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RBOG 1997 Nr. 32

Strafbarkeit des Lenkers, der eine dritte Person zur Verfälschung seiner Blutprobe auffordert


Art. 24 f StGB, Art. 305 StGB, Art. 91 Abs. 3 SVG


1. Dem Berufungskläger wurde im Spital eine Blutprobe entnommen. Nachdem das IRM eine Blutalkoholkonzentration von lediglich 0,06 bis 0,16 Gewichtspromille ermittelt hatte, kamen Zweifel an der Richtigkeit der Blutproben auf. Die zum fraglichen Zeitpunkt auf der Notfallstation tätige Krankenschwester gestand schliesslich, sie habe den Inhalt des Blutröhrchens des Berufungsklägers in den Ausguss geleert und das Röhrchen mit Bluttests zweier Spitalpatienten aufgefüllt. Der Berufungskläger habe ihr vorgängig angerufen und ihr in dramatischen Schilderungen vor Augen geführt, er müsse für zehn Jahre ins Gefängnis und verliere seine Freundin sowie seinen Beruf.

Die Bezirksgerichtliche Kommission hielt den Berufungskläger der Anstiftung zur Vereitelung einer Blutprobe für schuldig. Der Berufungskläger beharrte auf einem Freispruch. Die Staatsanwaltschaft erhob Anschlussberufung und beantragte die Verurteilung wegen Vereitelung einer Blutprobe.

2. a) Wer in angetrunkenem Zustand ein Motorfahrzeug führt, wird nach Art. 91 Abs. 1 SVG mit Gefängnis oder mit Busse bestraft. Der Vereitelung einer Blutprobe macht sich schuldig, wer sich vorsätzlich einer Blutprobe, die angeordnet wurde oder mit deren Anordnung er rechnen musste, oder einer zusätzlichen ärztlichen Untersuchung widersetzt oder entzieht oder den Zweck dieser Massnahme vereitelt (Art. 91 Abs. 3 SVG).

aa) Die sachliche Voraussetzung von Art. 91 Abs. 3 SVG, dass eine Blutprobe angeordnet wurde oder mit deren Anordnung gerechnet werden musste, kann sich nur auf eine Person beziehen, die nach den Umständen (auffällige Fahrweise, Unfall in der Nacht, aussergewöhnliche Unfallumstände) mit einer Blutprobe konfrontiert werden könnte. Art. 91 Abs. 3 SVG bezieht sich mithin lediglich auf einen Verkehrsteilnehmer, welcher sich in einer Weise im Strassenverkehr verhält, dass er mit der Anordnung einer Blutprobe rechnen muss und alsdann versucht, eine solche zu vereiteln. Damit behindert er den Gang einer ordnungsgemässen Strafuntersuchung und damit die Wahrheitsfindung mit Bezug auf eine von ihm zu vertretende Handlung. Es kann hingegen nicht angehen, Art. 91 Abs. 3 SVG auf alle Personen auszudehnen, die an der Anordnung, Entnahme und Auswertung einer Blutprobe beteiligt sind. Dem steht bereits das Legalitätsprinzip (Art. 1 StGB) entgegen. Zum selben Ergebnis führt auch die Tatsache, dass Art. 91 Abs. 1 SVG - Fahren in angetrunkenem Zustand - mit Bezug auf die Strafandrohung Art. 91 Abs. 3 SVG gleichgestellt ist. Eine gegenteilige Auffassung lässt sich schliesslich auch weder mit BGE 103 IV 51 noch dem Hinweis auf Art. 140 f. VZV begründen. Wollte man den Tatbestand von Art. 91 Abs. 3 SVG auf Dritte, welche mit der Entnahme oder Auswertung der Blutprobe betraut sind, nicht aber mit der Anordnung einer Blutprobe rechnen müssen, ausdehnen, müsste an sich jeder zur Anzeige oder Anordnung einer Blutprobe zuständige und dazu verpflichtete Beamte ebenfalls wegen Vereitelung einer Blutprobe bestraft werden, wenn er von dem ihm gebotenen Vorgehen absieht, um jemandem aus der Patsche zu helfen. Dieser Beamte begeht hingegen eine Begünstigung im Sinn von Art. 305 StGB (unechtes Unterlassungsdelikt; Schultz, Rechtsprechung und Praxis zum Strassenverkehrsrecht in den Jahren 1983-1987, Bern 1990, S. 290).

