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RBOG 2012 Nr. 28

Haftverlängerungsgesuch unmittelbar nach Erhalt der Haftanordnung


Art. 226 f StPO


1. Am 2. April 2012, 14.00 Uhr, führte das Zwangsmassnahmengericht eine Verhandlung betreffend Haftanordnung durch. Noch gleichentags versetzte das Zwangsmassnahmengericht die Beschuldigte in Untersuchungshaft und erklärte diese bis einstweilen 14. April 2012 für zulässig. Ebenfalls am 2. April 2012 beantragte die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht die Verlängerung der Untersuchungshaft bis 14. Juni 2012. Sie begründete das Gesuch wie schon den Haftantrag mit dringendem Tatverdacht und Kollusionsgefahr sowie neu mit Ausführungsgefahr. Am 4. April 2012 trat das Zwangsmassnahmengericht auf das Haftverlängerungsgesuch der Staatsanwaltschaft nicht ein.

2. a) Das Nichteintreten auf das Haftverlängerungsgesuch begründete die Vorinstanz damit, es mute einigermassen befremdlich an, wenn die Staatsanwaltschaft kurz nach Erhalt des Dispositivs, jedoch noch vor Eröffnung des begründeten Entscheids betreffend die Haftanordnung und offensichtlich als Reaktion darauf, dass dem Haftantrag in zeitlicher Hinsicht nicht vollumfänglich entsprochen worden sei, bereits um Verlängerung der Haft ersuche und dafür einen neuen Haftgrund vorschiebe. Seit der Haftverhandlung hätten keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden können; zumindest seien solche nicht präsentiert worden. Die Staatsanwaltschaft habe den Rechtsmittelweg zu beschreiten und nicht den Entscheid betreffend Haftanordnung durch ein sofortiges Haftverlängerungsgesuch in Frage zu stellen. Dies sei ein untauglicher Versuch, den Haftantrag mit neuen Haftgründen zu retten. Es sei der Staatsanwaltschaft unbenommen, vor Ablauf der bewilligten Dauer der Untersuchungshaft ein Gesuch um Haftverlängerung zu stellen, wobei sie dann aufgrund des aktuellen Untersuchungsstands darzulegen habe, dass und inwieweit die Gründe für die Weiterführung der Untersuchungshaft nach wie vor gegeben seien. In ihrer Vernehmlassung ergänzte die Vorinstanz, die Staatsanwaltschaft anerkenne selbst, noch acht Tage Zeit gehabt zu haben, ein Haftverlängerungsgesuch einzureichen. In diesen acht Tagen ergäben sich wesentliche neue Erkenntnisse, weshalb es nicht angehe, kurz nach bewilligter Untersuchungshaft bereits um Haftverlängerung zu ersuchen, ohne dass sich am Erkenntnisstand etwas geändert hätte.

b) Läuft die vom Zwangsmassnahmengericht festgesetzte Dauer der Untersuchungshaft ab, kann die Staatsanwaltschaft ein Haftverlängerungsgesuch stellen. Sie reicht dem Zwangsmassnahmengericht das schriftliche und begründete Gesuch spätestens vier Tage vor Ablauf der Haftdauer ein und legt ihm die wesentlichen Akten bei[1]. Laut der Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005[2] bleibt es der Staatsanwaltschaft unbenommen, bereits viel früher (im Extremfall Wochen vor Ablauf der Haftdauer) um Verlängerung der Haft nachzusuchen. Sie laufe diesfalls allerdings Gefahr, dass ihr Gesuch abgewiesen werde, weil sie nicht hinreichend nachzuweisen vermöge, dass im Zeitpunkt des Ablaufs der Haftdauer hinreichende Gründe für eine Verlängerung vorlägen. Es ist also zulässig, den Antrag auf Haftverlängerung bereits früh(er) zu stellen[3]. Die Staatsanwaltschaft durfte folglich grundsätzlich bereits unmittelbar nach Erhalt der Haftanordnung ein Haftverlängerungsgesuch stellen, und das Zwangsmassnahmengericht hätte darauf eintreten müssen.

c) Der (implizite) Vorwurf der Vorinstanz, die Staatsanwaltschaft habe rechtsmissbräuchlich[4] gehandelt, ist nicht begründet. Die Staatsanwaltschaft erfuhr im Verlauf des (späteren) Nachmittags des 2. April 2012, dass die von ihr bis 30. April 2012 beantragte Haft nur bis 14. April 2012 bewilligt wurde, und dass sie ein allfälliges Haftverlängerungsgesuch bis spätestens vier Tage vor Ablauf der Haftdauer, das heisst bis spätestens am 10. April 2012 stellen musste. Ebenfalls am 2. April 2012 wurde die Staatsanwaltschaft vom forensischen Psychiater für eine allfällige Wiederholungs- beziehungsweise Ausführungsgefahr sensibilisiert. Es ist nachvollziehbar, dass die Staatsanwaltschaft angesichts der vom 6. bis 9. April 2012 dauernden Osterfeiertage das Haftverlängerungsgesuch frühzeitig bei der Vorinstanz einreichen wollte. Vor diesem Hintergrund erweist sich das Vorgehen der Staatsanwaltschaft nicht als rechtsmissbräuchlich.

d) Allerdings ist zu betonen, dass das Vorgehen der Staatsanwaltschaft nur in diesem konkreten Fall als zulässig erscheint. Grundsätzlich hat die Staatanwaltschaft einen Haftentscheid, mit dem sie nicht einverstanden ist, mit Beschwerde anzufechten und im Fall zeitlicher Dringlichkeit bei der Verfahrensleitung der Rechtsmittelinstanz im Rahmen vorsorglicher Massnahmen nach Art. 388 StPO die Verlängerung der Haft zu beantragen.

e) Alternativ hätte die Staatsanwaltschaft nach Erhalt des Nichteintretensentscheids vier Tage vor Ablauf der bewilligten Haft mit einem Haftverlängerungsgesuch erneut an die Vorinstanz gelangen und dieser nochmals die Verlängerung der Haft bis 14. Juni 2012 beantragen können, wie sie von der Vorinstanz im angefochtenen Entscheid dazu angehalten worden war. Der Ansicht der Staatsanwaltschaft, wonach der Nichteintretensentscheid für sie bindend sei, weshalb sie das inhaltlich gleiche Gesuch später nicht nochmals habe stellen können, ist nicht zuzustimmen, denn der hier angefochtene Nichteintretensentscheid erwuchs nicht in materielle Rechtskraft. Ob dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, nachdem die Vorinstanz in ihrem Nichteintretensentscheid quasi in einem "obiter dictum" die Wiederholungs- und Ausführungsgefahr klar verneinte, bleibt dahingestellt.

Obergericht, 2. Abteilung, 24. April 2012, SW.2012.28


[1] Art. 227 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StPO

[2] BBl 2006 S. 1232 f. Unter Hinweis auf die Botschaft ebenso Forster, Basler Kommentar, Art. 227 StPO N 3 Anm. 19

[3] Hug, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/ Hansjakob/Lieber), Zürich 2010, Art. 227 N 5

[4] Art. 3 Abs. 2 lit. a und b StPO

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