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RBOG 1999 Nr. 26

Baustopp im summarischen Verfahren; Verhältnis von § 164 Ziff. 1 und § 164 Ziff. 2 ZPO


§ 164 ZPO


1. Der A AG, dessen einziger Aktionär der Rekurrent gewesen war, hatte ein Grundstück gehört. Im Enteignungsverfahren war es Y zugewiesen worden. Der Rekurrent beantragt, es sei superprovisorisch ein Baustopp über das Grundstück auszusprechen: Y sei rechtswidrig als dessen Eigentümerin eingetragen bzw. er selbst widerrechtlich enteignet worden.

2. Ein Baustopp kann vom Richter im summarischen Verfahren - abgesehen von besonderen Ausnahmefällen wie etwa vorsorglichen Massnahmen im Konkurs gemäss § 175 Ziff. 5 ZPO - im Wesentlichen nur gestützt auf § 164 Ziff. 1 ZPO (Schutz des bestehenden Zustands), § 164 Ziff. 2 ZPO (Besitzesschutz), § 164 Ziff. 3 ZPO (Durchsetzung klarer Ansprüche bei nichtstreitigen oder sofort beweisbaren tatsächlichen Verhältnissen), § 164 Ziff. 4 ZPO (Vollstreckung rechtskräftiger gerichtlicher Entscheide) oder § 176 (vorsorgliche Massnahmen in hängigen Prozessen) angeordnet werden.

3. a) Klare Ansprüche bei nichtstreitigen oder sofort beweisbaren tatsächlichen Verhältnissen im Sinn von § 164 Ziff. 3 ZPO liegen offensichtlich nicht vor, denn diese Bestimmung kann schon dann keine Anwendung finden, wenn seitens der Gegenpartei Einreden und Einwendungen erhoben werden, deren Begründetheit nicht gleich beweis- resp. widerlegbar ist, oder wenn der behauptete Tatbestand bestritten ist und noch mit anderen als den sofort zur Verfügung stehenden Beweismitteln abgeklärt werden muss (RBOG 1989 Nr. 31). Letzteres trifft hier offenkundig zu, nachdem Y ausdrücklich geltend macht, die seinerzeitige Eigentumsübertragung sei in jeder Hinsicht ordnungsgemäss abgewickelt worden.

b) Ebensowenig kann § 164 Ziff. 4 ZPO Anwendung finden, da es nicht um die Vollstreckung eines rechtskräftigen gerichtlichen Entscheids im Zivilprozess geht; strittig sind vielmehr verwaltungsrechtliche Entscheide.

c) § 176 ZPO bedingt, dass bereits ein Zivilprozess im ordentlichen oder beschleunigten Verfahren hängig ist. Diese Voraussetzung ist augenscheinlich nicht gegeben; jedenfalls ist beim Bezirksgericht seitens des Rekurrenten keine Grundbuchberichtigungsklage anhängig gemacht worden.

d) Gemäss § 164 Ziff. 1 ZPO kann der Summarrichter Verfügungen treffen, um den bestehenden Zustand gegen unerlaubte Selbsthilfe oder eigenmächtige Eingriffe und Störungen zu schützen, und gestützt auf § 164 Ziff. 2 ZPO trifft er jene Verfügungen, die dazu dienen, den redlichen Besitz, sei er bereits verloren gegangen oder werde er erst bedroht, aufrecht zu erhalten. Die Abgrenzung dieser beiden Bestimmungen ist nicht ganz klar, was einerseits daher kommt, dass die darin enthaltene Formulierung - abgesehen vom Ingress - wörtlich § 117 der Bürgerlichen Prozessordnung vom 1. Mai 1867 entspricht und auch nach Inkrafttreten der Art. 926 ff. ZGB unverändert in die Zivilprozessordnung vom 29. April 1928 übernommen wurde. Andererseits hat die Praxis im Besitzesschutz nie genau zwischen Ziff. 1 und Ziff. 2 von § 164 ZPO bzw. § 196 aZPO unterschieden (Munz, Das Befehlsverfahren und die Bauinhibition nach der thurgauischen Zivilprozessordnung, Diss. Zürich 1947, S. 15 und Anm. 7; vgl. Thurgauisches Rechtsbuch, Frauenfeld 1908, Nrn. 331, 339; Böckli, Zivilprozess-Ordnung für den Kanton Thurgau, Frauenfeld 1930, § 196 N 2; RBOG 1950 Nr. 14 I und 1988 Nr. 20). Munz (S. 17 ff.) zog an sich zu Recht unter § 196 Ziff. 1 und 2 aZPO einerseits die vorsorglichen Massnahmen in hängigen Prozessen und andererseits die Besitzesschutzverfügungen. Nachdem für die vorsorglichen Massnahmen in hängigen Prozessen in der geltenden Fassung des Gesetzes indessen nunmehr eine gesonderte Vorschrift (§ 176 ZPO) besteht, steht fest, dass es in § 164 Ziff. 1 und 2 ZPO nur noch um den Besitzesschutz im Sinn des Schutzes des Sach- und des Rechtsbesitzes geht (Böckli, § 196 ZPO N 2); ein weitergehender Anwendungsbereich dieser Bestimmungen ist nicht (mehr) zu erkennen.

