RBOG 2001 Nr. 1
Vorsorgliche Massnahmen im Abänderungsprozess
1. Im Jahre 1998 wurde die Ehe der Parteien gerichtlich getrennt; dabei wurde die Tochter unter die Obhut der Rekursgegnerin gestellt und der Rekurrent zur Zahlung monatlicher Kinderunterhaltsbeiträge verpflichtet. Im Jahre 2000 reichte die Rekursgegnerin die Scheidungsklage ein und beantragte im Rahmen von vorsorglichen Massnahmen die Erhöhung des Kinderunterhaltsbeitrags.
2. a) Das Begehren der Rekursgegnerin auf Heraufsetzung des Kinderunterhaltsbeitrags läuft auf eine Abänderung des Trennungsurteils hinaus: In diesem wurde der Rekurrent verpflichtet, für das Kind monatlich Fr. 200.-- zuzüglich Kinderzulagen zu bezahlen.
b) In RBOG 1975 Nr. 2 wurde festgehalten, in Prozessen betreffend Abänderung von Scheidungsurteilen seien vorsorgliche Massnahmen in der Regel nicht notwendig, da einstweilen das frühere Urteil gelte. Immerhin könne sich gemäss BGE 89 II 12 eine vorsorgliche Massnahme speziell für die Kinderzuteilung ausnahmsweise aufdrängen. Diese Praxis auch bei Klagen auf Abänderung von Unterhaltsbeiträgen anzuwenden, rechtfertige sich nur in Notfällen. Das Gegenteil liefe auf einen Suspensiveffekt für die Abänderungsklage hinaus. Einen solchen kenne aber nach der ZPO nur das Rechtsmittelverfahren.
Bühler/Spühler bezeichneten die thurgauische Praxis bereits im Jahr 1980 als überholt (Berner Kommentar, Art. 157 ZGB N 48 letzter Satz). Art. 281 Abs. 1 ZGB (vorsorgliche Massnahmen für die Dauer der Unterhaltsklage des Kindes) sei auf Abänderungsprozesse analog anwendbar. Überwiegend werde in der Lehre die Zulässigkeit von vorsorglichen Massnahmen im Abänderungsprozess bejaht; diese Haltung entspreche den neueren Tendenzen. Nach Auffassung von Lüchinger/Geiser (Basler Kommentar, Art. 157 ZGB N 21) ist bei der Anordnung vorsorglicher Massnahmen im Abänderungsprozess dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein rechtskräftiges Urteil vorliege und insofern Zurückhaltung geboten sei. Das Bundesgericht kam 1992 zum Schluss, im Rahmen einer Klage auf Abänderung eines Scheidungsurteils sei die Herabsetzung einer Rente gestützt auf Art. 151 Abs. 1 in der bis Ende 1999 gültigen Fassung des ZGB aufgrund vorsorglicher Massnahmen in dringenden Fällen und unter speziellen Umständen gerechtfertigt (BGE 118 II 228 f.).
