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RBOG 2000 Nr. 28

Bindung der unteren Instanz an die Rechtsauffassung der oberen Instanz bei Rückweisung


§ 233 Abs. 2 aZPO (TG)


1. Umstritten ist, ob das erste Urteil des Obergerichts eine dahingehende Bindungswirkung aufweist, dass die darin enthaltenen Erkenntnisse zumindest teilweise in Rechtskraft erwachsen sind und sich die Berufungsbeklagte auf die Einrede der beurteilten Sache berufen kann.

2. a) Das Obergericht wies im ersten Urteil die Streitsache zur Durchführung eines Beweisverfahrens und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurück. Das Dispositiv betraf die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils im Umfang der Berufungsanträge und die Anordnung, weitere Fragen abzuklären und danach ein neues Urteil zu fällen. Damit ist das erste obergerichtliche Urteil nicht als ein Teilurteil im Sinn von § 110 ZPO zu qualifizieren, sondern als Entscheid im Sinn von § 233 Abs. 2 ZPO. Nachdem die Rechtskraft der abgeurteilten Sache sich vorab auf das Dispositiv bezieht (Pra 81, 1992, Nr. 62), konnte somit dem ersten Entscheid des Obergerichts betreffend die Rückweisung an die Vorinstanz keine materielle Rechtskraft zukommen. Folglich wäre das Bundesgericht mangels der in Art. 50 Abs. 1 OG genannten Voraussetzungen auf eine gegen das erste obergerichtliche Urteil erhobene bundesrechtliche Berufung wohl nicht eingetreten, was allerdings für die Rechtslage nach kantonalem Prozessrecht ohne Belang bleibt.

b) Weist die Rechtsmittelinstanz den Prozess an die untere Instanz zurück, ist letztere grundsätzlich an die Rechtsauffassung der oberen Instanz gebunden. Im thurgauischen Prozessrecht ergibt sich dies zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetz, jedoch aus der Struktur der Berufung als einem Rechtsmittel mit voller Kognition und der Zulässigkeit des Einbringens von Noven. Die Bindung an die rechtliche Auffassung besteht, solange der Sachverhalt gleich bleibt (vgl. Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3.A., § 270 N 7; Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2.A., N 770), wobei nicht ausgeschlossen ist, dass auch nach der Rückweisung neue Tatsachen und Beweismittel berücksichtigt werden dürfen (Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3.A., S. 487 f.).

c) Demgegenüber ist die zweite Instanz an die in ihrem ersten Entscheid in den Motiven niedergelegte Rechtsauffassung nicht gebunden. Faktisch wird sich indessen eine Änderung der Rechtsauffassung der Rechtsmittelinstanz nur dann aufdrängen, wenn im zweiten Rechtsmittelverfahren neue Argumente und Tatsachen vorgetragen werden, welche im ersten Rechtsmittelverfahren noch nicht Thema waren. Gleiches würde gelten, wenn der erste Rechtsmittelentscheid ein offensichtlicher Fehlentscheid wäre, oder wenn Revisionsgründe vorliegen würden, wie etwa, wenn das Gericht vorgebrachte erhebliche Tatsachen aus Versehen gar nicht oder offensichtlich in irrtümlicher Weise gewürdigt hätte (§ 246 Ziff. 1 lit. a ZPO).

d) Nachdem vom ersten obergerichtlichen Urteil keine Rechtskraftwirkung mit Bezug auf die teilweise Beurteilung der Klage der Berufungsklägerin vorliegt, kann die Berufungsklägerin in diesem Berufungsverfahren ohne weiteres erneut die gesamte Forderungssumme einklagen. Auf die Berufung ist damit vollumfänglich einzutreten.

Obergericht, 30. März 1999, ZBO.1998.101


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