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RBOG 1997 Nr. 18

Kein Arbeitnehmerprivileg im Sinn von Art. 219 Abs. 4 lit. a SchKG für einen Geschäftsführer, der die operativen Belange der Gesellschaft lenkt


Art. 219 Abs. 4 lit. a SchKG


1. a) Der Berufungskläger war Hauptaktionär, einziger Verwaltungsrat und Geschäftsführer der X AG, über welche der Konkurs eröffnet wurde. Er wirkte in der daraufhin gegründeten Auffanggesellschaft, der Y AG, als Geschäftsführer mit Prokura mit, war aber nicht Mitglied des Verwaltungsrats. Die Y AG fiel ihrerseits in Konkurs.

b) Im Konkursverfahren über die Y AG reichte der Berufungskläger eine Forderung aus Arbeitsvertrag ein. Das Konkursamt liess einen reduzierten Betrag zu, verwies jedoch die Forderung in die letzte Kollokationsklasse. Zur Begründung dieser Kollokationsverfügung führte das Konkursamt aus, das Lohnprivileg sei für bestimmte Arbeitnehmergruppen abzulehnen, was namentlich für Spitzenkräfte von Aktiengesellschaften, die mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet und dadurch in der Bestimmung ihrer Geschäftspolitik unabhängig seien, gelte. Solche Führungskräfte müssten den Inhabern von Privatgeschäften gleichgestellt werden.

2. a) Das Arbeitnehmerprivileg bleibt aufgrund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung denjenigen Arbeitnehmern versagt, die über eine mehr oder weniger grosse Unabhängigkeit und Selbständigkeit verfügen, massgeblich an der Geschäftspolitik teilhaben, Einsicht in die Geschäftsunterlagen haben und somit nicht in einem Unterordnungsverhältnis stehen. Hiezu zählen etwa Geschäftsführer und Direktoren, aber auch Mitglieder des Verwaltungsrats und anderer Kontrollbehörden. Sinn und Zweck dieser Einschränkung ist, "aus sozialpolitischen und humanitären Gründen die wirtschaftlich und persönlich vom Arbeitgeber abhängigen Arbeitnehmer wenigstens in einem zeitlich begrenzten Rahmen gegenüber anderen Gläubigern zu bevorzugen" (BGE 118 III 48 f.).

b) Für die Gewährung des Lohnprivilegs ist demnach entscheidend, dass nebst dem erforderlichen Bestehen eines Dienst- oder Arbeitsvertrags ein tatsächliches Subordinationsverhältnis vorhanden ist. Dieses muss im operativen Bereich der Geschäftsführung bestehen, d.h. der Arbeitnehmer hat geschäftspolitische Entscheidungen seiner Vorgesetzten umzusetzen bzw. deren das Tagesgeschäft betreffende Anordnungen auszuführen. Dabei kommt es weniger auf die Bezeichnung der Funktion des Arbeitnehmers als vielmehr auf dessen faktische Stellung in der Unternehmung an (BGE 118 III 50 f.).

c) Der Begriff des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit dem Konkursprivileg ist nach der Praxis des Bundesgerichts eng gefasst. Eine Ausdehnung des konkursrechtlichen Privilegs auf alle formell unter den Begriff des Arbeitnehmers fallenden Personen, wie dies etwa im Zusammenhang mit dem weit gefassten Arbeitnehmerbegriff des Sozialversicherungsrechts der Fall ist, wäre demzufolge unzulässig (BGE 118 III 51).

