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RBOG 2009 Nr. 21

Höhere leitende Tätigkeit im Gastgewerbe


Art. 3 lit. d ArG, Art. 9 ArGV 1


1. a) Der Arbeitnehmer war bei der Arbeitgeberin, welche in der Ostschweiz mehrere Gastgewerbebetriebe führt, zunächst als Barkeeper, dann als "Geschäftsführer-Stellvertreter" in einem Restaurant und schliesslich als operativer Geschäftsführer (Betriebsleiter) von drei Lokalen angestellt. Gemäss dem letzten Arbeitsvertrag betrug der monatliche Bruttolohn Fr. 6'500.00. Dazu kam ein 13. Monatslohn in gleicher Höhe. Ein allfälliger Bonus in der maximalen Höhe eines 14. Monatsgehalts war abhängig vom jeweiligen Geschäftsergebnis. Die zu leistende "Rahmenarbeitszeit" wurde mit 50 Stunden pro Woche beziffert; der Arbeitnehmer wurde verpflichtet, die zumutbare Überstundenarbeit kompensationslos zu leisten.

b) Die Arbeitgeberin brachte vor, der Arbeitnehmer habe keinen Anspruch auf eine Entschädigung der geleisteten Überstunden und der Überzeit sowie auf einen Nachtarbeitszuschlag, da er eine leitende Tätigkeit ausgeübt habe und auf das Arbeitsverhältnis daher weder der Landes-Gesamtarbeitsvertrag des Gastgewerbes (L-GAV) noch das Arbeitsgesetz anwendbar seien.

2. Das Arbeitsgesetz[1] ist nach Art. 3 lit. d ArG grundsätzlich nicht auf Arbeitnehmer anwendbar, die eine höhere leitende Tätigkeit ausüben. Gemäss Art. 9 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz[2] übt eine höhere leitende Tätigkeit aus, wer aufgrund seiner Stellung und Verantwortung sowie in Abhängigkeit von der Grösse des Betriebs über weitreichende Entscheidungsbefugnisse verfügt oder Entscheide von grosser Tragweite massgeblich beeinflussen und dadurch auf die Struktur, den Geschäftsgang und die Entwicklung eines Betriebs oder Betriebsteils einen nachhaltigen Einfluss nehmen kann. Dem L-GAV sind gemäss Art. 2 L-GAV Betriebsleiter und Direktoren nicht unterstellt, sofern sie im Sinn von Art. 9 ArGV 1 Entscheidungsbefugnis in wesentlichen Angelegenheiten haben und eine entsprechende Verantwortung tragen. Betriebsleiterstellvertreter, Assistenten und Aides du Patron sowie Personen in ähnlichen Funktionen sind hingegen dem L-GAV unterstellt[3]. Die Vorinstanz umschrieb den Begriff der höheren leitenden Tätigkeit im Sinn von Art. 3 lit. d ArG und Art. 9 ArGV 1 ausführlich und zutreffend. Zu ergänzen ist lediglich, dass der Begriff gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung restriktiv auszulegen ist, weil es sich bei Art. 3 lit. d ArG um eine Ausnahmebestimmung handelt[4].

