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RBOG 2007 Nr. 21

Befangenheit eines Richters und Medienberichterstattung


§§ 51 f ZPO


1. Auf Begehren von X untersagte das Gerichtspräsidium mit Verfügung vom 9. Oktober 2006 den Gesuchstellern vorsorglich, sämtliche Aussagen in einem ihrer Artikel, welcher dem Gerichtspräsidium am 4. Oktober 2006 eingereicht worden war, einzeln oder in Kombination zu veröffentlichen, zu verbreiten oder auf andere Weise publizistisch zu verwenden, insbesondere in ihrer Zeitschrift. Gleichzeitig wurde den Gesuchstellern vorsorglich verboten, X im Rahmen eines redaktionellen Artikels oder in anderer publizistischer Weise in Zusammenhang mit zahlreichen, einzeln aufgeführten Aussagen zu bringen. Diese Anordnungen wurden für sofort vollstreckbar erklärt.

2. Auf der Webseite der Gesuchsteller waren am 7. Dezember 2006 zwei Artikel, welche am 8. Dezember 2006 in ihrer Zeitschrift erscheinen sollten, abrufbar. Auf entsprechende Begehren von X verbot das Gerichtspräsidium den Gesuchstellern mit superprovisorischer Verfügung vom 7. Dezember 2006 vorsorglich, die beiden Artikel zu veröffentlichen, zu verbreiten oder auf andere Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, namentlich in ihrer Zeitschrift oder auf ihrer Webseite. Dasselbe wurde mit Bezug auf den Gegenstand der Verfügung des Gerichtspräsidiums vom 9. Oktober 2006 angeordnet. Den Gesuchstellern wurde untersagt, die Nr. 25/2006 ihrer Zeitschrift in Verkehr zu bringen oder Dritten abzugeben. Diese Anordnungen wurden für sofort vollstreckbar erklärt. Das Gerichtspräsidium begründete den Erlass dieser Verfügung mit der Missachtung der Verfügung vom 9. Oktober 2006.

3. Mit Eingabe vom 9. Januar 2007 beantragten die Gesuch­steller, es sei die Befangenheit des Bezirksgerichtspräsidenten festzustellen, und es sei sein Ausstand zu verfügen. Zudem sei die Nichtigkeit der Präsidialverfügung vom 7. Dezember 2006 festzustellen.

4. Ein Richter darf sein Amt unter anderem in seinen eigenen Angelegenheiten nicht ausüben[1]. Gleiches gilt, wenn er selbst vom Ausgang des Rechtsstreits nicht ganz unerhebliche Vor- oder Nachteile zu erwarten hat[2].

a) Der Anspruch einer Partei darauf, dass ihre Streitsache von einem unparteiischen Richter beurteilt wird, basiert auf Art. 30 Abs. 1 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Mit diesen Bestimmungen soll garantiert werden, dass keine Faktoren, welche ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zu Gunsten oder zu Ungunsten einer Partei auf das Urteil einwirken[3], und dass niemand als Richter tätig wird, der unter solchen Einflüssen steht[4]. Der Ausstand eines Richters steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Der Ausstand muss deshalb die Ausnahme bleiben, damit die regelhafte Verfahrensordnung nicht ausgehöhlt wird[5]. Die Missachtung der in § 51 ZPO genannten Ausstandsgründe hat die Nichtigkeit des ausgefällten Erkenntnisses zur Folge; ein diesbezüglicher Mangel kann indessen im Rechtsmittelverfahren geheilt werden[6].

b) Der von den Gesuchstellern angerufene Ausstandsgrund des Handelns in eigenen Angelegenheiten ist hier schon deshalb nicht gegeben, weil der Erlass einer superprovisorischen Verfügung nicht durch den Präsidenten des Bezirksgerichts, sondern durch X gegen die Gesuchsteller verlangt wurde. Der Präsident des Bezirksgerichts ist beziehungsweise war nicht Prozesspartei. Daran ändert auch nichts, dass sowohl im Artikel als auch im Editorial, deren Publikation untersagt wurde, derjenige Richter beziehungsweise dessen Amts- und Verfahrensführung kritisiert wurde, welcher in der Sache entschied. Allein daraus ergibt sich jedenfalls nicht, dass der Präsident des Bezirksgerichts im Sinn von § 51 Ziff. 1 ZPO in seinen eigenen Angelegenheiten gehandelt hätte. Anders wäre nur zu entscheiden, wenn er selbst ein vorsorgliches Publikationsverbot hätte erwirken wollen.

