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RBOG 2004 Nr. 10

Streit mit Hauswartfamilie als wichtiger Grund im Sinn von Art. 266g OR?


Art. 266 g OR


1. Streitgegenstand im Berufungsverfahren ist die Frage, ob ein wichtiger Grund für die ausserordentliche Kündigung des Mietvertrags durch die Berufungsbeklagte (Mieterin) gegeben war.

2. Gemäss Art. 266g OR können die Parteien das Mietverhältnis aus wichtigen Gründen, welche die Vertragserfüllung für sie unzumutbar machen, mit der gesetzlichen Frist auf einen beliebigen Zeitpunkt kündigen (Abs. 1). Der Richter bestimmt die vermögensrechtlichen Folgen der vorzeitigen Kündigung unter Würdigung aller Umstände (Abs. 2). Diese Bestimmung, der Ausnahmecharakter zukommt, soll beiden Parteien ermöglichen, sich unter ausserordentlichen Umständen von ihrer vertraglichen Verpflichtung für die Zukunft zu befreien. Im Ergebnis kann sie als Umsetzung der clausula rebus sic stantibus, also des Grundsatzes, wonach Verträge nur geändert werden dürfen, wenn sich die Sachlage im Vergleich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses änderte, bezeichnet werden (Weber, Basler Kommentar, Art. 266g OR N 1). Als wichtige Gründe im Sinn dieser Bestimmung gelten nur ausserordentlich schwerwiegende Umstände, die bei Vertragsabschluss weder bekannt noch voraussehbar waren und nicht auf ein Verschulden der kündigenden Partei zurückzuführen sind. Diese Umstände müssen so schwerwiegend sein, dass die Fortsetzung des Mietverhältnisses nur schon bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin objektiv unzumutbar ist; subjektive Unzumutbarkeit für die kündigende Partei ist unerheblich. Ob wichtige Gründe eingetreten sind, die einer Partei die Fortsetzung des Mietvertrags objektiv unzumutbar machen, hat der Richter gemäss Art. 4 ZGB nach Recht und Billigkeit zu entscheiden. Dabei hat er die für die vorzeitige Vertragsauflösung angeführten Gründe gegenüber dem Grundsatz der Verbindlichkeit der Verträge, der Rechtssicherheit sowie den Interessen der Gegenpartei an der Aufrechterhaltung des Vertrages abzuwägen (BGE vom 31. August 2001, 4C.375/2000, Erw. 3a). So ist ein wichtiger Grund etwa gegeben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien durch wiederholte Reibereien oder Provokationen insbesondere bei schikanösem Verhalten zur Verärgerung der Gegenpartei dermassen gestört ist, dass eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr zumutbar ist (SVIT-Kommentar Mietrecht, 2.A., Art. 266g OR N 15). Ferner gilt als wichtiger Grund auch jedes nicht mehr leicht zu nehmende vertragswidrige Verhalten, das dem Vermieter anzurechnen ist und dem Mieter insbesondere den ungestörten Genuss der Mietsache nicht mehr erlaubt. Dazu gehört z.B. die dauernde (wiederholte) unverschuldete schikanöse Belästigung durch den Vermieter selber oder dessen Erfüllungsgehilfen, wenn diese gerügt wird und der Vermieter keine Abhilfe schafft oder schaffen kann. Dasselbe gilt für die schuldlose, dauernde, ernsthafte oder schikanöse Belästigung oder anhaltende Ängstigung durch Mitmieter (Higi, Zürcher Kommentar, Art. 266g OR N 53). Im Urteil 4C.375/2000 hielt das Bundesgericht fest, es sei erstellt, dass die Mieterin unter dem Eindruck eines Einbruchs in eine ernsthafte psychische Krise geraten sei und in ihrer Wohnung unter panikartigen Angstgefühlen gelitten habe. Damit könne ohne weiteres vom Vorliegen einer ernsthaften Krankheit ausgegangen werden, welche die Benützung der Wohnung nicht mehr gestatte und als wichtiger Grund im Sinn von Art. 266g Abs. 1 OR zu qualifizieren sei. Den Einwand, die Mieterin habe eine angezeigte spezial-fachärztliche Behandlung abgelehnt, bezeichnete das Bundesgericht unter Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, ob und wie er sich medizinisch behandeln lassen wolle, als unerheblich (Erw. 3b und c).

