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RBOG 2006 Nr. 41

Das Schiess-Verbot gemäss EG StGB (alte und neue Fassung) ist ein Gefährdungsdelikt


§ 41 EGStGB


1. Das Bezirksamt büsste den Berufungskläger, weil dieser mehrfach mit einem Luftgewehr aus dem Fenster seiner Wohnung auf Bäume in seiner Nachbarschaft geschossen hatte. Der Berufungskläger machte geltend, § 41 EG StGB ziele darauf ab, die Bevölkerung vor unerwarteten und detonationsähnlichen Knallgeräuschen, wie z.B. Salutschiessen oder Böllerschüssen, zu schützen. Das Schiessen mit einem Luftgewehr falle nicht darunter.

2. a) Das Schiessen bei Hochzeiten und ähnlichen Festlichkeiten und jedes unbefugte Schiessen in der Nähe von Wohnungen und Strassen wird mit Haft oder Busse bestraft[1].

b) Die Vorinstanz erwog, der Straftatbestand von § 41 EG StGB versuche nicht nur zu verhindern, dass die Bevölkerung durch Böller in Angst und Schrecken versetzt werde, sondern es sollten auch Leib und Leben von Personen, die sich in der Nähe von Wohnungen und Strasse aufhielten, geschützt werden. Die Bestimmung umfasse folglich den Tatbestand eines abstrakten Gefährdungsdelikts. Der Täter sei auch dann strafbar, wenn sein Verhalten im konkreten Fall kein Rechtsgut gefährdet habe. Vorsatz oder Fahrlässigkeit müssten sich auf das im Tatbestand nicht genannte Merkmal der Gefahr nicht beziehen. Auch das Schiessen mit einem Luftgewehr sei in einem bewohnten Gebiet nach der allgemeinen Lebenserfahrung generell geeignet, eine Gefahr für Leib und Leben der in einem solchen Wohngebiet lebenden Menschen herbeizuführen. Auch bei einer gezielten Schussabgabe auf einen 15 Meter entfernten Baum könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Abpraller eine Person, die sich in der Nähe befinde, ernsthaft verletze, oder dass beim Verfehlen des Baumes eine sich dahinter befindende Person verletzt werde. Durch das Totschiessen zweier Vögel habe der Berufungskläger gewusst, welche Wirkung die Schussabgabe auf Lebewesen habe. Er habe nicht sicher sein können, dass sich hinter den Bäumen, auf die er geschossen habe, keine Personen befänden. Die Sicht aus dem Fenster auf die dahinterliegende Strasse sei durch Gebüsch und Bäume verdeckt. Bei der Schussabgabe habe das Zielgebiet nicht vollumfänglich eingesehen werden können. Der vorliegende Fall sei deshalb nicht mit dem vom Berufungskläger angeführten Beispiel einer Schiessbude zu vergleichen. Dort werde auf einen Kugelfang geschossen. Der Berufungskläger habe damit den in § 41 EG StGB aufgeführten Straftatbestand erfüllt, weshalb er zu bestrafen sei.

c) aa) Der Berufungskläger bestreitet den ihm zur Last gelegten Sachverhalt nicht. Er behauptet aber, dass § 41 EG StGB kein abstraktes Gefährdungsdelikt darstelle. Mit dieser Bestimmung solle lediglich verhindert werden, dass Bürger durch das Schiessen belästigt würden. Die Strafnorm beinhalte einzig das Verbot, ahnungslose Bürger und Fuhrwerke zu erschrecken. Der Schuss aus einem Luftgewehr könne folglich nicht unter den Straftatbestand fallen.

bb) § 41 EG StGB enthält nach seinem klaren Wortlaut zwei Tatbestandsvarianten: Zum einen geht es um das Schiessen bei Hochzeiten und ähnlichen Festlichkeiten, welches einerseits das Schiessen mit Böllern und Mörsern bei Festivitäten und andererseits das früher weit verbreitete Hochzeitsschiessen betrifft, das regelmässig stattfand, wenn sich junge Männer aus der Schützengesellschaft verheirateten[2]. Zum anderen behandelt die Bestimmung ganz generell das unbefugte Schiessen in der Nähe von Wohnungen und Strassen. Beide Tatbestandsvarianten umfassen sowohl den Schutz vor Ruhestörungen als auch den Schutz vor Gefährdungen. Gewisse kantonale Bestimmungen betreffend das unbefugte Schiessen enthalten denn auch ausdrücklich den Hinweis auf die daraus resultierende Gefährdung[3].

