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RBOG 1995 Nr. 23

Der von einer falschen Anschuldigung Betroffene ist in der Regel nicht Opfer im Sinn des Gesetzes


Art. 2 Abs. 1 aOHG


1. Im Auftrag des Berufungsklägers drangen X und Y in das Einfamilienhaus des Z ein und stahlen Wertgegenstände, während das Ehepaar Z auf Einladung des Berufungsklägers mit diesem in einem Restaurant speiste. In der Strafuntersuchung behauptete der Berufungskläger, der Einbruchdiebstahl sei mit Z abgesprochen worden, um die Versicherung zu betrügen; der Berufungskläger hätte die Hälfte der Versicherungsentschädigung und der erbeuteten Sachen erhalten sollen. Daraufhin wurde gegen Z eine Strafuntersuchung wegen Betrugs und Hehlerei eröffnet. Es fand eine Hausdurchsuchung statt, und Z wurde für einen Tag in Untersuchungshaft genommen. Im Verfahren gegen den Berufungskläger macht Z geltend, er sei nicht "bloss" Geschädigter, sondern Opfer im Sinn des OHG. Auch wenn er selbst kein Rechtsmittel gegen den erstinstanzlichen Entscheid erhebe, beantrage er, im Berufungsverfahren zum Vortrag zugelassen zu werden.

2. Nach Art. 2 Ziff. 1 OHG ist jene Person Opfer im Sinne des Gesetzes, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt wurde, und zwar unabhängig davon, ob der Täter ermittelt wurde und ob er sich schuldhaft verhielt. Als Beeinträchtigung der massgeblichen Integrität einer Person ist eine Verschlechterung ihres körperlichen oder psychischen Zustands durch die Straftat zu verstehen. Es genügt indessen nicht jede geringfügige Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens. Es ist jeweils anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob die Schwere der untersuchten Straftaten die Annahme einer unmittelbaren Beeinträchtigung der psychischen Integrität des Betroffenen (BGE 120 Ia 163) bzw. die Schwere der Betroffenheit des Opfers die Annahme einer beträchtlichen Beeinträchtigung der Integrität rechtfertigt (Gomm/Stein/Zehntner, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Art. 2 N 11). Mit der Präzisierung, dass es sich um eine unmittelbare Beeinträchtigung handeln muss, will das OHG Beeinträchtigungen ausschliessen, die beispielsweise auf Ehrverletzungsdelikte, Tätlichkeiten, Diebstahl oder Betrug zurückgehen und die lediglich mittelbare Folgen der Straftat sind (BBl 1990 II 977). Das Bundesgericht erkannte auch, dass Amtsmissbrauch und Begünstigung grundsätzlich keine Opferstellung im Sinn des OHG nach sich ziehen (BGE 120 Ia 162; vgl. RBOG 1994 Nr. 40). Es befürwortet aufgrund des Wortlauts des Gesetzes (unmittelbare Beeinträchtigung der psychischen Integrität) und der Entstehungsgeschichte des OHG eine eher zurückhaltende Bejahung der Opferstellung (BGE 120 Ia 163).

3. Die vom Berufungskläger erhobenen falschen Anschuldigungen gegenüber Z führten trotz der Involvierung des letzteren in eine Strafuntersuchung (Hausdurchsuchung, Verhaftung) nicht zu einer unmittelbaren Beeinträchtigung seiner psychischen Integrität. Der Tatbestand der falschen Anschuldigung ist lediglich geeignet, eine mittelbare Beeinträchtigung der Integrität herbeizuführen. Nicht die falsche Anschuldigung beeinträchtigt in erster Linie die psychische Integrität, sondern die allenfalls gestützt darauf vom Staat verfügten Zwangsmassnahmen. Es verhält sich hier ähnlich wie im Fall einer Ehrverletzung, welche die Opferstellung bestenfalls in aussergewöhnlich schweren Fällen zu begründen vermag (Frage offengelassen in BGE 120 Ia 162). Dass letzteres zuträfe, macht Z substantiiert indessen nicht geltend. Er wurde denn auch nur für kurze Zeit in Haft gesetzt, und eine Hausdurchsuchung wäre allenfalls auch ohne die vom Berufungskläger erhobenen Beschuldigungen im Verlauf der Ermittlungen über den Einbruchdiebstahl erfolgt.

Z ist daher nicht als Opfer im Sinn von Art. 2 Ziff. 1 OHG zu qualifizieren. Vielmehr ist er Geschädigter im Sinn von § 53 Abs. 2 StPO. Er kann mithin privatrechtliche Ansprüche geltend machen, insbesondere auf Schadenersatz, Genugtuung und Rückgabe von Sachen. Nachdem die Vorinstanz die Zivilansprüche des Z auf den Zivilweg verwies und Z diesbezüglich weder Berufung einlegte (§ 200 Abs. 1 StPO) noch Anschlussberufung erhob, beteiligt er sich am Berufungsverfahren des Berufungsklägers nicht mehr, weshalb ihm auch kein Aeusserungsrecht zusteht.

Obergericht, 16. Februar 1995, SB 94 53


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