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RBOG 1999 Nr. 34

Voraussetzungen für die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens


§§ 217 ff. StPO


1. a) Das Wiederaufnahmegesuch ist unter genauer Bezeichnung der dafür geltend gemachten Tatsachen und Beweismittel dem Gericht einzureichen, welches das frühere Verfahren rechtskräftig beurteilt hat (§ 219 Abs. 1 StPO). Gemäss § 220 Satz 2 StPO kann der Gerichtspräsident eine mündliche Verhandlung anordnen; er ist dazu jedoch nicht verpflichtet, umso weniger als Art. 6 EMRK keine Anwendung auf Verfahren findet, in denen über die Wiederaufnahme entschieden wird (Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, Zürich 1993, N 402). Erscheint ein Wiederaufnahmegesuch indessen wie im vorliegenden Fall als offensichtlich aussichtslos, erübrigt sich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

b) Die Wiederaufnahme eines durch Urteil rechtskräftig beendigten Verfahrens kann jederzeit verlangt werden, wenn erhebliche Tatsachen oder Beweismittel glaubhaft gemacht werden, die dem Gericht im früheren Verfahren nicht bekannt waren und die allein oder in Verbindung mit den früher festgestellten Tatsachen geeignet sind, den Freispruch oder eine mildere Bestrafung des Verurteilten herbeizuführen (§ 217 Ziff. 1 StPO).

c) Das Wiederaufnahmeverfahren ist kein ordentliches Sachverfahren, sondern ein Bewilligungsverfahren, in welchem das Gericht lediglich darüber zu befinden hat, ob das Gesuch in formeller und materieller Beziehung begründet sei (BGE 107 Ia 102). Nach Art. 397 StGB sind die Kantone verpflichtet, gegenüber Urteilen wegen erheblicher Tatsachen oder Beweismittel, die dem Gericht zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren, die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten zu gestatten. Diesem Auftrag des Bundesgesetzgebers kam der kantonale Gesetzgeber in § 217 Ziff. 1 StPO nach. Dabei geht es um eine veränderte tatsächliche Grundlage des Urteils, nie um neue rechtliche Anschauungen; Revision kann somit nur verlangt werden, wenn sich der dem Urteil zugrunde gelegte Sachverhalt als unrichtig erweist, nicht aber zur Überprüfung und Änderung seiner rechtlichen Würdigung (BGE 92 IV 179). Der Gesuchsteller muss Tatsachen oder Beweismittel vorbringen, also entweder neue urteilsrelevante Umstände oder neue Beweismittel. Diese müssen dem Gericht zum Zeitpunkt des früheren Verfahrens nicht bekannt gewesen sein, was dann der Fall ist, wenn sie dem Gericht überhaupt nicht zur Beurteilung vorlagen, oder wenn Tatsachen, die zwar aus den Akten ersichtlich waren, vom Gericht übersehen wurden (BGE 116 IV 357, 99 IV 183, 92 IV 179). Die Neuheit einer Tatsache kann nicht mit der Begründung verneint werden, der Verurteilte berufe sich zu deren Beweis auf ein altes Beweismittel (BGE 116 IV 357). Eine Wiederaufnahme ist deshalb möglich, wenn ein bereits früher vorhandenes Beweismittel in wesentlichen Punkten nicht ausgeschöpft wurde, etwa weil einem Zeugen wesentliche Fragen nicht gestellt wurden, oder wenn das Beweismittel - auch ein Privatgutachten - ein früher erhobenes Beweismittel in Frage stellt. Hingegen ist es nicht möglich, eine im früheren Entscheid diskutierte Streitfrage ohne neue Tatsachen mit einem Gutachten neu aufzurollen (Schmid, Strafprozessrecht, 3.A., N 1152 mit Hinweisen). Die neuen Tatsachen oder Beweismittel müssen erheblich sein; sie müssen mithin allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Tatsachen und Beweisen Freispruch oder eine wesentlich mildere Bestrafung des Angeklagten zur Folge haben (Schmid, N 1153 mit Hinweisen; Hauser/Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 3.A., § 102 N 16 ff.).

