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RBOG 2008 Nr. 29

Im Kanton Thurgau besteht keine genügende gesetzliche Grundlage für ein Verbot von Lottoveranstaltungen i.S. von Art. 2 LG oder deren Bewilligungspflicht


Art. 2 LG, Art. 38 LG, Art. 1 StGB


1. a) Gestützt auf Art. 1 StGB darf eine Strafe oder Massnahme nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt. Diese Bestimmung gilt nach Art. 333 Abs. 1 StGB auch für das Nebenstrafrecht des Bundes. Das Legalitätsprinzip findet sich zudem in Art. 5 BV sowie Art. 7 Abs. 1 EMRK und Art. 15 Abs. 1 IPBPR[1] und ist damit auch in Bezug auf das kantonale Recht verbindlich[2].

b) Nach Art. 38 LG[3] wird bestraft, wer eine durch das LG verbotene Lotterie ausgibt oder durchführt. Gemäss Art. 1 LG sind Lotterien verboten. Als Lotterie gilt jede Veranstaltung, bei der gegen Leistung eines Einsatzes oder bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts ein vermögensrechtlicher Vorteil als Gewinn in Aussicht gestellt wird, über dessen Erwerbung, Grösse oder Beschaffenheit planmässig durch Ziehung von Losen oder Nummern oder durch ein ähnliches auf Zufall gestelltes Mittel entschieden wird. Das Lotterieverbot erstreckt sich nach Art. 2 LG nicht auf Lotterien, die bei einem Unterhaltungsanlass veranstaltet werden, deren Gewinne nicht in Geldbeträgen bestehen und bei denen die Ausgabe der Lose, die Losziehung und die Ausrichtung der Gewinne im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Unterhaltungsanlass erfolgen (Tombola). Diese Lotterien unterstehen ausschliesslich dem kantonalen Recht und können von ihm zugelassen, beschränkt oder untersagt werden. Gestützt auf Art. 3 LG ebenfalls vom Verbot ausgenommen sind die gemeinnützigen oder wohltätigen Zwecken dienenden Lotterien; diese können für das Gebiet des Ausgabekantons von der zuständigen kantonalen Behörde bewilligt werden[4].

2. a) Gemäss § 1 des kantonalen Lotteriegesetzes vom 29. August 1938[5] können Lotterien, die einem gemeinnützigen oder wohltätigen Zweck dienen, vom zuständigen Departement des Regierungsrates im Rahmen des Bundesgesetzes vom 8. Juni 1923 betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten bewilligt werden. In § 2 des kantonalen Lotteriegesetzes wird der Regierungsrat ermächtigt, mit anderen Kantonen über die gemeinsame Durchführung solcher Lotterien Vereinbarungen abzuschliessen. Der Kanton Thurgau ist denn auch (zusammen mit allen Deutschschweizer Kantonen ausser Bern sowie dem Kanton Tessin und dem Fürstentum Liechtenstein[6]) der interkantonalen Vereinbarung betreffend die gemeinsame Durchführung von Lotterien[7] und der interkantonalen Vereinbarung über die Aufsicht sowie die Bewilligung und Ertragsverwendung von interkantonal oder gesamtschweizerisch durchgeführten Lotterien und Wetten[8] beigetreten. In § 3 des Lotteriegesetzes wird dem Regierungsrat die Kompetenz erteilt, die erforderlichen Vollziehungsverordnungen zum Bundesgesetz und zum kantonalen Lotteriegesetz zu erlassen. Gestützt auf diese Ermächtigung erliess der Regierungsrat einerseits die Verordnung über die Verwendung des Anteils am Gewinn der Sport-Toto-Gesellschaft[9], andererseits die Verordnung über die Verwendung der Mittel aus dem Lotteriefonds[10].

b) Aus der Botschaft des Regierungsrates vom 18. Oktober 1938[11] geht hervor, dass der Zweck des Lotteriegesetzes darin bestand, das vorher im Gesetz betreffend das Verbot der Lotterien vom 18. Dezember 1832 geregelte absolute Lotterieverbot aufzuheben, nachdem ein erster Versuch, nach dem Erlass des eidgenössischen Lotteriegesetzes das Lotterieverbot teilweise zu lockern und zumindest Warenlotterien zu gemeinnützigen oder wohltätigen Zwecken (gestützt auf Art. 3 des Bundesgesetzes) oder solche im Rahmen eines Unterhaltungsanlasses (gestützt auf Art. 2 des Bundesgesetzes) zuzulassen[12], in der kantonalen Abstimmung vom 15. Mai 1927 verworfen worden war[13].

