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RBOG 2011 Nr. 7

Positionen, die bei der Parteientschädigung berücksichtigt werden


§ 75 Abs. 1 ZPO, Art. 95 Abs. 3 lit. a ZPO


1. Der Beschwerdeführer mit Sitz in Deutschland zog seine Klage in Höhe von Fr. 3'500.00 zurück. Er forderte eine Parteientschädigung von € 1'979.58 (Reisekosten € 846.13, Zeitversäumnis € 408.00, Rückzahlung Kostenvorschuss € 575.02, Kopien/Porti € 150.43 zuzüglich die Kosten für die Zustelladresse). Trotz des Rückzugs wurden die Parteien versehentlich zur Hauptverhandlung vorgeladen. An dieser machte der Beschwerdeführer weitere Kosten geltend: € 537.00 für Reisekosten an die Hauptverhandlung, dreimal € 408.00 für weitere Zeitversäumnis (drei Tage) und Unterkunftskosten. Der Einzelrichter schrieb die Klage ab und sprach ihm eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 998.50 zu. Mit Beschwerde verlangte er insgesamt € 2'545.22 zuzüglich Fr. 462.50 für die Kosten der Zustelladresse.

2. Vorab ist festzuhalten, dass die Vorinstanz eine für den Beschwerdeführer zu grosszügige Kostenregelung getroffen hat. Zwar ist es durchaus angemessen, im vorliegenden Fall den Beklagten entschädigungspflichtig zu erklären, nachdem die Klage in guten Treuen angehoben wurde und der Beklagte erst im Verlauf des Prozesses jene Auskünfte erteilte, die es dem Beschwerdeführer ermöglichten, die Klage zurückzuziehen. Dem Staat für die im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung entstandenen Parteikosten eine Entschädigung aufzuerlegen, geht allerdings zu weit: Es war für jede vernünftig handelnde Prozesspartei offenkundig erkennbar, dass die Vorladung zur Hauptverhandlung nur irrtümlicherweise ergangen sein konnte, nachdem die Klage bereits zurückgezogen war; ausserdem hatte der Beschwerdeführer der Vorinstanz bereits am 6. Januar 2011 einen schriftlich begründeten Kostenfestsetzungsantrag eingereicht, so dass ebenso offenkundig war, dass es an der von der Vorinstanz angesetzten Hauptverhandlung weder zur Klage noch zu den Kosten etwas zu sagen und damit schlicht überhaupt nichts mehr zu verhandeln gab. Bei dieser Situation hätte der Vertreter des Beschwerdeführers nicht einfach den weiten Weg von Frankfurt an der Oder in die Schweiz auf sich nehmen sollen[1]; vielmehr hätte den Beschwerdeführer die Obliegenheit getroffen, sich schriftlich oder telefonisch bei der Vorinstanz zu erkundigen, ob er beziehungsweise sein Vertreter wirklich verpflichtet sei, zu einer so offensichtlich unnützen Hauptverhandlung zu erscheinen. Das gilt insbesondere, als es sich beim Beschwerdeführer nicht um eine prozessunerfahrene Partei, sondern um ein staatliches Organ handelt, das kraft seiner Aufgaben offensichtlich öfters solche oder ähnliche Verfahren führen muss. Damit sind dem Beschwerdeführer Fr. 380.00 an Entschädigung seitens des Staates zu viel zugesprochen worden; im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung vor Vorinstanz steht dem Beschwerdeführer keinerlei Entschädigung – weder vom Beklagten noch vom Staat – zu.

3. a) Gemäss § 75 Abs. 1 ZPO TG sind einer Partei nur die notwendigen Kosten und Umtriebe zu ersetzen; das entspricht im Wesentlichen auch der Regelung in Art. 95 Abs. 3 lit. a ZPO. Als notwendige Auslagen im Prozess gelten im Regelfall beispielsweise Reisespesen, Versandkosten, Fernmeldedienstleistungen oder Kopierkosten sowie (teils eingeschränkt) Kosten für die Beschaffung von entscheidendem Beweismaterial, für die Übersetzung von Urkunden, für spezialisierte Beratungsdienste (z.B. in technischer Hinsicht wie im Patentprozess) sowie für Privatgutachten[2]. Was insbesondere allerdings die Reisespesen anbelangt, beziehen sich diese Aussagen in der Lehre im Wesentlichen offensichtlich auf Binnenverhältnisse, während sich die Rechtsprechung und Lehre mit der Frage weiter oder sehr weiter Entfernungen im Zusammenhang mit den Reisespesen offensichtlich noch nicht befasst hat. Ob für das schweizerische Recht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, die tatsächliche Entfernung sei unerheblich, wie dies teils für das deutsche Recht angenommen wird[3], ist allerdings zweifelhaft.

b) Die Vorinstanz setzte die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Kosten in ein Verhältnis zum Streitwert einerseits und zum entschädigungsberechtigten Aufwand eines Rechtsanwalts andererseits.

