RBOG 2005 Nr. 42
Objektive Klagenhäufung im Privatstrafverfahren
§ 171 Abs. 1 aStPO (TG), § 88 aZPO (TG)
1. Die Rekurrenten erhoben gegenüber den Rekursgegnern Klage wegen Ehrverletzung und Verstosses gegen das UWG; ausserdem machten sie aufgrund dieser Vorwürfe gemäss Weisung eine Forderung von Fr. 632'500.-- geltend. Nach dem Eingang der Weisung verlangte das Gerichtspräsidium von den Rekurrenten eine Klageschrift und verpflichtete sie mit Hinweis auf den Fr. 50'000.-- übersteigenden Streitwert zudem zur Zahlung eines Kostenvorschusses. Gegen die Pflicht zur Leistung eines Kostenvorschusses erheben die Rekurrenten der Rechtsmittelbelehrung der angefochtenen Verfügung gemäss Rekurs.
2. a) Privatstrafverfahren im Sinn von § 171 Abs. 1 StPO werden von der Bezirksgerichtlichen Kommission beurteilt (§ 7 Ziff. 4 StPO). Zu den Privatstrafverfahren gehören nicht nur sämtliche Ehrverletzungsdelikte (Art. 173-177 StGB), sondern auch alle auf Antrag zu verfolgenden Straftaten aus dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes einschliesslich jener wegen unlauteren Wettbewerbs. Formell sind die zivilprozessualen Grundsätze massgebend; hievon abgewichen wird lediglich im Zusammenhang mit Fragen über die Zuständigkeit, die Klageeinleitung, das Beweisverfahren und das Urteil (§§ 173-176 StPO; Zweidler, Die Praxis zur thurgauischen Strafprozessordnung, Bern 2005, § 171 N 3).
b) Für die Beurteilung zivilrechtlicher Streitigkeiten, deren Streitwert den Betrag von Fr. 8'000.--, nicht aber Fr. 30'000. übersteigt, ist die Bezirksgerichtliche Kommission zuständig (§ 46 Abs. 1 ZPO); ist der Streitwert höher, entscheidet das Bezirksgericht (§ 47 ZPO). Sämtliche dieser Rechtsstreitigkeiten sind im ordentlichen Verfahren abzuwandeln (§ 137 Abs. 1 ZPO).
c) Der Kläger kann im nämlichen Verfahren gleichzeitig mehrere Ansprüche gegen den Beklagten geltend machen, sofern für sie die gleiche Verfahrensart vorgesehen ist. Das Gericht kann aber einerseits jederzeit die Trennung des Rechtsstreits in mehrere Prozesse anordnen, wenn sich aus der gemeinsamen Behandlung Nachteile ergeben. Getrennt eingereichte Klagen kann es andererseits vereinigen, wenn daraus Vorteile erwachsen (§ 88 ZPO).
3. a) Die Bestimmung von § 88 Abs. 1 ZPO, wonach der Kläger im nämlichen Verfahren gleichzeitig mehrere Ansprüche gegen den Beklagten geltend machen kann, sofern für sie die gleiche Verfahrensart vorgesehen ist, spielt bei den Privatstrafverfahren, insbesondere den Ehrverletzungshändeln, eine nicht zu unterschätzende Rolle, gibt sie dem Verletzten doch die Möglichkeit, die Klage auf Verurteilung des Schuldigen mit einer Leistungsklage auf Genugtuung zu verbinden. Die Bedingung der gleichen Verfahrensart ist in diesem wohl häufigsten Anwendungsfall der objektiven Klagenhäufung bei Ehrverletzungsstreitigkeiten erfüllt, denn beide Ansprüche sind im ordentlichen Verfahren geltend zu machen (RBOG 1943 Nr. 7 S. 56 Abs. 2), und die Gleichartigkeit der Forderungen wird nicht verlangt (Schneider, Der Ehrverletzungsprozess im thurgauischen Recht, Diss. Zürich 1977, S. 159 f.; Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, Bern 2000, § 88 N 5). Gesetzliche Voraussetzung für die objektive Klagenhäufung ist allerdings für sämtliche Ansprüche Identität der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit (Böckli, Zivilprozess-Ordnung für den Kanton Thurgau, Frauenfeld 1930, § 112 N 3; Merz, § 88 ZPO N 4). Die gewünschte Genugtuungssumme darf daher grundsätzlich den Betrag nicht überschreiten, zu dessen Beurteilung die Bezirksgerichtliche Kommission sachlich zuständig ist (Schneider, S. 160), d.h. es können nach geltendem Recht nicht mehr als Fr. 30'000.