In der Botschaft wird deutlich zwischen der Warenlotterie und der Geldlotterie unterschieden und festgehalten, die Erlaubnis für die Tombola, einer besonderen, dem kantonalen Recht vorbehaltenen Art von Warenlotterie, und für den Totalisator, den Hauptfall der gewerbsmässigen Wette im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen, finde sich bereits im Vergnügungssteuergesetz[14]. Das Lotteriegesetz wolle nun die Geldlotterie erlauben, deren Reingewinn jedoch ausschliesslich einem gemeinnützigen oder wohltätigen Zweck vorbehalten bleiben müsse[15]. Beinahe alle schweizerischen Kantone ausser Thurgau liessen Lotterien zu wohltätigen und gemeinnützigen Zwecken durchführen und finanzierten damit Projekte zum öffentlichen Wohl, für die im Kanton Thurgau meistens die Mittel fehlten. Diese Entwicklung habe auch die praktische Wirkung des Lotterieverbots von 1832 ausserordentlich herabgemildert: Die Gelegenheiten zum "Lötterlen" seien an den Kantonsgrenzen so häufig und die Empfehlungen an ein spielfreudiges Publikum auch über diese Grenzen herein so auffällig geworden, dass auch viele Thurgauer namhafte Einsätze aufbrächten, um ihr Glück zu versuchen[16]. Die Beibehaltung des Lotterieverbots nütze praktisch kaum mehr etwas, schädige aber umgekehrt die finanziellen Interessen des Kantons, "indem eine praktische Einnahmenbeschaffungsquelle für wohltätige und gemeinnützige Zwecke unausgenützt bleiben muss, die wir so nötig hätten wie alle unsere Nachbarkantone". Mit der Annahme und Einführung des neuen Thurgauer Lotteriegesetzes könne der Kanton auch der kantonalen Lotterie-Genossenschaft beitreten, welche den Kantonen ganz bedeutende Mittel verschaffe[17].

c) aa) Das Vergnügungssteuergesetz wurde 1935 im Rahmen eines Finanzprogramms zur "Herstellung des finanziellen Gleichgewichts im Staatshaushalt" erlassen. Einerseits wurde damit neu eine Steuer eingeführt auf "Veranstaltungen, die dem Vergnügen, der Unterhaltung oder gleichzeitig der Unterhaltung und Belehrung dienen und für deren Besuch ein Entgelt in irgend einer Form bezogen wird". Andererseits lockerte der Gesetzgeber das Lotterieverbot insofern, als er im Zusammenhang mit einer steuerpflichtigen Veranstaltung die Durchführung einer Tombola gemäss Art. 2 des Bundesgesetzes betreffend die Lotterien und gewerbsmässigen Wetten vom 8. Juni 1923 gestattete.

bb) In seiner Botschaft an den Grossen Rat vom 9. Mai 1935 hielt der Regierungsrat fest: "Die Tombola, ein lotterieähnliches Geschäft, das bei einem Unterhaltungsanlass veranstaltet wird, dessen Gewinn nicht in Geldbeträgen bestehen darf und bei dem die Ausgabe der Lose, die Losziehung und die Ausrichtung der Gewinne in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Unterhaltungsanlass erfolgen muss, ist vom eidgenössischen Lotterieverbot ausgenommen und ausschliesslich dem kantonalen Recht unterstellt. Sie fand schon bisher da und dort im Lande herum statt und war praktisch geduldet, eben weil sie keine eigentliche Lotterie ist. Eine klare Regelung darüber wird aber seit Jahrzehnten vermisst. Wir möchten den heutigen Anlass benützen, sie zu schaffen"[18]. Die Veranstaltung war der zuständigen Behörde anzuzeigen, wobei allerdings keine Bewilligungspflicht bestand; die Steuer betrug 10% des Eintrittspreises. Eine Bestimmung, dass ein Ertrag für gemeinnützige oder wohltätige Zwecke verwendet werden müsse, existierte ebenso wenig wie die Vorschrift, dass die Tombola nur durch einen Verein durchgeführt werden konnte.