a) aa) Die Berufungsbeklagte wies in ihrer Kündigung auf die "sehr leidige" Angelegenheit bezüglich Hauswartregelung hin und hielt fest, dass die Verwaltung offensichtlich nur Gehör für die eine Partei habe und deswegen auch entsprechend einseitig reagiere. Die Beleidigungen durch die Hauswartfamilie und die Verwaltung seien inzwischen derart zahlreich geworden, dass die Berufungsbeklagte sich in ärztliche Behandlung habe begeben müssen, weil die unerträgliche Wohnsituation sie psychisch zu stark belastet habe. In der Klageantwort liess die Berufungsbeklagte diese Begründung durch eine Vielzahl von Behauptungen substantiieren, und im Berufungsverfahren liess sie für die behaupteten unzumutbaren Spannungen mit der Hauswartfrau vier weitere Zeugen offerieren. Ausserdem liess sie die Befragung ihres Hausarzts zur Frage, ob die Spannungen die einzige Ursache für die gesundheitlichen Störungen gewesen seien, beantragen.

bb) Die Vorinstanz führte im Zusammenhang mit den Ausführungen der Berufungsbeklagten aus, diese werde nach eigenen Ausgaben von der Hauswartin bzw. der Hauswartfamilie schikaniert, und die Liegenschaftenverwaltung unternehme nichts dagegen. Weil die Wohnsituation die Berufungsbeklagte psychisch zu stark belastet habe, habe sich diese in ärztliche Behandlung begeben müssen. Die Vorinstanz wies auf ein Schreiben der Liegenschaftenverwaltung hin, woraus hervorgehe, dass die Hauswartfamilie von Seiten der Vermieterschaft zur ordentlichen Erfüllung ihrer Pflichten und zur gebotenen Rücksichtnahme angehalten worden sei. In Bezug auf die behauptete schikanöse Behandlung lägen keine Urkunden im Recht, welche diese beweisen würden. Zwar seien offenbar gewisse Spannungen vorhanden gewesen, doch würden die Ereignisse nicht derart schwer wiegen, dass diese die Unzumutbarkeit der Fortführung des Mietverhältnisses zur Folge gehabt hätten. Aus dem Arztzeugnis könne für die wichtige Zeit vor der Kündigung nichts herausgelesen werden, da die Berufungsbeklagte erstmals am Tag vor der Kündigung bei Dr.med. X in der Praxis gewesen sei. Im Übrigen sei die Diagnose ICD-10F43.21 als "leichte Depression" definiert, bei der fraglich sei, ob sie als wichtiger Grund nach Art. 266g OR genüge.

