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RBOG 1999 Nr. 15

Anforderungen an den Tilgungsnachweis nach Art. 172 Ziff. 3 SchKG


Art. 172 Ziff. 3 SchKG, Art. 174 Abs. 1 SchKG


1. Über den Rekurrenten wurde der Konkurs eröffnet. Der Rekurrent behauptet im Rekursverfahren, die Parteien hätten vereinbart, mit der Bezahlung von Fr. 4'800.-- sei die gesamte in Betreibung gesetzte Forderung von ursprünglich Fr. 9'600.-- beglichen. Diese Vereinbarung habe die Rekursgegnerin auf dem Telefonbeantworter bestätigt. In der Folge habe der Rekurrent der Rekursgegnerin Fr. 4'800.-- übergeben, welche den Erhalt quittiert habe. Sinngemäss macht der Rekurrent damit geltend, die in Betreibung gesetzte Forderung sei vor der Konkursverhandlung getilgt worden (teilweise durch Bezahlung, teilweise durch Erlass).

2. Der Entscheid des Konkursgerichts kann nach Art. 174 Abs. 1 SchKG an das obere Gericht weitergezogen werden. Die Parteien können dabei neue Tatsachen geltend machen, wenn diese vor dem erstinstanzlichen Entscheid eingetreten sind (Giroud, Basler Kommentar, Art. 174 SchKG N 19). Der Rekurrent beruft sich auf ein unechtes Novum, weshalb das Konkursdekret ohne Prüfung der Zahlungsfähigkeit aufzuheben ist, falls der Schuldner durch Urkunden zu beweisen vermag, dass die Schuld, Zinsen und Kosten inbegriffen, getilgt ist, oder dass der Gläubiger ihm Stundung gewährt hat (Art. 172 Ziff. 3 SchKG).

3. a) Das Gesetz verlangt den Urkundenbeweis. Blosses Glaubhaftmachen reicht nicht aus; ebensowenig genügen andere Beweismittel, ausser der Gläubiger gibt die Tilgung oder die Stundung vor dem Konkursgericht selbst zu. Unerheblich ist, weshalb der Schuldner den Urkundenbeweis nicht zu erbringen vermag, beispielsweise weil sich die Belege bei Dritten befinden (Giroud, Art. 172 SchKG N 8).

Ob und unter welchen Umständen Tonträger (hier des Telefonbeantworters) im Rahmen des Urkundenbeweises (§§ 188 ff. ZPO) zuzulassen sind, braucht nicht entschieden zu werden. Im summarischen Verfahren jedenfalls kann mittels Tonträgern ein Urkundenbeweis kaum je geführt werden. Dies scheitert - wie die Vorinstanz zutreffend ausführt - bereits daran, dass in der Regel die Identität des Urhebers einer auf einem Tonträger festgehaltenen Erklärung im summarischen Verfahren nicht mit rechtsgenüglicher Sicherheit wird überprüft werden können.

b) Mit Bezug auf den Tilgungsnachweis nach Art. 172 Ziff. 3 SchKG unterliegt der Schuldner insofern einer Beweismittelbeschränkung, als der Beweis nur mittels Urkunden geführt werden kann. Ob dem Schuldner dieser Beweis gelang, prüft der Richter hingegen in freier Beweiswürdigung (§ 187 ZPO). Die freie richterliche Beweiswürdigung ist das Produkt eines psychischen Vorgangs. Der Richter kommt zur subjektiven Überzeugung, dass der Beweis für eine Tatsache erbracht oder gescheitert ist. Diese subjektive Überzeugung hat der Richter anhand objektiver Kriterien zu bilden und die Beweise aufgrund von Denk- und Naturgesetzen sowie Erfahrungswissen zu werten und zu gewichten; er darf dabei Zweifel nicht unterdrücken. Auch Indizien und das Verhalten der Parteien im Prozess können in die Beweiswürdigung einbezogen werden (Leuenberger/Uffer-Tobler, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, Bern 1999, Art. 101 N 1c; Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3.A., § 148 N 3; Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 2.A., § 204 N 1 f.).

Von der Beweiswürdigung ist das Beweismass zu unterscheiden. Es geht dabei um die Frage, welche Intensität des Beweises sich aus der Beweiswürdigung ergeben muss, damit der Beweis als erbracht gelten kann. Grundsätzlich muss der Beweis zur vollen Überzeugung des Richters erbracht werden. Dies trifft dann zu, wenn ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit besteht, dass vernünftigerweise nicht mehr mit der Möglichkeit des Gegenteils zu rechnen ist, bzw. wenn eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit dargetan ist (Leuenberger/Uffer-Tobler, Art. 101 ZPO N 4b mit Hinweisen). Je unwahrscheinlicher eine Behauptung ist, desto höhere Anforderungen müssen an deren Beweis gestellt werden (Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3.A., S. 322).

c) Unter "Tilgung" der Schuld im Sinn von Art. 172 Ziff. 3 SchKG ist nicht nur die Zahlung, sondern jeder auf irgendeinem anderen zivilrechtlichen Grund beruhende Untergang der Forderung zu verstehen (Erlass, Verzicht, Aufhebung oder Verrechnung; Giroud, Art. 172 SchKG N 12; Staehelin, Basler Kommentar, Art. 81 SchKG N 14; Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4.A., Art. 172 SchKG N 13 i.V.m. Art. 81 SchKG N 6).

