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RBOG 1996 Nr. 5

Ein Näherbaurecht für eine Terrasse berechtigt nicht zum Bau einer Einstellgarage, selbst wenn sich dabei die Ausmasse nicht ändern


§ 78 aBauG, Art. 738 ZGB


1. Die Parteien sind Grundeigentümer der benachbarten Parzellen Nrn. 736 (Berufungskläger) und 735 (Berufungsbeklagte). Auf der Liegenschaft des Berufungsklägers lastet eine Servitut, welche "dem jeweiligen Eigentümer der Parz. Nr. 735 gestattet, den Terrassenvorbau bis ca. 1,60 m gegen die Parz. Nr. 736 bauen zu dürfen, gemäss dem heutigen Bestand". Im Jahr 1990 erteilte der Gemeinderat der Berufungsbeklagten die Bewilligung zum Einbau einer Einstellgarage unter der bestehenden Terrasse an der Nordfront des Wohnhauses. In der Folge wies das Bezirksgericht das Begehren des Berufungsklägers ab, mit dem dieser die Rückversetzung der Einstellgarage auf eine Entfernung von fünf Metern verlangt hatte.

2. § 78 Abs. 1 BauG bestimmt, dass die Gemeinden den Grenzabstand in ihren Baureglementen zu ordnen haben. Dabei haben sie einen Mindestabstand von drei Metern zu beachten, der aber bei Vorliegen besonderer Gründe oder mit schriftlicher Zustimmung des benachbarten Grundeigentümers herabgesetzt werden kann (§ 78 Abs. 5 und 6 BauG).

3. Die Parzellen der Parteien liegen in der Wohnzone W2. Damit ist gemäss dem Baureglement der Gemeinde bei der Erstellung von Wohnbauten unbestrittenermassen ein kleiner Grenzabstand von fünf Metern einzuhalten, der jedoch mit schriftlicher Einwilligung des benachbarten Grundeigentümers herabgesetzt werden kann (§ 78 Abs. 6 BauG). Der Berufungskläger bestreitet das Vorliegen seiner Zustimmung für die Unterschreitung des privatrechtlichen Grenzabstands durch die Berufungsbeklagte. Dem hält letztere entgegen, das Näherbaurecht vom Juni 1953 gelte auch für den Garageneinbau.

a) Nach Art. 738 Abs. 1 ZGB ist für den Inhalt der Dienstbarkeit der Grundbucheintrag massgebend, soweit sich Rechte und Pflichten daraus deutlich ergeben. Im Rahmen des Eintrags kann sich die Tragweite der Dienstbarkeit aus ihrem Erwerbsgrund oder aus der Art ergeben, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist (Art. 738 Abs. 2 ZGB; BGE 117 II 537).

Im Grundbuch findet sich auf den jeweiligen Einzelblättern lediglich die Eintragung "Näherbaurecht zugunsten Parzelle 735" bzw. "Näherbaurecht zulasten Parzelle 736". Näheres zum Inhalt der Servitut ergibt sich indessen aus dem Dienstbarkeitsvertrag vom Juni 1953. Danach "gestattet der jeweilige Eigentümer der Liegenschaft Parzelle Nr. 736 dem jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft Parzelle Nr. 735, den Terrassenvorbau auf der Nordseite des Wohnhauses Nr. 562 auf der Ostseite der berechtigten Liegenschaft bis ca. 1,6 Meter gegen die Parzelle Nr. 736 bauen zu dürfen, gemäss dem heutigen Bestand". Für "die genaue Lage und Ausdehnung dieser Näherbaute" wird auf den Grundbuchplan verwiesen. Aus diesem Planbeschrieb ergibt sich, dass der damalige Terrassenvorbau einen Abstand von 2,57 Meter bis 2,67 Meter zur gemeinsamen Parzellengrenze einhielt. Aufgrund des damals noch bestehenden, einen Meter breiten Treppenanbaus ergab sich letztlich der vertraglich vereinbarte Grenzabstand von ca. 1,6 Meter zur Nachbarparzelle Nr. 736 des Berufungsklägers.

