RBOG 2001 Nr. 12
Keine Auflösung des Mietverhältnisses wegen fehlender oder nicht fristgerechter Bezahlung der Mietzinskaution
Art. 107 ff. OR, Art. 257 f d OR
1. Der Mieter hatte eine Kaution von Fr. 20'000.-- geleistet, jene aber in der Folge mit Mietzinsen zur Verrechnung gebracht, nachdem es die Vermieterin unterlassen hatte, die Kaution auf einem Sparkonto zu hinterlegen. Die Vermieterin hielt den Mieter an, wiederum eine Kaution von Fr. 20'000.-- zu leisten. Der Mieter bezahlte lediglich Fr. 6'000.--. Die Vermieterin setzte ihm eine Frist zur Leistung der gesamten Kaution an und kündigte, nachdem die Zahlung unterblieb, das Mietverhältnis gestützt auf Art. 257d OR. Die Vorinstanz erachtete die Kündigung als nichtig. Die Vermieterin erhob Rekurs.
2. a) Gemäss Art. 257d OR kann der Vermieter, wenn der Mieter nach der Übernahme der Sache mit der Zahlung fälliger Mietzinse oder Nebenkosten im Rückstand ist, schriftlich eine Zahlungsfrist setzen und ihm androhen, dass bei unbenütztem Ablauf der Frist das Mietverhältnis gekündigt werde. Diese Frist beträgt mindestens zehn Tage, bei Wohn- und Geschäftsräumen mindestens 30 Tage. Bezahlt der Mieter innert der gesetzten Frist nicht, so kann der Vermieter fristlos, bei Wohn- und Geschäftsräumen mit einer Frist von mindestens 30 Tagen auf Ende eines Monats kündigen.
Gemäss herrschender Lehre und bundesgerichtlicher Rechtsprechung findet die Bestimmung von Art. 257d OR nur Anwendung auf die nicht rechtzeitige Tilgung einer Mietzins- oder Nebenkostenforderung (BGE 123 III 127; Higi, Zürcher Kommentar, Art. 257d OR N 10 f., 21; SVIT-Kommentar Mietrecht, 2.A., Art. 257d OR N 14). Ein Verzug mit anderen finanziellen Verpflichtungen kann nach Übergabe des Mietobjekts zur vorzeitigen Auflösung des Vertrags gemäss Art. 107/109 OR führen, unter analoger Anwendung der Fristen von Art. 257d oder 266g OR (BGE 123 III 126 ff.; SVIT-Kommentar, Art. 257d OR N 16). Dabei gelten die üblichen Verzugsregeln gemäss Art. 102 ff. OR, mit den für Dauerschuldverhältnisse typischen Abweichungen von den Regeln der Art. 107 ff. OR für die Zeit nach der Übergabe der Mietsache. Dabei tritt im Dauerschuldverhältnis an die Stelle des Rechts zum Vertragsrücktritt dasjenige zur Vertragskündigung (Higi, Art. 257d OR N 25; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht, AT, Bd. II, 7.A., N 3083 ff., 3090). Ausserdem ist zu beachten, dass Art. 107 OR lediglich bei vollkommen zweiseitigen, nicht aber bei unvollkommen zweiseitigen sowie einseitigen Verträgen direkt anwendbar ist. In diesen Fällen hat der Gläubiger vielmehr den Weg der Erfüllungsklage zu beschreiten. Zur Vermeidung sinnloser prozessualer Schritte ist es jedoch gerechtfertigt, zumindest vom Zeitpunkt an, in welchem die Erfolglosigkeit der Realvollstreckung abzusehen ist, Art. 107 OR analog anzuwenden, um dem Gläubiger die Möglichkeit zu geben, sich von der eigenen Leistungsverpflichtung zu befreien. Ebenso kann die Bestimmung analog angewendet werden, wenn eine Verletzung wesentlicher, selbstständig durchsetzbarer Nebenpflichten vorliegt, deren Bedeutung für die Vertragserfüllung grundlegend ist, bzw. welche in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zu einer Hauptpflicht stehen und deshalb zur vertraglichen Gleichgewichtslage beitragen (Weber, Berner Kommentar, Art. 107 OR N 44 f.; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, N 3012a).