-- eingeklagt werden (§ 46 Abs. 1 ZPO). Ausserdem hat das Gericht gestützt auf § 88 Abs. 2 ZPO stets die Möglichkeit, die Trennung des Rechtsstreits in mehrere Prozesse anzuordnen, wenn sich aus der gemeinsamen Behandlung Nachteile ergeben (RBOG 1943 Nr. 7 S. 56 Abs. 3). Ein solcher Nachteil ist entsprechend der Regelung des Adhäsionsprozesses im Sinn von § 54 StPO regelmässig gegeben, wenn zur Behandlung der privatrechtlichen Ansprüche ein ausgedehntes Beweisverfahren notwendig ist und deshalb mit Bezug auf den Straf- und Schuldpunkt die Gefahr einer Verletzung des Beschleunigungsgebots droht (vgl. Zweidler, § 54 StPO N 4, 6 ff.). § 54 Abs. 1 Satz 2 StPO, wonach im Adhäsionsprozess weitere Beweise zu Zivilklagen nur abzunehmen sind, soweit sie auch strafrechtlich von Bedeutung sind, findet somit sinngemäss auch im Privatstrafverfahren Anwendung.
b) Im Privatstrafverfahren können also zum einen keine privatrechtlichen Ansprüche erhoben werden, die vom Obergericht als einzige kantonale Instanz zu beurteilen sind (§ 49 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO), oder bei denen sich der Streitwert auf unter Fr. 8'000.-- beziehungsweise über Fr. 30'000.-- beläuft (§ 46 Abs. 1, § 47 ZPO). Lautet die Weisung auf einen hievon abweichenden Streitwert, oder ist für einen Teil der Streitsache das Obergericht zuständig, sind die über die Privatstrafverfahren hinausgehenden Ansprüche grundsätzlich in einen gesonderten Prozess zu verweisen (RBOG 1951 Nr. 5, 1943 Nr. 7; unpräzis RBOG 1987 Nr. 14 Ziff. 3). Aus Gründen der Prozessökonomie und der Praktikabilität ist es jedoch - entsprechend der bisherigen Praxis - angebracht, eine Kompetenzattraktion bei der Bezirksgerichtlichen Kommission zuzulassen, wenn das Privatstrafverfahren mit einer Zivilklage geringerer Bedeutung, mit welcher eine Genugtuung von höchstens Fr. 2'000.-- verlangt wird, verbunden ist, da in solchen Fällen regelmässig kein Beweisverfahren notwendig und das Privatstrafverfahren durch die Geltendmachung eines solchen Anspruchs nicht belastet wird.
Zum anderen ändert die Möglichkeit der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche im Privatstrafverfahren nichts daran, dass trotz der zwei zusammengefassten Klagen nur ein einziger Prozess, und zwar ein solcher im Sinn von § 171 Abs. 1 StPO, vorliegt, der allerdings einen zivilrechtlichen und einen strafrechtlichen Teil aufweist (RBOG 1943 Nr. 7 S. 56 Abs. 2). Das Verfahren bleibt mündlich, und es ist entgegen § 138 ZPO, auch wenn der Streitwert der zusätzlich geltend gemachten privatrechtlichen Ansprüche Fr. 8'000.-- übersteigt, nicht zwingend eine Klageschrift notwendig. Immerhin ist die Einholung einer Klageschrift in analoger Anwendung von § 54a Abs. 1 Satz 2 StPO auch nicht ausgeschlossen (vgl. auch § 144 Abs. 3 ZPO).
Sind die zivilrechtlichen Ansprüche nicht liquid, sondern bedürfen erweiterter Abklärung, was stets zu zeitlichen Verzögerungen führt, ergeben sich folglich aus der gemeinsamen Behandlung des Zivil- und Privatstrafverfahrens Nachteile, sind die Prozesse zu trennen.