b) Die Vorinstanz nahm eine zulässige Inanspruchnahme der Grunddienstbarkeit für die neuerstellte Einbaugarage mit der Begründung an, die Servitut erwähne keine irgendwie geartete Nutzungsbeschränkung. Wesentlich für die Parteien seien damals lediglich die Ausmasse gewesen. Die Einstellgarage halte sich in ihren Ausmassen innerhalb des für den seinerzeitigen Terrassenvorbau vertraglich vereinbarten Grenzabstands. Das Obergericht kann diese Auffassung nicht teilen.

c) Unbestrittenermassen umfasst die Servitut von 1953 in ihrem Inhalt einen Terrassenvorbau. Das französische Wort "terrasse" ist lateinischen Ursprungs ("terra") und bedeutete ursprünglich eine Erdaufhäufung (Duden, Etymologie, Bd. VII, 2.A., S. 741). Heute bezeichnet man als Terrasse landläufig eine grössere, mitunter überdachte Fläche an einem Haus für den Aufenthalt im Freien (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, Mannheim 1983, S. 1262). Nichts anderes versteht die Berufungsbeklagte unter dem Begriff "Terrasse". Jedenfalls behauptet sie keine andere Sinnbedeutung. Es ist denn auch unbestritten, dass sich im Jahr 1953 zur Zeit der Begründung der Dienstbarkeit vor dem Haus der Berufungsbeklagten eine Erdaufschüttung befand, welche als Terrasse im gemeinhin verstandenen Sinn genutzt wurde. Im Zuge der Einführung des eidgenössischen Grundbuchs wurde der Berufungsbeklagten vertraglich gestattet, den Terrassenvorbau im "heutigen Bestand" beizubehalten. Die unmissverständlich klare Formulierung "gemäss dem heutigen Bestand" verweist auf die Situation vom Juni 1953. Der damalige Zustand umfasste anerkanntermassen eine mit Steinplatten belegte Erdaufschüttung mit Stützmauer sowie eine im unmittelbaren Anschluss daran errichtete Treppe nach Osten. Nur für eine solche bauliche Gestaltung erteilte der Berufungskläger im Jahr 1953 sein Einverständnis zum Näherbau. Der Vorinstanz kann daher nicht beigepflichtet werden, wenn sie sich bei der Bestimmung des Inhalts der Servitut auf rein quantitative Aspekte wie Masszahlen beschränkt und qualitative Gestaltungs- und Strukturelemente (Erde, Steinplatten, Mauerbeton etc.) ausser acht lässt. Wenn anstelle des ursprünglichen Terrassenvorbaus mit seiner natürlichen Erdaufschüttung heute ein betoniertes Mauerwerk (Einstellgarage) steht, kann schon vom äusseren Erscheinungsbild her nicht mehr auf eine dienstbarkeitsrechtliche Identität der beiden Bauwerke geschlossen werden. Hinzu tritt mit dem Bau der Garage eine funktionale Nutzungsänderung, was im Vergleich zur ursprünglichen Terrassennutzung zu veränderten Immissionen auf der Liegenschaft des Berufungsklägers führt. Schliesslich ist letzterer in seinen Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt, indem ein Erweiterungsbau nach Westen nur unter Einhaltung eines Gebäudeabstands von 10 m möglich ist (§ 78 Abs. 6 aBauG). Damit ist die Benützbarkeit der Liegenschaft des Berufungsklägers erheblich beeinträchtigt (Meier-Hayoz, Berner Kommentar, Art. 679 ZGB N 94 f.). Unter diesen Umständen wird offensichtlich, dass sich die Berufungsbeklagte für die Einstellgarage nicht auf das Näherbaurecht vom Juni 1953 zu berufen vermag.

Obergericht, 2. Mai 1996, ZB 95 146


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