RBOG 2001 Nr. 11
Bestimmung des Versorgerschadens insbesondere in Fällen, in denen aufgrund des Altersunterschieds die Lebenserwartung des überlebenden Ehegatten geringer ist als die mutmassliche Aktivitätsdauer des Verstorbenen
1. Der 45-jährige X kam bei einem Arbeitsunfall ums Leben. Seine 26 Jahre ältere Ehefrau, die Berufungsklägerin, machte einen Versorgerschaden bzw. einen Genugtuungsanspruch aus unerlaubter Handlung geltend. Die Vorinstanz verneinte einen Versorgerschaden.
2. Haben im Fall der Tötung eines Menschen andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten (vgl. Art. 45 OR).
a) Hinterlässt der tödlich verunfallte Mann eine Witwe, so muss der jährliche Betrag ermittelt werden, der notwendig ist, um die bisherige Lebensweise der Witwe weiterhin zu gewährleisten (Brehm, Berner Kommentar, Art. 45 OR N 97). Ging die Witwe bereits vor dem Tod ihres Mannes einem Verdienst nach bzw. erzielte sie bereits vor dem Tod des Versorgers ein Erwerbseinkommen, wird grundsätzlich die Berücksichtigung dieses voraussichtlich andauernden Einkommens bejaht. Entscheidend ist lediglich, dass mit einer dauernden Erwerbsfähigkeit und einer entsprechenden konkreten Erwerbsmöglichkeit der Witwe gerechnet werden kann. Zur Frage, inwiefern das Einkommen der Witwe bei der Berechnung des Versorgerschadens berücksichtigt werden soll, erachtet es die Lehre bei der Festsetzung der Versorgungsquote als realitätsbezogener, wenn das Einkommen des Mannes mit dem Verdienst der Frau (soweit dieser ebenfalls den gemeinsamen Ausgaben diente) addiert und von diesem Total der Versorgungsanteil der Witwe berechnet wird, als wenn eine pauschale Berücksichtigung des Einkommens erfolgt. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang gleichzeitig auch auf das neue Eherecht, gemäss welchem das Erwerbseinkommen der Ehefrau grundsätzlich voll angerechnet werden dürfte (vgl. Brehm, Art. 45 OR N 132 ff.). Gleichenorts wird zudem auch auf einen Entscheid des Bundesgerichts verwiesen, in welchem die Altersrente, welche die Witwe bereits vor dem Tod des Versorgers bezog, bei der Schadensberechnung berücksichtigt wurde. Es ging in diesem Fall jedoch nicht um die Abwägung von neuen, allenfalls schadensmindernden Faktoren, sondern um die Festsetzung der Höhe der Versorgung vor dem Tod, unter Berücksichtigung einer bestehenden Rente: Es ist klar, dass die Versorgungsleistung des Mannes infolge dieser zusätzlichen Einnahme etwas kleiner ausfiel. Diesem Umstand war Rechnung zu tragen (BGE 99 II 207 ff.; Brehm, Art. 45 OR N 135). Nur wenn eine Frau ihren Lohn ganz oder teilweise statt in den gemeinsamen Haushalt in die eigene Tasche stecken konnte, fällt dieser Betrag für die Berechnung des Versorgerschadens ausser Betracht. Das trifft namentlich bei einem höheren Einkommen des Mannes zu (vgl. Keller, Haftpflicht im Privatrecht, Bd. II, 2.A., S. 92). Im von Seiten der Berufungsklägerin eingereichten Rechtsgutachten wird unter Hinweis auf BGE 99 II 207 ff. zudem ausdrücklich festgehalten, dass für den Fall, dass die Witwe bereits vor dem Tod des Versorgers eine Altersrente bezog und die Versorgungsleistung vor dem Tod des Versorgers um den Betrag dieser Altersrente vermindert war, bei der Berechnung des Versorgerschadens nach dem Tod des Versorgers die weiterhin geleistete Altersrente angerechnet werden muss. Nicht anzurechnen ist die Altersrente dann, wenn die Versorgungsleistung vor dem Tod des Versorgers zusätzlich zur Altersrente erbracht wurde.