cc) Der Berufungskläger übersah in diesem Zusammenhang auch § 40 EG StGB mit der Marginale "Ruhestörung". Geht es nämlich um (reine) Lärmbelästigung beziehungsweise um das (blosse) Stören der öffentlichen Ruhe , ist § 40 EG StGB anwendbar. Demgegenüber zielt § 41 EG StGB unter anderem darauf ab, die Bürger vor unbefugtem Schiessen und den daraus resultierenden Gefahren in der Nähe von Wohnungen und Strassen zu schützen. Zwar trifft zu, dass die vom Berufungskläger - freilich sehr selektiv eingereichten - Auszüge aus den Materialien zum EG StGB, insbesondere das Protokoll der grossrätlichen Kommission, auch bei § 41 die Frage der Ruhestörung betonen. Doch steht, ohne dass weitere rechtshistorische Studien betrieben werden, schon aufgrund des Wortlauts fest, dass diese Bestimmung nicht nur den Zweck haben kann, Ruhestörungen zu vermeiden, denn diesfalls hätte sie angesichts von § 40 EG StGB gar keine weitere beziehungsweise selbstständige Bedeutung und würde im Verhältnis zu dieser Vorschrift nur zu völlig unnützen Abgrenzungsschwierigkeiten führen.

dd) Das abstrakte Gefährdungsdelikt zeichnet sich dadurch aus, dass das Gesetz eine Handlung ihrer typischen Gefährlichkeit wegen allgemein mit Strafe bedroht, unabhängig davon, ob im konkreten Fall ein Rechtsgut in Gefahr gerät[4]. Jene Handlungen werden deshalb verboten, weil sie regelmässig eine erhöhte Möglichkeit der Verletzung des zu schützenden Rechtsguts in sich schliessen. Das Gesetz verwendet nicht die Ausdrücke "Gefahr" oder "Gefährdung", sondern umschreibt lediglich die Merkmale der Handlung, welche ihre erhöhte Schädigungseignung, d.h. ihre abstrakte Gefährlichkeit begründen[5]. Der Tatbestand eines abstrakten Gefährdungsdelikts enthält die Gefahr nicht als Deliktsmerkmal. Das betreffende Verhalten wird mit Strafe bedroht, weil es nach allgemeiner Erfahrung generell geeignet ist, eine konkrete Gefahr oder eine Verletzung herbeizuführen. Der Täter ist auch dann strafbar, wenn sein Verhalten im konkreten Fall kein Rechtsgut gefährdete[6].

ee) Daran, dass § 41 EG StGB neben der Komponente der Ruhestörung auch einen Gefährdungstatbestand umfasst, ändert auch nichts, dass diese kantonale Bestimmung im Anwendungsbereich von Art. 129 StGB aufgrund von Art. 335 Ziff. 1 StGB keine Geltung haben kann. Die bundesrechtliche Bestimmung erfordert jedoch einerseits Skrupellosigkeit und eine unmittelbare Lebensgefahr, und andererseits bilden Art. 127 ff. StGB kein geschlossenes Normensystem[7]: Gefährdungstatbestände wie nachlässige Beaufsichtigung von Geisteskranken, das Halten wilder Tiere, die Gefährdung durch Tiere, die Störung der Ruhe, die Beunruhigung der Bevölkerung und ähnliche Bestimmungen sind im kantonalen Übertretungsstrafrecht durchaus zulässig[8]. Im Übrigen ist selbstverständlich, dass die besonderen Bestimmungen der Waffen- und Sprengstoffgesetzgebung des Bundes und des kantonalen Jagdgesetzes gegenüber § 41 EG StGB vorbehalten bleiben[9].

ff) Das EG StGB wurde revidiert; die neuen Bestimmungen treten auf den 1. Januar 2007 in Kraft[10]. § 41 EG StGB wurde dabei ebenfalls angepasst und wird neu lauten: "Jedes unbefugte Schiessen in der Nähe von Wohnungen und Strassen wird mit Busse bestraft[11]." Der Gesetzgeber verdeutlicht damit, dass das Problem des unbefugten Schiessens in der Nähe von Wohnungen und Strassen ‑ im Gegensatz zum Schiessen bei Hochzeiten und ähnlichen Festlichkeiten ‑ nach wie vor aktuell ist und dementsprechend auch geahndet werden soll.