c) Die Gesuchsteller machen zwar nicht ausdrücklich geltend, der Bezirksgerichtspräsident hätte den Ausstand gestützt auf § 51 Ziff. 6 ZPO wahren müssen, wonach ein Richter sein Amt nicht ausüben darf, wenn er selbst vom Ausgang des Verfahrens nicht ganz unerhebliche Vor- oder Nachteile zu erwarten hat. Immerhin wird aber ausgeführt, er habe ein starkes eigenes Interesse am Publikationsverbot gehabt, womit dieser Ausstandsgrund zumindest sinngemäss angerufen wird. Erhebliche Vor- oder Nachteile im Sinn von § 51 Ziff. 6 ZPO sind nicht nur solche finanzieller Natur. Den Ausstand hat zu wahren, wer ein persönliches Interesse an dem zu behandelnden Geschäft hat[7]. Von Belang sind alle Aspekte, die im Sinn des persönlichen Interesses als von nicht untergeordneter Bedeutung erscheinen. Dazu gehören auch finanzielle Interessen eines Klienten eines nebenamtlichen Richters in einem mit einem Strafverfahren konnexen Geschäft. Gleiches gilt für Verknüpfungen anderer Art, wie bei einem Ersatzrichter des Obergerichts, dem sich in seiner Haupttätigkeit als Anwalt in einem anderen Verfahren ähnliche Fragen stellen; hier kann ein Ausstandsgrund vorliegen, wenn die Gefahr besteht, dass dieser Ersatzrichter sich von den Interessen seines Klienten beeinflussen lässt, auch wenn dieser mit dem hängigen Verfahren nichts zu tun hat[8]. Abgesehen davon, dass die Gesuchsteller diesen Ausstandsgrund nicht ausdrücklich geltend machen, führen sie auch nicht substantiiert aus, inwiefern der Bezirksgerichtspräsident vom Ausgang des Verfahrens hätte erhebliche Vor- oder Nachteile erwarten können. Allein der Umstand, dass er im Artikel und im Editorial kritisiert wurde, vermag diesen Ausstandsgrund jedenfalls nicht zu begründen. Jeder Richter hat ? wie Politiker und Staatsangestellte ? mit Kritik zu leben und umzugehen, auch wenn diese in der Öffentlichkeit vorgebracht wird. Von der Veröffentlichung einer solchen Kritik hat auch der Präsident des Bezirksgerichts keine erheblichen Nachteile zu erwarten; insbesondere erfolgt zum Beispiel auch eine Wiederwahl in ein Richteramt selbst nach heftiger öffentlicher Kritik an der Amtsführung in der Regel ohne grössere Probleme. Damit ist auch dieser Ausstandsgrund hier nicht gegeben.

d) Dementsprechend hatte der Präsident des Bezirksgerichts den Ausstand nicht von Amtes wegen zu wahren, und die strittige Verfügung vom 7. Dezember 2006 ist somit auch nicht nichtig.

