Schluss nicht zu, die 30tägige Frist beginne erst mit der Zustellung des Formulars.

Rekurskommission, 13. November 1995, ZR 95 115


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