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RBOG 2007 Nr. 30

Eheschutzverfahren: Unverbindlichkeit eines Vergleichs, der auf einem unangemessenen richterlichen Vorschlag beruht


Art. 23 ff. OR, § 172 Ziff. 8 ZPO


1. Die Rekursgegnerin hatte um Eheschutzmassnahmen ersucht. Im Anschluss an die Befragung unterbreitete die Vorinstanz den Parteien einen Vergleichsvorschlag. In diesem wurde unter anderem festgehalten, dass der Ehemann der Ehefrau ab 1. Januar 2007 bis und mit April 2007 monatlich Fr. 500.00 bezahle. Zu gegebener Zeit werde der Unterhaltsbeitrag ab Mai 2007 neu geregelt. Die Parteien ersuchten das Gerichtspräsidium, diese Vereinbarung zu genehmigen. Die Rekursgegnerin unterzeichnete den Vertrag sofort; der Rekurrent verlangte Bedenkzeit. Für den Fall, dass er die Vereinbarung nicht unterzeichne, verfasste die Rekursgegnerin ein Schreiben, in dem sie per sofort um die Verpflichtung des Ehemanns zur Entrichtung von Unterhaltsbeiträgen ersuchte. Am 15. Dezember 2006 widerrief die Rekursgegnerin ihre Zustimmung zur Trennungsvereinbarung. Das Schreiben brachte sie persönlich bei der Vorinstanz vorbei. Am Nachmittag des 15. Dezember 2006 händigte der Rekurrent dem Gerichtspräsidium die von ihm unterschriebene Trennungsvereinbarung aus. Die Vorinstanz teilte mit superprovisorischer Verfügung mit, nachdem die Ehefrau von der Vereinbarung zurückgetreten sei, bevor der Ehemann letztere unterzeichnet habe, sei die Vereinbarung nicht zustande gekommen. Der Rekursgegnerin werde ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von Fr. 750.00 zugesprochen. Mit definitivem Entscheid verpflichtete die Vorinstanz den Ehemann zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen in Höhe von vorerst Fr. 970.00, dann von Fr. 1'300.00 und schliesslich von Fr. 1'960.00 pro Monat. Der Rekurrent wandte sich an das Obergericht: Die Rekursgegnerin sei an ihr schriftliches Einverständnis zum Vergleichsvorschlag gebunden.

2. a) Abgesehen von Massnahmen zu Gunsten unmündiger Kinder im Sinn von Art. 176 Abs. 3 ZGB ? in diesem Bereich gilt die Offizialmaxime ? wird der Eheschutzrichter nur auf Begehren eines der beiden Ehegatten und im Rahmen der Anträge tätig[1]. Im Bereich des Unterhaltsbeitrags für die Ehefrau ist der Eheschutzrichter mithin an die Parteianträge gebunden[2]; es gilt die Dispositions- und Verhandlungsmaxime[3]. Eine Vereinbarung der Ehegatten im Rahmen eines Eheschutzverfahrens über frei verfügbare Ansprüche hat den Charakter eines gerichtlichen Vergleichs und führt in dieser Beziehung zum Abschluss des Verfahrens[4]. Als gerichtlicher Vergleich gilt jeder Vergleich, der vor einer Amtsstelle, die Gerichtsbarkeit ausübt, im Hinblick auf den vom Kläger angehobenen Rechtsstreit abgeschlossen wurde[5]. Er ist nicht nur ein Institut des Prozessrechts, sondern auch ein Vertrag des Privatrechts; ein einseitiges Zurückkommen auf diese Vereinbarung ist nur bei Willensmängeln gemäss Art. 23 ff. OR möglich[6]. Wenn sich eine Partei nicht darauf berufen kann, sie habe sich bei Abschluss des Vertrags in einem wesentlichen Irrtum befunden, muss sie sich bei ihrem Akzept behaften lassen; unwirksam erklärt werden kann die Vereinbarung lediglich noch aus objektiven Gründen d.h. bei Übervorteilung[7], Handlungsunfähigkeit[8], Dissens[9] und Widerrechtlichkeit oder Unsittlichkeit[10].