3. Die Vorinstanz hielt fest, es sei klar und vom Arbeitnehmer unbestritten, dass er Arbeitsverträge abgeschlossen und Mitarbeiter qualifiziert habe. Zutreffend erwog sie, solche Kompetenzen kämen indessen auch einem gewöhnlichen Kadermitarbeiter zu, ohne dass von einer höheren leitenden Stellung auszugehen sei. Es ist weiter davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer keinen Einfluss auf die Lohnpolitik der Arbeitgeberin hatte, sondern diesbezüglich klare Weisungen befolgen musste. Die Aussagen des Arbeitnehmers hiezu sind glaubwürdig: Es ist kaum anzunehmen, dass der Arbeitnehmer die geschilderte vorgegebene Lohnpolitik (Anfangsstundenlohn Fr. 19.00, Lohn nach drei Monaten Fr. 21.00, höherer Lohn nur für langjährige Mitarbeiter) erfunden hätte. Auch in der von der Arbeitgeberin eingereichten Stellenbeschreibung, deren Gültigkeit der Arbeitnehmer bestritt, wurde im Zusammenhang mit den Kompetenzen im Bereich "Personal" die Festsetzung des Lohns nicht aufgeführt. Weiter hatte der Arbeitnehmer die Vorgabe, "dass der Personalaufwand ungefähr 33-34% sein sollte"; es ist anzunehmen, dass sich diese Prozentangabe wie in der Gastronomie üblich auf den Umsatz bezog. Damit stand dem Arbeitnehmer in diesem Bereich nur ein sehr enger Spielraum zur Verfügung. Aus der Tatsache, dass der Arbeitnehmer Mitarbeiterbewertungen durchführte, welche zudem gestützt auf ein vorgegebenes Formular erfolgten, kann ebenfalls nicht auf eine leitende Führungsposition geschlossen werden, zumal die Aufgabe, Mitarbeitergespräche durchzuführen, typischerweise dem direkten Vorgesetzten eines Mitarbeiters übertragen wird[5], weil dieser die Leistungen des Mitarbeiters am besten beurteilen kann. Relativiert wird die von der Arbeitgeberin behauptete Verantwortung des Arbeitnehmers schliesslich auch dadurch, dass es sich bei den dem Arbeitnehmer unterstellten Betrieben nicht um Grossbetriebe mit vielen Angestellten handelte.

4. Die Tatsache, dass der Arbeitnehmer für die Warenbestellungen zuständig war, lässt ebenfalls nicht auf weit reichende Entscheidungsbefugnisse schliessen, auch wenn diese Waren einen grossen Teil der Kosten des Betriebs ausmachten. Die Arbeitgeberin anerkannte zudem, dass die Rahmenverträge für alle Standorte von ihrem CEO ausgehandelt wurden und damit die Bezugsquellen für die Waren vorgegeben waren. Dem Arbeitnehmer oblag somit in diesem Bereich nur noch die Verantwortung dafür, jeweils genügend Waren einzukaufen, um die Gäste bewirten zu können. Weiter hatte der Arbeitnehmer lediglich eine geringe Finanzkompetenz von höchstens Fr. 1'000.00 inne und war nur für die Budgeteinhaltung, nicht hingegen für die Budgeterstellung verantwortlich. Es lässt sich auch nichts aus der Formulierung des Arbeitszeugnisses schliessen, denn es entspricht nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass sich der Arbeitnehmer gegen ein (zu) günstiges Arbeitszeugnis wehrt. Die Tatsache, dass vom Lohn des Arbeitnehmers der "GAV Jahresabzug" erfolgt ist, bildet hingegen keinen ausschlaggebenden Punkt für die Frage, ob der Arbeitnehmer leitender Angestellter war, weil die Arbeitgeberin den Vollzugskostenbeitrag auch vom Lohn ihres CEO, also von einem höheren leitenden Angestellten, abzog.

5. Zusammenfassend hatte der Arbeitnehmer zwar im Betrieb der Arbeitgeberin eine vertrauensvolle Stellung mit Führungsfunktionen inne und war grundsätzlich für den möglichst reibungslosen Ablauf des Tagesgeschäfts der drei Betriebe verantwortlich, wozu auch das Personal- und das Bestellwesen gehörten. Er konnte aber – anders als der Verwaltungsrat und insbesondere der CEO – auf Entscheide von grosser Tragweite, welche die Struktur, den Geschäftsgang und die Entwicklung der Unternehmung (oder zumindest einzelner Betriebe) beeinflussten, nicht nachhaltig einwirken, sondern hatte diese lediglich auszuführen. Mit der Vorinstanz ist daher davon auszugehen, dass der Berufungsbeklagte keine höhere leitende Tätigkeit im Sinn von Art. 3 lit. d ArG ausübte, weshalb auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien sowohl die Bestimmungen des ArG als auch jene des L-GAV anwendbar sind.

Obergericht, 23. April 2009, ZBO.2008.21


[1] ArG, SR 822.11

[2] ArGV 1, SR 822.111

[3] Vgl. www.l-gav.ch, Kommentar zu Art. 2 L-GAV

[4] BGE 126 III 340

[5] Jung, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 10.A., S. 1008

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