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RBOG 2012 Nr. 5

Einberufung einer Generalversammlung nach Einleitung der Liquidation


Art. 699 Abs. 3 OR, Art. 736 ff. OR


1. a) An der ordentlichen Generalversammlung wurde einstimmig die Liquidation der Aktiengesellschaft im Sinn von Art. 736 Ziff. 2 OR beschlossen und ein Liquidator ernannt. Ein Aktionär mit einem Anteil von 50% an der Aktiengesellschaft in Liquidation gelangte an das Bezirksgericht und beantragte, es sei am Sitz der Gesellschaft eine Generalversammlung einzuberufen. Dabei seien die Durchführung einer Sonderprüfung, der Antrag auf Einberufung einer Generalversammlung über die Geschäftsjahre 2009 und 2010, der Antrag auf Durchführung einer ordentlichen Revision der Jahresrechnungen über die Geschäftsjahre 2008 ff. und die Wahl einer Revisionsstelle zu traktandieren.

b) Die Einzelrichterin wies das Gesuch um Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung ab; der Aktionär führte dagegen Berufung.

2. a) Unter Hinweis auf die Lehre erwog die Vorinstanz zutreffend, gestützt auf Art. 699 Abs. 3 OR könne ein Aktionär oder eine Aktionärsgruppe, die zusammen mindestens 10% des Aktienkapitals im Sinn von Art. 620 Abs. 1 OR vertreten würden, vom Verwaltungsrat der AG die Einberufung einer Generalversammlung verlangen. Die Minderheitsaktionäre, welche die Einberufung einer Generalversammlung anbegehrt hätten, könnten an den Richter gelangen und die Einberufung durchsetzen, wenn der Verwaltungsrat nicht binnen angemessener Frist dem Begehren nachkomme. Der gerichtliche Prüfungsgegenstand der Einberufungsklage ist kontrovers. Das Bundesgericht hielt in einem Entscheid fest, der Antrag auf Einberufung einer Generalversammlung werde im Fall seiner Geltendmachung vor Gericht lediglich daraufhin geprüft, ob die formellen Voraussetzungen für den Antrag gegeben seien. Demgemäss müsse die Verwaltung dem Gesuch nachkommen, wenn die formellen Voraussetzungen erfüllt seien. Sie sei nicht berechtigt, darüber zu entscheiden, ob die beantragten Traktanden sinnvoll seien oder nicht[1]. Dubs/Truffer vertreten hingegen die Auffassung, auch die materiell-rechtlichen Gültigkeitsvoraussetzungen eines Begehrens seien zu prüfen[2]. Böckli differenziert: Ist der Antrag nichtig, ist das Begehren abzuweisen. Erscheint der angestrebte Beschluss hingegen inhaltlich als nur anfechtbar, genügt dies nicht zur Rückweisung des Begehrens. Ein Begehren, das auf einen anfechtbaren Beschluss abzielt, ist allerdings zurückzuweisen, wenn der Rechtsmangel so gravierend ist, dass der Verwaltungsrat im Fall seiner Gutheissung selbst zur Anfechtung verpflichtet wäre und im Licht der herrschenden Lehre und bekannten Gerichtspraxis der Beschluss mit grosser Wahrscheinlichkeit aufgehoben würde[3]. Schliesslich ist nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Art. 2 Abs. 2 ZGB ein Begehren abzuweisen, wenn sich die gesuchstellende Partei wider Treu und Glauben oder rechtsmissbräuchlich verhält[4].

b) Es macht in der Tat keinen Sinn, einem Begehren auf Einberufung einer Generalversammlung stattzugeben, wenn mit Sicherheit oder mit grösster Wahrscheinlichkeit absehbar ist, dass der angestrebte Beschluss rechtlich keinen Bestand haben wird. Inwieweit die Prüfungsbefugnis des Richters bei einem Begehren um Einberufung einer Generalversammlung geht, kann letztlich aber offen gelassen werden, da das Verhalten des Berufungsklägers auch rechtsmissbräuchlich ist.

3. a) Die Vorinstanz erwog mit zutreffender Begründung, die Generalversammlung könne jederzeit eine freiwillige Auflösung mit Liquidation beschliessen. Die aufgelöste Gesellschaft tritt gemäss Art. 738 OR in Liquidation. Sie bleibt uneingeschränkt rechts- und handlungsfähig. Die Befugnisse der Organe der Gesellschaft werden mit dem Eintritt der Liquidation gemäss Art. 739 Abs. 2 OR auf die Handlungen beschränkt, die für die Durchführung der Liquidation erforderlich sind, ihrer Natur nach jedoch nicht von den Liquidatoren vorgenommen werden können. Die Gesellschaft erstrebt nunmehr als einziges Ziel die Auflösung der rechtlichen Bindungen und die Verflüssigung des Vermögens, was die Verwertung der Aktiven und die Tilgung der Schulden bedingt, um danach die Verteilung eines allfälligen Liquidationsüberschusses unter die Aktionäre vornehmen zu können[5]. Die Abwicklung mündet in die Liquidations-Schlussbilanz mit einem Schlussbericht[6]. Die Abnahme der Liquidations-Schlussab­rechnung obliegt der Generalversammlung[7].

