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RBOG 1999 Nr. 20

Tatbestandsmerkmal der Fremdheit bei der Abgrenzung des Vermögens einer AG von demjenigen ihrer Personalvorsorgestiftung


Art. 158 Ziff. 1 StGB


1. Der Berufungskläger ist der ungetreuen Geschäftsführung angeklagt (Art. 159 aStGB). Ihm wird vorgeworfen, er als Stiftungsrat der patronal finanzierten Personalvorsorgestiftung der X AG, deren Alleinaktionär er gewesen sei, sei nur ungenügend für die Verwaltung des Stiftungsvermögens besorgt gewesen, da das Stiftungsvermögen aus einer ungesicherten Darlehensforderung an die X AG selbst bestanden habe. Der Berufungskläger macht geltend, es liege durch eine enge organisatorische und wirtschaftliche Verflechtung der Stiftung und der X AG keine Fremdheit des Vermögens im Sinn von Art. 159 aStGB vor.

2. a) In seiner früheren Rechtsprechung beachtete das Bundesgericht strikt die rechtliche Selbständigkeit der beteiligten Personen und bezeichnete demzufolge auch die AG als "fremd" gegenüber einem Alleinaktionär (vgl. Schmid, Aspekte der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Gesellschaftsorganen, in: ZStrR 105, 1988, S. 183; Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2.A., Art. 158 StGB N 8). In BGE 117 IV 259 ff. rückte das Bundesgericht von dieser Praxis ab. Grundsätzlich hielt es dabei an seiner Auffassung fest, dass die Verschiedenheit der Rechtssubjekte und damit die Fremdheit des Vermögens des einen Rechtssubjekts für das andere auch im Strafrecht grundsätzlich beachtlich sei. Es frage sich aber, ob erstens die Schädigung der Einmann-AG durch den sie beherrschenden einzigen Verwaltungsrat und Alleinaktionär gegen gesetzliche Pflichten betreffend die Sorge um das Vermögen der AG verstosse und damit im Sinn von Art. 159 aStGB tatbestandsmässig sei, und ob und inwieweit zweitens eine tatbestandsmässige Schädigung der AG durch Einwilligung nach dem Grundsatz "volenti non fit iniuria" gerechtfertigt werden könne. Das Bundesgericht kam in seinen Erwägungen zum Schluss, dass eine Vermögensdisposition des einzigen Verwaltungsrats auf Kosten der Einmann-AG, die als verdeckte Gewinnausschüttung zu qualifizieren sei, nur dann pflichtwidrig sei und den objektiven Tatbestand von Art. 159 aStGB erfülle, wenn das nach ihrer Vornahme verbleibende Reinvermögen - Aktiven minus Forderungen gegen die Gesellschaft - der AG nicht mehr zur Deckung von Grundkapital und gebundenen Reserven ausreiche. Diesbezüglich erwog das Bundesgericht, wohl sei der mittelbare Schaden der Gläubiger der AG als solcher kein im Sinn von Art. 159 aStGB relevanter Vermögensschaden, und der Geschäftsführer einer AG sei nicht schon dann und deshalb gemäss dieser Bestimmung strafbar, wenn und weil infolge seiner Handlung die Gläubiger der AG mittelbar geschädigt würden, doch müsse der Geschäftsführer das Vermögen der AG, welches allein Handlungsobjekt von Art. 159 aStGB sei, nach den aktienrechtlichen Bestimmungen gerade auch zum Schutz der realen menschlichen Interessen Dritter in einem gewissen Umfang erhalten.

b) Diese Rechtsprechung wird von der Lehre mit der Begründung kritisiert, das Bundesgericht übersehe, dass auch die Aktiengesellschaft einen eigenen Willen bilden können müsse, und dass dies bei der Einmann-AG materiell eben der Wille des Alleinaktionärs sei. Insofern führe die Praxis zu einem Schutz der AG vor sich selber. Unbestreitbar sei, dass Interessen Dritter (z.B. Gläubiger) betroffen sein könnten, aber diese Interessen nicht durch den Tatbestand der ungetreuen Geschäftsführung geschützt würden (Trechsel, Art. 158 StGB N 8; Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, BT I, 5.A., § 19 N 17).