gg) Was der Berufungskläger an weiteren Gegenargumenten vorträgt, überzeugt nicht. § 41 EG StGB ist nach seinem Wortlaut keineswegs auf das Schiessen mit Schusswaffen beschränkt, was sich schon aufgrund der Erwähnung des Schiessens bei Hochzeiten und Festlichkeiten ergibt; der Berufungskläger selbst geht diesbezüglich ohne weiteres davon aus, auch das Schiessen mit Böllern und ähnlichen Geräten, welche nicht Schusswaffen im üblichen Sinn darstellen, falle unter diesen Tatbestand. Damit kann die Bestimmung durchaus auch Anwendung auf Luftgewehre finden. Ausserdem kann - ohne die Frage abschliessend zu prüfen - keineswegs ausgeschlossen werden, dass unter besonderen Umständen auch das Schiessen mit einer Armbrust unter § 41 EG StGB fallen könnte. Das Schiessen auf Jahrmärkten bedarf einer markt- beziehungsweise gewerbepolizeilichen Bewilligung des Schiessbudenbetreibers und ist im Sinn von § 41 EG StGB ohnehin nicht "unbefugt".

d) Wie der Berufungskläger im polizeilichen Befragungsprotokoll angab, würden die Projektile in seinem Druckluftgewehr bis 450 Meter weit fliegen, wenn der Druck maximal eingestellt werde; er habe den Druck auf ungefähr einen Drittel eingestellt. Das vom Berufungskläger verwendete Bleiprojektil, das sieben Millimeter lang und sechs Millimeter breit ist, fliegt auch unter diesen Umständen immer noch 150 Meter weit. Die Strasse, die sich hinter dem betreffenden Baum befindet und an der weitere Mehrfamilienhäuser stehen, ist vom Fenster, aus dem der Berufungskläger schoss, ungefähr 70 Meter entfernt. Querschläger, Abpraller oder ungenaue Schüsse können mit den vom Berufungskläger verwendeten Projektilen zu ernsthaften Verletzungen führen. Zudem war der Baum im fraglichen Zeitpunkt belaubt. Projektile, die ihr Ziel verfehlen, sind nach der Lebenserfahrung durchaus wahrscheinlich, wenn nicht sogar häufig, und die Sicht auf die dahinterliegende Strasse und allfällige Passanten entsprechend eingeschränkt. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführte, ist das Schiessen mit einem Luftgewehr in einem bewohnten Gebiet generell geeignet, eine Gefahr für Leib und Leben der in einem solchen Wohngebiet lebenden Menschen herbeizuführen; dem Berufungskläger sei die Wucht des abgegebenen Geschosses sehr wohl bekannt gewesen, habe er doch selbst zugegeben, eine Schussabgabe auf den Kugelfang auf dem Balkon sei nicht möglich gewesen, da das Projektil vom Kugelfang nicht habe aufgefangen werden können und die dahinter liegenden Sparen beschädigt worden seien. Wie leichtsinnig der Berufungskläger mit Luftgewehren umging, bewies er auch damit, dass er erneut mit einem weiteren Luftgewehr in die Bäume des angrenzenden Kindergartens schoss. Sein Verhalten kann nur als absolut uneinsichtig, wenn nicht renitent bezeichnet werden. Im Übrigen ist nach wie vor umstritten, ob Druckluftwaffen, die dank moderner Technik Projektile mit grosser Beschleunigung abfeuern können, nicht dem Waffengesetz unterstellt werden müssten. Gewisse Druckluftgewehre sind Präzisionswaffen, deren Gefährdungspotenzial mit dem der unter das Gesetz fallenden Waffen durchaus vergleichbar ist[12].

e) Zusammenfassend steht fest, dass sich der Berufungskläger der Widerhandlung gegen § 41 EG StGB schuldig machte.

Obergericht, 27. Juni 2006, SBR.2006.5


[1] § 41 EG StGB

[2] Lei, in: Schoop (Hrsg.), Geschichte des Kantons Thurgau, Bd. 3, S. 454

[3] Vgl. etwa § 93 UeStG BS

[4] Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, AT I, 3.A., § 9 N 15

[5] Rehberg, Grundriss Strafrecht I, 5.A., § 7 N 2.33

[6] Trechsel/Noll, Schweizerisches Strafrecht, AT I, 5.A., S. 77

[7] Vgl. BGE 129 IV 279

[8] Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2.A., Art. 335 N 6

[9] Botschaft des Regierungsrates vom 15. Februar 2005 zu den verschiedenen Rechtssetzungsvorhaben im Zusammenhang mit der Umsetzung der Revision des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des neuen Jugendstrafgesetzes, S. 19

[10] ABl 2006 S. 2765

[11] § 34 revEG StGB; ABl 2005 S. 1868

[12] Weissenberger, Die Strafbestimmungen des Waffengesetzes, in: AJP 2000 S. 156

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