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RBOG 2012 Nr. 32

Anordnung einer Blut- und Urinprobe bei Fahrzeuglenkern


Art. 55 SVG


1. a) Der Beschwerdeführer, welcher mit seinem Personenwagen unterwegs war, wurde durch die Verkehrspolizei zur Kontrolle angehalten. Da er gemäss Polizeirapport "gerötete Augen aufwies und ein merkwürdiges Verhalten an den Tag legte", führte die Polizei bei ihm einen Drogen-Schnelltest durch, welcher positiv auf Cannabis verlief. Deshalb nahm ihn die Polizei zum Polizeiposten mit, wohin auch der zuständige Amtsarzt zwecks Blut- und Urinsicherung aufgeboten wurde. Die ebenfalls orientierte Staatsanwaltschaft ordnete eine Blut- und Urinprobe an. Der Amtsarzt entnahm Blut und nahm eine Urinprobe ab. Die Auswertung der Blut- und Urinprobe ergab gemäss dem Untersuchungsbericht des Instituts für Rechtsmedizin (IRM) des Kantonsspitals St. Gallen eine Konzentration des aktiven Cannabiswirkstoffs THC (Tetrahydrocannabinol) von 4,9 µg/l; der Grenzwert liegt bei 1,5 µg/l THC.

b) Der Beschwerdeführer beantragte, der Untersuchungsbefehl sei aufzuheben, und die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, sämtliche Befunde, Analyseresultate, Dokumente und Ergebnisse von durch den Untersuchungsbefehl erhobenen Untersuchungen unverzüglich zu vernichten.

2. a) Der Beschwerdeführer macht geltend, der Untersuchungsbefehl sei bereits aus formellen Gründen aufzuheben, sei dieser doch allein gestützt auf das Ersuchen der Polizei (welches nicht einmal aktenkundig sei) und somit ohne Gewährung des rechtlichen Gehörs erlassen worden.

b) Zwangsmassnahmen sind Verfahrenshandlungen der Strafbehörden, die in Grundrechte der Betroffenen eingreifen und beispielsweise dazu dienen, Beweise zu sichern[1]. Sie sind nur zulässig, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind, ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können und die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt[2]. Sie können von der Staatsanwaltschaft, den Gerichten sowie – in den gesetzlich vorgesehenen Fällen – von der Polizei angeordnet werden[3].

c) Die Staatsanwaltschaft ordnete zunächst mündlich und später schriftlich an, dass beim Beschwerdeführer als beschuldigter Person wegen des Verdachts des Fahrens in qualifiziert fahrunfähigem Zustand eine Blut- und Urinprobe zu entnehmen sei. Gleichzeitig beauftragte sie die Polizei damit, den Beschwerdeführer einem geeigneten Arzt vorzuführen und diesem namentlich die Blutentnahme in Auftrag zu geben. Damit wurde das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers nicht verletzt, denn der Anspruch auf rechtliches Gehör ist eingeschränkt oder ausgeschlossen, wenn es um dringliche Verfahrenshandlungen mit nur vorläufiger Wirkung und regelmässig nachfolgender umfassender Anfechtungsmöglichkeit geht (wie sie mit dieser Beschwerde wahrgenommen wird). Dies ist etwa bei einer Verhaftung, einer Durchsuchung oder einer Untersuchung der Fall[4].

3. a) Der Beschwerdeführer beanstandet weiter, der dringende Tatverdacht gründe allein darauf, dass gegen ihn derzeit eine völlig anders gelagerte Strafuntersuchung im Gang sei, welche nicht nach den Wünschen von Polizei und Staatsanwaltschaft verlaufe. Deshalb oder weil er sich früher angeblich einer Verkehrskontrolle entzogen habe, habe ihm die Polizei aufgelauert, als er sich auf den Weg zur Fahrzeugprüfung beim Strassenverkehrsamt gemacht habe. Es hätten bei ihm keinerlei Anzeichen von Angetrunkenheit oder Drogenkonsum bestanden. Der ärztliche Untersuchungsbefund des Amtsarztes schliesse auf unauffällige Augenbindehäute. Die Pupillen seien demnach mittelweit, also völlig normal gewesen. Wie die Polizei unter diesen Umständen gerötete Augen habe feststellen können, sei nicht erklärbar.

b) aa) Fehlt der von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO geforderte hinreichende Tatverdacht, ist eine Untersuchung unzulässig, und es liegt eine unzulässige Beweisausforschung oder "Fishing-Expedition" vor[5]. Eine ohne konkreten hinreichenden Tatverdacht durchgeführte Zwangsmassnahme verletzt die Unschuldsvermutung[6].