2. a) Der Gesuchsteller machte geltend, er habe ohne Pause und unter Druck mit Androhung weiterer Untersuchungshaft unter Zwang des Verhörrichters ausgesagt. Dieses Vorbringen ist indessen weder neu noch erheblich: Das Obergericht führte in seinem Strafurteil aus, es treffe offensichtlich nicht zu, dass die massgebenden Aussagen des Gesuchstellers unter Druck erfolgt seien: "Zwar wurde er während zwei Tagen relativ intensiv befragt. Von zermürbenden Verhören kann indessen keine Rede sein. Zudem konnte sich der Berufungsbeklagte über weite Strecken frei äussern und den Gesamtzusammenhang aus seiner Sicht schildern (offene Fragen). Suggestivfragen wurden nicht gestellt. Der (damalige) Berufungsbeklagte bestätigte denn auch, er sei korrekt behandelt und die Protokolle seien richtig abgefasst worden." An diesen Feststellungen wird sich auch aufgrund der neuen Vorbringen des Gesuchstellers nichts ändern; es handelt sich offensichtlich um eine blosse Schutzbehauptung, die den Erfordernissen von § 217 Ziff. 1 StPO keineswegs zu genügen vermag.

b) Der Gesuchsteller machte weiter geltend, er sei das Opfer einer Lügnerin; er äusserte sich zur Lebensführung des Opfers und reichte unter anderem gegen 20 Unterschriften von Personen ein, die das Opfer offenbar für eine Lügnerin halten.

Dem fraglichen Unterschriftenblatt fehlt praktisch jeglicher Beweiswert: Abgesehen davon, dass letztlich jede einzelne Person, die unterschrieben hat, noch als Zeugin oder Zeuge einvernommen werden müsste, kann keine Person über einen anderen Menschen grundsätzlich aussagen, er sei - unter allen Umständen und zu jeder Zeit - ein Lügner; solche blossen Meinungsäusserungen sind ohnehin weder Tatsachen noch Beweismittel (Hauser/ Schweri, § 102 N 19). Vielmehr kann jede Person unter gewissen Umständen lügen, und jeder Mensch wird unter gewissen Umständen die Wahrheit sagen; mithin gibt es keine Person, die sich grundsätzlich immer an die Wahrheit hält oder immer die Unwahrheit sagt. Aus diesem Grunde wird in der Arbeit der Justiz so grosser Wert auf eine detaillierte Analyse von Aussagen gelegt, worauf schon einlässlich im Urteil des Obergerichts hingewiesen wurde. Das Obergericht unterzog die Aussagen des Opfers denn auch einer ausführlichen und sorgfältigen Glaubwürdigkeitsanalyse und folgte aufgrund des Ergebnisses dieser Analyse in einzelnen Punkten den Angaben des Opfers nicht. Unter diesen Umständen können die allgemeinen Behauptungen des Gesuchstellers, beim Opfer handle es sich um eine notorische Lügnerin, nicht zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens führen.

Dasselbe gilt aber auch für die verschiedenen Vorfälle, die in den Eingaben des Gesuchstellers mit Bezug auf die Lebensführung des Opfers geschildert werden (vgl. auch die von der Mutter des Gesuchstellers neu eingereichten "Bestätigungen"). Es ist nicht zu erkennen, was für einen Einfluss diese Vorbringen haben sollen, nachdem der Strafrichter entscheidend nur auf die vorhandenen Beweismittel, insbesondere die Indizien und die Aussagen der beteiligten Personen abstellen kann, nicht aber auf allgemeine Aussagen über sie.

c) Entscheidend ist indessen, dass der Gesuchsteller entgegen seiner Auffassung keineswegs das "Opfer einer Lügnerin" geworden ist: Er wurde vom Obergericht im Wesentlichen aufgrund seiner eigenen Aussagen verurteilt; insofern genügt der Hinweis auf das angefochtene Urteil.

d) Der Gesuchsteller vermag offensichtlich nach wie vor nicht zu verstehen, dass sein Vorgehen gegenüber dem Opfer rechtlich als Vergewaltigung gilt; dieses mangelnde Rechtsempfinden vermag aber an der rechtlichen Situation nichts zu ändern. Im übrigen hat das Obergericht den besonderen Verhältnissen im Strafverfahren durchaus Rechnung getragen, indem das zumindest am Anfang wohl widersprüchliche Verhalten des Opfers strafmindernd berücksichtigt und bei der Bemessung der Genugtuung das Verhalten des Opfers reduzierend in Rechnung gestellt wurde.

e) Zusammenfassend sind die vom Gesuchsteller vorgetragenen Punkte weder neu noch erheblich; insbesondere vermögen sie im Strafverfahren nicht einen Freispruch herbeizuführen. Unter diesen Umständen ist das Gesuch um Wiederaufnahme des Strafverfahrens abzuweisen.

Obergericht, 4. Mai 1999, SAO.1999.1


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