cc) Das Vergnügungssteuergesetz wurde auf den 1. Januar 1985 aufgehoben, da die Anwendung des Gesetzes im Vergleich zum Ertrag einen unverhältnismässig hohen Aufwand verursache[19]. Dass das Vergnügungssteuergesetz neben den eigentlichen Steuerfolgen auch eine Erlaubnis von Veranstaltungen gemäss Art. 2 LG enthielt, wurde bei der Gesetzesaufhebung offenbar nicht beachtet; es findet sich hierzu weder ein Hinweis in der Botschaft, noch fand eine Anpassung des kantonalen Lotteriegesetzes statt.

d) Im Kanton Thurgau besteht somit keine genügende gesetzliche Grundlage für ein Verbot oder eine Bewilligungspflicht für die vom Berufungskläger durchgeführten Lottoveranstaltungen: Das Lotteriegesetz vom 18. Oktober 1938 und die gestützt darauf erlassenen Verordnungen befassen sich nicht mit den Veranstaltungen gemäss Art. 2 LG, sondern lediglich mit den gemeinnützigen oder wohltätigen Zwecken dienenden Lotterien nach Art. 3 i.V.m Art. 5 ff. LG und enthalten darüber hinaus kein allgemeines Lotterieverbot. Die Aufhebung der Bestimmungen im Vergnügungssteuergesetz, welche Warenlotterien im Zusammenhang mit Unterhaltungsveranstaltungen ausdrücklich erlaubten, kann nicht dazu führen, dass der Regelungsumfang des kantonalen Lotteriegesetzes ohne weiteres stillschweigend auf Lotterien im Sinn vom Art. 2 LG ausgedehnt wird. Sollte es der kantonale Gesetzgeber für sinnvoll befinden, solche Veranstaltungen bewilligungspflichtig zu erklären und Sanktionen bei Zuwiderhandlungen aussprechen zu können, hat er dafür eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, wie sie im Übrigen in den meisten Kantonen besteht[20].

Obergericht, 20. Dezember 2007, SBR.2007.37

Das Urteil des Bundesgerichts, 6B_690/2008, vom 9. Februar 2009 befasste sich nicht mit dieser Frage.


[1] Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (SR 0.103.2)

[2] Popp/Levante, Basler Kommentar, Art. 1 StGB N 9

[3] Bundesgesetz betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten vom 8. Juni 1923 (SR 935.51)

[4] Art. 5 Abs. 1 LG

[5] RB 935.51

[6] BGE vom 4. August 2003, 2A.23/2003, Erw. 2

[7] RB 935.53

[8] RB 935.54

[9] RB 935.521

[10] RB 935.523

[11] ABl 1938 S. 747 ff.

[12] ABl 1927 S. 270 ff.

[13] ABl 1927 S. 384 f.

[14] ABl 1938 S. 750

[15] ABl 1938 S. 751

[16] ABl 1938 S. 750

[17] ABl 1938 S. 752 f.

[18] Botschaft an den Grossen Rat über Massnahmen zur Herstellung des finanziellen Gleichgewichts im Staatshaushalt (Finanzprogramm) vom 9. Mai 1935, S. 32 f.

[19] ABl 1984 S. 851 ff., 1012

[20] St. Gallen: Art. 12 ff. Vollziehungsverordnung zur Gesetzgebung über die Lotterien und gewerbsmässigen Wetten (sGS 455.11); Zürich: §§ 2 ff. Kantonale Lotterieverordnung (LS 553.1); Aargau: §§ 1 ff. Lotterieverordnung (SAG 959.111); Bern: Art. 17 ff. Lotteriegesetz (BSG 935.52); Luzern: §§ 1 ff. Lotteriegesetz (SRL 991); im Kanton Schaffhausen sind Tombolas gemäss Art. 2 LG seit dem 1. Januar 2007 bewilligungsfrei zugelassen.

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