3. a) Wie aus dem Protokoll der ersten Sitzung der Geschäftsleitung der neu gegründeten Y AG hervorgeht, war diese Gesellschaft als Auffanggesellschaft der konkursiten X AG konzipiert. Es sollten dabei bereits in Aussicht gestellte Aufträge sowie bestehende Arbeiten weiterverfolgt, bisherige Lieferanten und Arbeitnehmer behalten sowie das Inkasso für die alte Gesellschaft übernommen werden. Überdies versuchte die Y AG, die Fahrzeuge der in Konkurs gefallenen Gesellschaft bis zur Versteigerung beim Konkursamt zu mieten.

b) Der Berufungskläger war als Arbeitnehmer bei der Auffanggesellschaft angestellt. Dort amtete er wiederum als Geschäftsführer. Dies geht aus sämtlichen Sitzungsprotokollen hervor, wurde doch der Berufungskläger stets als Geschäftsleiter bezeichnet. Dabei spielte er weiterhin die tragende Rolle im Unternehmen. Es wurde etwa anlässlich der ersten Sitzung festgestellt, bezüglich der Lieferanten sei "der Goodwill gegenüber dem Berufungskläger durchaus nach wie vor vorhanden". Auch traf er Absprachen mit den Kunden darüber, dass bisherige und weitergehende Arbeiten fortgeführt würden.

c) Es bestehen somit aufgrund der Sitzungsprotokolle zahlreiche Indizien dafür, dass der gewohnte Geschäftsbetrieb im Kleid einer neuen Gesellschaft fortgeführt werden sollte.

d) Der Berufungskläger war überdies Prokurist der Y AG und führte Einzelunterschrift. Ein Prokurist wird vom Inhaber eines Gewerbes ermächtigt, dieses für den Inhaber zu führen (Art. 458 OR). Der Berufungskläger war somit auch objektiv in der Lage, die Geschäftsführung der neuen Gesellschaft wahrzunehmen.

4. a) Der Berufungskläger behauptet, es habe ein klares Subordinationsverhältnis zwischen ihm und dem Verwaltungsrat der Y AG bestanden. Dieses sei vor allem durch den Gebrauch der dem Verwaltungsrat zustehenden Weisungskompetenz gekennzeichnet gewesen. Es habe während der zahlreich anberaumten Verwaltungsratssitzungen ein ausgeprägtes Reporting stattgefunden, womit er seinen Informationspflichten habe nachkommen müssen.

b) Dass praktisch monatlich eine Verwaltungsratssitzung einberufen wurde, ist kein genügender Beweis für das Bestehen eines Subordinationsverhältnisses. Die Behauptung des Berufungsklägers, ihm seien während der Sitzungen Weisungen erteilt worden, welche ein Subordinationsverhältnis begründen würden, kann nicht nachvollzogen werden. Gegenstand der Verwaltungsratssitzungen war vor allem, Belange des Rechnungswesens der Gesellschaft festzustellen, diese zu diskutieren und allenfalls Beschluss darüber zu fassen, wie ein allfälliger Missstand zu beseitigen wäre. Es geht aus den Protokollen zu den einzelnen Sitzungen nicht hervor, dass dem Berufungskläger konkrete, die operative Geschäftsführung betreffende Weisungen erteilt worden wären. Vielmehr wurde er ständig aufgefordert, die Buchhaltung sowie Zwischenbilanzen zu erstellen oder Bestandeserklärungen abzugeben. Solche Aufforderungen des Verwaltungsrats beschlagen die Informationspflichten im Zusammenhang mit der Geschäftsführung und können nicht irgendwelchen Weisungen, die das Tagesgeschäft betreffen, gleichgestellt werden. Das Reporting gegenüber dem Verwaltungsrat ist somit kein hinreichendes Indiz für ein Subordinationsverhältnis im operativen Bereich. Es diente vielmehr dem Verwaltungsrat zur Wahrnehmung seiner Verantwortung, da es seine Pflicht ist, relevante Informationen einzuholen, um die in Art. 716a OR festgehaltenen Aufgaben erfüllen zu können. Aus den Protokollen geht auch nicht hervor, dass der Berufungskläger dem Verwaltungsrat Informationen als Grundlage für Entscheidungen geliefert hätte. Vielmehr betrafen sämtliche Aufträge an ihn das Rechnungswesen und nicht das Tagesgeschäft. Er erhielt namentlich keine Weisungen, die sich auf die Wahl der Vertragspartner der Y AG oder die Annahme von Aufträgen bezogen hätten.

