RBOG 1998 Nr. 12
Begriff des "neuen Vermögens" gemäss Art. 265a SchKG
1. Eine neue Betreibung kann gegen einen Konkursiten erst wieder angehoben werden, wenn dieser seit seinem Konkurs zu neuem Vermögen gekommen ist. Als neues Vermögen gelten auch Werte, über die der Schuldner wirtschaftlich verfügt. Unter "neuem Vermögen" ist nur neues Nettovermögen zu verstehen, mithin der Überschuss der nach Beendigung des Konkurses erworbenen Aktiven über die neuen Schulden. Der ehemalige Konkursit hat dabei Anspruch auf eine standesgemässe Lebensführung, die es ihm erlaubt, eine neue Existenz aufzubauen; er darf deshalb nicht einfach auf den Notbedarf verwiesen werden (Amonn/Gasser, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6.A., § 48 N 29, 33 mit Hinweisen; BJM 1989 S. 317 f.; ZBJV 108, 1972, S 321). Neues Vermögen wird nicht erst dann angenommen, wenn es tatsächlich beiseite gelegt und kapitalisiert wurde, sondern bereits dann, wenn der Schuldner - allein oder zum Beispiel zusammen mit seinem Ehegatten - ein Einkommen erzielt, das es ihm erlauben würde, Vermögen zu bilden. Der als neues Vermögen pfändbare Einkommensanteil wird so bestimmt, dass zum betreibungsrechtlichen Existenzminimum ein angemessener Zuschlag gewährt wird; darüber liegendes Einkommen ist pfändbar (Amonn/Gasser, § 48 N 34; Fritzsche/Walder, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, 3.A., Bd. II, § 53 N 16).
2. Die Vorinstanz ermittelte ausgehend von den Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums einen Notbedarf von Fr. 4'010.40. Als Zuschlag gestand sie dem Schuldner 20% auf diesem Betrag zu. Der Berufungskläger hält an einem Zuschlag von 30% zum betreibungsrechtlichen Existenzminimum fest; zudem habe die Vorinstanz verschiedene Aufwandpositionen zu Unrecht nicht berücksichtigt.
3. a) Zu Recht nicht bestritten wird, dass für die Ermittlung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums gemäss ständiger Praxis im Kanton Thurgau von den Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz ausgegangen wird. Massgebend sind die Richtlinien vom 1. Januar 1994.
b) Mit Bezug auf den auf das Existenzminimum zu gewährenden Zuschlag gibt es in der Schweiz keine einheitliche Praxis. So werden Zuschläge von 20-100% gewährt (Fritzsche/ Walder, § 53 Anm. 35; Gut/Rajower/Sonnenmoser, Rechtsvorschlag mangels neuen Vermögens, in: AJP 1998 S. 545 Anm. 185; ZR 84, 1985, Nr. 58 S. 147; AGVE 1990 S. 55; BJM 1974 S. 105 = BlSchK 40, 1976, S. 61). Soweit überblickbar, wird allerdings der Zuschlag entgegen der Auffassung des Berufungsklägers und der Praxis der Vorinstanz aufgrund der betreibungsrechtlichen Grundbeträge berechnet; zu diesen erweiterten Grundbeträgen kommen die übrigen notwendigen Ausgaben hinzu. Die Summe daraus ergibt den für eine standesgemässe Lebensführung notwendigen Aufwand. Die Vorinstanz ermittelte hingegen das betreibungsrechtliche Existenzminimum und billigte dem Schuldner ausgehend von diesem Gesamtbetrag einen Zuschlag von 20% zu. Sie ging im Ergebnis somit (abgesehen von der Nichtberücksichtigung von Steuern) gleich vor wie bei der Ermittlung der Bedürftigkeit gemäss Art. 152 ZGB (vgl. BGE 123 III 4, 121 III 51; Lüchinger/Geiser, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Zivilgesetzbuch I, Basel/Frankfurt a. M. 1996, Art. 151 N 5). Diese Methode erweist sich indessen im Zusammenhang mit der Ermittlung des als neues Vermögen pfändbaren Einkommensanteils aus verschiedenen Gründen als problematisch: Nicht ganz zu Unrecht könnte ein Schuldner alsdann einwenden, ihm werde nicht das Einkommen zugestanden, welches er für eine standesgemässe Lebensführung benötige; vielmehr werde ihm eine Lebenshaltung in oder am Rand der Bedürftigkeit zugemutet, wenn der notwendige Aufwand entsprechend den bei der Bedürftigkeitsrente nach Art. 152 ZGB entwickelten Grundsätzen ermittelt werde. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Zuschlag lediglich 20% beträgt. Insbesondere aber ist nicht ersichtlich, weshalb auf effektiv getätigten und bei der Berechnung des erweiterten Existenzminimums berücksichtigten Ausgaben (z.B. Wohnungskosten, Krankenkasse, Steuern) ein Zuschlag zu machen ist, werden doch diese Auslagen effektiv nur einmal erbracht (vgl. BJM 1974 S. 105). Vielmehr rechtfertigt es sich, den Sozialzuschlag aufgrund der betreibungsrechtlichen Grundbeträge zu ermitteln, weil in diesen verschiedene, nicht im einzelnen berücksichtigte Aufwendungen bereits enthalten sind (z.B. Telefon, TV, Radio, Strom, Wasser, Versicherungen, Zeitungsabonnemente etc.), mithin in dieser Beziehung nicht von effektiven Ausgaben, sondern von auf der Erfahrung beruhenden, geschätzten Aufwendungen ausgegangen wird. Wird zu diesen Grundbeträgen ein Zuschlag von 50% entsprechend der Praxis des Obergerichts des Kantons Aargau gewährt (AGVE 1990 S. 55), und werden daneben weitere effektive Kosten berücksichtigt, ist es einem Schuldner möglich, ein standesgemässes Leben zu führen, ohne dass dabei die Interessen der im Konkurs zu Verlust gekommenen Gläubiger über Gebühr geschmälert werden.