Es unterliegt erheblichem Zweifel, inwieweit der von einer Partei getriebene Aufwand beziehungsweise die damit verbundenen Kosten mit dem Streitwert verglichen werden dürfen, denn an sich darf jede Partei - vorbehältlich der allgemeinen Prozessgrundsätze und insbesondere der Bestimmungen über die unentgeltliche Prozessführung und eben der Einschränkung der Entschädigungsberechtigung aufgrund der Notwendigkeit von Umtrieben - im Prozess soviel Aufwand betreiben, wie sie will. Soweit sie ihre Rechte geltend macht, gelten - abgesehen vom Rechtsmissbrauch - ohnehin nur geringe Einschränkungen; so hat im Zusammenhang mit dem Recht auf Beweis jede Partei Anspruch auf den Beizug eines Sachverständigen, auch wenn zwischen den mutmasslichen Gutachterkosten und dem Streitwert ein offensichtliches Missverhältnis besteht. Immerhin darf sicher davon ausgegangen werden, dass es je eher als Indiz für mangelnde Notwendigkeit der von einer Partei verursachten Prozesskosten gelten darf, je deutlicher die Prozesskosten den Streitwert übersteigen.

c) Ob, wie die Vorinstanz meint, hinsichtlich der Prozesskosten beim Verhältnismässigkeitsprinzip angeknüpft werden kann, ist eher unsicher. Entscheidend ist vielmehr, dass alle an einem Zivilverfahren beteiligten Personen, insbesondere auch die Prozessparteien, nach Treu und Glauben zu handeln haben; dieser Grundsatz ist neu ausdrücklich in Art. 52 ZPO verankert, galt aber schon nach bisherigem Recht als selbstverständlicher Rechtsgrundsatz[4], denn keine Partei soll durch unredliches Verhalten einen prozessualen Vorteil erlangen[5] oder der Gegenpartei unnötigen Schaden zufügen können. Als rechtsmissbräuchlich und damit treuwidrig gilt insbesondere auch das Verursachen unnötiger Prozesskosten[6]. Umgekehrt ist eine Prozesspartei nicht gehalten, von verschiedenen Vorgehensweisen die für die Gegenpartei im Fall deren Unterliegens im Prozess günstigste Variante zu wählen; insofern kann dem Vertreter des Beschwerdeführers nicht vorgeworfen werden, er habe für die Reise nicht gerade die günstigste Variante gewählt[7]. Zudem ändert dies wiederum nichts daran, dass nur jene Kostenpositionen entschädigt werden können, welche nach Lehre und Rechtsprechung als notwendig gelten können.

d) Im Zusammenhang mit dem Vermittlungsvorstand vor Friedensrichteramt und dem restlichen Verfahren (ohne Hauptverhandlung vor Vorinstanz) macht der Beschwerdeführer auch die Abschreibungskosten von € 74.00 geltend; für den entsprechenden Betrag von Fr. 100.00 wurde ihm indessen schon vor der Vorinstanz der Rückgriff auf den Beklagten gewährt. Hingegen steht dem Beschwerdeführer der Ersatz der Weisungskosten von Fr. 200.00 zu. Im Übrigen macht der Beschwerdeführer nunmehr folgende Positionen geltend: Wegstreckenentschädigung: € 560.40; Tagegeld: € 75.00; Übernachtungskostenerstattung: € 57.00; Zeitversäumnis und Verdienstausfall: € 408.00.