5. a) Gemäss § 52 ZPO kann ein Richter abgelehnt werden, wenn er aufgrund seines subjektiven Verhaltens als voreingenommen erscheint. Befangenheit ist gegeben, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Ausreichend ist bereits der objektiv gerechtfertigte Anschein, die für ein gerechtes Urteil notwendige Offenheit des Verfahrens sei nicht mehr gewährleistet. Dabei kann aber nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abgestellt werden. Allerdings muss für die Ablehnung nicht nachgewiesen werden, dass der Richter tatsächlich befangen ist[9]. Das Misstrauen gegenüber einem Richter muss wegen gewisser Umstände oder eines bestimmten, den Verdacht der Parteilichkeit erweckenden Verhaltens in objektiver Weise begründet erscheinen; blosse Befürchtung der Befangenheit genügt nicht. Massgebend ist, ob vom Standpunkt der betroffenen Partei aus genügend objektive Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit zu hegen[10]. Die mit der normalen Ausübung des richterlichen Amts verbundenen Massnahmen gestatten es auch dann nicht, den Richter der Parteilichkeit zu verdächtigen, wenn diese Massnahmen allenfalls unangemessen oder gegebenenfalls sogar rechtlich falsch sind: Allgemeine Verfahrensverstösse und ungünstige Entscheide sind im dazu vorgesehenen Rechtsmittelverfahren zu rügen. Insbesondere lässt sich nicht auf Befangenheit schliessen, wenn ein Richter bestimmte prozessuale oder verfahrensleitende Massnahmen traf. Verfahrens- und andere Rechtsfehler, die einem Gericht unterlaufen, können den Anschein der Befangenheit nur begründen, wenn sie wiederholt oder trotz einer Rüge der Rechtsmittelinstanz begangen wurden oder so schwer wiegen, dass sie eine Amtspflichtverletzung darstellen[11]. Die Tatsache, dass eine Partei gegen einen Gerichtsschreiber, der in einem anderen Verfahren als Rechtsanwalt auftrat, bei der zuständigen Anwaltskammer eine Aufsichtsbeschwerde einreichte und eine Schadenersatzklage erhob, lässt beispielsweise auf Befangenheit schliessen[12].

b) Die Gesuchsteller begründen ihr Ausstandsbegehren vorab damit, dass sowohl im Artikel als auch im Editorial die einseitige Vorgehensweise des Präsidenten des Bezirksgerichts kritisiert werde, insbesondere der Erlass der superprovisorischen Verfügung vom 9. Oktober 2006, mit welcher der Gerichtspräsident sehr einseitig gehandelt habe. Zudem werde die Verletzung des rechtlichen Gehörs, des Amtsgeheimnisses sowie der Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit beanstandet. Ausserdem werde das für ihre Zeitschrift krass un­korrekte Verhalten des Gerichtspräsidenten beim Erlass der superprovisorischen Verfügung gerügt. Ein wesentlicher Teil des Artikels betreffe die Person des Gerichtspräsidenten und sein bisheriges Handeln in der Auseinandersetzung zwischen den Parteien. Der Präsident des Schweizerischen Presserats werfe dem Gerichtspräsidenten ein übertriebenes Urteil, mithin Ermessensüberschreitung, vor.

c) Die Gesuchsteller beanstanden mit ihren Ausführungen ausschliesslich angebliche Verfahrensfehler. Dies gilt ebenso für die Rüge, der Gerichtspräsident habe sehr einseitig die Publikation eines Artikels verboten, wie für die Vorwürfe, er habe das rechtliche Gehör der Gesuchsteller, das Redaktionsgeheimnis und das Amtsgeheimnis verletzt, sein Ermessen überschritten und durch den Eingriff in die Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit Rechtsverletzungen begangen. Derartige Verfahrensfehler sind indessen im dafür vorgesehenen Rechtsmittelverfahren zu rügen und wurden denn auch teils im parallelen Rekursverfahren gerügt. Unerheblich bleibt dabei, dass hier gegen die superprovisorische Verfügung selbst kein ordentliches Rechtsmittel[13] gegeben war. Allein dies führt nicht dazu, dass angebliche Verfahrens- oder Rechtsfehler den Anschein der Befangenheit begründen würden. Eine Ausnahme wäre nur gegeben, wenn die beanstandeten Fehler wiederholt begangen worden wären oder so schwer wiegen würden, dass sie eine Amtspflichtverletzung darstellten[14]. Davon kann hier keine Rede sein. Eine Amtspflichtverletzung liegt jedenfalls nicht schon darin, dass der Präsident des Bezirksgerichts zur Durchsetzung seiner Verfügung vom 9. Oktober 2006 am 6. Dezember 2006 eine weitere Verfügung erliess, nachdem die Gesuchsteller die Verfügung vom 9. Oktober 2006 offensichtlich bewusst missachteten. Die gegenteilige Betrachtungsweise hätte zur Folge, dass jede Partei, welche ihrer Ansicht nach zu Unrecht zu etwas verpflichtet wird, eine notwendige Vollstreckungsverfügung mit einem Ausstandsbegehren gegen den zuständigen Richter verunmöglichen könnte, auch wenn sie ihrer Verpflichtung nicht nachkommt. Im Ergebnis hätte dies die Umgehung des gesamten Rechtssystems zur Folge. Parteien haben sich an Verfügungen und entsprechend auferlegte Verpflichtungen zu halten, selbst wenn sie die betreffenden Entscheide für unrichtig oder unangemessen halten, und selbst wenn sich die Verfügung später tatsächlich als falsch oder gar qualifiziert falsch erweist. Im Übrigen beantragten die Gesuchsteller auch keine Abänderung der beanstandeten superprovisorischen Verfügung vom 7. Dezember 2006.