b) Im Gegensatz zum Rekurrenten unterzeichnete die Rekursgegnerin den Vorschlag, den ihr die Vorinstanz hinsichtlich der Nebenfolgen der Trennung während der nächsten Monate unterbreitet hatte, sofort. Mit ihrer Unterschrift war sie an ihr Einverständnis gebunden. Als Grund für ihren Widerruf gab sie anlässlich des Telefonats, an welchem sie der Vorinstanz am Morgen des 15. Dezember 2006 mündlich mitteilte, sie wolle die Unterschrift auf der Vereinbarung zurückziehen, einzig an, sie sei "total dure" gewesen. Sie wurde darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie dies schriftlich bestätigen müsse. Dies tat die Rekursgegnerin gleichentags. Sie verlange einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'500.00. Sie werde beweisen, dass sie keine Schwarzarbeit leiste und krank geschrieben sei; ausserdem erwarte sie "eine Aufrechnung" ihrer während des Zusammenlebens mit dem Rekurrenten erbrachten Leistungen. Einem Grundlagenirrtum unterlag sie ? rein vordergründig betrachtet ? somit anlässlich der Unterzeichnung des Vergleichs nicht: Sie irrte sich keineswegs über den massgebenden Sachverhalt. Es waren ihr sowohl die massgebenden Einkommensverhältnisse als auch die Existenzminima bekannt; zu keinem Zeitpunkt machte sie geltend, diesbezüglich von falschen Vorstellungen ausgegangen zu sein. Sie durfte somit grundsätzlich nicht auf ihr Einverständnis zur Trennungsvereinbarung zurückkommen.

c) Nun weist jedoch die Vorinstanz selbst darauf hin, dass der Inhalt der Trennungsvereinbarung einem ihrerseitigen Vorschlag entsprach, dass es mit anderen Worten nicht die Parteien selbst waren, die sich ohne jede richterliche Hilfe auf einen Unterhaltsbeitrag für vier Monate in Höhe von je Fr. 500.00 geeinigt hatten. Die Vorinstanz hatte zudem nebst den Regelungen über die Nebenfolgen der Trennung in den Entwurf die Bitte der Parteien an das Gerichtspräsidium hineingenommen, die Vereinbarung zu genehmigen, auch wenn dafür keine rechtliche Notwendigkeit bestand.

Vereinbarungen, die vom Richter genehmigt werden müssen, sind auf ihre rechtliche Zulässigkeit, Klarheit und Angemessenheit hin zu überprüfen[11]. Der Ehefrau von Januar bis April 2007 monatlich Fr. 500.00 zuzusprechen, wurde den Verhältnissen offensichtlich nicht gerecht. In diesem Zeitraum war der Rekurrent noch als Angestellter tätig und verdiente einschliesslich 13. Monatslohn Fr. 6'424.10 pro Monat. Mit dem von der Vorinstanz vorgeschlagenen Unterhaltsbeitrag wäre zusammen mit dem Arbeitsloseneinkommen der Ehefrau von Fr. 2'330.00 deren Existenzminimum von Fr. 2'782.50 knapp gedeckt gewesen, während dem Rekurrenten, ausgehend von einem seinerseitigen Existenzminimum von Fr. 4'278.40, ein Überschuss von rund Fr. 1'650.00 geblieben wäre. Die Vorinstanz kam denn auch bereits in der superprovisorischen Verfügung zum Schluss, der Unterhaltsbeitrag müsse sich auf Fr. 750.00 pro Monat belaufen, und in der definitiven Eheschutzverfügung errechnete sie für die Zeit vom 11. bis 31. Dezember 2006 einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 970.00, vom 1. Januar bis Ende Juni 2007 von monatlich Fr. 1'300.00 und ab 1. Juli 2007 sodann von Fr. 1'960.00 pro Monat.