c) Bezugnehmend auf BGE 117 IV 259 betrachtete der Berufungskläger das Mass der Fremdheit zwischen der Stiftung und der X AG als noch geringer als zwischen der Einmann-AG und dem sie als einziger Verwaltungsrat beherrschenden Alleinaktionär. So habe die Stiftung erstens, jedenfalls solange sie sich nicht freiwillig zu einer Leistung verpflichtet habe, überhaupt keine Verpflichtungen gegen Dritte, weshalb der Gläubigerschutz keine Rolle spiele. Zweitens sei die X AG berechtigt gewesen, die Stiftungssubstanz nach Massgabe der Personalaufwendungen der X AG im Zug der Zeit aufzuzehren, weshalb das Vermögen der Stiftung den Charakter einer zwar besonderen, aber langfristig vollkommen aufzehrbaren Reserve der X AG aufweise.

d) Diese Schlussfolgerung des Berufungsklägers, in welcher er eine Fremdheit zwischen der Stiftung und der X AG verneint, begründet er mit einer seiner Meinung nach dem Stiftungszweck entsprechenden Verwendung des Stiftungsvermögens. Diese Begründung ist aus folgenden Überlegungen jedoch problematisch: So wird die - zwar mit BGE 117 IV 259 gelockerte - Auffassung des Bundesgerichts, wonach sich der Alleinaktionär die rechtliche Selbständigkeit der Einmann-AG entgegenhalten lassen müsse, von der Lehre mit der Begründung kritisiert, dass materiell betrachtet der Wille der Einmann-AG dem Willen des Alleinaktionärs entspreche, was zu einem Schutz der AG vor sich selber führe. Während die AG eine Körperschaft darstellt, welche sich als Vereinigung von Personen, die einen selbst gesetzten Zweck verfolgt und sich eine zweckdienliche Organisation gegeben hat, in einer Ausgestaltung, der die Rechtsordnung die juristische Persönlichkeit verleiht, definiert, ist die Stiftung als Anstalt eine nicht in einem Personenverband bestehende, als juristische Persönlichkeit anerkannte Organisation zur Verfolgung bestimmter Zwecke zu betrachten (Meier-Hayoz/Forstmoser, Grundriss des schweizerischen Gesellschaftsrechts, 7.A., § 2 N 33 f.). Die Körperschaft basiert somit auf einer Vereinigung von Personen, während dagegen die Anstalten (Stiftungen) auf einem sachlichen bzw. Vermögenssubstrat basieren. Die Anstalt hat daher als personifiziertes Zweckvermögen keine Teilhaber (z.B. Gesellschafter), sondern lediglich Destinatäre, zu deren Gunsten der Stiftungszweck verwirklicht wird. Während die Körperschaftsteilhaber, seien es die ursprünglichen oder ihre Rechtsnachfolger, in ihrer Eigenschaft als Träger von Organfunktionen den Willen der Körperschaft bilden, so dass von einem eigenen Willen der Körperschaft gesprochen werden muss, sind Willensträger bei den Anstalten nicht deren Organe bzw. die Anstalten selbst. Vielmehr wird die Anstalt (Stiftung) vom Willen des Stifters, so wie er anlässlich der Stiftungserrichtung zum Ausdruck gekommen ist, beherrscht. Mit anderen Worten fehlt der Stiftung das charakteristische Selbstbestimmungsrecht. Da somit bei den Stiftungen eine Willensbildung begrifflich ausgeschlossen ist, können sie auch keine Willensbildungsorgane haben (Riemer, Berner Kommentar, Die Stiftungen, Systematischer Teil N 16 ff.). Die Stiftungen besitzen daher lediglich dienende Verwaltungsorgane, welche den Willen des Stifters mit den vorhandenen Vermögensmitteln auszuführen haben (Meier-Hayoz/Forstmoser, § 2 N 38; Riemer, Systematischer Teil N 19). Somit kann der Wille der X AG nicht dem Willen der von ihr gegründeten Stiftung gleichgesetzt werden, da bei letzterer aufgrund ihrer Definition eine Willensbildung begrifflich ausgeschlossen ist und vom Willen des Stifters abhängt, wie er bei der Stiftungserrichtung gefasst wurde, wobei ein späterer, allenfalls geänderter Wille des Stifters unerheblich ist (vgl. Riemer, Systematischer Teil N 17 ff.). Insofern erweist sich die Praxis des Bundesgerichts zu Art. 159 aStGB zum Begriff des "fremden Vermögens" als noch strenger, indem es unter gewissen Umständen sogar die AG als fremd gegenüber dem Alleinaktionär bezeichnet, obwohl der Wille der AG faktisch dem Willen des alleinigen Aktionärs gleichzusetzen ist. Damit erübrigen sich auch weitere Überlegungen, ob ein strafrechtlicher Schutz der Einmann-AG vor sich selber durch mögliche Gläubigerinteressen gerechtfertigt werden könne (vgl. Trechsel, Art. 158 StGB N 8; Stratenwerth, § 19 N 17).

