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RBOG 2012 Nr. 35

Vorsorgliche Massnahmen im internationalen Verhältnis; Zuständigkeit und anwendbares Verfahrensrecht


Art. 31 LugÜ


1. a) Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Obergerichtspräsidiums ist gegeben:

b) Das Obergericht beurteilt als einzige kantonale Instanz Streitigkeiten betreffend Markenschutz sowie – bei einem Streitwert von mehr als Fr. 30'000.00 – betreffend unlauteren Wettbewerb[1]. Der Präsident des Obergerichts entscheidet in diesen Fällen über vorsorgliche Massnahmen[2]. Diese Grundsätze gelten auch, wenn Vertragsklagen, die wie im vorliegenden Fall mit einem Objekt des gewerblichen Rechtsschutzes zusammenhängen, eine Beseitigung von Störungen zum Gegenstand haben[3].

c) Verletzungen des Markenschutzrechts und Widerhandlungen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb stellen unerlaubte Handlungen im Sinn von Art. 36 ZPO dar[4]; die entsprechenden Klagen können demnach am Sitz der geschädigten Person angehoben werden. Dasselbe gilt gestützt auf Art. 13 ZPO für Gesuche um vorsorgliche Massnahmen.

d) Die Parteien haben in Ziff. 96 ihres Alleinvertriebsvertrags eine Gerichtsstandsvereinbarung für den Thurgau abgeschlossen; diese Vereinbarung erscheint nach Art. 23 LugÜ als gültig: Beide Vertragsparteien haben ihren Sitz in einem Vertragsstaat, der Gerichtsstand liegt in einem Vertragsstaat, das zuständige Gericht ist bestimmt beziehungsweise bestimmbar, die Vereinbarung wurde schriftlich abgeschlossen, und die Parteien vereinbarten ausdrücklich die Ausschliesslichkeit des gewählten Gerichtsstands. Stellen Ansprüche aus unerlaubter Handlung zugleich eine Vertragsverletzung dar, werden sie angesichts der von den Parteien gewählten Formulierung ("alle aus oder in Zusammenhang mit diesem Vertrag stehenden Streitigkeiten") von der Gerichtsstandsvereinbarung erfasst[5]. Soweit die Gesuchstellerin auch Verletzungen des deutschen Marken- und Wettbewerbsrechts anspricht, werden solche deliktischen Ansprüche ebenfalls von der Gerichtsstandsvereinbarung erfasst[6].

e) Der vereinbarte Gerichtsstand gilt auch für vorsorgliche Massnahmen[7], auch wenn diese gegebenenfalls grenzüberschreitende Konsequenzen haben[8]. Das in der Hauptsache zuständige Gericht ist für die Anordnung einstweiliger Anordnungen zuständig, und zwar unabhängig von Art. 31 LugÜ[9]. Deshalb unterliegen von einem Hauptsachegericht verfügte Massnahmen keinen territorialen Beschränkungen[10]. Das bedeutet, dass auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 31 LugÜ, insbesondere das Erfordernis der realen Verknüpfung[11], ohne Belang bleibt. Ob allerdings eine superprovisorische, von einem schweizerischen Richter getroffene einstweilige Anordnung insbesondere in Deutschland ohne weiteres vollstreckbar ist, braucht hier, nachdem die Gesuchstellerin ausdrücklich einen Antrag auf Erlass eines Superprovisoriums stellt, nicht geprüft zu werden[12]; jedenfalls entfällt wegen allfälliger Vollstreckungsprobleme nicht das Rechtsschutzinteresse.

f) Damit ist zusammenfassend festzustellen, dass das Obergericht zur Beurteilung der in Frage stehenden Klage zuständig, mithin Hauptsachengericht ist. Daraus folgt ohne weiteres die Zuständigkeit des Obergerichtspräsidiums für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen.

2. Die Zulässigkeit beantragter Massnahmen richtet sich nach schweizerischem Recht[13]. Massgebend ist damit die ZPO, aber nur für die allgemeinen Voraussetzungen von Massnahmen, wie Nachteilsprognose, Beweismass und Inhalt der Massnahme sowie Sicherheitsleistung, während sich die Hauptsachenprognose nach der lex causae richtet[14]. Insofern haben die Parteien in ihrem Alleinvertriebsvertrag eine Rechtswahl getroffen, indem auf dingliche Ansprüche, insbesondere Besitz- und Eigentumsübergang sowie Eigentumsvorbehalt des vom Vertragshändler zu übernehmenden Warenlagers deutsches Recht Anwendung findet, während im Übrigen auf schweizerisches Recht, unter Ausschluss der Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts, verwiesen wird.

Präsident des Obergerichts, 12. September 2012, PO.2012.4


[1] § 26 Abs. 3 ZSRG i.V.m. Art. 5 ZPO

[2] § 26 Abs. 3 ZSRG

[3] Vock, Basler Kommentar, Art. 5 ZPO N 4

[4] Hempel, Basler Kommentar, Art. 36 ZPO N 7

[5] Berger, Basler Kommentar, Art. 23 LugÜ N 37; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9.A., Art. 23 EuGVO N 69

[6] Hofmann/Kunz, Basler Kommentar, Art. 5 LugÜ N 504 ff.

[7] Sprecher, Basler Kommentar, vor Art. 261 ff. ZPO N 15; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVO N 103; Grolimund, in: Lugano-Übereinkommen zum internationalen Zivilverfahrensrecht (Hrsg.: Schnyder), Art. 23 LugÜ N 59; Acocella, in: Lugano Übereinkommen zum internationalen Zivilverfahrensrecht (Hrsg.: Schnyder), Art. 31 LugÜ N 44

[8] Favalli/Augsburger, Basler Kommentar, Art. 31 LugÜ N 185 f.; Kofmel Ehrenzeller, in: Kommentar Lugano-Übereinkommen (Hrsg.: Dasser/Oberhammer), Art. 31 N 31 f.; Berger, Art. 23 LugÜ N 73; Kropholler/von Hein, Art. 31 EuGVO N 21 f.

[9] Kropholler/von Hein, Art. 31 EuGVO N 10 ff.; Kofmel Ehrenzeller, Art. 31 LugÜ N 32

[10] Favalli/Augsburger, Art. 31 LugÜ N 185

[11] Entscheide des EuGH vom 17. November 1998, Rs. C-391/95 N 37 ff., und vom 27. April 1999, Rs. C-99/96 N 41 f.; BGE 129 III 638

[12] Vgl. Favalli/Augsburger, Art. 31 LugÜ N 207 ff., insbesondere N 210; Kofmel Ehrenzeller, Art. 31 LugÜ N 35

[13] Art. 31 LugÜ

[14] Sprecher, vor Art. 261 ff. ZPO N 20

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