4. Der Rekurrent legte eine als "Rechnung" bezeichnete Urkunde ins Recht, welche von einem Angestellten der Rekursgegnerin unterzeichnet worden war. Die Rekursgegnerin bestätigt darin unter dem Titel "Schuldabzahlung", Fr. 4'465.10 zuzüglich Fr. 334.90 MWST erhalten zu haben. Diese Quittung ist auf dem Briefpapier der Rekursgegnerin ausgestellt. Sie wurde somit offensichtlich von der Rekursgegnerin verfasst. Der Begriff "Schuldabzahlung" ist allerdings nicht eindeutig. Einerseits kann darunter verstanden werden, dass die Schuld abbezahlt, mithin getilgt ist. Der Begriff kann andererseits auch bedeuten, dass an eine bestehende Schuld eine Abzahlung, d.h. eine Teil- oder Ratenzahlung erfolgte.

Läge nur diese Quittung im Recht, müsste der Beweis der Tilgung bzw. des Erlasses der Schuld mittels Urkunde wohl als gescheitert betrachtet werden. Der Rekurrent reichte indessen ein Schreiben ein, in welchem er sich auf ein Telefonat zwischen den Parteien bezog und den Vorschlag machte, über eine Zahlung der Hälfte der Forderung in angemessenen Raten zu verhandeln. Sollte dies für die Rekursgegnerin keine Lösung sein, müsse diese über die Weiterführung des Konkurses entscheiden. Tags darauf sandte der Rekurrent der Rekursgegnerin erneut ein Schreiben mit folgendem Wortlaut: "Besten Dank für Ihre heutige Nachricht auf unseren Telefonbeantworter. Wie Sie mir mitgeteilt haben, sind Sie mit einer Abschlagszahlung in Höhe von 50% der genannten Forderung einverstanden. Ich werde den Betrag von somit Fr. 4'800.-- innerhalb der nächsten zehn Tage beschaffen und in bar an Sie auszahlen, wenn Sie mir eine rechtsgültig unterzeichnete Erklärung abgeben, dass Sie keinerlei weitere Forderungen geltend machen." Dass die Rekursgegnerin dieses Schreiben erhielt, bestritt sie nie. In der Folge reiste der Rekurrent acht Tage später nach Zürich, um der Rekursgegnerin exakt jenen Betrag von Fr. 4'800.-- zu übergeben. Nach Treu und Glauben und gestützt auf diese zusätzlichen Urkunden, bei denen weder Versand noch Erhalt bestritten sind, muss alsdann der Begriff "Schuldabzahlung" so verstanden werden, dass mit der (Teil-)Zahlung von Fr. 4'800.-- die gesamte in Betreibung gesetzte Forderung getilgt wurde. Für die Richtigkeit dieser Auslegung des Begriffs "Schuldabzahlung" spricht auch ein vor Vorinstanz ins Recht gelegtes Schreiben an die Rekursgegnerin, wonach im Namen des Rekurrenten nochmals auf den mündlich vereinbarten Vergleich hingewiesen und die Rekursgegnerin ersucht wurde, das nach der Teilzahlung eingereichte Konkursbegehren zurückzuziehen. Schliesslich erscheint die Behauptung der Rekursgegnerin in ihrer Rekursantwort wenig überzeugend, es sei nur vereinbart gewesen, bei Bezahlung von Fr. 4'800.-- werde die Löschung der Betreibung im Betreibungsregister beantragt; eine "Preisreduktion" sei nicht abgemacht gewesen. Der Rekurrent konnte kaum ein Interesse an einer Löschung des Eintrags im Betreibungsregister haben, nachdem er im ersten Schreiben deutlich gemacht hatte, dass wohl der Konkurs eröffnet werden müsse, falls die Gläubigerin nicht auf seinen Vorschlag (Teilzahlung und Teilerlass) eingehen sollte.

Im Konkursverfahren vermochte der Rekurrent somit durch Urkunden zu beweisen, dass die in Betreibung gesetzte Forderung vor der Konkursverhandlung bereits nicht mehr bestand.

5. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Feststellung, im Konkursverfahren habe die in Betreibung gesetzte Forderung als getilgt zu gelten, keinen endgültigen Entscheid über den Bestand der Forderung darstellt: Es ist den Parteien in einem ordentlichen Forderungsprozess selbstredend unbenommen, mit allen dannzumal zulässigen Beweismitteln (z.B. Zeugen) den Beweis anzutreten, dass mit der Quittung lediglich der Erhalt einer Teil- bzw. Ratenzahlung bestätigt werden sollte und keine Parteivereinbarung bezüglich eines Erlasses der Restschuld abgeschlossen wurde.

Rekurskommission, 13. September 1999, BR.1999.100


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