Die wesentlichen Verpflichtungen der Parteien, nämlich die Überlassung zum Gebrauch gegen Zahlung des Mietzinses, stehen in einem Austauschverhältnis. Beim Mietvertrag handelt es sich daher um einen vollkommen zweiseitigen Schuldvertrag (Higi, Art. 253 OR N 13). Die Vereinbarung der Leistung einer Sicherheit gilt als besondere vertragliche Nebenpflicht des Mieters (Higi, Art. 257e OR N 9). Eine direkte Anwendung von Art. 107 OR ist daher ausgeschlossen. Eine analoge Anwendung rechtfertigt sich, wenn der verletzten Nebenpflicht nach Treu und Glauben grundlegende Bedeutung für die Vertragserfüllung zukommt, bzw. wenn sie in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zu einer Hauptpflicht steht und deshalb zur vertraglichen Gleichgewichtslage beiträgt (Weber, Art. 107 OR N 45; von Tuhr/Escher, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, 3.A., S. 157). Die Rekurrentin kam ihrer Verpflichtung zur Hinterlegung nicht nach, sondern vereinnahmte die ursprünglich geleistete Kaution von Fr. 20'000.--, bis der Rekursgegner deswegen Verrechnung mit den laufenden Mietzinsen erklärte. Auch die vom Rekursgegner erneut geleistete Kaution von Fr. 6'000.-- wurde wiederum nicht auf einem Konto zu Gunsten des Rekursgegners hinterlegt, obwohl die Rekurrentin dieses Mal um ihre Verpflichtung wusste. Angesichts dieser Umstände kann somit aufgrund von Treu und Glauben nicht davon ausgegangen werden, dass die Rekurrentin der Pflicht des Rekursgegners zur Leistung einer Sicherheit grundlegende Bedeutung für die Vertragserfüllung zumass. Hinzu kommt, dass die Rekurrentin keine Vorkehrungen unternahm, die Sicherheitsleistung auf dem Betreibungsweg einzutreiben. Eine analoge Anwendung von Art. 107 OR ist hier daher ausgeschlossen.
b) Unter diesen Umständen erscheint auch die Pflichtverletzung des Rekursgegners nicht als derart schwer, dass sie zu einer ausserordentlichen Kündigung gemäss Art. 266g OR berechtigen würde. Aus wichtigen Gründen, welche die Vertragserfüllung für sie unzumutbar machen, können die Parteien das Mietverhältnis mit der gesetzlichen Frist auf einen beliebigen Zeitpunkt kündigen (Art. 266g OR). Das Gewicht eines einzelnen Grundes oder mehrerer Gründe muss derart schwer sein, dass es die Vertragstreue, die Rechtssicherheit und das Interesse der Gegenpartei an der Einhaltung des Vertrags deutlich überwiegt. Der wichtige Grund muss derart beschaffen sein, dass er objektiv, d.h. im Verständnis vernünftiger und redlicher Menschen, die Fortsetzung des Mietverhältnisses als unzumutbar erscheinen lässt (Higi, Art. 266g OR N 30 f.). Die Nichtstellung von vereinbarten Sicherheiten kann einen Grund darstellen, der den Vermieter zur Kündigung im Sinn von Art. 266g OR berechtigt, wenn die (objektiv) tauglichen Einbringungsversuche des Vermieters scheiterten (Higi, Art. 266g OR N 51; SVIT-Kommentar, Art. 266g OR N 16). Da die Rekurrentin ihrer Pflicht zur Hinterlegung der geleisteten Kautionen weder nachkam noch für die Restkaution von Fr. 14'000.-- den Betreibungsweg beschritt, erscheint die Pflichtverletzung des Rekursgegners nicht als derart schwer, als dass sie zur ausserordentlichen Kündigung berechtigen würde. Die Vorinstanz betrachtete somit die Kündigung zu Recht als nichtig. Diese fehlerhafte Kündigung kann im Weiteren auch nicht in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden (Higi, Art. 266g OR N 67).
Obergericht, 7. Mai 2001, ZR.2001.29