d) Der Präsident des Bezirksgerichts weist zu Recht darauf hin, dass das Ausstandsbegehren der Gesuchsteller missbräuchlich ist. Allein deshalb, weil sich der strittige Artikel und das Editorial ausführlich mit der angeblichen Befangenheit des Gerichtspräsidenten auseinandersetzten, kann keinesfalls für jeden weiteren, missliebigen Verfahrensschritt dieses Richters auf dessen persönliche Betroffenheit geschlossen werden. Durch das Vorgehen der Gesuchsteller wird die richterliche Unabhängigkeit ? ein ebenso wichtiges Grundrecht wie die von ihnen angerufene Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit ? tangiert. Medien können die Unabhängigkeit der Gerichte gefährden, wenn sie in einem hängigen Verfahren einseitig Stellung nehmen[15]; sie missbrauchen ihre Stellung und gefährden das Ansehen der Justiz, wenn sie sich von den am Verfahren Beteiligten zu unsachlicher, parteiischer Urteils- oder Richterschelte verleiten lassen. Umgekehrt darf tatsächlich von einem Richter auch erwartet werden, dass er trotz Kritik an seiner Amtsführung neutral bleibt. Zutreffend führt das Gerichtspräsidium aus, der Anspruch von X auf Rechtsschutz gestützt auf die beiden superprovisorischen Verfügungen würde in stossender Weise umgangen, wenn es den Gesuchstellern gelänge, den gesetzlichen und verfassungsmässigen Richter allein mit ihrer Berichterstattung in den Ausstand zu zwingen und gegebenenfalls gar die Nichtigkeit der erlassenen Vollstreckungsverfügung zu erwirken. Ein solcher Missbrauch zu Lasten einer Gegenpartei in einem hängigen Zivilprozess darf keinen Rechtsschutz finden.

Obergericht, 12. März 2007, ZPR.2007.1


[1] § 51 Ziff. 1 ZPO

[2] § 51 Ziff. 6 ZPO

[3] BGE 125 I 122, 124 I 123 und 261

[4] Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, 2.A., § 51 N 1a

[5] RBOG 1992 Nr. 13; Merz, § 51 ZPO N 1b

[6] Merz, § 51 ZPO N 18

[7] Vgl. Zweidler, Die Praxis zur thurgauischen Strafprozessordnung, Bern 2005, § 32 N 14

[8] BGE 124 I 121 ff.; Zweidler, § 32 StPO N 15; Merz, § 52 ZPO N 2

[9] RBOG 2005 Nr. 37; BGE 124 I 123, 120 Ia 187

[10] RBOG 2005 Nr. 37; vgl. RBOG 1996 Nr. 34; BGE 131 I 25, 126 I 73, 125 I 122; Merz, § 52 ZPO N 1

[11] Merz, § 52 ZPO N 2 mit Hinweisen

[12] RBOG 2005 Nr. 37; Merz, § 52 ZPO N 2

[13] Vgl. § 235 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO; Merz, § 163 ZPO N 12a

[14] Merz, § 52 ZPO N 2

[15] Müller/Thommen, Unabhängigkeit versus Öffentlichkeit der Justiz, in: Heer/ Urwyler, Justiz und Öffentlichkeit, Bern 2007, S. 37

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