aa) aaa) Soweit der Beschwerdeführer Kosten für Zeitversäumnis und ein (nicht näher definiertes) Tagegeld für seinen Vertreter fordert, geht er fehl: Vertritt eine Partei sich selbst oder lässt sie sich von einem Angestellten vertreten, wird der Zeitaufwand für das Erstellen von Rechtsschriften oder die Vorbereitung von Plädoyers in der Regel nicht entschädigt[8]; dasselbe muss ohne weiteres auch für den Zeitaufwand für die Reisezeit gelten. In allen diesen Fällen wird nach ständiger Praxis lediglich eine pauschale Umtriebsentschädigung zugesprochen[9], die nach Ermessen festzusetzen ist. Voraussetzung ist aber, dass zur Interessenwahrung ein Arbeitsaufwand notwendig war, der den Rahmen dessen überschreitet, was der Einzelne üblicher- und zumutbarerweise zur Besorgung der persönlichen Angelegenheiten auf sich zu nehmen hat[10].

bbb) Die Vorinstanz sprach dem Beschwerdeführer nicht bewusst eine Umtriebsentschädigung zu, sondern rundete lediglich die für die unnötige Hauptverhandlung als Reisekosten zugesprochenen € 280.00 auf Fr. 380.00 auf. Das ist nicht korrekt; auch der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine in solchen Fällen übliche Umtriebsentschädigung; es rechtfertigt sich, diese Umtriebsentschädigung im vorliegenden Fall auf Fr. 200.00 festzusetzen.

bb) Die Angaben des Beschwerdeführers über die Reisekosten variieren beziehungsweise sind insofern nicht nachvollziehbar, als darin offenbar noch teils andere Positionen eingerechnet wurden. Dem weiter nachzugehen, erübrigt sich indessen: Der Flug von Berlin nach Zürich und zurück kostet je nach Fluggesellschaft und Abflugszeitpunkt (und natürlich je nach Reservierungszeitpunkt) für den Hin- und Rückflug zwischen € 148.00 und € 229.00[11]; wenn die Vorinstanz für die Flugkosten € 220.00 einrechnete, ist dies mithin nicht zu beanstanden, zumal der Beschwerdeführer nicht substantiiert geltend macht, aus welchen Gründen die Annahmen der Vorinstanz nicht gerechtfertigt oder nachvollziehbar sein sollten. Die Vorinstanz rechnete je € 30.00 für den Weg vom Abfahrtsort zum Flughafen und vom Flughafen zum Zielort dazu, was eher knapp berechnet ist; damit ist insgesamt von Reisekosten von € 320.00 auszugehen.

cc) Der Beschwerdeführer hat entgegen seiner Meinung keinen Anspruch auf Erstattung der Übernachtungskosten. Nachdem die Flugzeit für den Hin- und Rückflug je etwa eine Stunde und zwanzig Minuten dauert, war es ohne weiteres möglich, am Morgen des in Frage stehenden Tages zum Termin und nachmittags beziehungsweise abends wieder zurückzufliegen. Selbstverständlich hätte dies eine Verlegung des Termins beim Friedensrichteramt auf die Mittagszeit beziehungsweise den späten Morgen oder den frühen Nachmittag bedingt, doch ebenso selbstverständlich wäre der Friedensrichter verpflichtet gewesen, eine solche Terminverschiebung auf einen günstigen Tag zu bewilligen, wenn ein entsprechendes Gesuch gestellt worden wäre. Was der Beschwerdeführer aus Gründen des deutschen Beamtenrechts gegen einen zeitlichen Gesamtaufwand von einem Tag vorbringt, bleibt hier ohne Belang.

dd) Die Kopierkosten wurden vom Beschwerdeführer von €€ 150.43 auf €€ 30.00 korrigiert. Diese Kosten tauchen in der Zusammenstellung des Beschwerdeführers zwar nicht mehr auf, stehen ihm aber im reduzierten Betrag zu.

ee) Der Beschwerdeführer macht weiter die Kosten für die Zustelladresse von Fr. 462.50 geltend.

aaa) Als notwendige Kosten können die Kosten der Bestellung einer Zustelladresse nur gelten, wenn auch eine Notwendigkeit zu deren Bestellung bestand. Das war hier angesichts der bestehenden internationalen Übereinkommen und Staatsverträge offenkundig nicht der Fall. Zwar forderte der Präsident des damals noch zuständigen Bezirksgerichts am 27. Juli 2010 den Beschwerdeführer auf, für die gerichtliche Post eine Zustelladresse in der Schweiz zu bezeichnen, doch war dies angesichts der Rechtslage ebenso offenkundig falsch. Angesichts des Umstands, dass es sich beim Beschwerdeführer letztlich um ein staatliches Organ handelt, welches immer wieder mit entsprechenden Verfahren befasst ist, und zwar wohl auch im internationalen Verhältnis, bestand kein Anlass, dem augenscheinlich unzulässigen Ansinnen des Gerichtspräsidiums nachzukommen.

