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RBOG 1998 Nr. 1

Vorsorgliche Massnahmen im Scheidungsprozess: Anrechnung eines hypothetischen Einkommens nach Ablauf der einjährigen Anpassungsfrist; Anforderungen an den Beweis der Arbeitsunfähigkeit


Art. 137 Abs. 2 (Art. 145 aZGB) ZGB, § 186 ZPO


1. Im Rahmen vorsorglicher Massnahmen wurde der Rekurrent zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen an die Ehefrau verpflichtet. Ein Jahr nach Erlass der Verfügung ersuchte er um Aufhebung seiner Beitragspflicht: Die Ehefrau müsse nunmehr einer Erwerbstätigkeit nachgehen; die ihr eingeräumte 12monatige Frist zur Anpassung an die neue Situation sei abgelaufen. Die Vorinstanz wies das Begehren ab, weil die Rekursgegnerin nach wie vor arbeitsunfähig sei. Ein ärztliches Zeugnis stelle ein taugliches Beweismittel im Sinn von § 186 ZPO dar. Die Ausgestaltung eines wahrheitsgemässen Zeugnisses gehöre zu den Berufspflichten eines Arztes. Anlass, an der Richtigkeit des eingereichten Arztzeugnisses zu zweifeln, bestehe nicht. Die Arbeitsunfähigkeit der Ehefrau habe trotz Ablaufs der 12monatigen Übergangsfrist zur Folge, dass der Rekurrent weiterhin für ihren Unterhalt aufzukommen habe.

2. a) Praxis der Rekurskommission ist es, eine Ehefrau, welche während der Dauer der Ehe keiner oder nur in sehr beschränktem Umfang einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, während 12 Monaten ab Einleitung des Scheidungs- oder Trennungsprozesses die bisherige Rollenverteilung beibehalten zu lassen und sie demgemäss erst nach Ablauf dieses Zeitraums zu verpflichten, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Ist dieses Übergangsjahr abgelaufen, kann dies Anlass zur Abänderung einer ursprünglichen Massnahmeverfügung sein.

b) Die Zumutbarkeit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hängt nun aber nicht allein vom Ablauf dieser Anpassungsfrist ab; es kann im Einzelfall Umstände geben, die es notwendig machen, vom Grundsatz der auf 12 Monate beschränkten Anpassungsfrist abzuweichen. Dies gilt beispielsweise dann, wenn die Anspruchsberechtigte aus gesundheitlichen Gründen nach Ablauf dieses Zeitraums nicht in der Lage ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Exakt hierauf beruft sich die Rekursgegnerin und verweist auf das Arztzeugnis vom Februar 1998. Es wird darin unter Bezugnahme auf das Zeugnis vom Juli 1997 bestätigt, dass die Ehefrau, bedingt durch die aktuelle und anhaltende psychosoziale Belastungssituation, zur Zeit und bis auf weiteres nicht arbeitsfähig bzw. für eine Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbar ist. Dieses Zeugnis ist zwar nicht sonderlich aktuell; der Rekurrent macht jedoch nicht geltend, der Gesundheitszustand seiner Ehefrau habe sich zwischenzeitlich massiv verbessert. Mit der Vorinstanz ist ferner primär einmal davon auszugehen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung werde nicht bloss gefälligkeitshalber ausgestellt. Weitere Abklärungen über den Gesundheitszustand zu treffen, ist deshalb während der 12monatigen Übergangsfrist, welche im Normalfall auch der Dauer eines Scheidungs- resp. Trennungsprozesses entspricht, in aller Regel nicht notwendig; dasselbe gilt für eine mässige Verlängerung der Übergangsfrist zufolge des Gesundheitszustands des betroffenen Ehegatten.

Zieht sich das Verfahren aber übermässig in die Länge, darf allein aufgrund der Tatsache, dass der behandelnde Arzt seinem Patienten die Arbeitsunfähigkeit bestätigt, die Anpassungsfrist nicht auf unabsehbare Zeit hin verlängert werden. Gerade dann, wenn die Unmöglichkeit der Erwerbsaufnahme auf psychischen Schwierigkeiten und damit auf rein subjektiven, nicht objektivierbaren Schilderungen des Patienten beruht, scheint es unabdingbar zu sein, nach Ablauf höchstens weiterer sechs Monate zu verlangen, dass bei weitergehender Dauer der Arbeitsunfähigkeit der Bericht einer mit dem Patienten bislang nicht befassten fachspezifischen Institution, d.h. einer psychiatrischen Klinik, vorgelegt wird. Dies gilt im hier zu beurteilenden Fall ganz besonders, ist doch aus der Sicht unbeteiligter Dritter je länger je mehr nur schwer nachvollziehbar, dass die Rekursgegnerin den "Schock der Trennung", welcher seit Mitte 1996 Anlass ihrer Beschwerden ist und immerhin dazu geführt hat, dass sie bereits seit September 1996 arbeitsunfähig ist, nach nunmehr bald zwei Jahren noch immer fortbesteht resp. derartige Folgen hat, dass daraus nach wie vor eine 100%ige Erwerbsunfähigkeit resultiert. Im Herbst 1998 müsste die Rekursgegnerin demgemäss gleichermassen ein "Amtszeugnis" beibringen, wenn sie sich weiterhin aus Krankheitsgründen als erwerbsunfähig betrachtet; ein Zeugnis des behandelnden Arztes könnte alsdann nicht mehr genügen. Zu prüfen wäre abgesehen davon angesichts der schon bisher ungewöhnlich langen Dauer ihrer psychischen Schwierigkeiten auch, ob sie sich nicht bei der IV anmelden müsste; andernfalls könnte sich der Rekurrent allenfalls darauf berufen, die Rekursgegnerin habe dies schuldhaft unterlassen.

Rekurskommission, 13. Juli 1998, ZR 98 49


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