4. a) Die Rekurrenten werfen den Rekursgegnern vor, zu ihrem Nachteil wissentlich falsche Behauptungen aufgestellt und auf diese Weise gegen das UWG verstossen und sich der Ehrverletzung schuldig gemacht zu haben. Der Schaden, der ihnen dadurch entstanden sei, belaufe sich auf insgesamt Fr. 632'000.-- (Weisung) beziehungsweise auf Fr. 632'500.-- (Klageschrift). Während sie noch anlässlich des Vermittlungsvorstands ausdrücklich darauf hinwiesen, dieser Schaden in Höhe von Fr. 632'000.-- werde "gemäss OR" geltend gemacht, wobei sie sich vorbehielten, mindestens Fr. 1 Mio. zu verlangen (Weisung), reduzierten sie in ihrer Klageschrift ihre Forderung einstweilen auf Fr. 10'000.--; die restlichen Fr. 622'500.--, allenfalls aber auch der Differenzbetrag bis zu Fr. 1 Mio., werde möglicherweise in einem separaten Verfahren eingeklagt. Hievon war nicht erstmals in der Klageschrift die Rede: Nachdem die Vorinstanz die Rekurrenten nach Eingang der Weisung aufgefordert hatte, eine Klageschrift einzureichen und einen Kostenvorschuss zu bezahlen, teilten letztere noch vor dem Einreichen der Klageschrift mit, es würde nur ein Teilschaden von Fr. 10'000.-- geltend gemacht, "nachdem es uns bei dem Verfahren in der Hauptsache um die Klage wegen UWG und das Strafgesetzbuch geht und nicht den Schadenersatz, nachdem dies das Verfahren ja auch unverhältnismässig in die Länge ziehen würde, was wir nicht wollen, da es uns in der Hauptsache darum geht, die Widerrechtlichkeit von Handlungen der Beklagten feststellen zu lassen, und um weitere Verleumdungen bei unseren Geschäftspartnern und Kunden zu verhindern". Nach dem Erstatten der Klageschrift bekräftigten die Rekurrenten dieses ihrerseitige Hauptanliegen: Es gehe ihnen "nur darum, ihre Ehre wieder herzustellen und den Rekursgegnern Einhalt zu gebieten, um weiteren Schaden für sie abzuwenden ...". Gleiches ergibt sich aus der Rekursschrift: Nachdem den Rekurrenten daran gelegen sei, das Verfahren schnell voranzutreiben, um weitere Schäden durch die Rekursgegner zu vermeiden, komme eine Schadenersatzklage über Fr. 632'500.-- in diesem Verfahren überhaupt nicht in Frage. Dies gelte speziell, weil eine solche Forderung angesichts der finanziellen Situation der Rekursgegner gar nicht einbringlich wäre.
b) Aus diesen Anträgen und Begründungen ergibt sich die Notwendigkeit der Trennung der anhängig gemachten Verfahren. Die Schadenersatzforderung belief sich einst auf mindestens Fr. 632'000.-- und nunmehr noch auf Fr. 10'000.--. Die Rekursgegner bestreiten sie nicht nur, sondern erhoben anlässlich des Vermittlungsvorstands Widerklage über Fr. 200'000.--. Die Schadenersatzansprüche sind in keiner Weise liquid. Begründet werden sie in der Klageschrift mit Aufträgen, die den Rekurrenten aufgrund der behaupteten strafbaren Handlungen der Rekursgegner entzogen worden seien: Sechs Familien hätten ihre Werkverträge aufgelöst, wodurch mehrfacher Gewinnausfall entstanden sei, und weshalb überdies Planungskosten nicht erhältlich gemacht werden könnten. Ob und in welchem Ausmass diese Behauptungen zutreffen, muss in einem ordentlichen Zivilprozess geklärt werden. Im Privatstrafverfahren sind lediglich Beweise abzunehmen, die im Zusammenhang mit dem Straf- und Schuldpunkt stehen; ob die Rekurrenten Anspruch auf eine Schadenersatzforderung in nicht unbeträchtlicher Höhe haben, wird ein Beweisverfahren dieser Art nicht ergeben. Die nötigen Beweise bezüglich des Zivilpunkts im Privatstrafverfahren zu erheben, würde zu einer Verzögerung des Verfahrens führen, die sich nicht rechtfertigen liesse. Dieser Meinung sind die Rekurrenten selber offensichtlich auch, ist die Beschleunigung des Verfahrens doch einer der Gründe, weshalb sie ihren Schadenersatzanspruch zwischenzeitlich auf Fr. 10'000.-- reduzierten; diese Herabsetzung ändert jedoch nichts daran, dass über die Forderung nicht innert nützlicher Frist entschieden werden kann.