c) aa) Neben den betreibungsrechtlichen Grundbeträgen plus einem Zuschlag von 50% sind bei der Ermittlung des zu einer standesgemässen Lebensführung notwendigen Aufwands die Wohnungskosten zu berücksichtigen. Ausgangspunkt bilden dabei nicht die effektiv bezahlten Miet- oder Hypothekarzinsen, sondern lediglich angemessene Kosten. Der Grund liegt darin, dass sich das standesgemässe Leben nicht nach dem Lebensstandard zu richten hat, welchen der Schuldner vor dem Konkurs hatte, sondern vielmehr darauf abzustellen ist, was sich der Schuldner in seiner neuen Lebenslage leisten kann (Gut/Rajower/Sonnenmoser, S. 541 mit Hinweisen). Der Schuldner hat mithin Anspruch darauf, in einer angemessenen, nicht aber luxuriösen Unterkunft zu wohnen. Bei einer Mietwohnung sind neben einem angemessenen Mietzins die Heizungskosten zu berücksichtigen, bei selbstgenutztem Eigentum ausserdem die öffentlich-rechtlichen Abgaben und durchschnittliche Unterhaltskosten.
bb) Zu den erweiterten Grundbeträgen hinzuzurechnen sind zudem die Krankenkassenprämien, in der Regel allerdings lediglich die Prämien für die obligatorische Grundversicherung. Die Grundversicherung deckt seit der Revision des KVG und unter Berücksichtigung der angekündigten Aufnahme weiterer Heilmethoden (Alternativmedizin) die Risiken bereits derart weitgehend ab, dass auch ohne Zusatzversicherungen von einer "standesgemässen" Krankenversicherung ausgegangen werden kann. Zu berücksichtigen sind allfällige Prämienverbilligungen. Sofern der Schuldner Zusatzversicherungen abschloss, sind diese in der Regel durch den Sozialzuschlag von 50% abgedeckt. Dasselbe gilt für die Prämien der Haftpflicht-, Hausrat- oder Rechtsschutzversicherungen; diese sind im Grundbetrag inbegriffen und gelten mit dem Sozialzuschlag als abgegolten.
cc) Ebenfalls zu berücksichtigen sind - analog zur Rechtsprechung zu Art. 145 ZGB (RBOG 1989 Nr. 2) - die Steuern. Dies gilt umso mehr, als das Bundesgericht im Zusammenhang mit der Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung festhielt, bei der Ermittlung der Bedürftigkeit seien die Steuern miteinzubeziehen (BGE vom 20. Mai 1998, 4P.53/1998; vgl. SJZ 94, 1998, S. 229 f.).
dd) Im Zusammenhang mit einem Fahrzeug gelten die für die Ermittlung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums geltenden Grundsätze: Kommt dem Automobil Kompetenzcharakter zu, sind unter dem Titel "unumgängliche Berufsauslagen" die festen und veränderlichen Kosten ohne Amortisation zu berechnen. Ansonsten sind die Auslagen der öffentlichen Verkehrsmittel massgebend. Im übrigen sind die Kosten eines zu privaten Zwecken genutzten Fahrzeugs in den um den Sozialzuschlag erweiterten Grundbeträgen enthalten.
Rekurskommission, 24. August 1998, ZB 98 11