bb) Im Bereich des Strassenverkehrsrechts besteht allerdings gestützt auf Art. 55 SVG eine Besonderheit. Gemäss Art. 55 Abs. 2 SVG kann ein Fahrzeugführer bei Anzeichen von Fahrunfähigkeit, welche nicht oder nicht allein auf Alkoholeinfluss zurückzuführen sind, Voruntersuchungen wie namentlich Urin- und Speichelproben unterzogen werden. Bestehen also Hinweise dafür, dass die kontrollierte Person wegen einer anderen Substanz als Alkohol fahrunfähig ist und in diesem Zustand ein Fahrzeug geführt hat, kann die Polizei zum Nachweis von Betäubungs- oder Arzneimitteln namentlich im Urin, Speichel oder Schweiss Vortests durchführen[7].

cc) Das SVG erlegt somit auch Nichtbeschuldigten eine Duldungspflicht für Blut-, Urin- oder Speichelproben auf. Die Duldungspflicht trifft Fahrzeugführer und an Unfällen beteiligte Strassenbenützer gleichermassen[8]. Für einen Anfangsverdacht genügt dabei, wenn die Polizei bei der Kontrolle eines Fahrzeugführers Anzeichen von Fahrunfähigkeit im Sinn von Art. 55 SVG feststellt. Dafür kommen laut Bundesgericht[9] jegliche Indizien in Frage, die einen entsprechenden Verdacht begründen können, wobei diese nur schon in der Person des Fahrzeuglenkers begründet sein können. Die Annahme der Fahrunfähigkeit wegen Drogeneinflusses setzt somit den Nachweis eines Fahrfehlers nicht voraus. Dabei schliesst nicht einmal ein – wie hier – unauffälliger ärztlicher Untersuchungsbefund eine Beeinflussung der Fahrfähigkeit aus. Als mögliche Indizien oder Verdachtsmomente genügt ein berauschter, müder, euphorischer, apathischer oder sonst wie auffälliger Zustand des kontrollierten Fahrzeugführers.

c) aa) Die Polizei hegte aufgrund der geröteten Augen und des sonst merkwürdigen Verhaltens des Beschwerdeführers den Verdacht, dieser stehe unter Drogeneinfluss. Sie führte deshalb einen Drogenschnelltest durch. Nachdem dieser positiv ausgefallen war, womit sich die Wahrnehmung der Polizei als zutreffend herausstellte, wurden zur genaueren Abklärung durch die Staatsanwaltschaft Urin- und Blutuntersuchungen angeordnet und durch den Amtsarzt durchgeführt. Deren Analyse ergab, dass sich im Blut des Beschwerdeführers ein Mittelwert von 4,9 µg/l THC befunden hatte. Der Grenzwert nach Art. 34 der Verordnung des ASTRA zur Strassenverkehrskontrollverordnung[10] liegt bei 1,5 µg/l THC.

bb) Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kommt es für die Annahme von Anzeichen von Fahrunfähigkeit nicht darauf an, dass er kein auffälliges Fahrverhalten an den Tag legte und möglicherweise nur deshalb kontrolliert wurde, weil ihn die Polizei als Drogenkonsumenten kannte oder aufgrund eines früheren Vorfalls ein Auge auf ihn geworfen hatte. Entscheidend ist einzig, dass aufgrund der im Polizeirapport festgestellten Auffälligkeiten auf den Konsum von Drogen geschlossen werden konnte und die Polizisten deshalb einen entsprechenden Anfangsverdacht hatten und ihn einem Drogenschnelltest zuführen durften. Dies gilt umso mehr, als an den Anfangsverdacht bei Fahrzeugführern keine hohen Anforderungen gestellt werden. Dass die Polizisten mit ihrem Verdacht schliesslich richtig lagen, bestätigt die Auswertung des IRM, welche einen immerhin dreimal so hohen THC-Wert ermittelte als erlaubt. Das polizeiliche Vorgehen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit steht damit im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben.

Obergericht, 2. Abteilung, 26. Juli 2012, SW.2012.59

Das Bundesgericht trat auf eine Beschwerde am 13. September 2012 nicht ein (1B_511/2012).


[1] Art. 196 lit. a StPO

[2] Art. 197 Abs. 1 StPO

[3] Art. 198 Abs. 1 StPO

[4] Vest/Horber, Basler Kommentar, Art. 107 StPO N 31

[5] Gfeller, Basler Kommentar, vor Art. 241-254 StPO N 43

[6] Gfeller, vor Art. 241-254 StPO N 45

[7] Art. 10 Abs. 2 Strassenverkehrskontrollverordnung, SKV, SR 741.013

[8] Haenni, Basler Kommentar, Art. 251/252 StPO N 67

[9] BGE vom 20. Juni 2011, 6B_244/2011, Erw. 3.1

[10] VSKV-ASTRA, SR 741.013.1

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