c) Bei den aktuellen Gegebenheiten ist die Trennung der anhängig gemachten Verfahren folglich unumgänglich. Demgemäss ist die angefochtene Verfügung aufzuheben, und es sind neue verfahrensleitende Anordnungen zu treffen. Dabei ist auf folgende Punkte hinzuweisen:
aa) Für das Privatstrafverfahren ergibt sich aus § 76 Abs. 1 ZPO, dass kein Kostenvorschuss eingefordert werden darf; ausserdem sind die Parteien auch nicht gehalten, Klageschriften einzureichen (vgl. § 174 StPO; Zweidler, § 174 StPO N 7).
bb) Die nach den Worten der Rekurrenten "verbindlich" erklärte Herabsetzung des Streitwerts auf Fr. 10'000.-- kann nicht ohne Folgen bleiben. Eine Klage wird mit der Einlassung in den Rechtsstreit rechtshängig. Die Einlassung in den Rechtsstreit ist bei Streitsachen, bei welchen ein Vermittlungsvorstand durchzuführen ist, als vollendet zu betrachten, wenn der Kläger sein Rechtsbegehren eröffnet, der Beklagte darauf seine Erklärung abgegeben und der Friedensrichter den Ausgleichsversuch ohne Erfolg abgeschlossen hat (§ 121 ZPO). Mit dem anlässlich des Vermittlungsvorstands vorgetragenen Rechtsbegehren wird der Umfang des Streits definiert; das Rechtsbegehren darf nach Eintritt der Rechtshängigkeit wohl noch eingeschränkt, nicht aber erweitert werden (§ 90 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO; Merz, § 90 ZPO N 3, 8c). Die betreffende Partei ist auf einer nachträglichen Einschränkung des Rechtsbegehrens zu behaften: Die Einschränkung ist verbindlich und unwiderruflich (Merz, § 90 ZPO N 11b). Will eine Partei gestützt auf denselben Rechtsgrund und denselben Sachverhalt in einem späteren Zeitpunkt nochmals eine Schadenersatzforderung geltend machen, kann ihr die Einrede der abgeurteilten Sache entgegengehalten werden (Merz, § 112 ZPO N 7 ff.). Auf diese Tatsache wies die Vorinstanz die Rekurrenten bereits hin; dessen ungeachtet beteuerten letztere mehrfach, an der Streitwertreduktion festzuhalten.
cc) Die Kläger haben für Forderungsprozesse mit einem Streitwert von über Fr. 50'000.-- einen Kostenvorschuss zu leisten (§ 76 Abs. 1 ZPO). Massgebend ist der Streitwert gemäss Rechtsbegehren des Klägers zur Zeit des Eintritts der Rechtshängigkeit, d.h. wiederum bei erfolglosem Abschluss des Ausgleichsversuchs (Merz, § 36 ZPO N 2). Die Tatsache, dass die Rekurrenten den Streitwert von Fr. 632'000.-- auf Fr. 10'000.-- reduzierten, kann somit nicht zur Folge haben, dass sie von der Kostenvorschusspflicht befreit werden.
5. Zusammenfassend ergibt sich, dass der Rekurs zu schützen ist. Gegen die Verfügung betreffend Prozesskostenvorschuss bestand zwar entgegen der Rechtsmittelbelehrung der Vorinstanz kein Rechtsmittel (RBOG 2001 Nr. 40). Nur die Höhe von Beweiskostenvorschüssen (vgl. Merz, § 234 ZPO N 7b), nicht hingegen diejenige Vorschusspflicht, die sich auf § 76 Abs. 1 ZPO stützt, kann angefochten werden: Derartige Entscheide sind prozessleitender Natur und im Interesse einer raschen Prozesserledigung in aller Regel erst mit dem Endentscheid anfechtbar; die Prozesskostenvorschusspflicht nach § 76 Abs. 1 ZPO wird in § 234 Ziff. 3 ZPO bewusst nicht erwähnt. Daran hat sich aufgrund des Umstands, dass die Prozesskostenvorschusspflicht auf Forderungsprozesse mit einem Streitwert von über Fr. 50'000.--, auf Aberkennungsprozesse und auf Verfahren nach § 49 Abs. 1 Ziff. 1 und Abs. 2 ZPO ausgeweitet wurde, nichts geändert. Dass das Obergericht auf den Rekurs trotzdem eintrat, hat seinen Grund darin, dass die Trennung der bislang miteinander verbundenen Prozesse von Amtes wegen vorzunehmen ist.
Obergericht, 2. Mai 2005, SW.2005.2