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RBOG 1999 Nr. 19

Das Einheitsdelikt setzt die Einheit des Rechtsguts, nicht aber dessen Trägers voraus


Art. 71 Abs. 2 (Fassung 1937) StGB


Wenn der Täter die strafbare Tätigkeit zu verschiedenen Zeiten begeht, beginnt die Verjährung gemäss Art. 71 Abs. 2 StGB mit dem Tag, an dem er die letzte Tätigkeit ausführt. Eine Mehrzahl selbständiger strafbarer Handlungen kann unter dem Gesichtspunkt des Verjährungsbeginns als ein Ganzes betrachtet und somit zu einer verjährungsrechtlichen Einheit zusammengefasst werden, wenn die strafbaren Handlungen gleichartig, gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind und ein andauerndes pflichtwidriges Verhalten bilden (BGE 124 IV 7). Für die Zusammenfassung mehrerer Einzelakte zu einem Delikt sind nicht subjektive, sondern objektive Kriterien massgebend (Trechsel, Schweizerisches Strafrecht, AT I, 4.A., § 38, S. 255; BGE 124 IV 7). Damit wurde auch der in der Lehre kritisierte Ansatzpunkt des einheitlichen Willensentschlusses fallen gelassen (vgl. Schmid, Das fortgesetzte Delikt am Ende?, in: recht 1991 S. 136 ff.). Die andauernde Pflichtverletzung muss vom in Frage stehenden gesetzlichen Straftatbestand ausdrücklich oder sinngemäss mitumfasst sein, was das Bundesgericht für sexuelle Handlungen mit Kindern bejahte (BGE 124 IV 8; 120 IV 6).

Unter welchen Voraussetzungen ein andauerndes pflichtwidriges Verhalten angenommen werden kann, umschrieb das Bundesgericht nicht in einer abstrakten Formel, sondern es hielt fest, es sei vielmehr Sache der Praxis, im Einzelnen die Kriterien hiefür herauszubilden (BGE 117 IV 414). In BGE 120 IV 6 ff. bejahte das Bundesgericht bei einem Primarlehrer, welcher die sexuellen Handlungen mit zwei Schülern nach deren Übertritt in die Oberstufe in derselben Art und Weise weiterpflegte, die andauernde Pflichtwidrigkeit. In seinen Erwägungen bewertete es die unveränderten sexuellen Übergriffe während der Oberstufe als nahtlose Fortsetzung des strafbaren Verhaltens während der Primarschulzeit, weil der Angeklagte die pädosexuellen Beziehungen zielgerichtet ausbaute und über Jahre hinweg aufrecht erhielt. Die Übergriffe erschienen nicht als abgelöste Einzelakte, sondern als eine Abfolge strafbaren Verhaltens, dessen einzelne Akte in ein Beziehungsgeflecht eingebettet waren, das der Beschwerdeführer dank seiner Lehrerposition weiterentwickeln und für seine Interessen ausnutzen konnte.

Das mit Art. 187 StGB geschützte Rechtsgut ist der Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung Unmündiger, die besonders gefährdet erscheint, wenn Kinder und Jugendliche zu anderen als altersspezifischen Formen sexueller Betätigung veranlasst werden (BGE 120 IV 9; Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, BT I, 4.A., S. 135 f.). Dass sich für die Annahme eines Einheitsdelikts die Handlung nicht nur gegen dasselbe Rechtsgut, sondern auch gegen denselben Rechtsgutträger richten müsste, ist der bundesgerichtlichen Definition des Einheitsdelikts nicht zu entnehmen. So stellte das Bundesgericht in BGE 117 IV 414 zwar fest, dass sich die Taten im zu beurteilenden Fall gegen das gleiche Rechtsgut richteten und von den strafbaren Handlungen auch immer derselbe Rechtsgutträger betroffen war, nahm jedoch das Kriterium des Rechtsgutträgers nicht als Bestandteil in die Definition des Einheitsdelikts auf. Die Annahme von Stratenwerth, dass eine Handlungseinheit bei Rechtsgütern mit individuellem Einschlag nur bejaht werden kann, wenn sich die Widerhandlung gegen denselben Rechtsgutträger richtet (Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, AT I, 2.A., § 19 N 18), ist der bundesgerichtlichen Definition nicht zu entnehmen. Falls jedoch eine solche Einschränkung des Einheitsdelikts beabsichtigt wäre, müsste ein Einheitsdelikt verneint werden, wenn sich ein Mann gleichzeitig an zwei Kindern vergehen würde. Wird im Gegenzug von einer Mehrheit von Handlungen ausgegangen, läge Realkonkurrenz vor, welche eine Strafschärfung nach dem Asperationsprinzip gemäss Art. 68 Ziff. 1 StGB zur Folge hätte (vgl. Schmid, S. 139).

Obergericht, 29. Juni 1999, SBO.1999.7


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