b) Im vorliegenden Fall präsentiert sich die Ausgangslage so, dass dem (von der SUVA anerkannten) Einkommen von X in der Höhe von Fr. 58'835.-- die AHV-Rente der Berufungsklägerin in der Höhe von rund Fr. 23'880.-- gegenübersteht. X steuerte somit mit rund 5/7 deutlich mehr als die Hälfte des notwendigen Einkommens zum gemeinsamen Haushalt bei. Von der Berufungsklägerin nicht belegt wurde ihre Behauptung, X habe allein zum Familieneinkommen beigetragen, und sie habe ihr Renteneinkommen nicht in den gemeinsamen Haushalt investiert, sondern vielmehr zu ihrer freien Verfügung gehabt. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, dass sich das Ehepaar X mit monatlich rund Fr. 5'000.-- Lebenshaltungskosten begnügte; dies ist nach allgemeiner Lebenserfahrung jedoch wenig wahrscheinlich und muss auch aufgrund der fehlenden Substantiierung bzw. der nicht vorhandenen Beweise - welche leicht hätten produziert werden können - als nicht gegeben erachtet werden. Auszugehen ist vielmehr von der Tatsache, dass das Ehepaar X im Sinne des eherechtlichen Grundsatzes gemäss Art. 163 ZGB beide Einkommen für die Bestreitung des gemeinsamen Lebensunterhalts verwendete. Anderes wäre denkbar, wenn von Seiten der Berufungsklägerin dargelegt werden könnte, dass sie ihre Altersrente für irgendwelche Sparzwecke auf die Seite legte und das Ehepaar X gezielt nur mit dem Einkommen des Verstorbenen die Existenz bewältigen wollte. Mit anderen Worten wäre nur dann anders zu entscheiden, wenn die Berufungsklägerin beweisen würde, dass sie ihr Renteneinkommen vermögensbildend anlegte und damit die Lebenshaltungskosten allein durch den Ehemann aufgebracht wurden. Auch diesbezüglich erfolgte jedoch keine Substantiierung bzw. wurden keine Angaben zu allfälligen Sparabsichten belegt. In Bezug auf die Frage, wie die Altersrente der Berufungsklägerin bei der Berechnung der Schadenshöhe zu berücksichtigen ist, bzw. ob und allenfalls wie das AHV-Renteneinkommen der Berufungsklägerin in die Berechnung des Versorgerschadens einfliesst, ist somit in Übereinstimmung mit der Lehre vom Grundsatz gemäss Art. 163 ZGB auszugehen, wonach jeder Ehegatte nach seinen Kräften für den gebührenden Unterhalt der Familie sorgt. Es kann somit vorläufig festgehalten werden, dass die Vorinstanz das Renteneinkommen der Berufungsklägerin zu Recht vollumfänglich zum Einkommen des Verstorbenen hinzurechnete.
c) Hinsichtlich der Höhe des vom Verstorbenen erzielten Jahresverdiensts stützte sich die Vorinstanz auf das Nettoeinkommen mit der Begründung, die Lebenserwartung der Berufungsklägerin sei aufgrund des grossen Altersunterschieds im Zeitpunkt des Todes von X geringer gewesen als die noch verbleibende Aktivitätsdauer des Verstorbenen. Die Berufungsklägerin wäre nie in den Genuss von Sozialversicherungsrenten ihres Ehemannes gekommen, was bedeute, dass im vorliegenden Fall ausnahmsweise auf den Nettolohn und nicht den Bruttolohn abzustellen sei.
aa) Grundsätzlich hat der Haftpflichtige für den gesamten kausalen Schaden einzustehen, mithin auch für eine Beeinträchtigung künftiger Sozialversicherungsleistungen (BGE 113 II 349; Brehm, Vorbem. zu Art. 45 und 46 OR N 25). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind in die Berechnung des Schadens auch die die Höhe der künftigen Rentenansprüche mitbeeinflussenden, zufolge verminderter Erwerbstätigkeit aber entfallenden Arbeitgeberbeiträge an AHV und Pensionskasse einzubeziehen (BGE 116 II 297 f., 113 II 350). Das Bundesgericht weist diesbezüglich ausdrücklich darauf hin, dass die Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitgebers nicht voll, sondern bloss insoweit in die Schadensberechnung einzubeziehen sind, als sie rentenbildende Funktion haben. Im Bereich der ersten Säule sind daher nur die eigentlichen AHV-Beiträge zu berücksichtigen, nicht dagegen die Risikoprämien der IV und der ALV sowie die Beiträge nach Erwerbsersatzordnung (BGE 116 II 298).
bb) In tatsächlicher Hinsicht ist festzuhalten, dass X im Jahre 2021 ins Pensionsalter gekommen und die Berufungsklägerin dannzumal bereits 92 Jahre alt wäre. Von daher ist durchaus anzunehmen, dass die Berufungsklägerin im Pensionierungsfall ihres Ehemannes dereinst überhaupt nicht von Sozialversicherungsleistungen an ihren Ehemann hätte profitieren können. Diese Frage kann sich indessen allein auf die AHV-Beiträge und allenfalls eingeschränkt noch auf die BVG-Beiträge beziehen. Die mit den übrigen Abzügen finanzierten Versicherungen dienen demgegenüber der Vorsorge für die Fälle Unfall, Invalidität, Arbeitslosigkeit, wo der Geschädigte unabhängig vom betreffenden Haftpflichtfall einen Erwerbsausfall erleidet (Brehm, Vorbem. zu Art. 45 und 46 OR N 24). Gerade der vorliegende Fall zeigt auf, dass insbesondere die UVG-Abzüge zum Nettoeinkommen hinzuzuzählen sind. Von daher ist das Obergericht der Auffassung, es müsse von einem um diese Beiträge (IV, UVG, ALV) erweiterten Nettoeinkommen ausgegangen werden.
Inklusive Anteil Sozialversicherung erzielte X ein Nettoeinkommen von deutlich unter dem von der SUVA angenommenen Einkommen von Fr. 58'835.--. Die Vorinstanz stützte sich somit zu Recht auf dieses Einkommen ab.
3. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Berufungsklägerin keinen Versorgerschaden im Sinn von Art. 45 OR erlitt.
Obergericht, 21. November 2000, ZBO.2000.19