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RBOG 1998 Nr. 18

Keine Kautionspflicht für vorsorgliche Massnahmen im Zusammenhang mit familienrechtlichen Prozessen


Art. 137 Abs. 2 (Art. 145 aZGB) ZGB, § 77 Abs. 1 ZPO


1. Gemäss § 77 Abs. 1 ZPO besteht keine Kautionspflicht in "Vaterschafts- und Ehescheidungsprozessen sowie bei der Anordnung oder Aufhebung vormundschaftlicher Massnahmen". Diese Ausnahmeregelung ersetzte den früheren § 102 aZPO, gemäss welchem die Vorschrift über die Kautionspflicht keine Anwendung auf das summarische Verfahren sowie auf die Vaterschafts-, Ehescheidungs- und Entmündigungsprozesse fand. Die Rechtsprechung hielt fest, für Abänderungsklagen bestehe keine Kautionspflicht (RBOG 1979 Nr. 16), hatte angesichts der klaren gesetzlichen Regelung aber keinen Anlass, sich mit der Frage zu befassen, ob für vorsorgliche Massnahmen im Ehescheidungsprozess eine Kautionspflicht bestehe. Mit der Aufhebung von § 102 aZPO und der Ausnahmeregelung im geltenden § 77 Abs. 1 ZPO bestimmte der Gesetzgeber klar, dass grundsätzlich im summarischen Verfahren eine Kautionspflicht besteht, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind; den Beratungen ist indessen nicht zu entnehmen, dass dies auch für vorsorgliche Massnahmen im Zusammenhang mit familienrechtlichen Prozessen gelten sollte. Dagegen spricht insbesondere der Umstand, dass sich die in Frage stehende Revision der ZPO weitgehend an das zürcherische Vorbild anlehnte, welches für das summarische Verfahren die Kautionspflicht kennt, sie aber für familienrechtliche Prozesse ebenfalls ausschliesst (§ 78 Ziff. 1 ZPO ZH) und darunter ohne weiteres auch Eheschutzverfahren zieht (Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3.A., § 78 N 4).

2. Die Befreiung von der Kautionspflicht in Ehesachen soll die Rechtsverfolgung erleichtern, da der Durchsetzung von Rechten, die einer Partei um ihrer Persönlichkeit willen zustehen, möglichst keine prozessualen Hindernisse entgegenstehen sollen (Isler, Die Kautionspflicht im schweizerischen Zivilprozessrecht, Diss. Zürich 1967, S. 72 f.). Gleichzeitig bezwecken vorsorgliche Massnahmen nach Art. 145 ZGB für die Dauer des Prozesses eine vorläufige Neuordnung der ehelichen Gemeinschaft; der vorläufige Rechtsschutz soll die durch die Klageanhebung gefährdeten Interessen der Ehegatten und der Kinder in persönlicher und vermögensrechtlicher Beziehung für die Prozessdauer sichern, für diese kritische Zeitspanne den Rechtsfrieden gewährleisten und damit auch die Ehe selber vor weiterer Schädigung bewahren (Bühler/Spühler, Berner Kommentar, Art. 145 ZGB N 11); schon aus dieser Zielsetzung heraus und gestützt auf den Umstand, dass Art. 145 ZGB erst Anwendung finden kann, wenn eine Klage angebracht ist (vgl. RBOG 1976 Nr. 15), steht das Verfahren betreffend vorsorglicher Massnahmen im Ehescheidungsprozess in engem Zusammenhang mit dem Scheidungsprozess selbst.

Aus dem Zweck der Ausnahmeregelung für familienrechtliche Prozesse und dem Zusammenhang zwischen vorsorglichen Massnahmen und Hauptprozess kann die einzig sachgerechte Lösung folglich nur sein, dass unter den Begriff "Ehescheidungsprozess" in § 77 Abs. 1 ZPO auch die entsprechenden vorsorglichen Massnahmen nach Art. 145 ZGB fallen.

Präsident des Obergerichts, 9. Dezember 1998, ZR 98 95


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