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RBOG 1998 Nr. 33

Kein Wechsel des Offizialverteidigers wegen dessen Zugehörigkeit zu einer politischen Partei


Art. 4 aBV, Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK, §§ 50 ff. StPO


1. Gegen den ausländischen Beschwerdeführer ist ein Strafverfahren hängig. Auf dessen Wunsch hin wurde zunächst Rechtsanwalt X zum Offizialverteidiger bestellt. Im Verlauf des Verfahrens entzog der Beschwerdeführer Rechtsanwalt X das Mandat und beauftragte für seine Verteidigung neu Rechtsanwalt Y. Dieser beantragte die Umwandlung des erbetenen Mandats in ein amtliches. Der Beschwerdeführer habe zufällig erfahren, dass sein bisheriger Offizialverteidiger einer politischen Partei angehöre, die ausländerfeindliche Tendenzen verfolge. Der Beschwerdeführer habe sich dadurch nicht mehr richtig vertreten gefühlt.

2. a) Bei der Offizialverteidigung wird der Verteidiger von einem staatlichen Organ durch einen hoheitlichen Akt ernannt. Dabei ist auf den Vorschlag des Beschuldigten nach Möglichkeit Rücksicht zu nehmen, da jede Verteidigung ein Vertrauensverhältnis zwischen Klient und Anwalt voraussetzt. Die einmal getroffene Wahl ist grundsätzlich unwiderruflich; ein Wechsel in der Offizialverteidigung wird nur mit Zurückhaltung bewilligt (Hauser/Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 3.A., § 40 N 13 mit Hinweisen). Für den Wechsel des Offizialverteidigers bedarf es daher eines wichtigen Grundes, der zur wesentlichen Beeinträchtigung oder gar Verunmöglichung der Verteidigung geeignet ist, mithin die Weiterführung des Mandats objektiv unzumutbar macht (AGVE 1989 S. 78).

Dabei kann ein Vertrauensverlust des Beschuldigten gegenüber seinem Offizialverteidiger durchaus ein den Verteidigerwechsel rechtfertigender Grund sein. Dieser muss aber objektiv gegeben sein; ein unbestimmter Vorwurf reicht nicht aus (SJZ 81, 1985, S. 61). Vielmehr muss ein konkreter Vorwurf gegen die Person des Offizialverteidigers bestehen oder dessen bestimmtes, das Vertrauen erheblich einschränkendes Verhalten hinreichend substantiiert sein (ZBJV 124, 1988, S. 39). Der blosse Hinweis auf fehlendes Vertrauen, einen Vertrauensschwund oder mangelnden Einsatz ist zur Begründung eines Wechsels des Offizialverteidigers ungenügend (AGVE 1985 S. 78). Somit ist ein Wechsel des Offizialverteidigers nur und immer nur dann möglich, wenn die sachgemässe Vertretung der Interessen des Beschuldigten nicht mehr gewährleistet ist (BGE 116 Ia 105).

Zweck der Einschränkung des Wechsels des Offizialverteidigers ist, dass einerseits sachlich unbegründete Wechsel vorab nicht durch den Beschuldigten erzwungen werden können (ZR 93, 1994, Nr. 4). Ausserdem soll einer Prozessverschleppung vorgebeugt werden, da die Einarbeitung eines neuen Offizialverteidigers zeitraubend sein kann. Nicht zuletzt spielen auch Kostengründe eine nicht unwesentliche Rolle, zumal der Beizug eines neuen Offizialverteidigers mit erheblichen Mehrkosten zu Lasten des Staates verbunden ist (SJZ 81, 1985, S. 61): Für den neuen Offizialverteidiger, der sich in die Sache einarbeiten muss, ist der Staat voll entschädigungspflichtig, während er den bisherigen Verteidiger für dessen Leistung ebenfalls zu entschädigen hat.

Diese zurückhaltende Praxis führt nicht zu einer Einschränkung der Verteidigungsrechte eines Angeschuldigten. Die einmalige Bestimmung eines Offizialverteidigers hält durchaus dem Willkürverbot stand (BGE 116 Ia 104). Grundsätzlich besteht hinsichtlich der Auswahl des Offizialverteidigers durch die staatliche Instanz kein Wahlrecht des Beschuldigten, obschon üblicherweise Wünsche des Beschuldigten berücksichtigt werden. Für die Bestellung des Offizialverteidigers ist allein entscheidend, dass die Strafsache in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht schwierig ist, und dass die Bestellung im Interesse der Rechtspflege erforderlich erscheint (Peukert, Die Garantie des "fair trial" in der Strassburger Rechtsprechung, in: EuGRZ 1980 S. 266).

b) Der Beschwerdeführer versucht, seinen Vertrauensverlust mit der politischen Gesinnung des früheren Offizialverteidigers zu begründen. Die politische Tätigkeit eines Rechtsanwalts, und damit im Einzelfall auch eines Offizialverteidigers, gehört nicht zu seiner Berufsausübung, in welcher er sich durch seine Unabhängigkeit auszeichnen muss. Die Parteizugehörigkeit eines Offizialanwalts allein ist damit grundsätzlich nicht geeignet, eine Vertrauenskrise herbeizuführen. Gleichwohl ist es denkbar, dass sich die Bereiche politischer Tätigkeit sowie die Berufsausübung des Rechtsanwalts in einem gewissen Mass überschneiden können (Wegmann, Handbuch über die Berufspflichten des Rechtsanwalts im Kanton Zürich, Zürich 1988, S. 223). Alsdann hat sich der politisch aktive Anwalt die besonderen Berufspflichten in Erinnerung zu rufen: Zur Durchsetzung der Interessen seines Klienten hat der Anwalt sich nur rechtlicher Mittel zu bedienen. Seine Berufspflicht verbietet es ihm, die politische Stellung zur Beeinflussung eines Entscheids zu missbrauchen. Ausserdem auferlegt die Pflicht zur Wahrung der Unabhängigkeit dem Anwalt, der ein Mandat übernommen hat, das Verbot, entgegengesetzte Interessen zu vertreten (Wegmann, S. 224). Die blosse Parteizugehörigkeit eines Offizialverteidigers vermag für sich allein keinen Vertrauensverlust und damit keinen Wechsel des Offizialverteidigers zu begründen.

Rekurskommission, 30. November 1998, SW 98 10


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