Bei den Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 91 Abs. 3 SVG - aufgrund der Umstände zu erwartende Anordnung oder bereits angeordnete Blutprobe - handelt es sich zusammenfassend um strafbegründende, sachliche Voraussetzungen, welche diese Bestimmung als Sonderdelikt qualifizieren. Massgebend ist dabei allein die besondere Pflicht und nicht die Stellung des Täters an sich, aus der sie folgt. Deshalb können Sonderdelikte auch auf andere Weise als durch Verwendung täterschaftlicher Merkmale zustande kommen, nämlich durch Umschreibung der pflichtbegründenden Situation (wie etwa bei der Führerflucht, Art. 92 Abs. 2 SVG; Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, AT I, 2.A., § 9 N 5; BGE 116 IV 74). Sowohl vom Wortlaut als auch vom Sinn und Zweck von Art. 91 Abs. 3 SVG besteht daher eine Pflicht, sich einer Blutprobe zu unterziehen, nur bei einem Verkehrsteilnehmer.

bb) Nach Art. 24 Abs. 1 StGB wird nach derselben Strafandrohung, die auf den Täter Anwendung findet, bestraft, wer jemanden zu dem von ihm verübten Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich bestimmte. Voraussetzung einer strafbaren Anstiftung ist, dass die angestiftete Person selbst ein Verbrechen oder Vergehen verübt. Massgebend ist nicht nur, ob die Haupttat tatsächlich ausgeführt bzw. versucht wurde, sondern insbesondere auch, ob der Angestiftete überhaupt eine strafbare Handlung beging. Gemäss Lehre und Rechtsprechung genügt eine Haupttat, die tatbestandsmässig und rechtswidrig ist. Die Haupttat muss einen gesetzlichen Tatbestand erfüllen und von einer natürlichen Person begangen sein. Tatbestandsmässig ist eine Haupttat nur, wenn der Täter neben den objektiven auch die subjektiven Tatmerkmale verwirklicht (Stratenwerth, § 13 N 82 f.; Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Zürich 1989, vor Art. 24 N 22). An diesen Erfordernissen fehlt es regelmässig, wenn der Anstifter zu einem Sonderdelikt anstiftet, dessen besondere Voraussetzungen bei der angestifteten Person nicht vorliegen. Bei den Sonderdelikten kann Täter nur sein, wer die entsprechende Sonderpflicht hat. Nimmt eine Person ohne diese Qualifikation die tatbestandsmässige Handlung auf Veranlassung eines Sonderpflichtigen vor, so hat er unter Umständen zwar die Herrschaft über das Tatgeschehen, ist aber mangels der erforderlichen Qualifikation nicht Täter. Der Sonderpflichtige ist alsdann nicht einmal wegen Anstiftung strafbar, weil diese voraussetzt, dass der Angestiftete einen Straftatbestand erfüllt (Stratenwerth, § 13 N 36).

cc) Eine Anstiftung zur Vereitelung einer Blutprobe ist daher grundsätzlich denkbar, aber nur dann, wenn auf seiten des Angestifteten die Voraussetzungen von Art. 91 Abs. 3 SVG erfüllt sind, mit Bezug auf dessen Person mithin bereits eine Blutprobe angeordnet wurde oder der Angestiftete mit der Anordnung einer Blutprobe aufgrund der Umstände rechnen muss. Liegen beim Angestifteten die Voraussetzungen nicht vor, verunmöglicht er aber auf Veranlassung desjenigen, bei welchem eine Blutprobe angeordnet wurde oder der mit einer entsprechenden Anordnung rechnen muss, die Durchführung einer Blutprobe, liegt ein Fall der Anstiftung zur Begünstigung des Anstifters vor. Dieses Verhalten war gemäss BGE 73 IV 240 grundsätzlich strafbar. Das Bundesgericht stützte sich dabei allerdings auf die inzwischen aufgegebene Schuldteilnahmelehre. In BGE 111 IV 165 f. wurde die Frage offengelassen. Nachdem indessen die Selbstbegünstigung nach herrschender Lehre und Rechtsprechung straflos ist (Trechsel, Art. 305 StGB N 13 mit Hinweisen), versteht sich die Straflosigkeit der Anstiftung zur Begünstigung des Anstifters von selbst (Trechsel, Art. 305 StGB N 14; Trechsel/Noll, Schweizerisches Strafrecht, AT I, 4.A., S. 207).