b) Die von der Berufungsbeklagten behaupteten Vorfälle sind schwerwiegender als von der Vorinstanz beurteilt, auch wenn tatsächlich die eine oder andere Kleinigkeit darunter ist. So ist zum Beispiel die Rüge der Hauswartfrau in Bezug auf das Abstellen des Fahrzeugs der Berufungsbeklagten auf dem Besucherplatz nicht zu beanstanden, denn ein solcher ist seiner Bezeichnung gemäss allein und jederzeit den Besuchern vorbehalten. Hingegen ist die Bezeichnung der Berufungsbeklagten als "Nutte" jenseits von Gut und Böse, und auch das Schikanieren seiner Kinder braucht sich kein Mieter gefallen zu lassen. Gerichtskundig ist sodann, dass dauernde unberechtigte oder wenigstens kleinliche Beanstandungen zu einem Zerwürfnis führen, erst recht wenn sie in einem unangebrachten Ton vorgetragen oder sogar mit Beschimpfungen verbunden werden. Die Berufungsbeklagte behauptete (quantitativ und qualitativ) weit mehr als einige wenige Überreaktionen seitens des Hauswartehepaars, und ebenso spricht ja auch die Liegenschaftenverwaltung von einer "derart verfahrenen und intoleranten Situation". Schliesslich ist zu berücksichtigen, dass sich die Berufungsbeklagte bereits rund vier Monate vor der Kündigung erstmals an die Liegenschaftenverwaltung wandte und um Abhilfe ersuchte. Allerdings liess sich diese gegenüber der Berufungsbeklagten erst gut eine Woche vor der Kündigung auf deren nochmalige telefonische Intervention hin vernehmen, wobei die Liegenschaftenverwaltung eingestehen musste, dass das versprochene Schreiben an die Hausbewohner (noch) nicht versandt sei.

In einer Lage, wie sie von der Berufungsbeklagten behauptet wird, ist es einem Mieter nicht zumutbar, wie hier aufgrund des langfristigen Mietvertrags noch während Jahren an den Mietvertrag gebunden zu sein. Fraglich erscheint höchstens, ob die ausserordentliche Kündigung zu früh ausgesprochen wurde, d.h. ob die Berufungsbeklagte noch auf eine Besserung der Lage hätte warten müssen. Dies wäre allerdings nur zu bejahen, wenn die Berufungskläger als Vermieter bzw. die Liegenschaftenverwaltung angemessen auf die Beanstandungen der Berufungsbeklagten reagiert hätten. Dies ist hier nicht der Fall: Wer während rund dreier Monate auf konkret erhobene Rügen hin weder im direkten Gespräch noch telefonisch noch schriftlich reagiert, handelt nicht angemessen. Nicht einmal das versprochene Schreiben an die Hausbewohner, mit dem die Liegenschaftenverwaltung an sich reagieren wollte, wurde erledigt, und auch das auf die nochmalige Intervention der Berufungsbeklagten ergangene Schreiben stellt keine angemessene Reaktion dar. Ein Vermieter, der ein langjähriges Vertragsverhältnis mit einem Mieter eingegangen und an der Aufrechterhaltung dieses Vertragsverhältnisses interessiert ist, muss Beschwerden dieses Mieters nachgehen und die gebotenen Massnahmen ergreifen. Im hier zu beurteilenden Fall wäre wenigstens ein (frühzeitiges) Gespräch mit den Mietern und dem Hauswartehepaar angezeigt gewesen, bei dem die Parteien auf ihre Pflichten hätten hingewiesen werden sollen. Der Aufwand dafür wäre gering gewesen, geringer jedenfalls als bei einer Auseinandersetzung vor den Gerichten. Ob die Berufungsbeklagte die untragbare Situation mitverschuldete, wie dies die Liegenschaftenverwaltung zumindest durchblicken liess, und allenfalls in welchem Ausmass, ist im Rahmen des Gegenbeweises zu klären und kann allenfalls dazu führen, dass die ausserordentliche Kündigung ungerechtfertigt war.

Unter diesen Umständen muss der Berufungsbeklagten Gelegenheit gegeben werden, ihre Darstellung und damit den wichtigen Grund für die Zulässigkeit der ausserordentlichen Kündigung zu beweisen. Auch wenn die Beweismittel in solchen Situationen regelmässig beschränkt sind, dürften allein schon die Befragungen der beteiligten Personen eine Beurteilung erlauben. Den Berufungsklägern steht der Gegenbeweis offen: Sie können insbesondere beweisen, dass bzw. in welchem Mass die Situation durch die Berufungsbeklagte mitverschuldet wurde. Allerdings liegen dazu bislang fast keine substantiierten Behauptungen vor.

Obergericht, 26. Oktober 2004, ZBR.2004.49


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