b) Der Berufungskläger machte geltend, mit BGE 123 III 473 sei der Liquidationszweck völlig neu umschrieben worden. Er diene vorab der Gewinnoptimierung. Die Befugnisse der Generalversammlung würden durch die Auflösung und den Eintritt in das Liquidationsverfahren nicht beschränkt. Aufgrund der Möglichkeit des Widerrufs der Liquidation sowie des dadurch erweiterten Liquidationszwecks würden sich die Kompetenzen der Generalversammlung im Vergleich zur Auffassung der Vorinstanz erheblich erweitern. Dieser Auffassung steht an sich schon der Gesetzeswortlaut von Art. 739 Abs. 2 OR entgegen. Zudem dürfte in der Regel der Liquidationszweck, mithin die Erzielung eines möglichst grossen Liquidationsergebnisses, ohne weiteres neben dem in den Statuten genannten Gesellschaftszweck bestehen können[8]. Ferner hat der vom Berufungskläger zitierte BGE 123 III 473 ff. entgegen seiner Auffassung nichts am Liquidationszweck geändert. Das Bundesgericht machte sich lediglich die Auffassung der Lehre zu eigen, es müsse die Möglichkeit eines Liquidationswiderrufs durch die Generalversammlung gegeben sein, so lange der Aktiv- und Passivbestand (durch Versilberung und Schuldenrückzahlung) noch nicht zu einem wesentlichen Teil verschwunden und mit der Vermögensverteilung noch nicht begonnen worden sei[9].

c) Im vorliegenden Fall ist ein Widerruf der Liquidation nicht mehr möglich, selbst wenn das Vermögen noch nicht verteilt wäre. Gemäss der von der Generalversammlung genehmigten Liquidations-Schlussbilanz stehen den Aktiven Passiven in derselben Höhe gegenüber. Das Aktienkapital und die Reserven wurden durch den Verlustvortrag verzehrt. Bereits aus diesem Grund müsste die Aktiengesellschaft, falls die Generalversammlung die Liquidation widerrufen sollte, unverzüglich konkursamtlich liquidiert werden, weil kein Aktienkapital mehr vorhanden wäre. Der Handelsregisterführer könnte einer solchen Änderung der Eintragung mangels Nachweises des entsprechenden Aktienkapitals nicht entsprechen. An diesem Umstand ändert auch die Tatsache nichts, dass zwei Prozesse gegen die Aktiengesellschaft hängig sind. Es handelt sich einerseits um dieses Verfahren und andererseits um ein solches betreffend Auszahlung von Dividenden. Würde in letztgenanntem Verfahren der Berufungskläger obsiegen, hätte dies lediglich zur Folge, dass auch die noch vorhandenen Aktiven für die Dividendenausschüttung Verwendung finden müssten und damit nicht mehr zur Verteilung herangezogen werden könnten.

d) Die Ausführungen des Berufungsklägers über den Zweck der Liquidation vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass die Liquidation bis auf die Verteilung der restlichen Aktiven grundsätzlich abgeschlossen ist. Zudem genehmigte die Generalversammlung die entsprechende Liquidations-Schlussbilanz vom 30. Sep­tember 2009. Ob diese Genehmigung zu Recht erfolgte, kann und darf nicht geprüft werden, da der Berufungskläger die entsprechenden Beschlüsse nicht im Sinn von Art. 706 OR innert der Frist von zwei Monaten[10] anfocht. Damit sind sämtliche Rechnungen bis 30. Sep­tember 2009 definitiv genehmigt, und darüber kann die Generalversammlung keine Beschlüsse mehr fassen.

e) Dem Protokoll der Generalversammlung kann ferner entnommen werden, dass der Berufungskläger bereits damals eine Sonderprüfung beantragte. Dieser Antrag wurde jedoch nicht zur Abstimmung gebracht. Auch diesbezüglich hätte der Berufungskläger die Generalversammlungsbeschlüsse anfechten können und müssen. Abgesehen davon verbleibt nach Abnahme der Liquidations-Schlussbilanz kein Raum mehr für eine Sonderprüfung. Dem Berufungskläger geht es offensichtlich nur darum, die verpassten Anfechtungsfristen durch neuerliche Beschlüsse über bereits im Zusammenhang mit der Abnahme der Liquidations-Schlussbilanz behandelte Geschäfte wieder aufleben zu lassen. Zu Recht bezeichnete die Vorinstanz dieses Verhalten aber als rechtsmissbräuchlich.

Obergericht, 1. Abteilung, 15. Februar 2012, ZBR.2011.106


[1] BGE vom 4. Juni 2002, 4C.272/2001, Erw. 5.2

[2] Dubs/Truffer, Basler Kommentar, Art. 699 OR N 18

[3] Böckli, Schweizer Aktienrecht, 4.A., § 12 N 71c ff.

[4] Verbot unnützer Rechtsausübung, widersprüchliches Verhalten, Zweckentfremdung von Normen; vgl. Gehri, Basler Kommentar, Art. 52 ZPO N 4 ff. mit zahlreichen Hinweisen; Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, 2.A., § 86 N 1b

[5] Stäubli, Basler Kommentar, Art. 738 OR N 3 mit Hinweisen; Böckli, § 17 N 23

[6] Böckli, § 17 N 25; Stäubli, Art. 745 OR N 3 f.

[7] Böckli, § 17 N 28 Ziff. 5; Stäubli, Art. 745 OR N 5

[8] Vgl. Stäubli, Art. 738 OR N 3 (2. Absatz)

[9] Böckli, § 17 N 9 mit Hinweisen

[10] Art. 706a OR

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