bbb) Selbst wenn die Bestellung einer Zustelladresse, insbesondere angesichts der ausdrücklichen Aufforderung vom 27. Juli 2010, als notwendig betrachtet werden wollte, ist der dafür geltend gemachte Aufwand zu hoch, zumal keinerlei Notwendigkeit bestand, als Zustelladressaten einen Anwalt zu bezeichnen; vielmehr hätte es sich für den Beschwerdeführer aufgedrängt, eine Behörde in der Schweiz, die sich mit sachverwandten Themen beschäftigt, als Zustelladresse zu benennen. Jedenfalls führte der Zustelladressat des Beschwerdeführers ein Telefongespräch mit dem Vertreter des Beschwerdeführers zur Instruktion, nahm sechs Male Post entgegen und leitete sie an den Beschwerdeführer weiter, schrieb zwei Briefe mit unwesentlichem Inhalt und nahm eine Zahlung entgegen, die er teilweise weiterleitete; für diese Tätigkeiten, welche genauso gut durch einen mässig qualifizierten Kanzleiangestellten hätten besorgt werden können, anderthalb Anwaltsstunden à Fr. 250.00 zuzüglich Fr. 87.60 für Barauslagen und Sekretariatsaufwand zu verrechnen, ist offensichtlich überrissen. Diese Kosten können jedenfalls im Prozess nicht einfach der Gegenpartei oder dem Staat auferlegt werden; angemessen ist - wenn überhaupt - höchstens ein Betrag von Fr. 100.00.

e) Zusammenfassend hat der Beschwerdeführer Anspruch auf Ersatz folgender Kosten: Weisungskosten von Fr. 200.00, Umtriebsentschädigung von Fr. 200.00, Reisekosten von €€ 320.00, Kopierkosten von €€ 30.00, Kosten für die Zustelladresse von Fr. 100.00. Damit ergibt sich ein effektiver Gesamtanspruch von rund Fr. 900.00. Indem die Vorinstanz dem Beschwerdeführer Parteientschädigungen von nahezu Fr. 1'000.00 zusprach, hat er keinen Anspruch auf Erhöhung dieser Parteientschädigung. Das würde selbst dann gelten, wenn dem Vertreter des Beschwerdeführers aufgrund der zeitlichen Verhältnisse bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel tatsächlich noch Übernachtungskosten angerechnet werden müssten.

Obergericht, 1. Abteilung, 31. August 2011, ZR.2011.33

Das Bundesgericht trat auf eine dagegen erhobene Beschwerde am 23. Januar 2012 nicht ein (5D_198/2011).


[1] Es geht um eine Wegstrecke von gegen 900 km.

[2] Rüegg, Basler Kommentar, Art. 95 ZPO N 17; vgl. Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, 2.A., § 75 N 25a; Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3.A., § 68 N 12; Leuenberger/Uffer-Tobler, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, Bern 1999, Art. 263 N 5b

[3] Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 67.A., § 91 N 93

[4] So schon Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2.A., S. 327 mit zahlreichen Hinweisen; Merz, § 86 ZPO N 1 ff.

[5] RBOG 1999 Nr. 7, 1990 Nr. 2, 1989 Nr. 37

[6] Gehri, Basler Kommentar, Art. 52 ZPO N 8

[7] Immerhin besteht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auch nach deutscher Rechtsauffassung die Meinung, die Reisekosten seien möglichst niedrig zu halten, Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 91 DZPO N 34. Auch wenn kein Anwaltszwang besteht, wäre jedenfalls die Beauftragung eines Anwalts mit der Interessenwahrung günstiger gewesen, ob es sich nun um einen Anwalt aus dem Thurgau oder um einen in der Schweiz zugelassenen deutschen Anwalt aus dem näheren Grenzgebiet, etwa aus Konstanz, gehandelt hätte.

[8] SGGVP 1993 Nr. 52; BGE 110 V 82 und 132 ff.

[9] BGE 125 II 519 f.

[10] ZWR 2001 S. 309

[11] Vgl. etwa www.fluege.de, www.opodo.de, www.swoodoo.com

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