Der anlässlich der Anhörung den Parteien unterbreitete Vorschlag über die kurzfristigen finanziellen Folgen der Trennung war den Gegebenheiten somit offensichtlich nicht angemessen. Vom Gericht hätte er nicht genehmigt werden dürfen. Alsdann kann aber auch keinem Zweifel unterliegen, dass die Rekursgegnerin daran nicht gebunden, sondern dass er für sie unverbindlich ist. Privatrechtliche Gründe für eine solche Unverbindlichkeit sind hier zwar nicht ohne weiteres zu bejahen, wenngleich das Missverhältnis des vereinbarten zum angemessenen Unterhaltsbeitrag einem offenbaren Missverhältnis gemäss Art. 21 OR doch sehr nahe kommt[12] und ein privatrechtlicher Irrtum der Rekursgegnerin letztlich auch bezüglich ihres Vertrauens auf die Ausgewogenheit des von einer juristischen Fachperson gemachten Vorschlags bejaht werden könnte[13]. Entscheidend ist indessen, dass eine Partei, die sich auf einen Vorschlag oder eine Auskunft des Richters verlässt und ihr prozessuales Verhalten entsprechend gestaltet, nach den öffentlichrechtlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes, welche gestützt auf Art. 9 BV unter Umständen sogar entgegen dem Legalitätsprinzip beachtet werden müssen, bei Unrichtigkeit oder völliger Unangemessenheit dieses Vorschlags oder dieser Auskunft nicht auf ihren prozessualen Dispositionen behaftet werden darf[14]. Angesichts der Unverbindlichkeit der Vereinbarung der Parteien konnte die Vorinstanz eine Neuberechnung der Leistungspflicht des Ehemanns vornehmen; hätte der im Trennungsvorschlag genannte Betrag im Rahmen des richterlichen Ermessens gelegen, wäre die Rekursgegnerin an ihre geleistete Unterschrift gebunden gewesen.

Obergericht, 12. März 2007, ZR.2007.19


[1] Hausheer/Reusser/Geiser, Kommentar zum Eherecht, Bern 1988, Art. 180 ZGB N 17; Bräm/Hasenböhler, Zürcher Kommentar, Art. 180 ZGB N 8, 12

[2] § 97 ZPO

[3] BGE 129 III 420, 128 III 414

[4] Bräm/Hasenböhler, Art. 176 ZGB N 16

[5] Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, 2.A., § 254 N 12a

[6] RBOG 1988 Nr. 26, 1985 Nr. 8

[7] Art. 21 OR

[8] Art. 17 ff. ZGB

[9] Art. 1 ff. OR

[10] Art. 20 OR; Merz, § 254 ZPO N 12b; Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, 3.A., § 188 N 19

[11] Vgl. Bräm/Hasenböhler, Art. 176 ZGB N 18, Art. 163 ZGB N 158, sowie Hausheer/Reusser/Geiser, Art. 176 ZGB N 5c zur Genehmigung einer Vereinbarung über Kinderbelange; Art. 140 ZGB; Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, Art. 140 ZGB N 39, 62 ff. zu den Scheidungsnebenfolgen; RBOG 1997 Nr. 12 S. 103 und 1995 Nr. 2, wobei sich diese Präjudizien auf das bis Ende 2000 geltende Scheidungsrecht beziehen, hier sinngemäss aber trotzdem Anwendung finden können.

[12] Von Tuhr/Peter, Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, 3.A., Bd. 1, S. 343; vgl. § 138 Abs. 2 BGB (BGE 123 III 294); zum notwendigen Mass des Missverhältnisses vgl. etwa BGE 46 II 55; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 62.A., § 138 N 68; von Büren, Schweizerisches Obligationenrecht, AT, Zürich 1964, S. 227

[13] Als Grundlagenirrtum, zumal im Sinn einer den Parteien gemeinsamen und für sie gleich wichtigen Vorstellung über die notwendigen Voraussetzungen der Vereinbarung offensichtlich sowohl der Rekurrent als auch die Rekursgegnerin selbstverständlich davon ausgingen, der richterliche Vergleichsvorschlag sei in sich einigermassen ausgewogen und trage im Sinn eines Kompromisses den Interessen beider Parteien Rechnung; vgl. Von Tuhr/Peter, S. 312 ff.

[14] Genauso wie im Verwaltungsrecht bei falscher behördlicher Auskunft in die Zukunft wirkende Dispositionen vom betroffenen Bürger widerrufen werden dürfen (vgl. Imboden/Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I, 5.A., Nr. 75 S. 472).

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