c) Das Obergericht erachtet seine bisherige Praxis zum Erlass vorsorglicher Massnahmen während Abänderungsprozessen nach wie vor als gerechtfertigt. Vergleichbare Verhältnisse liegen vor, wenn ein Gericht bereits über die Trennung entschied und später dann der Scheidungsprozess durchgeführt wird. Existiert ein rechtskräftiges Trennungsurteil, wurden die Nebenfolgen der Trennung verbindlich festgelegt. Jener Entscheid kam in einem ordentlichen Verfahren ohne jegliche Beweisbeschränkung zustande. Nach wie vor gilt ferner, dass grundsätzlich nur den Rechtsmitteln (vgl. §§ 224, 237 ZPO), nicht aber der Abänderungsklage oder - nach Erlass eines Entscheids betreffend Trennung - derjenigen auf Scheidung der Ehe Suspensiveffekt zukommt. Ging dem zweiten Prozess eine rechtskräftige richterliche Gestaltung der Rechte und Pflichten der Parteien voraus, kann es bei dieser in der Regel bis zur allfälligen Abänderung im Folgeprozess sein Bewenden haben. Dies gilt umso mehr, als es noch immer Sache der Parteien ist, dann, wenn sie zu ihren Gunsten veränderte Verhältnisse geltend machen wollen, raschmöglichst Klage zu erheben. Vorsorgliche Massnahmen sollen nur zurückhaltend erlassen werden. Angebracht erscheinen sie bei Dringlichkeit entweder zeitlicher Art, was zum Beispiel dann der Fall sein kann, wenn eine Abänderung der Obhut im Hinblick auf den Beginn eines neuen Schuljahrs erfolgen soll, oder bei bevorstehenden Ferien im Ausland, bei Dringlichkeit sachlicher Art, z.B. bei akuter Gefährdung des Kindeswohls, oder wenn besondere Umstände, z.B. eine Verzögerungstaktik der beklagten Partei, vorliegen. Generell erscheinen die Massnahmen analog den Voraussetzungen aller vorsorglichen Massnahmen dann als gerechtfertigt, wenn ein objektives Bedürfnis nach sofortigem Rechtsschutz besteht, bzw. wenn ein nicht unerheblicher Nachteil droht und eine positive Hauptsachenprognose zumindest glaubhaft gemacht ist (vgl. z.B. §§ 164 und 176 ZPO; Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, Bern 2000, § 164 N 2 und § 176 N 2).
Vorsorgliche Massnahmen sind somit im Zweitprozess aus besonderen Gründen, insbesondere zur Wahrung des Kindeswohls, ohne weiteres denkbar. Einzuschränken ist dieser Grundsatz, wenn Anpassungen der Unterhaltsbeiträge zur Diskussion stehen. In diesem Fall ist in aller Regel keine Notwendigkeit ersichtlich, dem Urteil in der Hauptsache vorzugreifen. Eine objektiv gegebene sofortige Dringlichkeit für die Erhöhung oder Herabsetzung des einst gesprochenen Unterhaltsbeitrags liegt kaum je vor; ein allfälliger Nachteil dieser Praxis beschränkt sich auf das Risiko, die vor der Rechtskraft des Folgeprozesses zu wenig oder zu viel bezahlten Beträge nicht mehr einfordern zu können oder nicht mehr zurückzuerhalten. Daran ändert nichts, dass der Gesetzgeber bei der Klage des Kindes auf Unterhalt vorsorgliche Massregeln vorsieht (Art. 281 Abs. 1 ZGB). Art. 281 Abs. 1 ZGB zielt insbesondere auf diejenigen Fälle ab, in denen noch gar keine Unterhaltsregelung besteht, sei es, weil das Kindesverhältnis noch nicht festgestellt ist, sei es, weil der Unterstützungsverpflichtete zwar bekannt ist, ihm aber noch keine verbindliche Unterhaltsverpflichtung überbunden wurde. Sowohl in diesem Zusammenhang als auch bei Art. 137 Abs. 2 ZGB ist von den "nötigen" Massnahmen die Rede. Die existentielle Bedeutung des Unterhalts rechtfertigt die Verpflichtung des Unterhaltsbeklagten, schon vor dem Urteil Beiträge zu hinterlegen, wenn ernsthaft mit der Gutheissung der Klage zu rechnen ist, und solche vorläufig zu zahlen, wenn sie höchstwahrscheinlich, d.h. wenn und soweit ernsthaft mit der Gutheissung der Klage zu rechnen ist (Hegnauer, Berner Kommentar, Art. 281-284 ZGB N 7, 25). Bei der Abänderungsklage sind gemäss Hegnauer (Art. 281-284 ZGB N 12, Art. 286 ZGB N 96-98) nun zwar Art. 281 und Art. 284 ZGB sinngemäss anwendbar, und zwar auch dann, wenn der Beitrag im Scheidungsurteil festgesetzt worden ist; zur Begründung dieser Auffassung wird aber wiederum nur auf Bühler/Spühler (Art. 157 ZGB N 48 und N 190) verwiesen.
Obergericht, 29. März 2001, ZR.2001.14