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RBOG 2009 Nr. 10

Anforderungen an die Meldung eines Versicherungsfalls; Verjährung einer Invalidenrente nach VVG


Art. 38 VVG, Art. 46 VVG


1. a) Der Berufungsbeklagte klagte gegen eine Versicherungsgesellschaft auf Zahlung von rund Fr. 420'000.00 nebst Zins. Die Versicherungsgesellschaft (Berufungsklägerin) brachte zunächst vor, der Berufungsbeklagte habe seine Meldeobliegenheiten nicht erfüllt und damit den Versicherungsanspruch verwirkt. Der Berufungsbeklagte habe am 31. Januar 1997 eine Krankmeldung erstattet, die aber lediglich die Kollektiv-Taggeldversicherung betroffen habe; bezüglich der Einzel-Krankentaggeldversicherung sei erstmals im Oktober oder Dezember 2004 Meldung erstattet worden. Auch bei der Erneuerung der Kollektiv-Taggeldversicherung habe der Berufungsbeklagte seine Anzeigepflicht verletzt. Das Wissen, dass die Versicherungsgesellschaft im Hinblick auf die Erkrankung des Berufungsbeklagten aus der Kollektiv-Taggeld­versiche­rung gehabt habe, sei ihr in Bezug auf die Einzel-Krankentag­geldversicherung nicht anzurechnen. Die Versicherungs­gesell­schaft führe die Dossiers von verschiedenen Policenarten getrennt; ein Sachbearbeiter wisse zunächst nicht einmal, ob ein Versicherungsnehmer auch andere Policen bei der gleichen Gesellschaft habe, und könne ausserhalb seines Zuständigkeitsbereichs auch den Bestand anderer Policen nicht abfragen. Dies sei aus Datenschutzgründen auch richtig so. Es dürfe deshalb keine Wissensübertragung von einer Police auf die andere angenommen werden.

b) Gestützt auf Art. 38 Abs. 1 VVG muss der Anspruchsberechtigte den Versicherer benachrichtigen, sobald er vom befürchteten Ereignis und dem Versicherungsanspruch Kenntnis erlangt. Der Vertrag kann verfügen, dass die Anzeige schriftlich erstattet werden muss. Hat der Anspruchsberechtigte die Anzeigepflicht schuldhaft verletzt, so ist der Versicherer befugt, die Entschädigung um den Betrag zu kürzen, um den sie sich bei rechtzeitiger Anzeige gemindert haben würde[1]. Art. 38 VVG ist nicht zwingender Natur und kann im Versicherungsvertrag abgeändert werden[2]. Die in diesem Fall anwendbaren "AVB 1991" regeln die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers im Schadenfall in der Bestimmung C1, gemäss welcher der Versicherungsfall sofort anzuzeigen ist. Falls ein Ereignis voraussichtlich zu Versicherungsleistungen führt, ist ein Arzt beizuziehen und für sachgemässe Pflege zu sorgen. Den Anordnungen der Ärzte ist Folge zu leisten. Todesfälle sind der Versicherungsgesellschaft innerhalb von 24 Stunden zu melden, auch wenn das versicherte Ereignis bereits angemeldet war.

c) Die Vorinstanz ging zu Recht davon aus, die Schadenmeldung für die Kollektiv-Taggeldversicherung müsse auch für die Einzel-Krankentaggeldversicherung gelten. Die Vorinstanz führte zunächst zutreffend aus, die beiden Policen seien dem Berufungsbeklagten als "Gesamtpaket" verkauft worden. Der Berufungsbeklagte reichte bei der Versicherungsgesellschaft am 30. Januar 1997 eine Krankmeldung für die Kollektiv-Tag­geld­versicherung ein, welche von einem Mitarbeiter der Versicherungsgesellschaft ausgefüllt und vom Berufungsbeklagten lediglich unterzeichnet worden war. Dass dabei nur die Police der Kollektiv-Tag­geld­versicherung erwähnt wurde, kann dem Berufungsbeklagten nicht angelastet werden. Danach informierte er die Versicherungsgesellschaft regelmässig über seinen Gesundheitszustand. Nach Ablauf der Leistungen der Taggeldversicherung beantragte er zudem weitere Leistungen. Diese Meldungen müssen als rechtzeitig erfolgte Schadenmeldungen in Bezug auf die Einzel-Krankentaggeldversicherung betrachtet werden. Dass der Versicherte auch eine zusätzliche schriftliche Schadenmeldung mit Hinweis auf die genaue Policennummer vorzunehmen hätte, ergibt sich weder aus Art. 38 VVG noch aus den anwendbaren Versicherungsbedingungen und erscheint zudem aus dem Blickwinkel von Treu und Glauben auch als unsinnig.