Auf diese Besitzesschutzbestimmungen kann sich der Rekurrent indessen nicht berufen, auch wenn er eine Besitzesentziehung geltend machen will: Vorab gibt eine Besitzesverletzung nur dann Anlass zum Besitzesschutz, wenn sie mit verbotener Eigenmacht erfolgte (Stark, Berner Kommentar, Vorbem. zu Art. 926-929 ZGB N 21), doch kann die Eigenmacht auch durch das objektive Recht erlaubt sein (Stark, Vorbem. zu Art. 926 ff. ZGB N 41), was insbesondere für das Enteignungsrecht gilt (vgl. Homberger, Zürcher Kommentar, Art. 926 ZGB N 16; Stark, Vorbem. zu Art. 926 ff. ZGB N 47 und Art. 928 ZGB N 16; Portmann, Der Besitzesschutz des schweizerischen Zivilgesetzbuchs, Diss. Zürich 1997, S. 96 ff.). Wenn mithin das Eigentum und der Besitz an der Parzelle durch rechtskräftigen Entscheid im Enteignungsverfahren Y zugewiesen wurden, ist die Anwendung von Besitzesschutzbestimmungen ausgeschlossen. Zwar macht der Rekurrent geltend, der Entscheid des Verwaltungsgerichts aus dem Jahr 1993, mit welchem der Enteignungsbeschluss der Enteignungskommission bestätigt wurde, sei nicht rechtskräftig; seine Ausführungen zu diesem Punkt sind indessen nicht nachvollziehbar. Seine blosse Meinung, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei unrichtig gewesen, vermag den Eintritt der formellen und materiellen Rechtskraft des Verwaltungsgerichtsentscheids nicht zu verhindern, und zwar völlig unabhängig davon, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen jener Entscheid nunmehr als unrichtig dargestellt wird. Ausserdem setzt die Anwendung der Besitzesschutzbestimmungen ein genügendes rechtliches Interesse des Gesuchstellers voraus; gerade ein solches Interesse kann der Rekurrent indessen nicht geltend machen, nachdem er selber nie Eigentümer der fraglichen Parzelle war. Selbst wenn aber ein (besitz)rechtliches Interesse darin gesehen werden wollte, dass er als Alleinaktionär der A AG über das Grundstück wirtschaftlich verfügen konnte, bevor die Enteignung erfolgte, ist ein rechtliches Interesse an einem Baustopp nicht zu erkennen, nachdem Y zur Zeit aufgrund der herrschenden Rechtslage zu Recht Eigentümerin dieser Parzelle ist. Eine Abwägung zwischen deren Interessen und denjenigen des Rekurrenten müsste aufgrund der bestehenden Rechtsverhältnisse klar zugunsten von Y ausgehen. Abgesehen davon ist auch nicht ersichtlich, was der Rekurrent mit einem Baustopp gewinnen könnte, denn sein Interesse müsste entweder auf Rückübertragung des Grundstücks oder auf entsprechende Entschädigung gehen; beide Ansprüche bestünden indessen gegebenenfalls völlig unabhängig davon, ob das Grundstück mittlerweile überbaut wird. Damit aber kommt die Anwendung von § 164 Ziff. 1 oder 2 ZPO zur Verhängung eines Baustopps nicht in Betracht.

4. Demnach ist keine Rechtsgrundlage zu erkennen, die es dem Summarrichter ermöglichen würde, den verlangten Baustopp zu verfügen.

Rekurskommission, 27. September 1999, ZR.1998.37


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