f) Die Argumentation des Berufungsklägers, wonach zu Recht aus dem Stiftungsvermögen die Arbeitgeberbeiträge der X AG bezahlt worden seien und damit die Möglichkeit bestanden habe, auf diese Weise das Stiftungsvermögen vollständig zu liquidieren, beschlägt nicht die Frage der "Fremdheit" gemäss Art. 159 aStGB, sondern die Frage nach dem Inhalt der Fürsorgepflicht des Geschäftsführers. Diese ergibt sich aus dem jeweiligen Grundverhältnis (Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 1.A., Art. 159 aStGB N 8).

g) Der Stiftungsrat hat als oberstes Organ in erster Linie die Verwaltung des Vermögens im Rahmen des Stifterwillens sicherzustellen. Die Bewirtschaftung des Vermögens richtet sich konkret nach dessen Zusammensetzung und nach den Anordnungen des Stifters. Üblicherweise hat der Stiftungsrat in getreuer und korrekter Befolgung des Stifterwillens für eine angemessene Rendite und Sicherheit, für ausreichende Liquidität und eine ausgeglichene Risikoverteilung zu sorgen. Eine Veräusserung bzw. Umschichtung von Vermögenswerten ist in der Regel angängig, selbst wenn die betroffenen Werte im Stiftungsstatut oder Errichtungsakt erwähnt sind, es sei denn, der Stifter habe gegenteilig verfügt oder der Zweck stehe dem entgegen. Ob Vermögen aufgebraucht werden kann, ist anhand der konkreten Umstände zu beurteilen und vom Stifter zweckmässigerweise im Stiftungsstatut zu regeln. Zur Vermögensverwaltung gehört auch die Ausgestaltung eines angemessenen Rechnungswesens, der Finanzkontrolle und der Finanzplanung, welche die finanzielle Seite der Stiftung laufend in Zahlen nachvollzieht und transparent hält (Grüninger, Basler Kommentar, Art. 83 ZGB N 10, 13).

h) Die Personalfürsorgestiftung der X AG bezweckte "die Vorsorge für die Arbeitnehmer der Stifterfirma sowie deren Angehörige und Hinterbliebene durch Gewährung von Unterstützungen in Fällen von Alter, Tod, Krankheit oder Invalidität". Weiter ist der Stiftungsurkunde zu entnehmen, dass das Stiftungsvermögen sicher und unter Beachtung einer angemessenen Risikoverteilung und Rendite anzulegen ist. Es kann in einer Forderung gegenüber der Stifterfirma bestehen. Vorbehalten bleiben anderslautende Weisungen der kantonalen Steuerverwaltung und der Aufsichtsbehörde. Die Forderung ist angemessen zu verzinsen. Ferner hat der Stiftungsrat das Recht, wenn die Erreichung des Stiftungszweck es erheischt, das Stiftungsvermögen ganz oder teilweise zu verwenden.

i) Somit durfte die Stiftung zur Zahlung der eigentlich von der X AG selbst aufzuwendenden Arbeitgeberbeiträge veranlasst werden, was auch eine entsprechende Aufzehrung des Vermögens der Stiftung in diesem Umfang nicht ausschloss. Diese Handlung wurde aber dem Berufungskläger gerade nicht vorgeworfen. Vielmehr wurde die qualifizierte ungetreue Geschäftsführung damit begründet, dass sich die finanzielle Situation der X AG, ihre Bonität und somit auch die Wiedereinbringlichkeit des von der Stiftung gewährten Darlehens verschlechterte, was schlussendlich zu einem Totalverlust im Konkurs der X AG führte. Als Präsident des Stiftungsrats hatte der Berufungskläger gemäss der Stiftungsurkunde die Pflicht, das Stiftungsvermögen sicher und unter Beachtung einer angemessenen Risikoverteilung und Rendite anzulegen. Dieser Pflicht kam er jedoch nicht nach, sondern beliess das Stiftungsvermögen in einer ungesicherten Darlehensforderung an die X AG, deren Bonität seit dem Kauf der Unternehmung durch den Berufungskläger nach und nach massiv zurückging.

Rekurskommission, 8. März 1999, SBR.1998.28

Mit Urteil vom 29. August 2000 bestätigte das Bundesgericht die Rechtsauffassung der Rekurskommission, schützte jedoch teilweise die Nichtigkeitsbeschwerde zufolge zwischenzeitlich eingetretener Verjährung anderer Delikte


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