d) Die Behauptung der Versicherungsgesellschaft, aus Datenschutzgründen habe ein Sachbearbeiter der Einzel-Krankenversiche­rung kein Wissen über die Police der Kollektiv-Taggeldversicherung, ist als völlig lebensfremd zurückzuweisen. Zur Schadenabwicklung muss es einem Sachbearbeiter, welcher Personenschäden bearbeitet, zumindest möglich sein, in Erfahrung zu bringen, welche anderen Policen ein Versicherungsnehmer bei der gleichen Versicherungsgesellschaft abgeschlossen hat, und welche Schäden im Rahmen der jeweiligen Versicherungspolicen bereits abgewickelt wurden. Es mag sein, dass ihm dabei aus Datenschutzgründen der Zugriff auf Details der früheren Schadendossiers (beispielsweise auf Arztberichte) verwehrt ist; dies spielt jedoch für die Frage, ob in diesem Fall eine rechtzeitige Schadenmeldung erfolgt ist, keine Rolle.

e) Selbst wenn eine verschuldete Verletzung der Anzeigepflicht zu bejahen wäre, stünde der Versicherungsgesellschaft gestützt auf Art. 38 Abs. 2 VVG lediglich ein Recht zur Kürzung der Leistungen zu, nachdem die Versicherungsbedingungen diesbezüglich keine strengere Regelung enthalten. Dabei wäre vom Versicherer zu beweisen, dass die Versicherungsleistung bei rechtzeitiger Anzeige geringer gewesen wäre[3]. Die Versicherungsgesellschaft führte lediglich aus, sie habe ab November 1998 während fünf Jahren keine Massnahmen ergreifen können, den Gesundheitszustand des Berufungsbeklagten abzuklären und durch konkrete Massnahmen im Sinn der Schadensminderungspflicht zu ändern. Dazu, welche Massnahmen sie getroffen hätte, und wie sich diese konkret auf die Leistungspflicht ausgewirkt hätten, äusserte sich die Versicherungsgesellschaft allerdings nicht substantiiert, weshalb schon mangels Substantiierung nicht weiter auf diese Frage einzugehen ist.

2. Ferner machte die Versicherungsgesellschaft geltend, die Forderung sei verjährt.

a) Gemäss Art. 46 VVG verjähren Forderungen aus dem Versicherungsvertrag in zwei Jahren nach Eintritt der Tatsache, welche die Leistungspflicht begründet. Als leistungsbegründende Tatsache im Sinn dieser Bestimmung gilt nach der neueren Rechtsprechung nicht mehr generell der Eintritt des Versicherungsfalls, sondern es wird je nach Versicherungsart und Leistungsanspruch auf unterschiedliche fristauslösende Ereignisse abgestellt[4].

b) Gestützt auf die Police schloss der Berufungsbeklagte bei der Versicherungsgesellschaft eine Versicherung für eine Invalidenrente von Fr. 50'000.00 pro Jahr (Wartefrist 730 Tage) ab. Gemäss Ziff. E4 der AVB 1991 hat die Versicherungsgesellschaft "nach Ablauf der Wartefrist von 730 Tagen während der Dauer der Erwerbsunfähigkeit von mindestens 25%, längstens aber bis zum Erlöschen der Versicherung bei Erreichen des Schlussalters gemäss Ziff. E1, eine dem Grad der Erwerbsunfähigkeit entsprechende Invalidenrente zu bezahlen. Eine Erwerbsunfähigkeit von 65% und mehr gibt Anspruch auf volle Leistungen. Ändert sich der Grad der Erwerbsunfähigkeit, werden die Leistungen entsprechend angepasst. Die in der Police angegebene Versicherungssumme entspricht einer vollen Jahresrente. Die Invalidenrente wird jedes Kalendervierteljahr in Raten zum Voraus bezahlt." Ziff. B9 der AVB bestimmt, eine Erwerbsunfähigkeit liege vor, "wenn der Versicherte infolge eines versicherten Ereignisses ganz oder teilweise ausserstande ist, seinen Beruf oder eine andere Erwerbstätigkeit auszuüben, die seiner Lebensstellung, seinen Kenntnissen und Fähigkeiten angemessen ist."

c) aa) Das Bundesgericht stellte in seinem Entscheid BGE 118 II 447 in Bezug auf ein in der Unfallversicherung versichertes Invaliditätskapital fest, der Fristenlauf für die Verjährung beginne mit jenem Tag, an welchem feststehe, dass eine Invalidität vorhanden sei. Der Eintritt der Invalidität sei nicht immer einfach zu bestimmen und hänge oft von der Wirksamkeit therapeutischer Vorkehren zur Heilung oder Milderung der Gesundheitsschädigung ab. Erst wenn der Zustand von Patienten mit derartigen Massnahmen nicht mehr verbessert werden könne, sei der Zustand der Invalidität erreicht. Dieser werde in Art. 88 VVG als voraussichtlich bleibende Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit infolge eines Unfalls umschrieben. Nicht entscheidend für den Beginn der Verjährung sei hingegen die Kenntnis der Invalidität seitens des Ansprechers[5].