c) Die Weisungskompetenz des Verwaltungsrats der Y AG beschlug somit nicht das operative Geschäft. Es wurde anlässlich der Berufungsverhandlung vom Berufungskläger selbst eingeräumt, er sei Geschäftsführer der Y AG gewesen. Er hatte "dafür zu sorgen, dass der Auftragsbestand der Gesellschaft erhöht wurde, er hatte für eine einwandfreie Administration zu sorgen, er war verantwortlich für eine sachgerechte Ausführung der der Gesellschaft erteilten Bauaufträge". Diese Kompetenzzuweisung betraf das gesamte operative Geschäft der Y AG. Es ist somit auch aus dieser Sicht eindeutig, dass der Berufungskläger für die unternehmerischen Geschicke der Y AG verantwortlich war. In seiner Position hatte er - im Gegensatz zu einzelnen Mitgliedern des Verwaltungsrats nahm der Berufungskläger an jeder Verwaltungsratssitzung teil - umfassenden Einblick in die Geschäftsunterlagen. Bereits die Tatsache, dass er als Geschäftsleiter der Y AG für das Akquirieren weiterer Aufträge, für die Administration der Gesellschaft sowie für die Ausführung der Bauaufträge, kurzum für die Betreuung des Geschäfts insgesamt zuständig war, ist ein hinreichender Grund, um die vom Bundesgericht verlangte Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber bzw. das geforderte Subordinationsverhältnis zu verneinen.

d) Ebenfalls kein Kriterium für das vom Berufungskläger behauptete Subordinationsverhältnis ist die von ihm geltend gemachte eigene Mittellosigkeit, weshalb er auf Gedeih und Verderben dem Schicksal der Y AG ausgeliefert gewesen sei. Zweifellos hängt das Einkommen eines Geschäftsführers von der Finanzlage des betreffenden Unternehmens ab. Diese Abhängigkeit entspricht aber nicht jener vom Bundesgericht geforderten Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber; diese besteht, weil der vom Konkursprivileg erfasste Arbeitnehmer auf die Firmenpolitik und auf den Geschäftsgang seines Arbeitgebers keinen Einfluss nehmen kann, was im Fall des Berufungsklägers gerade nicht zutrifft.

e) Der Umstand, dass die einwöchige Untersuchungshaft, welche der Berufungskläger erstehen musste, "für eine Woche einen praktisch totalen Betriebsausfall verursachte und im übrigen Grund für einen weiteren schlechten Monat war", zeigt schliesslich eindeutig, dass er das Tagesgeschäft in den Händen hielt. Es ist nicht nachvollziehbar, wie dieses vom Verwaltungsrat der Y AG geführt worden sein soll, wenn er offensichtlich nicht einmal in der Lage war, zur Überbrückung für die Zeit der Abwesenheit des Berufungsklägers einen Ersatz zu finden.

f) Mithin steht fest, dass die operative Geschäftsführung der Y AG allein in den Händen des Berufungsklägers lag. Er hatte, was das Geschäft der Gesellschaft anging, volle Entscheidungskompetenz. Das Subordinationsverhältnis des Arbeitnehmers innerhalb des operativen Bereichs kann somit für den Berufungskläger nicht bejaht werden.

5. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der Berufungskläger innerhalb der neu gegründeten Y AG die Rolle eines selbständigen Geschäftsführers wahrnahm. Als solcher aber gilt er nicht als privilegierter Arbeitnehmer, weshalb ihm das in Art. 219 Abs. 4 lit. a SchKG statuierte Konkursprivileg nicht zusteht. Seine Forderung ist demzufolge in der letzten Gläubigerklasse zu kollozieren.

Obergericht, 13. Mai 1997, ZB 97 41

Eine dagegen erhobene Berufung wies das Bundesgericht am 19. Dezember 1997 ab, soweit es darauf eintrat.


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