RBOG 1997 Nr. 47
Behauptungs- und Beweislast bei Entschädigungsansprüchen nach § 65 StPO
1. Die StPO enthält bezüglich der Beurteilung von Entschädigungsansprüchen nach § 65 StPO keine Verfahrensvorschriften. Daraus schliessen zu wollen, es seien die Grundsätze des Verantwortlichkeitsgesetzes (VerantwG) und damit des VRG anzuwenden, scheitert schon daran, dass das Verantwortlichkeitsgesetz vom 14. Februar 1979 sowie das VRG vom 23. Februar 1981 stammt. Entschädigungsansprüche bei Einstellung der Untersuchung und bei gerichtlichem Freispruch mussten indessen lange vor Inkrafttreten dieser beiden Gesetze beurteilt werden (vgl. § 75 aStPO, § 65 StPO). Es entspricht denn auch konstanter Praxis, dass Entschädigungsbegehren im Zusammenhang mit der Einstellung einer Untersuchung oder mit einem Freispruch nach § 65 StPO bzw. § 75 aStPO stets nach zivilprozessualen Grundsätzen beurteilt wurden, wie dies der früheren Fassung von § 12 VerantwG entsprach. Zwar handelt es sich um eine Kausalhaftung des Staates; der Ansprecher hat aber den Kausalzusammenhang zwischen Untersuchungshandlung und erlittenem Schaden sowie die Schadenshöhe zu beweisen (vgl. Padrutt, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Graubünden, 2.A., Art. 161 N 1.7). Zudem gilt grundsätzlich auch im Verantwortlichkeitsverfahren der allgemeine Grundsatz von Art. 8 ZGB, wonach derjenige die Anspruchsgrundlagen einer Forderung nachzuweisen hat, der eine Entschädigung verlangt; spezifische Regeln über Beweislasterleichterungen oder Beweislastumkehr gibt es im Verantwortlichkeitsverfahren nur bei der Verschuldenshaftung (Gross, Schweizerisches Staatshaftungsrecht, Bern 1995, S. 331). Selbst wenn somit das VerantwG bzw. das VRG Geltung haben sollten, entbindet dies den Ansprecher jedenfalls nicht von der Pflicht, seinen Schaden zu substantiieren. Daran änderte selbst § 12 Abs. 1 VRG nichts, wonach die Behörde den Sachverhalt zu ermitteln und von Amtes wegen Beweise zu erheben hat. Zwar gilt diese Bestimmung kraft Verweises auch bei verwaltungsrechtlichen Klagen (§ 69 i.V.m. §§ 55 Abs. 2, 53 und 12 VRG), allerdings nur sinngemäss; subsidiär gelten die Grundsätze der ZPO (Haubensak/Litschgi/Stähelin, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, Frauenfeld 1984, § 69). Ausserdem kommt auch in öffentlich- rechtlichen Verfahren den Mitwirkungspflichten der Parteien im Rechtsmittelverfahren vermehrt Bedeutung zu; so gilt im Rekursverfahren die Untersuchungsmaxime nicht uneingeschränkt (Haubensak/Litschgi/Stähelin, § 53 VRG N 2). Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau hielt zu § 12 VRG denn auch in konstanter Rechtsprechung fest, zwar habe eine Verwaltungsbehörde den Sachverhalt grundsätzlich von Amtes wegen abzuklären; die Parteien und Verfahrensbeteiligten hätten aber - soweit notwendig und zumutbar - dabei mitzuwirken und die erforderlichen Unterlagen einzureichen. Die Untersuchungsmaxime nach § 12 VRG entbinde die Parteien beispielsweise nicht von der Pflicht, den ihrer Meinung nach von der Aktenlage abweichenden wirklichen Sachverhalt in den Rechtsschriften darzutun (vgl. Leitsätze des Verwaltungsgerichts zum Thurgauer Recht 1984-1988, § 12 VRG LS 9, 11).
2. Der Ansprecher, welcher Entschädigungsansprüche nach § 65 StPO geltend macht, trägt somit grundsätzlich die Behauptungs- und Beweislast. Er hat mithin den Schaden zu substantiieren, was freilich nicht ausschliesst, dass der Richter in Anwendung von Art. 42 Abs. 2 OR gegebenenfalls den ziffernmässig nicht nachweisbaren Schaden nach Ermessen abschätzt. Dies entbindet den Ansprecher allerdings nicht von seiner Mitwirkungspflicht.
Rekurskommission, 27. Januar 1997, SW 96 13