bb) In seinem Entscheid BGE 127 III 268 ff., welcher sich mit der Verjährung von Krankentaggeldern befasste, erwog das Bundesgericht, die Taggeldentschädigung sei grundsätzlich, wenn sich nicht etwas anderes deutlich aus dem Vertrag ergebe, als einheitliche aufzufassen, die gesamthaft verjähre. Die Argumentation des Klägers, jeder einzelne Tag der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit stelle ein eigenständiges leistungsbegründendes Ereignis mit fristauslösender Wirkung dar, gehe deshalb fehl. Mit dem ärztlichen Attest der Arbeitsunfähigkeit und mit dem Ablauf der Wartefrist seien die für die Leistungspflicht der Versicherung massgebenden Tatbestandselemente festgestanden, und damit sei die zweijährige Verjährungsfrist für die Gegenstand dieser Leistungspflicht bildenden Krankentaggelder in Gang gesetzt worden. Das Bundesgericht habe in BGE 111 II 501 Erw. 2 befunden, die im Rahmen einer Lebensversicherung geschuldete jährliche Rente für Erwerbsausfall infolge Unfalls verjähre bei jedem Unfallereignis in zwei Jahren seit dem Unglücksfall. Dies gelte in analoger Weise auch für die hier aufgrund einer privaten Krankenversicherung für die Dauer der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit geltend gemachten Taggelder.

cc) Im Urteil 5C.168/2004 hielt das Bundesgericht im Zusammenhang mit einer Erwerbsunfähigkeitsrente (ebenfalls unter Hinweis auf BGE 111 II 501 ff., aber ohne Erwähnung des Entscheids 127 III 268 ff.) fest, für die Verjährung sei zwischen dem Stammrecht, d.h. dem Recht, die (in der Regel monatlich ausgerichteten) Leistungen zu erhalten, und diesen einzelnen Rentenleistungen zu unterscheiden. Das Stammrecht sei keine eigentliche Forderung, sondern ein Schuldverhältnis, aus dem in wiederkehrenden Zeitabständen Forderungen entstünden. Nach dem klaren Wortlaut von Art. 46 Abs. 1 VVG unterlägen nur Forderungen und damit lediglich die einzelnen Rentenforderungen der zweijährigen Verjährungsfrist, nicht aber das Schuldverhältnis selbst; für dieses gelange vielmehr die zehnjährige Frist von Art. 127 OR analog zur Anwendung. Weil die einzelnen Leistungen von der Arbeitsfähigkeit abhingen und demnach Änderungen erfahren könnten, hätte der gegenteilige Entscheid zur Folge, dass nach einer mehr als zwei Jahre dauernden Phase (teilweiser) Arbeitsfähigkeit und anschliessend erneuter Arbeitsunfähigkeit keine Ansprüche mehr erhoben werden könnten, was nicht mit dem Sinn und Zweck einer Erwerbsausfallsversicherung vereinbar sei. Die einzelnen Rentenleistungen stellten periodische Leistungen im Sinn von Art. 131 OR dar; die zehnjährige Verjährungsfrist für das Stammrecht (in der Gesetzesterminologie: das Forderungsrecht im Ganzen) beginne somit ab dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem die erste rückständige Leistung fällig gewesen sei[6].

[7], und für die Verjährung der einzelnen Rentenraten auf die Fälligkeit derselben abzustellen[8]. Ob die Verjährung des Stammrechts für die Invalidenrente analog zu Art. 131 OR ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in welchem die erste rückständige Leistung fällig war (womit auf Umwegen doch noch Art. 41 VVG für die Verjährung zur Anwendung käme[9]), oder ob, wie beim Invaliditätskapital, der Eintritt der Invalidität massgebend ist, braucht hier nicht entschieden zu werden, da die zehnjährige Verjährungsfrist ohnehin noch nicht abgelaufen ist.

Obergericht, 24. Februar 2009, ZBO.2008.22

Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht am 11. Februar 2010 ab, soweit es darauf eintrat (4A_283/2009).


[1] Art. 38 Abs. 2 VVG

[2] Nef, Basler Kommentar, Art. 38 VVG N 13

[3] Nef, Art. 38 VVG N 16

[4] BGE 127 III 270

[5] BGE 118 II 455

[6] BGE vom 9. November 2004, 5C.168/2004, Erw. 3.1

[7] A.M. Schär, Modernes Versicherungsrecht, Bern 2007, S. 609, welcher auch bei einer Taggeldversicherung zwischen Stammrecht und monatlichen Taggeldleistungen unterscheidet.

[8] Thalmann, Die Verjährung im Privatversicherungsrecht, Diss. Zürich 1940, S. 121

[9] Vgl. Graber, Basler Kommentar, Art. 46 VVG N 5

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