dd) Denkbar wäre schliesslich, dass sich der Lenker, bei welchem eine Blutprobe angeordnet wurde, oder der mit der Anordnung einer Blutprobe rechnen muss, als mittelbarer Täter der Vereitelung einer Blutprobe schuldig macht. Mittelbarer Täter ist aber nur, wer die Tat durch eine andere Person, deren Willen mit dem seinigen nicht koordiniert ist, ausführen lässt, wer mithin einen anderen als willenloses oder wenigstens nicht vorsätzlich handelndes Werkzeug benützt, um durch ihn die beabsichtigte strafbare Handlung ausführen zu lassen (BGE 101 IV 310). Voraussetzung ist allerdings, dass der Tatmittler entweder unzurechnungsfähig ist, wegen eines Sachverhaltsirrtums unvorsätzlich handelt, sich in einem Nötigungsnotstand befindet oder vom mittelbaren Täter in einen Verbotsirrtum versetzt wurde (Trechsel/Noll, S. 181 f.). Abzulehnen ist der von einem Teil der Lehre angenommene spezielle Fall einer mittelbaren Täterschaft, wenn der mittelbare Täter einen vorsätzlich handelnden Tatmittler, dem aber eine Sondereigenschaft oder eine besondere Absicht fehlt, als "doloses Werkzeug" benutzt (Stratenwerth, § 13 N 37 f.; Trechsel/Noll, S. 182).

b) Die Krankenschwester, welche die Blutprobe des Berufungsklägers ausschüttete und das Röhrchen mit fremdem Blut auffüllte, hatte sich weder eine Blutprobe entnehmen zu lassen noch musste sie mit einer Blutprobe rechnen. Sie konnte mithin den Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe nicht erfüllen. Folgerichtig wurde sie denn auch wegen Begünstigung im Sinn von Art. 305 StGB angeklagt und verurteilt. Dies führt dazu, dass der Berufungskläger nicht wegen Anstiftung zur Vereitelung einer Blutprobe schuldig gesprochen werden kann.

Die Krankenschwester war auch keine Tatmittlerin in dem Sinn, dass sie vom Berufungskläger entweder als willenloses oder nicht vorsätzlich handelndes Werkzeug benützt wurde. Sie war unbestrittenermassen vollständig zurechnungsfähig, und sie verunmöglichte die Auswertung der Blutproben des Berufungsklägers mit Wissen und Willen, mithin vorsätzlich.

c) Eine Verurteilung des Berufungsklägers wegen Vereitelung einer Blutprobe käme demnach nur in Betracht, wenn er als Mittäter zu qualifizieren wäre. Dies setzt indessen voraus, dass er über die Tatherrschaft verfügte (Trechsel/Noll, S. 176). Beschränkt sich die Mitwirkung auf die Phase der Planung und Entschlussfassung, so ist Mittäterschaft nur dann anzunehmen, wenn der Betreffende zwar später nicht mehr selbst in das Geschehen eingreift, kraft seiner Beziehung zu den Ausführenden aber weiterhin einen tragenden Einfluss ausübt (Trechsel, vor Art. 24 StGB N 16). Wer nur in der Entschluss- und Planungsphase mitwirkte, sei es auch noch so intensiv, dann aber jegliches Interesse an der Tat verliert und sich in keiner Weise um die Ausführung kümmert, ist nicht Mittäter (Trechsel/Noll, S. 178).

Aufgrund der Akten ist erstellt, dass sich der Berufungskläger und die Krankenschwester nur oberflächlich kannten. Der Berufungskläger übte auch weder einen besonderen Einfluss noch besonderen Druck auf die Krankenschwester aus. Daran ändern die von der Staatsanwaltschaft hervorgehobenen dramatischen Schilderungen des Berufungsklägers über seine Zukunft im Fall einer Verurteilung nichts. Die Krankenschwester gab selbst an, aus einem "Sozialtick" heraus gehandelt zu haben. Selbst wenn zutreffen sollte, dass der Berufungskläger der Krankenschwester am Telefon sagte, auf welche Weise sie mit Bezug auf die Vernichtung der Blutprobe vorgehen sollte, verfügte er schliesslich nicht über die Tatherrschaft. Mittäterschaft scheidet daher aus. Die Annahme der Gehilfenschaft zur Vereitelung einer Blutprobe entfällt, da die Krankenschwester diesen Tatbestand nicht verwirklichen konnte. Gehilfenschaft zur Begünstigung (des Gehilfen) bleibt ebenso wie die Anstiftung zur Begünstigung des Anstifters straflos (BGE 115 IV 232).

d) Der Berufungskläger kann somit weder wegen Vereitelung einer Blutprobe noch wegen Anstiftung zur Vereitelung einer Blutprobe verurteilt werden. In dieser Hinsicht erweist sich somit die Berufung als begründet, während die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft abzuweisen ist. Allerdings ist die Strafsache an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Prüfung der Frage, ob dem Berufungskläger Fahren in angetrunkenem Zustand (Art. 91 Abs. 1 SVG) nachgewiesen werden kann.

Rekurskommission, 10. Juli 1997, SB 97 12


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